Wie sieht ein Forschungssemester in Coronajahren am Bonavero Institute of Human Rights als Fellow des Mansfield College in Oxford aus? Man sitzt in Zürich, beisst unter Hochnebelschwaden in vertraute Gipfeli und befolgt Coronamassnahmen, denn auch in Oxford sind die Jalousien heruntergelassen.
Im akademischen Jahr 2021/22 gelingen dann aber verschiedene Aufenthalte. Die Hauptbeschäftigung in dieser Zeit besteht in der Fertigstellung eines Manuskripts. Unter dem Titel «Mind and Rights. The History, Ethics, Law and Psychology of Human Rights» erscheint das Buch im Frühjahr 2023 bei Cambridge UP.
Das Ziel ist, eine in ihrer Grundausrichtung nicht nur neue, sondern auch einigermassen überzeugende Theorie von Menschenrechten zu formulieren. Drei Pfeiler tragen das Argument: erstens eine Erweiterung der historischen a, weil es viele Subjekte der Menschenrechtsgeschichte aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen gibt – nicht zuletzt die Versklavten, Unterdrückten und manchmal sogar Getöteten in indigenen Gesellschaften.
Zweitens wird eine normative Rechtfertigungstheorie von Menschenrechten entworfen: Mittels philosophischer Anthropologie, politischer Theorie und normativen Prinzipien der Solidarität, Gerechtigkeit und Würde wird die Legitimation von Menschenrechten begründet – ohne theoretischen Schaum zu schlagen, so meine feste Absicht. Drittens denke ich darüber nach, was für ein Licht die Gegenwartsforschung in Moralpsychologie, Kognitions- und Neurowissenschaften und der Evolutionstheorie der humanen Phylogenese auf die Menschenrechtsidee wirft.
Der Aufenthalt in Oxford und die Offenheit und Vielfalt der Gesprächspartner haben mir geholfen, den kritischen Resonanzraum meiner Thesen zu erweitern. Einsichten kann man nur gewinnen, wenn man seinen eigenen Thesen nicht über den Weg traut. Solche Austritte aus dem Alltag erhöhen die Wahrscheinlichkeit kreativer Zufälle.
Man muss immer wieder die Gelegenheit schaffen, über Dinge zu stolpern, die einen plötzlich und aus dem Ungefähr darüber aufklären, wieder einmal nicht gewusst zu haben, dass man etwas Wichtiges nicht gewusst hatte – und damit das Tor aufzustossen, sich auf eine weitere kleine oder sogar grosse Reise in die unerforschten Gegenden möglicher wissenschaftlicher Einsichten zu machen.
Matthias Mahlmann, 56, Professor für Philosophie und Theorie des Rechts, Rechtssoziologie und Internationales Öffentliches Recht an der Universität Zürich, verbrachte ein Forschungsjahr am Bonavero Institute of Human Rights in Oxford, England.