Eigentlich ist Mittagspause an der Universität Bern. Doch 14 Jus-Studentinnen und -Studenten verschieben ihren Lunch auf später und finden sich im Seminarraum 214 im Hauptgebäude ein. Sie wollen mehr über das Projekt «Human Rights Law Clinic» wissen, über welches hier informiert wird. Dieses gibt es seit dem Herbstsemester 2017 und wird von den Departementen Öffentliches Recht und Strafrecht angeboten. Die Idee: In der Law Clinic sollen Studenten einen Einblick in die juristische Praxis erhalten, indem sie an realen Fällen mitarbeiten. Sie absolvieren ein Kurzpraktikum in einem Anwaltsbüro oder bei einer Beratungsstelle und verfassen dabei selbst Rechtsschriften. Thematisch liegen die Schwerpunkte im Asyl- und Ausländerrecht, dem Justizvollzug oder anderen Bereichen, die mit Menschenrechten zu tun haben.
Über die Law Clinic informiert an diesem Mittag unter anderem Jörg Künzli, Professor für Staats- und Völkerrecht. Er klärt die Anwesenden über einige Tücken der juristischen Praxis auf: «Die Fälle, die in der Law Clinic bearbeitet werden, sind zum Teil unberechenbar», sagt er. «Es kann zum Beispiel vorkommen, dass eine Behörde einen Fall für längere Zeit liegen lässt und nichts passiert», später aber komme dann plötzlich Dringlichkeit auf.
Hohe Motivation und solide Studienleistungen verlangt
Wer am Beginn des Masterstudiums oder am Ende des Bachelorstudiums steht, gehört zum Zielpublikum des Angebots. Die Law Clinic dauert mindestens zwei Semester, fakultativ kann noch ein weiteres angehängt werden. Der Aufwand könne je nach Fall variieren. «Eine gewisse zeitliche Flexibilität wird sicher vorausgesetzt», sagt Professor Künzli. Flexibilität sei grundsätzlich aber auch auf Seiten der Anwaltsbüros oder Beratungsstellen vorhanden: Die Praktika könnten nach Absprache auch in den Semesterferien absolviert werden. Am Ende des Programms erfolgt eine Gutschrift von Punkten für das Studium. Zudem gibt es eine Arbeitsbestätigung für das Praktikum.
Das Angebot richtet sich an «besonders motivierte» Interessierte, die «solide Studienleistungen» vorweisen könnten, sagt Künzli. «Und man sollte sich für die Rechtsgebiete im menschenrechtlichen Bereich interessieren.» Interessierte müssen sich einem Bewerbungsverfahren unterziehen. In der Law Clinic der Universität Bern stehen jeweils rund 20 Plätze zur Verfügung.
Programme mit der Bezeichnung Law Clinic gibt es auch an anderen Universitäten, zum Beispiel in St. Gallen. Dort liegt der Fokus aber auf der klassischen Rechtsberatung. Die Berner waren jedenfalls die ersten, die die Law Clinic in der von ihnen angebotenen Form institutionalisierten. Das Programm komme gut an. Auch die Stellen von ausserhalb der Uni, die mit der Law Clinic zu tun haben, würden sich oft positiv äussern. Künzli meint damit auch Behörden, gegen die sich die jeweiligen Beschwerden richten.
Die Arbeit der Berner Law Clinic schlug jüngst aber auch politische Wellen: Law-Clinic-Teilnehmer hatten für Flüchtlinge eine Beschwerde im Kanton Aargau verfasst, Beschwerdegegnerin war das Aargauer Sozialdepartement. Berner FDP-Parlamentarierinnen und -parlamentarier wandten sich daraufhin in einer Anfrage an den Regierungsrat. Sie wollten wissen, «ob es Aufgabe der Universität Bern sei, Beschwerden gegen Entscheide von Behörden anderer Kantone einzureichen».
Der Regierungsrat wies in seiner Antwort darauf hin, dass die Beschwerde formell nicht von der Universität Bern eingereicht worden sei. Er erachtete es aber als wünschenswert, wenn die Law Clinic ihr Angebot «auf weniger politisch konnotierte Themenbereiche» ausrichten würde. Als Beispiel für solche Rechtsgebiete nannte der Regierungsrat unter anderem das Steuerrecht.