Unzulässige Erstellung eines DNA-Profils
Im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs wird einem Mann vorgeworfen, er habe sich mit zwei anderen Personen zum Firmengelände eines Unternehmens begeben, um Treibstoff zu stehlen. Dabei sei er ausserhalb des Areals Wache gestanden. Die Behörden ordneten eine DNA-Probenahme sowie die Erstellung eines DNA-Profils an. Das Bundesgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde gutgeheissen. Für die Richter in Lausanne ist nicht ersichtlich, wie die angeordnete Zwangsmassnahme der Aufklärung der Anlasstat dienen soll und Aufschluss über die Rollenverteilung geben könnte. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es die Polizei unterlassen hatte, am Tatort Spuren zu sichern. Die Anordnung der Zwangsmassnahme wäre nur verhältnismässig, wenn davon auszugehen wäre, dass der Mann in andere Delikte einer gewissen Schwere verwickelt sein könnte. Dafür gab es keine Anhaltspunkte.
Bundesgericht 1B_210/2022 vom 13.12.2022
Ungerechtfertigt hohe Hürden für Wolfsabschuss
Der Wolf gilt in der Schweiz als geschützte Tierart. Ein Abschuss ist stark reglementiert und erfolgt grundsätzlich über die Eliminierung von Jungtieren. Gemäss Jagdverordnung darf ein Elterntier nur ausnahmsweise erlegt werden, etwa dann, wenn der antragstellende Kanton dem Bund nachweist, dass der betroffene Wolf massgeblich an den verursachten Schäden beteiligt war. Bis anhin hatte das Bundesamt für Umwelt nur genetische DNA-Nachweise an gerissenen Nutztieren als ausreichend für eine Abschussbewilligung zugelassen. Das Bundesverwaltungsgericht geht einen Schritt weiter: Neu dürfen die Kantone auch weitere objektive Beweise erbringen – zum Beispiel dokumentierte Foto- und Filmaufnahmen, die ein Wolfsindividuum erkennen lassen. Diese Beweise müssen gezielt dazu dienen, das individuell schadenstiftende Verhalten des Elterntiers nachzuweisen.
Bundesverwaltungsgericht A-5142/2021 vom 18.1.2023
Sicherstellung der Parteientschädigung
Als ein britisches Unternehmen eine Person auf Zahlung von vier Millionen Franken einklagte, forderte Letztere das Gericht auf, beim Kläger zur Sicherstellung der Parteientschädigung 75 000 Franken zu verlangen. Die Zürcher Justiz lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, die Beklagte sei ihrer Behauptungslast nicht vollständig nachgekommen; der Verweis auf den ausländischen Sitz des Unternehmens genüge nicht. Falsch, meint das Bundesgericht: Die Beklagte hat einzig das Vorliegen des gesetzlichen Kautionsgrundes zu behaupten und zu belegen, nämlich den ausländischen Wohnsitz der Klägerin. Demgegenüber ist es Sache der Klägerin, im Rahmen einer Befragung die rechtsaufhebenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, mithin, dass die im CH-GB-Staatsvertrag statuierten Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Kautionspflicht erfüllt sind, konkret, dass sie in der Schweiz ausreichend unbewegliches Vermögen besitzt.
Bundesgericht 4A_541/2022 vom 6.1.2023
Stockwerkeigentümer hat bei Umbau ein Vetorecht
Nützliche bauliche Massnahmen an einem Gebäude im Stockwerkeigentum bedürfen der Zustimmung der Mehrheit aller Miteigentümer, die zugleich den grösseren Teil der Sache vertritt. Gemäss Artikel 647 d Absatz 2 ZGB können Änderungen, die einem Miteigentümer den Gebrauch oder die Benutzung der Sache zum bisherigen Zweck erheblich und dauernd erschweren oder unwirtschaftlich machen, nicht ohne seine Zustimmung durchgeführt werden. Dem Stockwerkeigentümer steht damit ein Vetorecht zu, mit dem er sich gegen Belastungen wehren kann, die im Vergleich zu den anderen Eigentümern übermässig sind. Fall eines Stockwerkeigentümers im Erdgeschoss, der erfolgreich gegen einen neuen Haupteingang mit Liftschacht neben seiner Wohnung vom Vetorecht Gebrauch machte.
Bundesgericht 5A_79/2022 vom 16.11.2022
TV-Steuer pro Haushalt ist einfach und effizient
In einer Beschwerde ans Bundesgericht argumentierte ein allein wohnender Mann, die Abgabe für Radio und Fernsehen – auch Haushaltsabgabe genannt – verstosse gegen die Bundesverfassung und gegen die EMRK. Die Abgabe diskriminiere ihn als alleinigen Inhaber eines Haushaltes gegenüber Personen, welche in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen. Der Gesetzgeber habe sich explizit für das Modell einer Abgabe pro Haushalt entschieden und dies sachlich begründet (Erhebungseffizienz, Einheitlichkeit, einfache und möglichst unbürokratische Lösung). Die Abgabe knüpfe nicht an den Status als «Single» an; auch eine Person, die in einer Beziehung lebe, könne allein in einem Haushalt leben. Umgekehrt könne auch eine Person, die in keiner Beziehung lebe, in einem Mehrpersonenhaushalt leben.
