1. Haftung
1.1 SVG
1.1.1 Rotlicht überfahren: Teilhaftung des Velofahrers
In den beiden Bundesgerichtsentscheiden 6B_1280/2019 und 6B_1289/2019 ging es um ein Strafverfahren gegen einen Velofahrer. Er missachtete ein Rotlicht und fuhr ohne zu bremsen auf eine Kreuzung. Dabei kollidierte er mit einem Fussgänger, der starb. Der Fussgänger hatte den Zebrastreifen ebenfalls bei Rot betreten und dabei auf den Boden geblickt.
Die Hinterbliebenen machten im Strafverfahren adhäsionsweise Schadenersatz und Genugtuung geltend. Der Velofahrer wurde wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt, die Zivilansprüche wurden bei einer Haftungsquote von 75 Prozent geschützt: Der Velofahrer habe die sich aus den Strassenverkehrsregeln ergebenden Sorgfaltspflichten ernsthaft verletzt. Er habe das Rotlicht der Ampel und die Markierung ignoriert und sei mit unangemessener Geschwindigkeit auf die Kreuzung gefahren. Das Verhalten des Fussgängers unterbreche die Kausalität zwischen dem Fehlverhalten des Velofahrers und dem Unfall nicht.
Wäre der Velofahrer langsamer gefahren und hätte er das Rotlicht beachtet, so hätte er die Kollision vermeiden können. Zwar habe zum Unfall beigetragen, dass der Fussgänger den Zebrastreifen bei Rot betreten und dabei auf den Boden geschaut habe. Dieses Selbstverschulden wiege aber nicht so schwer, dass es unmittelbarste Unfallursache sei. Es rechtfertige aber eine Reduktion der zivilrechtlichen Haftung um 25 Prozent (E. 4–5).
1.1.2 Anklage trotz Fehlverhalten des Velofahrers
Im Strafurteil 6B_782/2019 ging es um eine Kollision zwischen einem Velo- und einem Autofahrer. Der Velofahrer hatte innerorts in Basel in einer Tempo-30-Zone in einem engräumigen Wohnquartier auf einer Kreuzung den Rechtsvortritt eines Autofahrers verletzt, der mit 25 bis 30 km/h auf die Kreuzung fuhr. Dabei verstarb der Velofahrer.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Dagegen rekurrierten die Hinterbliebenen bis vor Bundesgericht. Dieses hob die Einstellung auf und verlangte die Weiterführung der Strafuntersuchung.
Trotz seines Vortrittsrechts hätte der Autofahrer sich vor der Einfahrt in die Verzweigung vergewissern müssen, dass keine Anzeichen für ein Fehlverhalten anderer vorliegen würde. Angesichts der engräumigen Verhältnisse des Wohnquartiers, die nur einen eingeschränkten Blick auf den Querverkehr erlaubt hätten, liege die Missachtung des Rechtsvortritts durch den Velofahrer nicht derart ausserhalb des normalen Geschehens und stelle keinen ganz aussergewöhnlichen Umstand dar, mit dem schlechterdings nicht habe gerechnet werden müssen. Das Mitverschulden des Velofahrers unterbreche den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Automobilisten und seinem Tod nicht. Gemäss einem Gutachten sei die Sichtbarkeit des Automobilisten behindert gewesen, weshalb ein Hineintasten in die Kreuzung mit reduzierter Geschwindigkeit plausibel gewesen wäre (E. 2.).
1.1.3 Mit alkoholisierten Fussgängern ist zu rechnen
Im Urteil 6B_71/2020 schützte das Bundesgericht die Verurteilung eines Autofahrers wegen fahrlässiger Tötung eines Fussgängers: Der Fussgänger befand sich in der Silvesternacht um 3.45 Uhr morgens mit dunkler Kleidung mit 1,99 Promille im Blut auf einer unbeleuchteten Strasse (Tempolimite 60 km/h) auf der Fahrbahn des Autofahrers.
