1. Problemstellung
Jede Willensäusserung bedarf der Auslegung, denn sie ist stets nur der unvollkommene Ausdruck eines Gedankens.1 Folglich muss auch ein Vorsorgeauftrag ausgelegt werden.
Auslegungsfragen stellen sich in vielen Fällen. Einige davon ergeben sich aus der Tatsache, dass Artikel 365 ZGB auf die Bestimmungen über das Obligationenrecht verweist: Erstens vertritt die beauftragte Person die Auftraggeberin oder den Auftraggeber. Sie ist also ihre Stellvertreterin oder ihr Stellvertreter.
Zweitens nimmt die beauftragte Person ihre Aufgaben nach den Bestimmungen des Obligationenrechts über den Auftrag sorgfältig wahr. Damit verweist Artikel 365 auf Artikel 396 OR betreffend den Umfang des Auftrags und auf Artikel 397 ff. OR betreffend die Verpflichtungen der beauftragten Person. Nach Artikel 396 Absatz 2 OR ist im Auftrag auch die Ermächtigung zu den Rechtshandlungen enthalten, die zu dessen Ausführung gehören.
Nach Absatz 3 bedarf die beauftragte Person einer besonderen Ermächtigung, wenn es sich darum handelt, einen Vergleich abzuschliessen, ein Schiedsgericht anzunehmen, wechselrechtliche Verbindlichkeiten einzugehen, Grundstücke zu veräussern oder zu belasten oder Schenkungen auszurichten.
Aufgrund der sinngemässen Anwendung von Artikel 396 OR 2 stellt sich somit namentlich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die beauftragte Person Grundstücke veräussern darf, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Schenkungen ausrichten darf.
Da häufig Nachkommen als Vorsorgebeauftragte eingesetzt werden, stellt sich im weiteren die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie auch zu ihren eigenen Gunsten handeln dürfen, sowie ob die Auftraggeberin oder der Auftraggeber Interessenkollisionen allenfalls bewusst in Kauf genommen hat.
Weiter ist häufig auch unklar, wie die Einsetzung einer juristischen Person auszulegen ist: Wer handelt für die juristische Person, wer führt das Eignungsgespräch mit der Erwachsenenschutzbehörde (ESB) vor der Übernahme des Vorsorgeauftrags?
Diese Fragen sollen nachfolgend beantwortet werden.
2. Gesetzliche Grundlagen
Liegt ein Vorsorgeauftrag vor, hat die ESB dessen Wirksamkeit zu prüfen. Sie prüft nach Artikel 363 Absatz 2 ZGB, ob dieser gültig errichtet worden ist, ob die Voraussetzungen für seine Wirksamkeit eingetreten sind, ob die beauftragte Person für ihre Aufgaben geeignet ist und ob weitere Massnahmen des Erwachsenenschutzes erforderlich sind.
Nimmt die beauftragte Person den Vorsorgeauftrag an, so weist die Behörde sie auf ihre Pflichten nach den Bestimmungen des Obligationenrechts über den Auftrag hin und händigt ihr die Urkunde aus, die ihre Befugnisse wiedergibt (Absatz 3). Nach Artikel 364 ZGB kann die beauftragte Person die ESB um Auslegung des Vorsorgeauftrags und dessen Ergänzung in Nebenpunkten ersuchen.
Sowohl Artikel 363 Absatz 2 und 3 wie auch Artikel 364 weisen die ESB an, den Vorsorgeauftrag auszulegen. Im ersten Fall erfolgt dies von Amtes wegen mit Blick auf die Eignungsprüfung der beauftragten Person sowie mit Blick auf die Umschreibung deren Befugnisse in der Legitimationsurkunde. Im zweiten Fall erfolgt dies auf Gesuch der beauftragten Person hin.
3. Auslegung und Ergänzung
3.1 Phasen der Auslegung und Ergänzung
Die Auslegung des Vorsorgeauftrags erfolgt einerseits prospektiv, im Hinblick auf die künftige Ausübung des Vorsorgeauftrags, und andererseits retrospektiv, mit Blick auf eine bereits erfolgte Handlung der Vorsorgebeauftragten und deren Abgleichung mit dem Vorsorgeauftrag.
