Am Sonntagabend, dem 19. März, verkündeten Karin Keller-Sutter und Alain Berset an einer vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Medienkonferenz, die UBS übernehme die Credit Suisse für drei Milliarden Franken. Die CS-Aktionäre erhielten für 22,48 CS-Aktien eine UBS-Aktie. Das entsprach einem Kurs von gerade noch 76 Rappen pro CS-Aktie. Bei Börsenschluss am Freitagabend hatte der Kurs noch bei Fr. 1.86 gelegen. Wie der Preis von drei Milliarden Franken zustande kam, ist bis heute ein Rätsel.
Laut Medienberichten soll die UBS zuerst eine Milliarde, dann zwei und zum Schluss drei Milliarden geboten haben. Die Aktionäre hatten bei diesem Kuhhandel nichts zu sagen. Denn für die Fusion hatte der Bundesrat mit Notrecht mehrere Bestimmungen des Fusionsgesetzes ausgehebelt: Die beteiligten Gesellschaften mussten weder eine Zwischenbilanz noch einen Fusionsbericht erstellen, der von einem Revisionsexperten geprüft worden wäre. Zudem durften die Aktionäre beider Gesellschaften nicht über die Fusion abstimmen.
Doch völlig schutzlos sind die betroffenen Aktionäre nicht. Denn das Fusionsgesetz (FusG) verlangt, dass beim Umtauschverhältnis der Aktien die Vermögen der beteiligten Gesellschaften und «alle anderen relevanten Umstände» berücksichtigt werden (Artikel 7 FusG). Zudem kann jeder Aktionär vom Gericht überprüfen lassen, ob das Umtauschverhältnis angemessen war, und andernfalls eine Ausgleichszahlung verlangen (Artikel 105 FusG).
Warum es der Bundesrat unterliess, auch diese zwei Bestimmungen in seiner Notverordnung auszuschliessen, bleibt bis heute unklar. Auf Anfrage von plädoyer sagt ein Sprecher des Finanzdepartements: «Aufgrund des laufenden Verfahrens können wir uns dazu nicht äussern.»
Drei Organisationen und mehrere Tausend Aktionäre
Verschiedene Aktionäre haben inzwischen eine Überprüfungsklage gegen die UBS eingereicht, 29 davon sind am Zürcher Handelsgericht hängig. Drei Aktionäre klagten direkt am Bezirksgericht Zürich. Sie zogen die Klagen aber wieder zurück. «Es fehlte an der Klagebewilligung», sagt Gerichtssprecher Patrick Strub. Ob die Klagen nun beim zuständigen Zürcher Friedensrichteramt 1 + 2 für die Durchführung des Schlichtungsverfahrens eingereicht wurden, wollte Friedensrichterin Beatrice Hess nicht bestätigen: «Ich darf keine Auskunft geben, weil das Schlichtungsverfahren nicht öffentlich ist.»
Falls die Verfahren bei der Friedensrichterin durchgeführt werden und die Klagen später wieder ans Bezirksgericht Zürich gelangen, wird dieses die Klagen gestützt auf Artikel 127 ZPO an das Zürcher Handelsgericht überweisen müssen, um widersprüchliche Urteile zu vermeiden. Dazu braucht es aber die Zustimmung des Handelsgerichts.
Verschiedene Klagen ans Handelsgericht wurden mit Unterstützung der drei Organisationen Contract Vault, Legal Pass und Schweizerischer Anlegerschutzverein (SASV) eingereicht. Sie vertreten mehrere Tausend Aktionäre. Da gemäss der Zivilprozessordnung keine Sammelklagen möglich sind, klagten die Organisationen jeweils im Namen eines oder mehrerer Aktionäre.
«Bei Contract Vault meldeten sich rund 8000 Personen», sagt Perica Grasarevic, Gerichtspräsident am Zivilkreisgericht Basel-Landschaft Ost und Mitinhaber von Contract Vault. Grasarevic ist selbst Aktionär der Credit Suisse. Er schrieb die 32-seitige Klageschrift und reichte sie im eigenen Namen beim Handelsgericht ein. Für die vertretenen Aktionäre ist das Verfahren gratis. «Uns geht es um rechtsstaatliche Prinzipien», sagt Grasarevic.