Das Fehlverhalten des Fussgängers unterbreche die Adäquanz zwischen dem Unfall und dem Fehlverhalten des Autofahrers nicht, der trotz einer Sichtbarkeit des Fussgängers während mehrerer Sekunden nicht reagiert hatte und damit zu wenig aufmerksam war (E. 2.3.1). Zwar sei es ungewöhnlich, dass ein Fussgänger sich mitten in der Nacht auf der Kantonsstrasse befinde, aber jedenfalls in einer Silvesternacht nicht derart aussergewöhnlich, dass ein Autofahrer damit nicht habe rechnen müssen und es die Adäquanz unterbreche. Diese Situation sei nicht zu vergleichen mit den Fällen, in welchen ein Fussgänger sich plötzlich auf die Strasse wirft oder sich gar auf die Fahrbahn lege (E. 2.3.3).
Bemerkung: Der Ausgang eines Strafverfahrens ist trotz Art. 53 OR matchentscheidend für die Haftungsdiskussion i.S.v. Art. 59 SVG. Die genannten beiden Urteile zeigen, dass die Anforderungen an Autofahrer sehr streng sind.
1.2 Entlastungsbeweis bei Tierhalterhaftung
Im Entscheid 4A_372/2019 klagte ein Motorradfahrer gegen den Halter eines Pferdes: Zwei Pferde waren morgens um drei Uhr ausgebüxt. Eines davon kollidierte zwei Stunden später mit dem Motorradfahrer. Den Motorradfahrer traf kein Verschulden, er verletzte sich und erhob Teilklage auf Haushaltschaden. Die kantonalen Berner Gerichte wiesen die Klage und Berufung ab, ebenso das Bundesgericht: Zwar sei der Zaun mit einer Höhe von 140 cm zu niedrig gewesen. Doch habe der Tierhalter bewiesen, dass sich der Unfall auch bei einem genügend hohen Zaun ereignet hätte: Das Pferd sei in Panik geraten, weil Kühe eingedrungen seien. In dieser Situation hätte das Pferd laut Gutachten auch einen höheren Zaun problemlos durchbrochen. Damit sei die Sorgfaltspflichtverletzung nicht kausal für den Schaden und dem Tierhalter gelinge der Entlastungsbeweis des «rechtmässigen Alternativverhaltens».
Bemerkung: Der schuldlose Motorradfahrer bleibt auf seinem Schaden sitzen, der gemäss Prozessergebnis ebenfalls schuldlose Tierhalter ist nicht ersatzpflichtig. In Have 1/2020, S. 56–59, finden sich lesenswerte Überlegungen, wieso eine solche gesetzliche Verteilung «unkontrollierbarer Risiken», wozu nebst der Motorfahrzeugbetriebsgefahr auch Tiere zählen, nicht mehr zeitgemäss ist.
1.3 Arbeitgeberhaftung und Fürsorgepflicht bei Burn-out
Im Urteil A-6750/2018 beurteilte das Bundesverwaltungsgericht ein Staatshaftungsbegehren einer ehemaligen Mitarbeiterin des Staatssekretariats für Migration (Sem). Die angestellte Juristin hatte sich von 2009 bis 2011 drei Jahre in Folge bei ihrer Arbeitgeberin über die zu hohe Arbeitslast beschwert, sie ertrage diese nicht und sei deswegen in medizinischer Behandlung. Die Arbeitsorganisation sei zudem ungenügend.
