Eine Mutter dreier Kinder verlangte im April 2022 im Eheschutzverfahren ein Annäherungs-, Orts- und Kontaktverbot gegen ihren Ehemann und dessen elektronische Überwachung. Das Regionalgericht Bern-Mittelland hiess ihre Anträge gut und liess den Ehemann gestützt auf Artikel 28c ZGB sechs Monate mit einer elektronischen Fussfessel überwachen. Der Ehemann wehrte sich bis vor Bundesgericht vergeblich. Der Mann habe seine Kinder wiederholt geschlagen und missbraucht, deren Schutz gehe seinen Interessen vor (5A_716/2022 vom 27. Februar 2023).
Artikel 28c ZGB trat am 1. Januar 2022 in Kraft. Er sieht eine elektronische Überwachung zur Umsetzung eines Rayon- oder Kontaktverbots laut Artikel 28b ZGB für maximal sechs Monate vor. Elektronische Fussfesseln kommen im Rahmen von zivilrechtlichen Anordnungen jedoch selten zum Einsatz. Das zeigt eine plädoyer-Umfrage in 20 deutschsprachigen Kantonen. Lediglich im Kanton Bern mussten zwei potenziell gefährliche Personen deswegen eine Fussfessel tragen.
Wesentlich verbreiteter ist der Einsatz von elektronischen Fussfesseln als Alternative zur Verbüssung von Freiheitsstrafen. Der Gesetzgeber schuf per 1. Januar 2018 mit Artikel 79b Strafgesetzbuch eine gesetzliche Grundlage für die elektronische Überwachung – oft als «Electronic Monitoring» (EM) bezeichnet.
Kein Einsatz bei Flucht- oder Wiederholungsgefahr
Die Vollzugsbehörde kann auf Gesuch des Verurteilten eine elektronische Überwachung anordnen, statt eine Freiheitsstrafe von 20 Tagen bis zwölf Monaten zu vollziehen oder anstelle eines Arbeitsexternats für drei bis zwölf Monate am Ende einer längeren Freiheitsstrafe. Das Gesetz setzt voraus, dass keine Flucht- und Wiederholungsgefahr besteht, der Verurteilte über eine dauerhafte Unterkunft verfügt und einer geregelten Arbeit oder Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgeht. Die Vollzugsbehörde erstellt einen Plan, an den sich der Verurteilte halten muss. Darin hält sie beispielsweise fest, zu welchen Zeiten er zu Hause sein muss oder welche Gebiete er nicht betreten darf.
In den Deutschschweizer Kantonen trugen mit Abstand in Bern am meisten Verurteilte elektronische Fussfesseln: Im vergangenen Jahr waren es 108 Verurteilte, ein Viertel mehr als 2018. Tom Freytag, Leiter der Berner Bewährungs- und Vollzugsdienste, begründet die hohe Anzahl damit, dass der Kanton Bern die elektronische Überwachung schon länger als andere Kantone anwende, da er sich am interkantonalen Modellversuch von 1999 bis 2002 beteiligt hatte und die Praxis danach weiterführte. Auf dem zweiten Platz folgen der Kanton Aargau mit 50 und der Kanton Zürich mit 49 Verurteilten. Im Kanton Aargau hat sich die Anzahl im Vergleich mit den 13 Fällen 2018 fast vervierfacht, im Kanton Zürich mehr als verzwölffacht (2018: 4 Fälle).
Weniger häufig kommt eine elektronische Überwachung in der Zentralschweiz vor: Gar keine Fälle zählten die Kantone Nid- und Obwalden sowie Uri. Schwyz gab als einziger Kanton keine Zahlen bekannt. In den Kantonen Luzern und Zug gab es 2018 und 2022 gesamthaft je 8 Fälle.
Deutliche Entlastung der Gefängnisse im Aargau
Auch in der Ostschweiz sind elektronische Fussfesseln wenig verbreitet. Die Kantone Appenzell Innerrhoden und Glarus wandten diese Alternative zum Strafvollzug nicht an. Kaum Fälle gab es in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden (1), Graubünden (2), Schaffhausen (3), St. Gallen (1) und Thurgau (5).
Der zurückhaltende Einsatz hängt zum Teil mit der geringen Anzahl vollziehbarer Freiheitsstrafen zusammen. In den Kantonen Appenzell Inner- und Ausserrhoden, Glarus, Nid- und Obwalden sowie Uri wurden 2021 nur zwischen 1 und 15 Freiheitsstrafen ausgesprochen. Dies zeigen die neusten verfügbaren Zahlen des Bundesamts für Statistik für 2021.
Im Verhältnis zu den vollziehbaren Freiheitsstrafen setzt der Kanton Aargau die Fussfesseln häufiger ein. Rund 20 Prozent der Verurteilten wurden 2022 elektronisch überwacht, in Bern rund 14 Prozent (siehe Tabelle). Sandra Olar vom Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau erklärt dies damit, dass die Vollzugsstelle für das elektronische Monitoring im Team eingegliedert sei, das kurze Strafen und Ersatzfreiheitsstrafen vollstrecke. Der Austausch mit den Verurteilten sei eng und es werde rasch klar, ob eine elektronische Überwachung statt einer Freiheitsstrafe möglich sei.