Prospektiv ist die ESB in zwei Phasen zur Auslegung des Vorsorgeauftrags berufen: Erstens muss sie den Vorsorgeauftrag im Zusammenhang mit der Wirksamkeitsprüfung (Artikel 363 Absatz 2 ZGB) auslegen und so ermitteln, welche Befugnisse der beauftragten Person übertragen werden (Absatz 3). Diese Auslegung erfolgt von Amtes wegen.3
Zweitens kann die ESB nach Annahme des Vorsorgeauftrags von der beauftragten Person um Auslegung ersucht werden (Artikel 364 ZGB). Eine Auslegung des Vorsorgeauftrags kann während des laufenden Auftrags insbesondere dann erforderlich werden, wenn sich die Verhältnisse geändert haben und nicht klar ist, welche Auswirkungen dies auf die Befugnisse der beauftragten Person hat. Wird etwa die Auftraggeberin oder der Auftraggeber nach einigen Jahren in ein Pflegeheim eingewiesen und reicht das Geld nicht zur Bezahlung der Pflegeheimkosten, stellt sich die Frage, ob die Belastung oder gar der Verkauf einer Liegenschaft zulässig ist.
Die Auslegung erfolgt retrospektiv, wenn sich im Nachhinein die Frage stellt, ob eine bestimmte Handlung der beauftragten Person von ihren Befugnissen im Vorsorgeauftrag gedeckt war und ob sie daher den Auftrag pflichtgemäss und sorgfältig ausgeführt hat.
3.2 Willens- oder Vertrauensprinzip?
Im Zusammenhang mit Auslegung und Ergänzung des Vorsorgeauftrags ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Auftraggeberin oder der Auftraggeber urteilsunfähig ist und daher der wirkliche Wille kaum mehr ermittelt werden kann. Es stellt sich daher die Frage, ob die Auslegung subjektiv erfolgt und somit nach dem Verständnis der Auftraggeberin oder des Auftaggebers geforscht wird, oder ob sie objektiv erfolgt und somit das Verständnis einer hypothetischen, vernünftigen und redlich denkenden und handelnden Person massgeblich ist. Mit anderen Worten geht es um die Frage, ob die Auslegung nach dem Willensprinzip (subjektiver, wirklicher Wille) oder nach dem Vertrauensprinzip (objektiver, normativer Wille) erfolgt.4
Der Vorsorgeauftrag dient der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber mit Blick auf ihre oder seine mögliche künftige Urteilsunfähigkeit als Instrument der Selbstbestimmung. Es ist zunächst ein einseitiges Rechtsgeschäft und kann als solches jederzeit einseitig zurückgezogen werden. Im Zeitpunkt der Urteilsunfähigkeit wird der Vorsorgeauftrag definitiv und kann nicht mehr zurückgezogen werden. Sobald die beauftragte Person den Auftrag annimmt, entsteht ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis nach dem Vorbild des Auftrags (Artikel 394 ff. OR).5
Zwischen dem Vorsorgeauftrag nach ZGB und dem Auftrag nach OR bestehen aber verschiedene Unterschiede: Anders als beim obligationenrechtlichen Auftrag kann die Auftraggeberin oder der Auftraggeber nicht mehr einschreiten, wenn die beauftragte Person die Interessen nicht (mehr) richtig vertritt.
Sodann wird der Vorsorgeauftrag häufig viele Jahre vor seiner Annahme erstellt und erst nach Eintritt der Urteilsunfähigkeit der Auftraggeberin oder des Auftraggebers von der beauftragten Person, die den Auftrag bis dahin womöglich gar nie gesehen hat, angenommen. Zwischen der Anordnung des Vorsorgeauftrags und dessen Wirksamkeit können also viele Jahre vergehen.
Diese Unterschiede rücken den Vorsorgeauftrag in die Nähe der letztwilligen Verfügung. Daher ist für dessen Auslegung grundsätzlich das Willensprinzip massgeblich. Das gilt jedenfalls für die prospektive Auslegung des Vorsorgeauftrags im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung und auf Gesuch der beauftragten Person. In beiden Fällen hat der Vorsorgeauftrag noch kein Vertrauen gegenüber einer Adressatin oder einem Adressaten begründet, das zu schützen wäre. Daher kommt das Willensprinzip zum Zug, das der Selbstbestimmung der Auftraggeberin Nachachtung verschafft.6 Ist die beauftragte Person mit dieser Auslegung nicht einverstanden, kann sie den Auftrag niederlegen.7 Ein Nachteil entsteht ihr daraus nicht.
Etwas anderes gilt aber dann, wenn sie die ESB nicht rechtzeitig um Auslegung anruft, sondern unverzüglich handeln muss. In diesem Fall ist nachträglich zu prüfen, ob die von ihr getroffenen Dispositionen von ihren Befugnissen gedeckt waren. Handelt die beauftragte Person in Erfüllung des Vorsorgeauftrags, steht der Vertragscharakter des Vorsorgeauftrags im Vordergrund.