Anders bei Legal Pass, die rund 3000 Aktionäre vertritt. Diese müssen sich an den Kosten beteiligen. Aktionäre mit bis maximal 800 CS-Aktien zahlen 15 Rappen pro Aktie und pauschal 120 Franken Verwaltungsgebühr. Die Gebühr entfällt bei Aktionären, die mehr als 800 Aktien besitzen. Sie zahlen nur noch den Betrag pro Aktie, der mit zunehmendem Volumen sinkt (etwa 9 Rappen bei mehr als 100'000 Aktien). Legal Pass wird vom Zürcher Rechtsanwalt Andreas Hauenstein vertreten. Er reichte im Namen von zwei Aktionären eine 52-seitige Klageschrift beim Handelsgericht ein. Seine bisherigen Kosten belaufen sich auf rund 40'000 Franken.
Der Verein SASV vertritt rund 1300 Aktionäre, «in erster Linie Privatpersonen», sagt Sprecher Arik Röschke. Auch hier ist das Verfahren für Aktionäre nicht gratis. Sie können zwischen zwei Varianten wählen. Bei der Variante eins müssen sie sich mit maximal 7 Rappen pro Aktie plus pauschal 250 Franken an den Kosten beteiligen. Fallen die Kosten tiefer aus als kalkuliert, erhalten sie anteilsmässig eine Rückerstattung pro Aktie.
Bei der zweiten Variante trägt ein Prozessfinanzierer die Kosten. Im Erfolgsfall muss der Aktionär maximal 7 Rappen pro Aktie zahlen plus ein Drittel der Ausgleichszahlung dem Prozessfinanzierer abgeben. Der SASV wird vom Zürcher Rechtsanwalt Tobias Aggteleky vertreten. Er reichte die Klage im Namen von drei Aktionären beim Handelsgericht ein. Wie hoch seine Kosten für die 42-seitige Klageschrift waren, wollte der SASV plädoyer nicht sagen.
Die Kläger verlangen gestützt auf Artikel 105 des Fusionsgesetzes eine Überprüfung des Umtauschverhältnisses und eine angemessene Ausgleichszahlung. Dabei gehen Contract Vault und SASV von mindestens Fr. 1.10 pro CS-Aktie aus. Legalpass verlangt mehr, nämlich mindestens Fr. 7.12 pro Aktie.
Zahlreiche Indizien für einen höheren Wert
Für die Bemessung der Ausgleichszahlung ist entscheidend, ob der Unternehmenswert der CS im Zeitpunkt der Fusion höher war als die bezahlten drei Milliarden Franken respektive 76 Rappen pro CS-Aktie. Die Kläger bringen zahlreiche Indizien vor, die dafürsprechen. Beispiele:
- Börsenkurs: Der letzte Aktienkurs der CS zwei Tage vor dem Fusionsentscheid betrug Fr. 1.86, also Fr. 1.10 mehr als der bezahlte Preis.
- Insolvenzrisiko der CS: Dieses Risiko fiel mit der Übernahme weg, weshalb die CS zum Zeitpunkt des Abschlusses des Fusionsvertrags besser dastand als zwei Tage zuvor.
- AT1-Anleihen: Am Tag der Fusionsvereinbarung verfügte die Finma, dass die CS Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) von 16 Milliarden Franken nicht zurückzahlen muss. Dadurch stieg der Wert der Credit Suisse bei Abschluss des Fusionsvertrags im Vergleich zum letzten Aktienkurs.
- Saudi National Bank: Diese Bank war bereit, am Tag des Fusionsentscheids fünf Milliarden US-Dollar für 30 Prozent CS-Aktien zu bezahlen. Die Saudis gingen also von einem Unternehmenswert von umgerechnet 15,4 Milliarden Franken aus.
- Morningstar: Die Analysten dieser weltweiten Finanzplattform bewerteten die CS mit 19 Milliarden Franken.
- Substanzwert: Ende März, also wenige Tage nach dem Fusionsentscheid, lag der Substanzwert der CS bei Fr. 13.10 pro Aktie.
- UBS-Gewinn: Die UBS konnte im Juni dank der Übernahme der CS einen ausserordentlichen Gewinn von über 38 Milliarden US-Dollar ausweisen.
Ob all diese Indizien zu einem höheren Unternehmens- und Aktienwert der CS führen und als Folge davon eine Ausgleichszahlung begründen, wird sich zeigen. Laut Verfügung sah das Handelsgericht «einstweilen von der Erhebung eines Kostenvorschusses» ab. Ein Vorschuss wäre verlangt worden, wenn das Gericht die Klagen für «offensichtlich» unbegründet gehalten hätte.