Bundesgericht 2C_547/2022 vom 13.12.2022
Homosexualität schützt nicht vor Wegweisung
Eine Frau aus Bosnien und Herzegowina begründete 2012 eine Lebenspartnerschaft und kam im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz, wo sie – so wie ihre deutsche Partnerin – eine Aufenthaltsbewilligung EU/Efta erhielt. Im Herbst 2016 trennte sich das Paar. Das Migrationsamt entzog der Frau die Aufenthaltsbewilligung und wies sie aus der Schweiz weg. Dagegen gelangte die Frau ans Bundesgericht. Es liege ein persönlicher Härtefall vor. Bei einer Rückkehr drohten ihr Repressionen, da sie ihre Homosexualität durch die eingetragene Partnerschaft öffentlich gemacht habe. Mit der Vorinstanz vertritt das Bundesgericht die Meinung, ihre Wiedereingliederung erscheine trotz ihrer sexuellen Orientierung nicht als stark gefährdet.
Bundesgericht 2C_292/2022 vom 17.1.2023
Busseninkasso für fremden Staat unzulässig
Ein Westschweizer Inkassounternehmen schickte einem in der Schweiz ansässigen Lenker eine Rechnung, weil dieser in Italien eine Verkehrsbusse kassiert hatte. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts sprach in der Folge den Direktor und einen leitenden Angestellten des Inkassounternehmens der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat schuldig. Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts hat die Verurteilung bestätigt. Der Versand einer Rechnung zum Inkasso eines ausländischen Strafzettels stellt den ersten Schritt zur Vollstreckung eines ausländischen Entscheids auf Schweizer Staatsgebiet dar. Eine solche Handlung unterliegt den Regeln der Rechtshilfe in Strafsachen. Der Entscheid kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesstrafgericht CA.2022.19 vom 12.12.2022
Zürcher Justiz muss Gewalt der Polizei abklären
Im Januar 2022 wurde eine Kirchenbesucherin in Zürich polizeilich unter körperlichem Zwang aus der Kirche weggeführt. Sie hatte sich geweigert, ein gültiges Covid-Zertifikat vorzuweisen. Die Frau leistete heftige Gegenwehr und erlitt einen Armbruch. Die Zürcher Justiz verneinte ein strafrechtlich relevantes Verhalten seitens der Polizei und verweigerte die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung. Anders sieht es das Bundesgericht: Ein Missverhältnis zwischen dem Mass an Gewaltanwendung und dem verfolgten Zweck, der Wegweisung der Frau aus der Kirche, lässt sich nicht mit derartiger Klarheit verneinen, dass ein strafrechtliches Verhalten des Polizisten klar ausgeschlossen werden kann. Die Zürcher Justiz muss nun die Vorwürfe näher abklären.
Bundesgericht 1C_470/2022 vom 24.1.2023
Ausstandspflicht für Staatsanwältin
Eine Glarner Staatsanwältin führt eine Strafuntersuchung gegen eine Person wegen des Verdachts der Gehilfenschaft zur Drohung. Ihr wird vorgeworfen, einen Mann dabei gefilmt und damit unterstützt zu haben, als er auf dem Parkplatz der Gemeindeverwaltung Glarus Süd das Fahrzeug des damaligen Gemeindeschreibers zertrümmert und ein bedrohliches «Manifest» gegen «Glarner Behördenfilz und Mobbing» verlesen habe, in welchem vier Personen, darunter die Staatsanwältin, namentlich genannt wurden. Kurz nach der Einvernahme durch die Staatsanwältin stellte die Person das Ausstandsgesuch wegen Befangenheit. Die Glarner Justiz lehnte es ab. Anders sieht es das Bundesgericht: Der Person wird Gehilfenschaft zur Drohung vorgeworfen, die sich auch gegen die Staatsanwältin richtet. Damit ist die Staatsanwältin zugleich geschädigte Person des von ihr untersuchten Delikts, was aufgrund der offensichtlichen Interessenkollision unzulässig ist.
Bundesgericht 1B_601/2022 vom 31.1.2023
Anwaltliche Sorgfaltspflicht verletzt
Im Rahmen eines Forderungsstreits eines Bankangestellten gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber reichte ein Anwalt ohne nähere Prüfung ein Dokument als Beweismittel beim Arbeitsgericht ein, welches vom Bankgeheimnis geschützte Kundendaten enthielt. Das Bezirksgericht sah darin ein Vergehen gegen das Bankengesetz und verurteilte den Anwalt zu einer bedingten Geldstrafe. Das Obergericht sah von einer Bestrafung ab. Anders das Bundesgericht: Aus der anwaltlichen Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung ergibt sich, dass ein Anwalt Dokumente, die er vom Mandanten erhält und als Beweismittel einzureichen gedenkt, vollständig prüft und sich vergewissert, dass es keine Informationen enthält, die einer gesetzlichen Geheimhaltungspflicht unterliegen. Im konkreten Fall hätte der Anwalt prüfen müssen, ob dieser im fraglichen Dokument alle Kundendaten bereits abgedeckt oder geschwärzt hatte.
Bundesgericht 6B_899/2021 vom 26.1.2023
«Abreise ohne Adressangabe» geziemt sich nicht für Anwalt
Ein Rechtsanwalt verzeigte einen in Zürich tätigen Anwalt mit St. Galler Anwaltspatent bei der Aufsichtskommission, nachdem ihm ein Schreiben an dessen Kanzleiadresse in Zürich mit dem handschriftlichen Vermerk «Abgereist ohne Adressangabe» retourniert worden war. Die Aufsichtskommission eröffnete ein Disziplinarverfahren und auferlegte dem Anwalt wegen Verletzung der Berufsregeln (mangelnde Erreichbarkeit) 2000 Franken Busse. Das Zürcher Verwaltungsgericht schützte diesen Entscheid. Der Anwalt verunmöglichte durch die wahrheitswidrige Angabe, ohne Adressangabe abgereist zu sein, die Kontaktaufnahme. Ein solches Verhalten ist auch nach Ansicht des Bundesgerichts mit der Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nicht zu vereinbaren.
Bundesgericht 2C_360/2022 vom 5.12.2022