Es stellt sich die Frage, ob die beauftragte Person in ihrem Vertrauen auf ihre Auslegung ihrer Befugnisse zu schützen ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf das Vertrauensprinzip abzustellen.8 Zu prüfen ist, ob die beauftragte Person so gehandelt hat wie eine verständige und redlich handelnde Person den Vorsorgeauftrag verstehen konnte und musste.9
Die Antwort auf diese Frage hat Auswirkungen auf ihre Haftung: Hat sie in Ausübung des Auftrags einen Schaden verursacht, so ist zu prüfen, ob ihre Handlungen vom Vorsorgeauftrag, so wie sie ihn vernünftigerweise verstehen durfte und musste (Vertrauensprinzip), gedeckt sind oder nicht.10
Zusammenfassend erfolgt die Auslegung des Vorsorgeauftrags nach dem Willensprinzip, wenn prospektiv nach dem Inhalt des Vorsorgeauftrags gefragt wird. Sie erfolgt dagegen nach dem Vertrauensprinzip, wenn retrospektiv (also nach erfolgter Handlung) nach dem Inhalt gefragt wird.
4. Fallkonstellationen
In den nachfolgenden Konstellationen geht es um die prospektive Auslegung von Vorsorgeaufträgen, nämlich um die Frage, was mit einer bestimmten Formulierung subjektiv gemeint war, was dem wirklichen oder, wenn dieser nicht erkennbar ist, dem hypothetischen subjektiven Willen entspricht. Massgebend ist also das Willensprinzip.
4.1 Belastung/Veräusserung von Grundstücken
Die Artikel 396 ff. OR sind auf den Vorsorgeauftrag nach ZGB sinngemäss anwendbar (Artikel 365 Absatz 2 und 3 ZGB). Nach Artikel 396 Absatz 2 OR ist im Auftrag auch die Ermächtigung zu den Rechtshandlungen enthalten, die zu dessen Ausführung gehören. Nach Absatz 3 bedarf die beauftragte Person einer besonderen Ermächtigung, wenn es sich darum handelt, einen Vergleich abzuschliessen, ein Schiedsgericht anzunehmen, wechselrechtliche Verbindlichkeiten einzugehen, Grundstücke zu veräussern oder zu belasten oder Schenkungen auszurichten.
Unbestritten ist, dass der Vorsorgeauftrag auch den Verkauf und die Belastung von Grundstücken umfassen kann. Umstritten ist aber, ob diese Befugnis explizit im Vorsorgeauftrag erwähnt werden muss, wie es Artikel 396 Absatz 3 OR für den obligationenrechtlichen Auftrag verlangt.
Nach einem Teil der Lehre bedeutet die sinngemässe Anwendung von Artikel 396 OR auf den Vorsorgeauftrag, dass Grundstückgeschäfte, insbesondere der Verkauf von Grundstücken, gestützt auf Artikel 396 Absatz 3 OR explizit als solche im Auftrag erwähnt werden müssen. Der Grund dafür wird im Schutz der urteilsunfähigen Auftraggeberin und im Umstand gesehen, dass der Vorsorgeauftrag ein erwachsenenschutzrechtliches Instrument ist.11 Die Vorsorgeauftraggeberin dürfe nicht weniger geschützt werden als der Auftraggeber nach Artikel 394 ff. OR.
Dieser Ansicht ist aus verschiedenen Gründen nicht beizupflichten:12 Erstens umfasst die Vermögenssorge das Vermögen der Vorsorgebeauftragten umfassend, also auch die Grundstücke. Ist somit die beauftragte Person mit der Vermögenssorge betraut, ist darin das gesamte Vermögen eingeschlossen.
Sodann betrifft die Vermögenssorge alle vermögensrechtlichen Geschäfte, sofern dies im Interesse der Auftraggeberin oder des Auftraggebers liegt und dem mutmasslichen Willen entspricht. Eine explizite Ermächtigung für jedes einzelne vermögensrechtliche Geschäft ist weder erforderlich noch praktikabel.
Zweitens bedeutet die Urteilsunfähigkeit der auftraggebenden Person, dass sie selbst keine Anordnungen mehr treffen kann. Der Vorsorgeauftrag dient aber gerade dazu, ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren. Daher liegt es in ihrem Interesse, dass gegebenenfalls auch Grundstückgeschäfte abgeschlossen werden können.