Die Arbeitgeberin traf zwar verschiedene, eher allgemeine organisatorische Massnahmen, sie unterliess es laut Bundesverwaltungsgericht aber, rechtzeitig geeignete Schutzmassnahmen zugunsten der Mitarbeiterin zu treffen. In der Folge wurde die Mitarbeiterin invalid und verlangte vom Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) Ersatz ihrer Einkommenseinbusse sowie eine Genugtuung. Das EFD wies das Schadenersatzbegehren mangels Verletzung der Fürsorgepflicht ab. Das Bundesverwaltungsgericht indessen bestätigt eine arbeitsbezogene Gefährdung der Gesundheit. Daher hätte das Sem seine Fürsorgepflicht wahren und die Situation arbeitsmedizinisch abklären und Abhilfe schaffen müssen. Unzureichende personelle Ressourcen vermöchten eine übermässige Belastung der Mitarbeiterin über längere Zeit nicht zu rechtfertigen. Das EFD muss nun prüfen, ob die Verletzung der Fürsorgepflicht kausal war für die Invalidität und den Erwerbsausfall.
Bemerkung: Das Urteil ist ein Warnsignal an Arbeitgeber: Wissen sie um Gesundheitsprobleme ihrer Mitarbeiter, so greift eine weite Pflicht zum zeitnahen Abklären und angemessenen Handeln, andernfalls drohen Schadenersatzansprüche aus Art. 328 OR.
1.4 Fussball: Keine Haftung trotz gelber Karte
Im Entscheid 6B_1060/2019 ging es um ein Foul anlässlich eines Fussballspiels in der 4. Liga: Der Goalie hatte den gegnerischen Stürmer mit gestrecktem Bein auf einer Höhe von 60 bis 90 cm «abgewehrt». Das Schienbein des Stürmers brach. Der Goalie erhielt dafür vom Schiedsrichter eine gelbe Karte, welcher im Matchreport einen «unglücklichen Zusammenstoss» festhielt.
Der strafrechtliche Einzelrichter sprach den Goalie einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig und verpflichtete ihn zu Schadenersatz. Das kantonale Obergericht und das Bundesgericht sprachen den Goalie frei: Die mit körperkontaktbetonten Mannschaftssportwettkämpfen einhergehenden normalen Fouls gehören zum Grundrisiko des Fussballspiels. Nur ein nach den Umständen als grob zu qualifizierendes Fehlverhalten rechtfertigt es, die Grenzen des stillschweigenden Einverständnisses des Spielers zum Verletzungsrisiko als überschritten zu betrachten und eine strafrechtliche Sanktion auszusprechen.
Dabei gilt es zu beachten, dass einzig die Schwere des Fouls und nicht die daraus resultierenden Verletzungsfolgen für die Beurteilung einer strafrechtlich relevanten Sorgfaltspflichtverletzung entscheidend sein können. Es sei nicht klar erstellt, dass der Goalie dem Stürmer das getreckte Bein ins Knie gerammt habe. Auch lasse sich nicht mehr genau eruieren, an welcher Stelle das Bein des Stürmers getroffen worden sei. Die Aktion des Goalies habe gemäss Vorinstanz einzig dem Ball gegolten und sei weder absichtlich noch aggressiv erfolgt. Ein gegen den Stürmer gerichtetes, gewolltes, unfaires oder gefährliches Fehlverhalten sei nicht erstellt. Damit sei dieser Sachverhalt anders zu werten als derjenige gemäss BGE 145 IV 154 (E. 3.).
1.5 Haftung des Seilparks bei defekten Handschuhen
Im Urteil 6B_274/2019 ging es um die strafrechtliche Klärung eines Unfalls in einem Seilpark: Der Anzeigesteller prallte auf einer Seilrutsche (Tyrolienne) in einen Baum. Er stellte Strafantrag gegen den Geschäftsführer des Seilparks und gegen unbekannt. Darin machte er geltend, die vom Seilpark verteilten Handschuhe seien defekt gewesen, weshalb er nicht genügend habe bremsen können. Zudem habe der Baum weder eine Polsterung noch eine Bremsfeder oder einen Pneu (als Dämpfer) gehabt.
