Schon am frühen Morgen werde ich mit der bolivianischen Realität konfrontiert. Der Schuhputzjunge weist mich auf meine verstaubten Schuhe hin. Flecken auf Kleidern duldet man in Lateinamerika, schmutzige Schuhe sind aber geradezu schändlich!
Seit einem Jahr arbeite ich in Bolivien als Juristin in einer lokalen Nichtregierungsorganisation im Bereich «Sexueller Missbrauch». Dort bekomme ich das ganze Ausmass an Korruption und Schlamperei im Justizsystem zu spüren. Sie sind verantwortlich dafür, dass von den wenigen überhaupt angezeigten Tätern nur ein Bruchteil tatsächlich verurteilt wird.
Meine Arbeitsstelle befindet sich ausserhalb der Stadt Cochabamba. Hier haben sich über die letzten Jahrzehnte viele Landflüchtlinge angesiedelt. Häusliche Gewalt, Gewalt gegen Kinder bis hin zum sexuellen Missbrauch haben eine traurige Tradition im ländlichen Bolivien.
Meine Aufgabe besteht darin, Kinder, Eltern und Lehrpersonen über die Rechte der Minderjährigen aufzuklären und den Kindern bewusst zu machen, welche Art von Behandlung sie nicht dulden müssen. Dazu veranstalten wir Workshops in Schulen und Gemeindeversammlungen und bilden ausgewählte Kinder und Jugendliche als Sprachrohre unserer Kampagnen aus. Kinder, die ihre Rechte kennen, werden zu stärkeren Persönlichkeiten und können sich gegen Übergriffe wehren. Wir beraten Hilfesuchende, wie und wo sie eine Straftat anzeigen können und was die Konsequenzen sind.
Der Arbeitsalltag in einem Entwicklungsland läuft ein bisschen anders ab: Leute tauchen nicht auf, Computer sind virenverseucht, Strassenblockaden verhindern den Weg zur Arbeit und Stromausfälle verhindern gleich alles. Wen das nicht abschreckt, der hat den ersten Test Richtung Entwicklungszusammenarbeit schon bestanden. Organisationen wie «Interteam» prüfen in Assessments, ob sich jemand für einen Einsatz eignet.
Die ausgewählten Fachleute verpflichten sich zu einem meist dreijährigen Einsatz im entsprechenden Land. Für den Juristen, dem seine bisherige Arbeit zu wenig Herausforderung bietet, ist ein solcher Einsatz der geeignete Job.
Flurina Dünki, 34, arbeitet im Auftrag der Schweizer Organisation «Interteam» in einer bolivianischen Nichtregierungsorganisation in der Prävention von häuslicher Gewalt und Kindsmissbrauch.