Der Auftrag zur Vermögenssorge enthält nach der hier vertretenen Ansicht also eine explizite Ermächtigung nach Artikel 396 Absatz 3 OR. Eine andere Sichtweise würde die urteilsunfähige Person, die ja keine gesonderten Aufträge mehr erteilen kann, in ihrer Handlungsfähigkeit stark einschränken. Dem wollte der Vorsorgeauftrag entgegenwirken. Abgesehen davon enthält Artikel 368 ZGB eine Schutznorm zugunsten der Auftraggeberin oder des Auftraggebers. Danach schreitet die ESB notfalls ein, wenn deren Interessen nicht (mehr) gewahrt sind.
Diese Bestimmung zeigt, wie der Gesetzgeber den Schutz der auftraggebenden Personen wahrnehmen wollte, nämlich durch die Intervention der ESB und nicht durch eine Einschränkung der Kompetenzen der vorsorgebeauftragten Person.13 Dem entspricht auch, dass die ESB nicht die präventive Aufgabe hat, die Vornahme gewisser Geschäfte zu genehmigen, wie dies auf die Beistände und Beiständinnen zutrifft. Artikel 416 ZGB ist nicht auf den Vorsorgeauftrag als selbstbestimmte Massnahme unter Ausschluss der ESB anwendbar.14
Die Vermögenssorge umfasst nach dieser Auslegung auch den Verkauf oder die Belastung von Grundstücken, wenn dies im Interesse der betroffenen Person ist. Besitzt zum Beispiel jemand zahlreiche Liegenschaften, aber wenig Liquidität, sodass fraglich ist, ob er weiterhin in einem sehr teuren Pflegeheim wohnen kann, ist es durchaus in seinem Interesse, eines von mehreren Grundstücken zu verkaufen, damit die erforderliche Liquidität vorhanden ist.
Der Verkauf kann auch dann in seinem Interesse stehen, wenn er bloss ein einziges Grundstück hat, denn es ist nicht unbedingt in seinem Interesse, sein Grundstück zugunsten der Erbinnen und Erben zu erhalten, wenn er dafür im Gegenzug aus dem Pflegeheim austreten muss.. Vielmehr entspricht es grundsätzlich seinem Interesse und seinem Willen, den Lebensabend nach seinen Vorstellungen zu geniessen. Wenn dazu der Verkauf des Grundstücks erforderlich ist, ist er im Interesse der betroffenen Person und entspricht mutmasslich ihrem Willen.
4.2 Ausrichtung von Schenkungen
In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob die Vorsorgebeauftragte im Namen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers Schenkungen vornehmen darf. Diese Frage ist im Licht des Umfangs des Vorsorgeauftrags zu beurteilen. Sind Schenkungen im Vorsorgeauftrag explizit erwähnt, sind sie ohne weiteres zulässig,15 soweit die finanziellen Interessen der auftraggebenden Person damit nicht in Gefahr gebracht werden.
Sind Schenkungen dagegen nicht explizit erwähnt, ist zu prüfen, ob der konkrete Vorsorgeauftrag die Vermögenssorge umfasst und ob zu dieser auch Schenkungen gehören. Die Vermögenssorge umfasst grundsätzlich Gelegenheitsgeschenke. Das suggeriert auch Artikel 240 Absatz 2 OR, der Gelegenheitsgeschenke zulasten einer handlungsunfähigen Person zulässt. Sofern also jemand bisher den Kindern zum Geburtstag und/ oder zu Weihnachten Geschenke ausgerichtet hatte, können diese im Rahmen der Vermögenssorge grundsätzlich weiterhin ausgerichtet werden.
Vorausgesetzt ist allerdings, dass sie die finanziellen Interessen der Schenkerin oder des Schenkers nicht bedrohen. Sind sie wohlhabend und können die Gelegenheitsgeschenke ausgerichtet werden, ohne dass dies finanziell ins Gewicht fällt, sind sie von der Vermögenssorge gedeckt. Benötigt hingegen jemand sein Geld zur Deckung von hohen Pflege- und Heimkosten, müssen Gelegenheitsgeschenke eingeschränkt werden, und zwar auch dann, wenn sie bisher einer Tradition entsprachen.
Die Ausrichtung von grösseren Schenkungen, namentlich von Erbvorbezügen, gehört generell nicht zur Vermögenssorge. Die Schenkung unterscheidet sich insofern vom Grundstücksverkauf, als es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, das zwar allenfalls im emotionalen Interesse, aber nicht im vermögensrechtlichen Interesse der auftraggebenden Person steht, da sie damit ihr Vermögen verringert.