Die Staatsanwaltschaft verfügte die Nichtanhandnahme, was die kantonalen Gerichte schützten. Erst das Bundesgericht hob den Entscheid auf. Die vorinstanzliche Betrachtung sei zirkulär, wegen der Sicherheitsrelevanz der Handschuhe gegen ein Verschulden zu schliessen, weil keine verantwortliche Person eines Seilparks bewusst defekte Handschuhe abgeben würde: Damit könnte jede beschuldigte Person entlastet werden. An der Strafbarkeit ändere sich auch dann nichts, wenn der Anzeigesteller selber pflichtwidrig keine unbeschädigten Handschuhe verlangt habe, denn das Strafrecht kenne keine Verschuldenskompensation. Zudem gälten Sicherungspflichten eines Seilparkbetreibers unabhängig vom Verhalten der Seilparkbesucher. Es sei nicht Aufgabe der Seilparkbesucher, die Anlage vorgängig auf Sicherheitsmängel und unwägbare Gefahren hin zu überprüfen. Eine ungenügende Instruktion des Anzeigestellers sei möglich und es bestünden Verdachtsgründe für eine pflichtwidrige Unterlassung (E. 2.6). Daher sei eine Strafuntersuchung zu eröffnen (E. 3).
1.6 Arzthaftung
1.6.1 Behandlung in öffentlichem Spital
Gemäss Entscheid 6B_907/2019 sind Arzthaftungsansprüche aus Behandlung in einem öffentlichen Spital im Kanton Solothurn öffentlich-rechtlicher Natur und damit keine Zivilansprüche, jedenfalls solange Ärzte in der Funktion eines öffentlich-rechtlichen Angestellten einen Schaden verursachen. Daher können solche Arzthaftungsansprüche nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden.
Entsprechend wirkt sich die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung auch nicht auf die Beurteilung von Zivilansprüchen aus. Deshalb ist eine Privatklägerin nicht legitimiert, gegen die Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft Beschwerde ans Bundesgericht zu erheben (E. 3). Dasselbe gilt für Arzthaftungsansprüche aus einer Behandlung im Spital Wallis (Urteil 6B_60/2020). Analog entschied das Bundesgericht in 6B_1358/2019. Anders wäre es nur, wenn der Arzt den Patienten privatärztlich behandelt hätte, was dieser aber belegen müsste (E. 2.).
1.6.2 Organisationsmangel muss substanziiert werden
Im Urteil 4A_579/2019 erlitt eine Patientin nach der Behandlung von Unterbauchschmerzen wegen Nierensteinen ein Multiorganversagen. Sie verlangte vom Spital Schadenersatz und Genugtuung und machte geltend, die Notfallbehandlung sei ungenügend gewesen: Sie sei weder durch fachkundiges Personal betreut noch rechtzeitig behandelt und in ein anderes Spital zur Notoperation verlegt worden.
Gemäss Bundesgericht sind diese kritisierten Mängel ungenügend behauptet, weil darüber kein Beweisverfahren durchführbar ist. Die Klägerin hätte detailliert angeben müssen, inwiefern die medizinischen Massnahmen nicht innerhalb des notwendigen Zeitfensters vorgenommen wurden respektive weshalb sie keine sorgfältige und nach den Umständen gebotene Behandlung gewesen seien. Die Nichtabnahme der bezüglichen Beweise verletzte damit auch nicht den Beweisführungsanspruch (E. 2.2.2).
1.6.3 Haftung auch für Komplikation
Im Entscheid 4A_65/2019 ging es um einen Patienten, der nach einem Sturz auf die Hüfte die Notfallstation aufsuchte. Zunächst wurde er ohne Röntgen mit Schmerzmitteln nach Hause und wieder zur Arbeit geschickt. Bei Beschwerdepersistenz wurde am nächsten Tag geröntgt und eine Fraktur des Oberschenkelknochens entdeckt. Es folgten mehrere Operationen. Der Patient erlitt als Komplikation einer Operation eine Nervenverletzung und war letztlich teilinvalid. Er klagte gegen die Notfallpraxis und das Spital wegen verspäteter Diagnose einer Nekrose eines Femurkopfes (Hüftkopf).