41 Verurteilte stellten laut Olar 2022 ein Gesuch für eine Fussfessel, 39 Gesuche wurden bewilligt. Die alternative Vollzugsform habe sich bewährt. Es gebe kaum Abbrüche (2018: 1; 2022: 5), «die Verurteilten können ihre Arbeitsstelle behalten, bleiben in ihrem sozialen Umfeld und die Gefängnisse werden entlastet».
Am höchsten ist der Anteil elektronischer Fussfesseln mit 24 Prozent im Baselbiet. Laut Andreas Schiermeyer, Sprecher der Sicherheitsdirektion Basel-Landschaft, würden jedoch immer weniger Verurteilte die Voraussetzungen erfüllen.
Tiefe Bewilligungsquote im Kanton Zürich
Eher gering sind die EM-Vollzüge im Verhältnis zu den ausgesprochenen Freiheitsstrafen im Kanton Zürich mit knapp 5 Prozent. Victoria Sutter, Sprecherin Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich, sagt, Betroffene würden seit 2018 standardmässig ein Informationsschreiben mit Gesuchsformular fürs elektronische Monitoring erhalten. Die Bewilligungsquote ist tiefer als im Kanton Aargau: Laut Sutter wurden 2018 und 2022 nur rund die Hälfte der Gesuche genehmigt.
Bei den Kosten gibt es ebenfalls Unterschiede. plädoyer wollte von den Kantonen wissen, wie viel ein Vollzugstag für eine elektronische Überwachung kostet. Am günstigsten ist der Kanton Freiburg mit 14 Franken. Laut Fabio Scascighini, Abteilungsleiter für Freiheitsstrafen im offenen Vollzug, sind die Geräte, der Kundendienst, die Software und die Telekommunikation inbegriffen. Der Kanton mietet die Geräte bei der Firma Geosatis für 5100 Franken pro Jahr.
Die Innerschweizer Kantone beziffern die Kosten mit rund 60 Franken pro Tag. 200 Franken gibt der Kanton Zug für die einmalige Einrichtung an und danach 58 Franken pro Tag.
Wesentlich teurer ist ein Vollzugstag mit rund 100 Franken in beiden Basel, Bern, Glarus, Obwalden und Zürich. Die höchsten Kosten nennen die Kantone Aargau (100 bis 130 Franken), Graubünden sowie St. Gallen (124 Franken). Die meisten Kantone mieten die Geräte beim Kanton Zürich. Laut dem Leiter des Amts für Justizvollzug Graubünden kostet die Gerätemiete den Kanton 1850 Franken pro Jahr, hinzu kämen rund 55 000 Franken Betriebskosten pro Jahr und ein zusätzlicher Beitrag an Investitions- und Betriebskosten von rund 18 000 Franken jährlich. Der Kanton Zürich mietet die Geräte bei der Securiton AG mit Sitz in Zollikofen BE für 2000 bis 5000 Franken pro Jahr.
Verurteilte zahlen bis zu 40 Franken pro Tag
Die elektronische Überwachung lohnt sich für die Kantone. Sie ist günstiger als der Haftvollzug. Der Tagessatz im Ostschweizer Vollzugskonkordat etwa beträgt mindestens 321 Franken. Und beim EM müssen sich Verurteilte gemäss Artikel 380 Absatz 2 des Strafgesetzbuches «in angemessener Weise» an den Kosten beteiligen. Die Strafvollzugskonkordate sehen Beträge bis 20 Franken (lateinische Schweiz), 21 Franken (Ostschweiz) und 40 Franken (Nordwest- und Innerschweiz) vor. Wer unter dem Existenzminimum lebt, erhält meist einen Gebührenerlass.
Technik und Varianten
Je nach Bedarf kommen unterschiedliche Geräte zum Einsatz:
Radiofunk-Geräte überprüfen, ob sich jemand wie angeordnet zu gewissen Zeiten zu Hause aufhält. Dort befindet sich ein Empfangsgerät, das Signale der Fussfessel über Radiofunk aufzeichnet und via Mobilfunknetz an die Einsatzzentrale übermittelt.
GPS-Gerät: Es zeichnet Satelliten-Signale des Global Positioning Systems (GPS) auf und überträgt diese via Mobilfunknetz an die Einsatzzentrale. Fehlt ein GPS-Signal, erfolgt die Ortung via Mobilfunknetz. Mit diesem Gerät kann beispielsweise überprüft werden, ob sich jemand an ein Rayonverbot hält.
Die Mehrheit der Kantone kennt bloss die passive Überwachung. Das heisst, die Vollzugsstelle überprüft die Einhaltung des Vollzugsplans nachträglich zu Bürozeiten. Bei einer aktiven Überwachung gehen Verstossmeldungen rund um die Uhr an eine Überwachungszentale, die umgehend reagieren kann. Eine aktive Überwachung gibt es zurzeit nur im Kanton Zürich.