Demgegenüber steht beim Grundstückverkauf der Eigentumsübertragung eine Gegenleistung gegenüber, sodass das Vermögen grundsätzlich nicht kleiner wird. Aus diesem Grund sind zwar Grundstückverkäufe oder -belastungen, nicht aber Schenkungen von der Vermögenssorge erfasst.
Wie Schenkungen sind auch Spenden an wohltätige Organisationen nicht von der Vermögenssorge gedeckt. Eine Ausnahme kann in jenen Fällen gemacht werden, in denen die Spende auf einem Dauerauftrag beruht, die Spende für die Spenderin oder den Spender von grosser Bedeutung ist und die finanziellen Verhältnisse diese Spende ohne weiteres erlauben.
Zusammenfassend: Abgesehen von Gelegenheitsgeschenken sind Schenkungen nicht von der Vermögenssorge gedeckt, sodass sie im Vorsorgeauftrag explizit erwähnt werden müssen, sofern sie vorgenommen werden sollen. Auch Spenden an wohltätige Organisationen sind grundsätzlich nicht von der Vermögenssorge gedeckt. Ausnahmen im Einzelfall sind möglich.
4.3 Selbstkontrahierung
Beim Abschluss eines Vertrags durch die beauftragte Person für die Auftraggeberin oder den Auftraggeber und gleichzeitig für sich selbst (Selbstkontrahierung), hat die beauftragte Person in der Regel auch eigene Interessen. Das Gesetz verbietet Rechtsgeschäfte, bei denen die beauftragte Person auch eigene Interessen hat, nicht grundsätzlich. Immerhin hat die beauftragte Person die ESB zu informieren, wenn ihre Interessen jenen der Auftraggeberin widersprechen (Artikel 365 Absatz 2 ZGB).
Sodann besteht nach dem Gesetz Handlungsbedarf, wenn die Interessen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers nicht mehr gewahrt oder gar gefährdet sind. In diesem Fall muss die ESB von Amtes wegen oder auf Antrag einer nahestehenden Person einschreiten (Artikel 368 ZGB). Sofern die Vertretungsbefugnisse der beauftragten Person von Gesetzes wegen entfallen (Artikel 365 Absatz 3 ZGB), muss für das Geschäft ein Beistand oder eine Beiständin eingesetzt werden, damit das Geschäft für die urteilsunfähige Person abgeschlossen werden kann (Artikel 403 Absatz 1 ZGB).
Unter Umständen regelt die ESB die Sache auch selbst (Artikel 403 Absatz 1 ZGB). Nicht jede Interessenskollision führt zum Entfallen der Befugnisse der beauftragten Person, denn ein Interessengegensatz kann von der auftraggebenden Person bewusst in Kauf genommen werden.16 Das ist bei der Einsetzung von Nachkommen als Vorsorgebeauftragte sogar recht häufig der Fall, da sie als präsumtive Erbinnen und Erben durchaus andere Interessen haben können.
4.4 Richtlinien für die Vermögensverwaltung
Für Beistände und Beiständinnen enthält die Verordnung über die Vermögensverwaltung im Rahmen einer Beistandschaft oder Vormundschaft (VBVV) vom 4. Juli 2012 Richtlinien betreffend eine sorgfältige Vermögensverwaltung. Solche Richtlinien bestehen für den Vorsorgeauftrag nicht. Die VBVV ist auch nicht sinngemäss auf den Vorsorgeauftrag anwendbar. Vielmehr kann die Auftraggeberin oder der Auftraggeber die Strategie der Vermögensverwaltung selbst bestimmen.
Sie können namentlich auch eine «riskante» Anlagestrategie anordnen. In der Regel wird es darum gehen, die bisherige Art und Weise der Vermögensverwaltung bzw. der Anlagestrategie fortzusetzen. War diese bisher eher vorsichtig oder ist aufgrund der finanziellen Verhältnisse eine vorsichtige Anlage angezeigt, kann die VBVV durchaus Anhaltspunkte zur Interpretation einer werterhaltenden Vermögensverwaltung (Artikel 2 VBVV) bieten.
Wegweisend ist somit die bisherige Anlagestrategie. Sie kann sich indessen für die Zukunft als unangemessen erweisen. Neben der bisherigen Anlagestrategie sind somit immer die Interessen und der (mutmassliche) Wille (Selbstbestimmung) der Auftraggeberin oder des Auftraggebers massgeblich. Diese können für die Zukunft eine zurückhaltende und werterhaltende Vermögensverwaltung fordern, aber auch riskante Anlagen umfassen.
