Der Strafverteidiger – eine Art zweiter Schurke
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Plädoyer 05/2022
05.10.2022
Letzte Aktualisierung:
12.10.2022
Benjamin Rothschild
Die Schlinge um den Täter zieht sich zu: Er fuhr mit seinem Auto einen Menschen tot und beging Fahrerflucht. Die Ermittler haben Lunte gerochen und sitzen ihm im Nacken. Und der zunehmend nervöse Täter verheddert sich in Vertuschungsaktionen. Jetzt kann nur noch einer helfen: Dr. Al-Husain, Strafverteidiger, «der beste», wie es die konspirative Kollegin des Täters formuliert. Wenig später betritt der Herr Doktor die Bühne des Stuttgarter &la...
Die Schlinge um den Täter zieht sich zu: Er fuhr mit seinem Auto einen Menschen tot und beging Fahrerflucht. Die Ermittler haben Lunte gerochen und sitzen ihm im Nacken. Und der zunehmend nervöse Täter verheddert sich in Vertuschungsaktionen. Jetzt kann nur noch einer helfen: Dr. Al-Husain, Strafverteidiger, «der beste», wie es die konspirative Kollegin des Täters formuliert. Wenig später betritt der Herr Doktor die Bühne des Stuttgarter «Tatorts».
Al-Husain ist eine unsympathische Figur: ein Arrogantling in edlem Zwirn, der den redlichen Beamten wichtigtuerisch in die Parade fährt, ihnen mit Anzeige droht, falls sie seinen Klienten weiterhin «ohne Grund verfolgen» – und der dann auch noch die Dreistheit besitzt, im Kommissariat einen Cappuccino zu ordern und diesen nach nur einem Schluck einfach stehen zu lassen.
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In seiner Überzeichnung steht Dr. Al-Husain sinnbildlich für Strafverteidiger, wie sie die Zuschauer fast wöchentlich zu sehen bekommen. Ob «Tatort» oder «Polizeiruf 110»: Betritt der Anwalt des Beschuldigten den Verhörraum, drohen die Ermittlungsarbeiten der Kommissare in sich zusammenzufallen und Wahrheit und Gerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben. Der Strafverteidiger ist eine Art zweiter Schurke. Und anders als die von Beziehungs- oder Alkoholproblemen (oder beidem) gemarterten Kommissare wird er meist ohne jeden Tiefgang gezeichnet – ein skrupelloser Jurist ohne moralischen Kompass.
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Den Versuch einer Differenzierung machte jüngst der Ludwigshafener «Tatort»: Dem Beschuldigten wurde ein junger Verteidiger zur Seite gestellt, den bald Gewissensbisse plagten, nachdem ihm der Klient die Tat gestanden hatte. Doch auch hier lautet die Botschaft: Strafverteidigung ist schwer mit Anstand und Integrität in Einklang zu bringen.
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Zur Rettung der Ehre des Anwaltsstands tritt im «Zürich-Krimi» mit Rechtsanwalt Thomas Borchert ein Charakterkopf vom «Typ Bonvivant mit schwerer Seelen-Verletzung» («Frankfurter Allgemeine Zeitung») an, der regelmässig auf der Seite der Guten steht. Allerdings: Borchert ist von Haus aus nicht Strafverteidiger, sondern Wirtschaftsanwalt und wegen einer angeblichen Verwicklung in einen Bestechungsskandal selbst im Visier der Behörden. Seine Anwaltslizenz hat er verloren, weshalb er vor allem als Privatermittler tätig ist, oft im Graubereich der Legalität. Da kann er froh sein, dass ihm mit Dominique Kuster eine versierte Strafverteidigerin zur Seite steht – die vielleicht da und dort etwas zaudernd, aber immerhin nicht unsympathisch ist.