Streitig war u.a. der hypothetische Kausalverlauf ohne Behandlungsfehler. Das Gerichtsgutachten ergab, dass bei rechtzeitiger Diagnose das Risiko einer Nekrose zwar nicht ausgeschlossen, aber minimiert gewesen wäre. Gemäss Bundesgericht ist damit überwiegend wahrscheinlich, dass bei rechtzeitiger Diagnose die Nekrose und damit der Schaden nicht eingetreten wären (E. 4.3). Ohne Nekrose wäre auch keine Hüftprothesenoperation nötig gewesen. Und ohne Hüftprothesenoperation hätte es keine Komplikation gegeben. Die eingetretene seltene Komplikation bei der Hüftprothesenoperation sei nicht völlig ausserhalb dessen, womit gerechnet werden muss, und damit noch adäquate Folge des Behandlungsfehlers (E. 5.2).
1.7 Unfall: Keine Haftung aus Pauschalreisegesetz
Im publizierten Bundesgerichtsurteil 4A_396/2018 ging es um Schadenersatz für einen Verkehrsunfall in Indien: Ein Ehepaar hatte bei einem Genfer Reiseveranstalter eine Pauschalreise für 29 Tage in Indien gebucht. Während einer vom Veranstalter organisierten Taxifahrt kam es zur Frontalkollision mit einem entgegenfahrenden Lastwagen. Die Ehefrau verstarb an den Unfallverletzungen. Der Ehemann wurde erwerbsunfähig. Vor Gericht machte er Genugtuungsansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter geltend.
Die Haftung des Reiseveranstalters regelt das Bundesgesetz über Pauschalreisen (PauRG). Die Rechtsnatur dieser Haftung, welche sich an das europäische Recht anlehnt, ist in der Lehre umstritten (E. 5.5). Unbestritten ist, dass das Verhalten des Dienstleistungsträgers im Einklang mit Art. 101 OR dem Veranstalter insoweit zugerechnet wird, als dieses in einem funktionellen Kausalzusammenhang mit der Erfüllung des Vertrags steht (E. 5.5 und 5.8.1).
Das Bundesgericht beurteilt die Haftung des Reiseveranstalters als einfache Kausalhaftung, welche die Verletzung einer Sorgfaltspflicht vermutet (E. 5.6). Die Haftung ist dann zu bejahen, wenn die Exkulpation nach Art. 15 PauRG nicht gelingt und zusätzlich das Verhalten eine Nichterfüllung oder Schlechterfüllung der gegenüber dem Reisenden eingegangenen Verpflichtung darstellt (E. 5.8.1). Der Vertrag über die Veranstaltung einer Reise enthält Elemente des Kaufs, Werkvertrags und Auftrags (E. 5.8.2), wobei die hier zu beurteilende Streitigkeit die Privatbeförderung von Personen beschlägt. Dieser Vertragsteil untersteht dem Auftragsrecht (E. 5.8.2). Das Bundesgericht lehnt die Haftung des Reiseveranstalters ab (E. 5.8.3 und 5.9 f.): Der Kläger habe nicht bewiesen, dass der Reiseveranstalter den Auftrag unsorgfältig ausgeführt oder den Vertrag anderweitig verletzt habe.