4.5 Juristische Person als Vorsorgebeauftragte
Als Vorsorgebeauftragte kann eine natürliche oder eine juristische Person bezeichnet werden. Nach herrschender Lehre genügt es, dass die Vorsorgebeauftragte im Validierungszeitpunkt bestimmbar ist. Wird eine juristische Person eingesetzt, ist sie die Beauftragte, nicht die tatsächlich für sie handelnde Person.
Im Einzelfall kann allerdings fraglich sein, ob tatsächlich die juristische Person eingesetzt ist oder eine konkrete Angestellte (Hilfsperson) dieser juristischen Person. Wird etwa «Anna Christ von der Bank ABC» eingesetzt, ist vermutungsweise Anna Christ eingesetzt und nicht die Bank ABC. Ist Anna Christ im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Vorsorgeauftrags nicht mehr bei der Bank ABC tätig, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob die Anstellung bei der Bank ABC ein wesentliches Merkmal der Beauftragung darstellte.
Gegebenenfalls könnte Anna Christ, inzwischen für eine andere Bank tätig, das Mandat nicht übernehmen.Häufig soll aber eine ganz bestimmte Person, zu der eine besondere Vertrauensbeziehung besteht, eingesetzt werden. Diese Vertrauensbeziehung bildet regelmässig die Grundlage des Vorsorgeauftrags. Aus diesem Grund spricht vieles dafür, dass in der Regel die natürliche Person gemeint ist.
Dennoch kann auch eine juristische Person als solche eingesetzt werden. Wird etwa die «Bank ABC, vertreten durch Anna Christ» eingesetzt, ist vermutungsweise die Bank ABC als solche eingesetzt. Sie kann im gegebenen Zeitpunkt auch durch eine andere Person handeln, wenn Anna Christ nicht mehr bei der Bank arbeitet oder wenn intern eine andere Person für die Ausübung von Vorsorgeaufträgen zuständig ist.
Die eingesetzte juristische Person kann selbständig bestimmen, wer nach der internen Organisation für die Ausübung des Vorsorgeauftrags zuständig ist. Damit wird die persönliche Beziehung zwischen der auftraggebenden und der beauftragten Person etwas in den Hintergrund gedrängt. In der Regel besteht diesfalls das Vertrauen zur Institution oder zur Unternehmung als solcher.
Besteht die eingesetzte juristische Person im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Vorsorgeauftrags nicht mehr, kommt allenfalls eine Ersatzbeauftragte zum Zug. Andernfalls ist der Vorsorgeauftrag ebenso hinfällig, wie wenn eine beauftragte natürliche Person im Zeitpunkt der Wirksamkeit nicht mehr lebt oder den Auftrag nicht annehmen will oder kann.
Eine andere Frage ist, wie die Eignung der juristischen Person für die fraglichen Aufgaben geprüft und mit wem das Eignungsgespräch geführt wird. Die Eignung der juristischen Person setzt voraus, dass diese rechts- und handlungsfähig (Artikel 53 f. ZGB) sowie allenfalls im Handelsregister eingetragen ist (Artikel 52 Absatz 1 ZGB).
Das Eignungsgespräch wird mit der intern zuständigen Person geführt. Die erforderliche Sorgfalt bei der Ausübung des Vorsorgeauftrags wird durch die interne Organisation gewährleistet. Die juristische Person muss mit anderen Worten eine sorgfältige Ausführung des Vorsorgeauftrags sicherstellen und dazu auch die entsprechenden Personen zur Verfügung stellen.
Die Eignung der konkret handelnden natürlichen Person stellt die Eignung der juristischen Person sicher. Da sich die ESB nicht in die interne Organisation und die internen Abläufe der juristischen Person einmischen kann, ist rechtlich eine Eignungsprüfung der faktisch handelnden natürlichen Person nicht praktikabel, weil die künftig handelnde Person eventuell noch gar nicht bekannt ist.17 Immerhin könnte die Eignung der konkret handelnden Person als Bestandteil der Eignungsprüfung der juristischen Person und deren interner Organisation gesehen werden.
Die natürliche Person handelt als Hilfsperson der beauftragten juristischen Person. Ihre Eignung ist daher ein Aspekt der Eignung der juristischen Person. Ist bereits bekannt, wer intern den Vorsorgeauftrag ausführen wird, erfolgt einmalig bei Validierung des Vorsorgeauftrags eine Eignungsprüfung, und nicht bei jeder Abänderung der internen Zuständigkeiten.18 Ist die interne Zuständigkeit noch nicht bekannt, wird sich die Eignungsprüfung auf die Elemente beschränken, welche die juristische Person betreffen. Die Eignungsprüfung der intern handelnden Person gehört nicht zum obligatorischen Prüfprogramm.
