Artikel 8a Absatz 3 litera d des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) sieht vor, dass Betreibungsämter Dritten keine Kenntnis von einer Betreibung geben, wenn der Betriebene ein Gesuch um Nichtbekanntgabe stellt und der wirkliche oder vermeintliche Gläubiger anschliessend nicht innert 20 Tagen nachweist, dass er ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlags eingeleitet hat.
Ziel der Reform war es, Betriebenen die Möglichkeit zu gegeben, ungerechtfertigte Zahlungsbefehle rascher und kostengünstiger aus ihrem Betreibungsregister löschen zu lassen. Ob dieses Ziel erreicht wurde, erscheint angesichts der strengen Gerichtspraxis aber fraglich.
Die Richtung gab das Bundesgericht vor: In drei vielbeachteten Urteilen schränkte es den Anwendungsbereich von Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG empfindlich ein. So hielt das Gericht in einem ersten Urteil fest, dass die Einleitung eines Rechtsöffnungsverfahrens einer Löschung des betreffenden Eintrags selbst dann entgegenstehe, wenn der Betriebene in diesem Verfahren obsiegte.1
In einem zweiten Fall entschied das Bundesgericht ebenfalls zuungunsten des Betriebenen. Ein Gesuch um Nichtbekanntgabe, das nach Ablauf der Jahresfrist nach Artikel 88 Absatz 2 SchKG gestellt wird, sei unzulässig, da es dem Gläubiger nicht mehr möglich sei zu reagieren. Also muss der Betriebene sein Gesuch spätestens 20 Tage vor Ablauf der Jahresfrist nach Artikel 88 Absatz 2 SchKG stellen.2
In einem dritten Urteil stellte das Bundesgericht klar, dass sich ein Betriebener nicht auf Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG stützen könne, wenn er die betreffende Forderung nach Einleitung der Betreibung bezahlt hat.3
Der dritte Entscheid erhielt Zustimmung, die ersten beiden Urteile wurden in der Lehre kritisiert. Nicht nur sei eine derartige Einschränkung in der parlamentarischen Debatte nie Thema gewesen, sie widerspreche auch dem Ziel der Reform. Als Antwort auf die beiden Urteile beschloss die Rechtskommission des Nationalrats im Januar 2022, zwei parlamentarische Initiativen einzureichen, welche die beiden Urteile des Bundesgerichts korrigieren sollen (Parlamentarische Initiativen 22.400 und 22.401). Die Rechtskommission des Ständerats gab beiden Initiativen Folge, die Rechtskommission des Nationalrats ist zurzeit dabei, eine Vorlage zu erarbeiten.
Wichtigste Entscheide kantonaler Gerichte
Auch kantonale Gerichte haben sich in den letzten vier Jahren mit grundsätzlichen Fragen im Zusammenhang mit Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG auseinandergesetzt. Eine Auswahl der wichtigsten Entscheide:
- Kein Rechtsvorschlag oder Teilrechtsvorschlag: Hat der Betriebene keinen Rechtsvorschlag erhoben, so findet Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG keine Anwendung. Denn ein Betriebener, der keinen Rechtsvorschlag erhebt, bringe dadurch zum Ausdruck, die Betreibung sei gerechtfertigt.4
Dasselbe gilt, wenn der Betriebene bloss für einen Teil der Forderung Rechtsvorschlag erhob – typischerweise für nicht geschuldete Inkassogebühren.5
- Kein Rechtsbegehren zur Beseitigung des Rechtsvorschlags: Grundsätzlich gilt neben der Rechtsöffnung (Artikel 80 und 82 SchKG) auch die Anerkennungsklage (Artikel 79 SchKG) als «Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlags» im Sinne von Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG. Eine Anerkennungsklage liegt allerdings nur vor, wenn neben dem Zahlungsbegehren ein Antrag auf Beseitigung des Rechtsvorschlags gestellt wird.6