2. Schadennachweis
2.1 Pflege- und Betreuungsschaden
Im Urteil 4A_6/2019 ging es um den Nachweis des künftigen Pflege- und Betreuungsschadens. Die Beifahrerin eines Autos erlitt bei einem Selbstunfall des Lenkers eine Querschnittlähmung. Sie klagte gegen die Halterhaftpflichtversicherung auf Ersatz des künftigen Pflege- und Betreuungsschadens. Das Handelsgericht Zürich verpflichtete die Beklagte zu dessen Ersatz, wobei es künftig von einer Zunahme des Aufwands ausging: Bei Querschnittgelähmten seien Komplikationen und Spätfolgen häufig. Im Sinne einer Schadensschätzung sei hier ab Alter 50 vom Eintritt eines Mobilitätsschadens auszugehen, was zwei Stunden Dritthilfe täglich verursache. Ab Alter 60 sei von einer Verschlechterung mit vier Stunden Dritthilfe täglich auszugehen, ab Alter 70 von einer vollen Pflegebedürftigkeit (E. 4.1). Die Beklagte gelangte vor Bundesgericht und machte geltend, die Voraussetzungen für eine diesbezügliche Schadensschätzung seien nicht erfüllt.
Die Vorinstanz hatte geurteilt, es gäbe zwar keine zuverlässigen Anhaltspunkte zum Zusammenhang zwischen Lebensalter und Zunahme des Pflege- und Betreuungsaufwands bei Wirbelsäulenverletzungen. Die medizinischen und pflegerischen Gerichtsgutachten seien diesbezüglich spekulativ. Allerdings seien diverse einzelne Spätfolgerisiken wahrscheinlich, die sich kombiniert zu einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit kumulierten. Daher sei für die Zukunft ein zunehmender Aufwand gemäss Art. 42 Abs. 2 OR zu schätzen (E. 4.1).
Dieses Vorgehen kritisierte das Bundesgericht: Die Substanziierungsobliegenheit gilt auch für den Schadenumfang. Im Rahmen von Art. 42 Abs. 2 OR muss die Geschädigte alle nötigen Angaben für die Schadensschätzung liefern (E. 4.3). Fehlen sowohl allgemeine Erfahrungswerte wie auch individuelle Parameter zum künftigen Verlauf der Querschnitt-Spätfolgen für Pflege und Betreuung, so kann der Schaden nicht geschätzt werden (E. 4.4). Wenn weder der Zeitpunkt des Eintritts eines möglichen Schadens noch dessen Ausmass bestimmbar sind, fehlen die Grundlagen, um einen konkreten Schaden abzuschätzen. Für Schadenersatz genügt das Risiko nicht, dass ein Schaden zu einem ungewissen Zeitpunkt in einer unbestimmten Höhe entstehen kann, selbst wenn der Risikoeintritt noch so wahrscheinlich ist. Vielmehr bedarf es für eine Schätzung nach Art. 42 Abs. 2 OR konkreter Anhaltspunkte dafür, dass ein konkreter Schaden zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Ausmass eintreten wird (E. 4.5). Ein künftiger Pflegeschaden ist daher hier nicht nachgewiesen (E. 4.6).
Sodann ist daran festzuhalten, dass beim Erwerbsausfallschaden eine individuelle Reallohnsteigerung zu berücksichtigen ist, soweit sie hinreichend wahrscheinlich ist, dass jedoch im Unterschied zum Haushaltschaden nicht von einer generellen Lohnsteigerung auszugehen ist (E. 5.2.2 f.). Gründe für eine allgemeine Anpassung der Rechtsprechung in Richtung höherer Genugtuungsbeträge fehlten (E. 6.2 f.).
Bemerkung: Das Urteil ist nachvollziehbar, soweit es bei gar nicht bekannten Parametern eine Schätzung ablehnt. Wenn es aber für eine Schätzung konkrete Anhaltspunkte dafür verlangt, dass (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) ein konkreter Schaden zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Ausmass eintreten wird, so schränkt es das richterliche Ermessen von Art. 42 Abs. 2 OR erheblich ein. Die Konsequenz des Urteils für die Schadenregulierungspraxis wird sein, dass bei Befürchtung erheblicher Spätfolgen Schadenfälle über mehrere Jahrzehnte nicht regulierbar sind – oder nur mit massiven Abstrichen. Das ist für alle Beteiligten und den Rechtsfrieden problematisch. Zudem greift die Beweislastregel von Art. 8 ZGB erst, wenn der Schaden weder strikt bewiesen (Art. 42 Abs. 1 OR) noch richterlich schätzbar ist (Art. 42 Abs. 2 OR). Es erscheint daher problematisch, eine Schätzung mit Verweis auf die Beweislast abzulehnen.
