Planung ist alles. Das gilt auch für angehende Universitätsprofessoren. «Früher wurde man entdeckt - heute muss man eine akademische Karriere sorgfältig planen», ist Thomas Gächter überzeugt. Er ist Professor für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich und engagiert sich in verschiedenen Funktionen für die Nachwuchsförderung.
Nicht nur akademisch ambitionierte Studenten müssen planen, auch die Universitäten müssen vorausschauen: Qualifizierter Nachwuchs ist rar. Letztes Jahr haben in der Deutschschweiz zwölf Juristen und zwei Juristinnen habilitiert. Das ist zwar ein leichter Zuwachs im Vergleich zu den letzten Jahren, aber die Nachwuchsprobleme sind teilweise immer noch akut. Gächter: «In Zürich fehlen uns Nachwuchskräfte im Zivilprozess-, im Straf-, im Familienrecht und in den Grundlagefächern, wie etwa Römisches Recht.»
Die Ablehnung als wirtschaftlicher Glücksfall
Ein Grund für den fehlenden Nachwuchs ist die unsichere Perspektive, die mit dem akademischen Weg verbunden ist. Denn ob jemand tatsächlich die Chance hat, Professor oder Professorin an einer Universität zu werden, zeigt sich meist erst gegen Ende dreissig. Für die Anwärter bedeutet dies eine lange Zeit der Abhängigkeit und existenziellen Unsicherheit. Und das in einer Lebensphase, in der andere eine Familie gründen und sich niederlassen.
Verlangt wird absolute Flexibilität und Mobilität, eine Garantie für eine Professur gibt es im Gegenzug nicht. «Wer auf Sicherheit setzt, der sollte keine akademische Karriere anstreben», sagt Klaus Mathis, Assistenzprofessor an der Universität Luzern. Diese Sicherheitsmentalität ist laut Gächter bei Schweizern stark verbreitet.
Sein Kollege aus Bern, Professor Thomas Cottier, bestätigt diese Beobachtung: «Viele gute Kandidaten springen ab, weil sie die Unsicherheiten der akademischen Laufbahn nicht in Kauf nehmen wollen.»
Rein aus finanziellen Gründen wird sich ein brillanter Kopf nicht für eine akademische Karriere entscheiden. Zwar muss heute kein Universitätsangestellter mehr darben, aber im Vergleich zu Top-Löhnen in der Privatwirtschaft zahlen die Universitäten weniger. «Wirtschaftlich gesehen ist die Nichtberufung eher ein Glücksfall», meint Thomas Gächter. Er verdient heute - wie alle ordentlichen Professoren an der Universität Zürich - jährlich zwischen 160 000 und 240 000 Franken brutto, wobei zusätzliche Einkommen aus nebenamtlichen Tätigkeiten dazukommen dürften. Entscheidend dafür, an welchem Ende der Skala ein Bewerber eingestuft wird, sind die Qualifikationen und die bisherige berufliche Stellung bei Stellenantritt. «Wer einmal eingestellt ist, der macht finanziell nur noch kleine Schritte vorwärts», hält Thomas Gächter fest. Wer das grosse Geld sucht, springt spätestens nach der Dissertation vom akademischen Zug ab.
Assistenzprofessur als Anreiz für Uni-Karriere
Eine weitere Eigenheit der akademischen Laufbahn: Beim Verfassen der Dissertation oder der Habilitation ist jeder weitgehend auf sich selbst gestellt. «Meine Doktoranden leiden am meisten unter dem Druck und der Einsamkeit», sagt Helen Keller, Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Universität Zürich. Sie versuche zwar, ihre Schützlinge möglichst stark einzubinden. Aber man muss auch etwas aushalten können. «Eine hervorragende physische und psychische Konstitution ist Voraussetzung für eine erfolgreiche akademische Karriere», betont Keller. Von rund 200 Doktoranden in den Rechtswissenschaften verfolgen nur etwa sieben Prozent den akademischen Weg weiter bis zum Abschluss der Habilitation.
Die Universitäten und die einzelnen Rechtsfakultäten bemühen sich darum, die Attraktivität von wissenschaftlichen Karrieren zu steigern. An der Universität Zürich heisst das für die Nachwuchskräfte konkret: mehr Geld, mehr Coaching und eine besser strukturierte Laufbahn. Einen grossen Schritt im letzten Bereich haben die Deutschschweizer Universitäten in den letzten Jahren bereits mit dem Modell der «Assistenzprofessur» gemacht.
Die Assistenzprofessur ist eine Professur auf Zeit. Mit der Stelle erhält man Professorentitel, teilweise einen eigenen Lehrstuhl und in jedem Fall eine gute Portion Verantwortung - und das bereits mit rund 35 statt wie sonst mit durchschnittlich 43 Jahren. Die meisten müssen die Habilitation erst noch schreiben.
Die Rechte und Pflichten der Assistenzprofessoren und -professorinnen unterscheiden sich. «Es gibt keine landesweiten Vorgaben, wie eine Assistenzprofessur ausgestaltet sein muss», sagt Professor Felix Bommer von der Universität Luzern. Bei ihnen seien die Assistenzprofessoren sehr autonom.
Das bestätigt Klaus Mathis, seit 2007 Assistenzprofessor an der Universität Luzern: «Ich habe meinen eigenen Lehrstuhl, bin Mitglied der Fakultätsversammlung und halte eigene Vorlesungen.» Ihn hat die Freude an Lehre und Forschung zurück an die Universität gebracht. Er hat als Assistenzprofessor zwar weniger Lohn (110 000 bis 165 000 Franken statt 123 000 bis 184 000 Franken brutto jährlich), ein geringeres Lehrpensum (4 statt 8 Stunden Unterricht pro Woche) und weniger Personalressourcen als ein Ordinarius in Luzern (50 statt 150 Prozent). Sonst hat Klaus Mathis grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten. Marion Panizzon aus Bern, ebenfalls Assistenzprofessorin, sieht ihre Stelle als eine Art Vorbereitung: «Relativ jung wird man mit denselben Aufgaben wie ein ordentlicher Professor konfrontiert.» Die Stelle gibt Sicherheit und Status, allerdings nur für vier bis fünf Jahre.