Die UBS, welche von drei Anwälten des Zürcher Anwaltsbüros Bär & Karrer vertreten wird, hat nun bis am 15. Dezember Zeit, ihre Klageantworten zu allen 29 Klagen einzureichen. Interessant wird vor allem sein, warum die UBS nur drei Milliarden Franken zahlte. Als Begründung für den tiefen Preis kann sie nach Artikel 7 des Fusionsgesetzes «andere relevante Umstände» anführen. Anhaltspunkte lassen sich im Fusionsvertrag finden.
Dort wird unter dem Titel «Basis for Determining Merger Consideration» etwas schwammig formuliert, die Fusionszahlung basiere auf Faktoren wie der Marktkapitalisierung und dem geschäftsverbundenen Risiko der Credit Suisse. Besonders berücksichtigt worden sei, dass die Verhandlungen über einen sehr kurzen Zeitrahmen und in einem extrem unsicheren Marktumfeld geführt wurden.
Nach Eingang der Klageantworten wird das Handelsgericht die Verfahren koordinieren. Dies werde «unumgänglich sein», schreibt die Gerichtspräsidentin Claudia Bühler in einer Verfügung vom 16. August 2023.
Die Regel ist, dass in solchen Verfahren mindestens ein Gerichtsgutachten für die Bewertung der Aktien beigezogen wird. Contract Vault, Legal Pass und SASV haben dies bereits beantragt. Ein künftiges Urteil hat laut Gesetz «erga omnes» Wirkung, es gilt also für alle CS-Aktionäre, auch für solche, die nicht am Verfahren beteiligt sind. In der Literatur ist umstritten, ob die Verfahren per Vergleich erledigt werden können und ob ein solcher ebenfalls eine Wirkung für alle Aktionäre hätte. Rechtsanwalt Felix Meier-Dieterle bejaht diese Frage. Er kommentierte die Überprüfungsklage im Zürcher Kommentar.
Die Kosten des Verfahrens muss laut Fusionsgesetz die UBS übernehmen. Davon kann das Gericht nur bei besonderen Umständen abweichen – etwa wenn die Klage offensichtlich unbegründet war oder böswillig erhoben wurde, um einer Gesellschaft zu schaden (BGE 135 III 603). Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.
Die Kosten richten sich nach dem Streitwert. Da das Urteil für alle CS-Aktionäre gilt, ist vom Gesamtbetrag aller Aktien auszugehen. Zum Zeitpunkt der Fusion gab es rund vier Milliarden CS-Aktien. Bei einer Ausgleichszahlung von einem Franken ergäbe sich ein Streitwert von vier Milliarden Franken und folglich eine ordentliche Gerichtsgebühr von 20 Millionen Franken.
Rund 3000 Obligationäre klagen
Am 19. März 2023 verfügte die Finanzmarkaufsicht (Finma), dass die CS AT1-Anleihen von 16 Milliarden Franken nicht zurückzahlen muss. Gegen diese Verfügung sind rund 320 Beschwerden von ungefähr 3000 Obligationären beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen eingegangen, wie dieses auf Anfrage von plädoyer bestätigte.
Die Obligationäre verlangen, die Finma-Verfügung sei aufzuheben. Sollten die Beschwerden gutgeheissen werden, müssten die AT1-Anleihen zurückgezahlt werden. Ob davon auch Obligationäre profitieren, die keine Beschwerde eingereicht haben, ist umstritten. Ein Entscheid hielt 2010 fest, dass «sich die direkte Rechtskraftwirkung von Gerichtsurteilen grundsätzlich nur auf die Parteien des betreffenden Verfahrens erstreckt» (BVGer B-5272/2009 vom 30. November 2010).
Unter den Beschwerdeführern ist die Anwaltskanzlei Lindenmann-Law in Zürich. Sie vertritt eine zweistellige Anzahl Obligationäre, die AT1-Papiere von mehreren Millionen Franken halten. Zu ihrer Beschwerde führt die Kanzlei gegenüber der Zeitschrift «K-Geld» (4/2023) aus, die von der CS ausgegebenen AT1-Wertschriften dürften laut Vertrag nur bei einem existenzbedrohlichen Ereignis («viability event») auf null abgeschrieben werden. «Dieser Fall trat jedoch nie ein», sagt Anwalt Lionel Patrick Serex. Die CS habe die Kapital- und Liquiditätsanforderungen selbst auf dem Höhepunkt der Krise stets eingehalten.