Zusammenfassend ist der Formulierung sowie den Gesamtumständen (wozu die Interessen der Auftraggeberin oder des Auftraggebers gehören) zu entnehmen, ob im konkreten Fall die juristische Person als solche oder eine bestimmte natürliche Person beauftragt wird, die bei einer juristischen Person angestellt ist. Im ersten Fall ist die juristische Person Vorsorgebeauftragte, im zweiten Fall ist es die natürliche Person.
5. Fazit
Der Vorsorgeauftrag als Instrument der Selbstbestimmung ist grundsätzlich nach dem Willensprinzip auszulegen. Das Ziel der Auslegung sind der Wille und mithin die Interessen der auftraggebenden Person. Dementsprechend gelten folgende Regeln:
- Die Belastung und Veräusserung von Grundstücken ist im umfassenden Vorsorgeauftrag, der die Vermögenssorge enthält, eingeschlossen, auch ohne explizite Erwähnung des Rechtsgeschäfts «Grundstückverkauf». Die Vorsorgebeauftragte benötigt keine Zustimmung der ESB (in Anlehnung an Artikel 416 Absatz 1 Ziffer 4 ZGB).
- Eine Schenkung oder ein Erbvorbezug ist nicht in der «Vermögenssorge» eingeschlossen.
- Die VBVV ist auf die Vorsorgebeauftragte nicht anwendbar, kann aber als Anhaltspunkt für die Beurteilung der Sorgfaltspflichten der Vorsorgebeauftragten dienen.
- Die beauftragte Person kann keine Verträge mit sich selbst abschliessen, sondern muss die ESB informieren, die für das fragliche Geschäft einen Beistand oder eine Beiständin ernennt.
- Eingesetzt wird eine natürliche oder eine juristische Person. Wird eine natürliche im Zusammenhang mit einer juristischen Person erwähnt, kann die juristische oder natürliche Person gemeint sein. Da der Vorsorgeauftrag in der Regel ein persönliches Vertrauensverhältnis voraussetzt, spricht vieles dafür, dass die natürliche Person gemeint ist. Wird dennoch eine juristische Person als solche eingesetzt, handelt es sich in der Regel um die örtlich nächstgelegene Niederlassung.
1 Susan Emmenegger /Axel Tschentscher, Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Einleitung und Personenrecht, 1. Abt., Art. 1–9 ZGB, Kommentar zu Art. 1 ZGB, Art. 1 ZGB N 107, 132 f.; Alexandra Jungo, Kommentar zu Art. 360–369 ZGB, in:
Thomas Geiser / Christiana Fountoulakis (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1–456 ZGB, 7. Aufl., Basel 2022, Art. 364 ZGB N 1.
2 Christiana Fountoulakis, «Die Teilnahme urteilsunfähiger Erwachsener am Rechtsverkehr», in: Basler Juristische Mitteilungen 2015, S. 189 ff., S. 201; Jungo, a.a.O., Art. 365 N 1, 5 ff.; Paul-Henri Steinauer / Christiana Fountoulakis, Droit des personnes physiques et de la protection de l’adulte, Bern 2014, N 88; nach Stephanie Hrubesch-Millauer, «Vermögensverwaltung durch Vorsorgeauftrag und durch Vertretung des Ehegatten/eingetragenen Partners», in: Pflegerecht 2016, S. 2 ff., S. 5, Fn. 12, ist die analoge Anwendung von Art. 396 Absatz 3 OR aufgrund
von Art. 368 ZGB und Art. 240 Absatz 2 OR obsolet.
3 Walter Boente, Zürcher Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht. Der Erwachsenenschutz. Die eigene Vorsorge und Massnahmen von Gesetzes wegen, Art. 360–387 ZGB, Zürich 2015, Art. 364 ZGB N 49; Jungo, a.a.O., Art. 364 N 1; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 868.
4 Jungo, a.a.O., Art. 364 N 1; Wilhelm Schönenberger / Peter Jäggi, Zürcher Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, Band V/1a, Obligationenrecht, Art. 1–17 OR, 3. Aufl., Zürich 1973, Art. 1 OR N 181 ff.; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 890; Nico Renz, Der Vorsorgeauftrag und seine Validierung, Zürich/Basel/Genf 2020, N 729.
5 Jungo, a.a.O., Art. 364 N 12; Stephanie Hrubesch-Millauer /David Jakob, Erwachsenenschutzrecht in a nutshell, Zürich/St. Gallen 2013, S. 89; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 879 ff.