Ein Antrag auf Beseitigung des Rechtsvorschlags ist für den Nachweis gemäss Artikel 8a SchKG ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn der Gläubiger aus prozessualen Gründen kein solches Begehren stellen kann – etwa, weil er die in Betreibung gesetzte Forderung vor einem ausländischen Gericht oder einem Schiedsgericht einklagen muss. Ebenfalls kann vom Gläubiger nicht verlangt werden, ein Begehren um Beseitigung des Rechtsvorschlages zu stellen, wenn er die Klage vor Anhebung der Betreibung oder vor der Erhebung des Rechtsvorschlages eingereicht hat und eine Klageänderung nicht mehr zulässig ist.7
- Keine Klageeinreichung innert drei Monaten: Grundsätzlich genügt gemäss Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG, dass der Gläubiger das Schlichtungsgesuch einreicht – soweit dieses einen Antrag auf Beseitigung des Rechtsvorschlags enthält. Selbst wenn er die Klagebewilligung anschliessend verfallen lässt, indem er nicht innerhalb von drei Monaten Klage erhebt, hat die betreffende Betreibung für Dritte sichtbar zu bleiben.8
- Keine Teilnahme an Schlichtungsverhandlung: Etwas anderes gilt, wenn der Gläubiger nicht zur Schlichtungsverhandlung erscheint: In diesem Fall gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen, weshalb die «Einleitung» des entsprechenden Verfahrens wieder wegfällt. Die Frist von drei Monaten nach Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG beginnt mit der Abschreibung des Schlichtungsverfahrens erneut zu laufen und es steht dem Gläubiger frei, ein zweites Schlichtungsgesuch zu stellen – sofern er das erste mit einem entsprechenden Vorbehalt zurückzog (Artikel 208 Absatz 2 ZPO). In diesem Fall wird durch das neuerliche Schlichtungsgesuch wiederum ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlags eingeleitet.9
- Tätigwerden für einen Teilbetrag genügt: Ein Gesuch um Nichtbekanntgabe nach Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG kann nur dann gutgeheissen werden, wenn der Gläubiger vollständig untätig blieb. Mit anderen Worten genügt es, wenn er für einen Teilbetrag der in Betreibung gesetzten Forderung ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlags einleitet.10
- Bezahlung eines Teils der Schuld nach Betreibungseinleitung: Bezahlt der Betriebene nicht die ganze, aber einen überwiegenden Teil der in Betreibung gesetzten Forderung, so kann er die Bekanntgabe der Betreibung an Dritte nicht mit einem Gesuch nach Artikel 8a Absatz 3 litera d SchKG verhindern.11
Anders verhält es sich, wenn der Betriebene die Forderung bereits vor Anhebung der Betreibung bezahlt hat. Denn in diesem Fall ist die Betreibung zweifellos ungerechtfertigt. Als Anhebung der Betreibung gilt dabei die Zustellung des Zahlungsbefehls.12
- Legitimation: Heisst das Betreibungsamt ein Gesuch um Nichtbekanntgabe gut, so ist der betreffende Gläubiger nicht legitimiert, diesen Entscheid anzufechten. Der Gläubiger ist nicht Partei im Verfahren um Nichtbekanntgabe der Betreibung, da er keinen Anspruch darauf hat, dass seine Betreibung im Betreibungsregister aufgeführt wird.13
1 BGE 147 III 41, E. 3.
2 BGE 147 III 544, E. 3.4.6.
3 BGE 147 III 486, E. 3.
4 Bezirksgericht Zürich, Urteil CB190069 vom 16.5.2019, E. 3.
5 Bezirksgericht Luzern, Urteil 3E1 19 3 vom 15.3.2019, E. 7.3.5.
6 Obergericht Solothurn, Urteil SCBES.2020.70 vom 28.9.2020, E. 2.1 f.; Kantonsgericht Freiburg, Urteil 105 2019 138 vom 3.12.2019, E. 2.2; Obergericht Aargau, Urteil KBE.2021.21 vom 26.8.2021, E. 4.3.
7 Obergericht Aargau, Urteil KBE.2021.21 vom 26.8.2021, E. 4.3.
8 Kantonsgericht Freiburg, Urteil 105 2021 13 vom 22.3.2021, E. 2.1.2.
9 Kantonsgericht St. Gallen, Urteil AB.2021.28 vom 5.10.2021, E. II. 4.a.
10 Obergericht Zürich, Urteil PS210234 vom 28.3.2022, E. 3.2.
11 Obergericht Schaffhausen, Urteil 93/2020/23 vom 19.10.2021, E. 2.2.
12 Bezirksgericht Zürich, Urteil CB190077 vom 27.8.2019, E. 3.2.
13Obergericht Zug, Urteil BA 2019 5 vom 3.4.2019, E. 1.3.2.