Die Kinderkrankheiten der Assistenzprofessur
Das Modell «Assistenzprofessur» hat auch Kritiker. «Es bedeutet eine Mehrbelastung für die Jungen», sagt etwa Helen Keller. «Sie müssen die Habilitation verfassen, werden gleichzeitig in der Lehre evaluiert und sollen an den Fakultätsversammlungen teilnehmen.» Aus diesen Gründen wurde Michelle Cottier davon abgeraten, sich um eine Assistenzprofessur zu bewerben. Die Baslerin tat es schliesslich trotzdem und bereut ihren Entscheid nicht: «Die zeitliche Belastung ist zwar teilweise gross, aber dafür erleichtert die starke Einbindung in die universitären Strukturen das Arbeiten.»
Die starke zeitliche Belastung kennt auch Marion Panizzon: Ihre Arbeitstage sind lang, freie Wochenenden sind keine Selbstverständlichkeit. Panizzon gehört zur ersten Generation von Assistenzprofessoren an der Universität Bern. «Man merkt, dass die Assistenprofessur ein neues Instrument ist. Die Strukturen sind noch nicht angepasst, die Erwartungen unklar: Haben wir einen eigenständigen Forschungs- und Lehrauftrag, oder sollen wir vor allem die ordentlichen Professoren entlasten?», fragt sich Panizzon. Sie reflektiert die Kinderkrankheiten der neuen Einrichtung kritisch, aber sie kommt damit zurecht. Vielleicht auch, weil sie einen «Tenure-Track»-Vertrag hat. Das ist die Luxuskarosse unter den Assistenzprofessuren: Im Unterschied zu anderen hat sie im Anschluss an die Assistenzprofessur eine Garantie für eine ordentliche Professur, soweit sie die Auflagen in den nächsten Jahren erfüllt. Das gibt Sicherheit, hat aber auch Nachteile. Wer einen «Tenure-Track»-Vertrag hat, der steht unter besonders starkem Druck, die Habilitation in dieser Frist abzuschliessen.
Michelle Cottier ist glücklich mit ihrer einfachen Assistenzprofessur: «Für mich ist die Unverbindlichkeit nicht belastend. Im Gegenteil: Sie gibt mir einen Freiraum, den ich sonst nicht hätte.»
Mobilität zwischen Praxis und Wissenschaft
Michelle Cottier hat gute Gründe, gelassen zu bleiben. Denn auch wer nach der Assistenzprofessur nicht zur ordentlichen Professorin berufen wird, hat gute Jobaussichten. «Ein Weggang ist kein Abstieg», sagt Thomas Cottier. Den Professorentitel müssten die Assistenzprofessoren dann zwar wieder abgeben, aber in der Privatwirtschaft oder Verwaltung bestünden gute Karrierechancen. Assistenzprofessuren sind bewusst als befristete Stellen angelegt. «Die Leute sollen aus der Praxis kommen, an der Uni ein paar Jahre forschen und lehren und dann wieder ohne weiteres in die Praxis gehen können», sagt Thomas Cottier. «Diese Mobilität zwischen Praxis und Wissenschaft ist wichtig.»
In Sachen Nachwuchsförderung ist in der Schweiz während den letzten Jahren viel passiert. Auch die vom Schweizer Nationalfonds finanzierten Förderprofessuren wer- den von den Universitäten und den Wissenschaftlern geschätzt. «Aber eines haben wir noch nicht erreicht», sagt Thomas Cottier, «nämlich die Abschaffung der Habilitation.» Was in der Schweiz schon beinahe ketzerisch klingt, ist andernorts Realität: In den USA, in Grossbritannien, in Frankreich, selbst in der Romandie gehört die Habilitation - sprich das Verfassen einer zweiten grossen Monografie nach der Dissertation - nicht zu den Voraussetzungen einer Berufung. Für Thomas Cottier bringt diese zweite Monografie keinen Mehrwert und ist oft «reine Fleissarbeit», welche die Habilitierenden zudem isoliere und ihre Kräfte zu sehr binde.
Habilitation könnte wegfallen
Für viel sinnvoller hält Cottier sogenannte «Sammelhabilitationen». Das sind Zusammenfassungen der verschiedenen Publikationen, welche die Nachwuchswissenschaftler über die Jahre hinweg veröffentlichen. «Das wäre vor allem auch für jene Frauen einfacher, die eine Familie gründen möchten», ist Thomas Cottier überzeugt. «Sie könnten so Forschung in Etappen realisieren.» Und die Universitäten können mehr von ihnen für eine wissenschaftliche Laufbahn gewinnen.
Cottier weiss, dass die Mehrheit der Professoren an der Habilitation hängt. «Im deutschsprachigen Raum ist das Fehlen einer zweiten Monografie noch immer ein Makel», sagt beispielsweise Helen Keller. Sie selbst ist eine Verfechterin der Habilitation: «Die Möglichkeit, nach der Dissertation noch einmal drei bis vier Jahre an einem grossen Thema zu schreiben, ist wunderbar. Nach dem Abschluss fühlt man sich wie ein Bergsteiger, der einen Gipfel erklommen hat. Später hat man nie mehr so viel Zeit, so vertieft an einem Thema zu forschen.»