6 Jungo, a.a.O., Art. 364 N 13; Hrubesch-Millauer, a.a.O., S. 6; Steinauer /Fountoulakis, a.a.O., N 895.
7 Jungo, a.a.O., Art. 364 N 13.
8 Hrubesch-Millauer, a.a.O., S. 6; Jungo, a.a.O., Art. 364 N 13; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 896.
9 Jungo, a.a.O., Art. 364 N 13; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 896; Renz, a.a.O., N 729; s. auch Boente, a.a.O., Art. 364 N 13, N 15; Geiser, Kommentar zu Art. 364 ZGB, in: Andrea Büchler / Christoph Häfeli /Audrey Leuba / Martin Stettler (Hrsg.), Erwachsenenschutz, FamKomm, Bern 2013, Art. 364 N 6.
10 Boente, a.a.O., Art. 364 N 13, N 15; Geiser, a.a.O., Art. 364 N 6.
11 Fountoulakis, a.a.O., 200 f.; Dies., «Der Vorsorgeauftrag – Grundsatz und Streitfragen (Teil I)», in: Anwaltsrevue 2022 S. 7 ff., S. 10; Patrick Fassbind, Erwachsenenschutz, Zürich 2012, S. 180; Ernst Langenegger, Kommentar zu Art. 365 ZGB, in: Daniel Rosch /Andrea Büchler / Dominique Jakob (Hrsg.), Erwachsenenschutzrecht, 2. Aufl., Basel 2015, Art. 365 N 7; Audrey Leuba / Rosanna Giudice, «Le mandat pour cause d’inaptitude», in: Olivier Guillod / François Bohnet (Hrsg.), Le nouveau droit de la protection de l’adulte, Neuenburg 2012, S. 211 N 58; Michel Mooser, «Le mandat pour cause d’inaptitude – aspects pratiques», in: Not@lex 2014, S. 97 N 42; Viviane Premand, «Les nouveaux ‹actes pour cause d’incapacité de discernement› et la position du mandat pour cause d’inaptitude par rapport aux mandats ordinaires, de l’exécuteur testamentaire et du curateur», in: ZSR 132 (2013) I, S. 455, S. 458; a.M. Boente, a.a.O., Art. 365 N 51 ff.; Jungo, a.a.O., Art. 365 N 8; Philippe Meier, Droit de la protection de l’adulte, Articles 360–456 CC, 2. Aufl., Genf/Zürich 2022, N 440; Carmen Ladina Widmer-Blum, Kommentar zu Art. 360–369 ZGB, in: Peter Breitschmid / Alexandra Jungo (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Personen- und Familienrecht, Partnerschaftsgesetz, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2022, Art. 365 N 2; Renz, a.a.O., N 514 ff.
12 Jungo, a.a.O., Art. 365 N 8; Meier, a.a.O., N 440; Widmer-Blum, a.a.O., Art. 365 N 2; Boente, a.a.O., Art. 365 N 51; Renz, a.a.O., N 514 ff.
13 Nach Hrubesch-Millauer, a.a.O., S. 5, Fn. 12, macht diese Bestimmung die analoge Anwendung von Art. 396 Abs. 3 OR obsolet.
14 Boente, a.a.O., Art. 365 N 94 ff. m.w.H.; Fountoulakis, a.a.O. S. 10; Jungo, a.a.O., Art. 365 N 4; Langenegger, a.a.O., Art. 365 N 7; Steinauer /Fountoulakis, a.a.O., N 863a; Renz, a.a.O., N 520 ff.; Schmid, «Vollmachten und Vorsorgeauftrag», in: Schmid (Hrsg.), Nachlassplanung und Nachlassteilung / Planification et partage successoraux, S. 259 ff., S. 290.
15 Boente, a.a.O., Art. 365 N 97; Fountoulakis, a.a.O., S. 11; Jungo, a.a.O., Art. 365 N 8; Geiser, a.a.O., Art. 365 N 5, N 14; Meier, a.a.O., N 422.
16 Geiser, a.a.O., Art. 363 N 14; Jungo, a.a.O., Art. 363 N 24; Renz a.a.O., 662 ff.; Steinauer / Fountoulakis, a.a.O., N 871.
17 Renz, a.a.O., N 672 ff.
18 Jungo, a.a.O., Art. 363 N 23; Langenegger a.a.O., Art. 363 N 16; Marc Wohlgemuth, «Vorsorgeauftrag», in: Christiana Fountoulakis / Kurt Affolter-Fringeli / Yvo Biderbost / Daniel Steck (Hrsg.), Fachhandbuch Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, N 4.75.