Sodann widerspricht das Urteil anderen aktuellen Bundesgerichtsurteilen: In 2C_1098/2018 erwog das Bundesgericht, für den Beginn der relativen Verjährungsfrist von Art. 60 OR müsse der Geschädigte nicht wissen, wie hoch der Schaden ziffernmässig sei, könne er doch auf Ersatz künftigen Schadens klagen, selbst wenn dessen Umfang noch nicht sicher feststehe, weil künftige Ereignisse ihn noch verändern könnten; denn diesfalls könne das Gericht den Schaden i.S.v. Art. 42 Abs. 2 OR schätzen. Und in BGE 145 III 225 erwog das Bundesgericht, dass bei zukünftig ungewisser Weiterentwicklung des Schadens die Streitsache auf der Basis einer Prognose der zukünftigen Entwicklung nach der allgemeinen Lebenserfahrung endgültig erledigt werde (S. 235).
2.2 Entscheidend ist Natur des Gesundheitsschadens
Im Urteil 4A_567/2019 ging es um eine Autofahrerin, die bei zwei Auffahrkollisionen verletzt worden war. Sie klagte gegen die für beide Unfälle zuständige Haftpflichtversicherung auf Schadenersatz und Genugtuung und obsiegte kantonal im Umfang von 650 000 Franken.
Die Haftpflichtversicherung rügte vor Bundesgericht eine Verletzung der Verhandlungsmaxime, was dieses verneint: Es sei nicht massgebend, ob die Klägerin ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen als «Distorsionen der Halswirbelsäule» bezeichnet habe oder nicht. Entscheidend sei vielmehr die Beschreibung respektive Umschreibung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden bzw. der geistigen sowie körperlichen Symptome und Einschränkungen. Die Klägerin habe erstinstanzlich die unfallbedingten Beschwerden beschrieben. Eine ausdrückliche Behauptung von «Distorsionen der Halswirbelsäule» sei nicht erforderlich gewesen. Die Verhandlungsmaxime sei nicht nur deshalb verletzt, weil eine im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigte Einzeltatsache nicht explizit behauptet worden sei.
Die Frage, ob das Gericht aus den Akten ersichtliche Tatsachen trotz fehlender Behauptungen berücksichtigen dürfe, würde sich nur stellen, wenn die Klägerin die für die Subsumtion unter die Bestimmungen des materiellen Rechts massgebenden Umstände, die das Gericht durch die Beweismittel als erwiesen angesehen habe, nicht in einer den Gewohnheiten des Lebens entsprechenden Weise in ihren wesentlichen Zügen oder Umrissen behauptet und nach Massgabe der Bestreitung substanziiert hätte, oder wenn sich die Prozessparteien für die massgebenden Umstände nicht rechtsgenüglich auf die von der Vorinstanz herangezogenen Beweismittel berufen hätten, was die Beklagte hier nicht dartue (E. 4.). Auch sei das Recht auf Beweis durch Nichterstellung eines biomechanischen Gutachtens nicht verletzt, denn die Beklagte habe – trotz Antrag auf ein solches Gutachten – selber eingeräumt, dass HWS-Distorsionen auch ohne biomechanische Erklärbarkeit vorliegen können (E. 5).
2.3 Verjährung
2.3.1 Einfluss EGMR-Urteil auf hängige Asbestfälle
Zwei Fälle werden amtlich publiziert: Mehrere Verfahren waren wegen des EGMR-Entscheids 52067/10 vom 11. März 2014 und der darauffolgenden Gesetzesrevision sistiert. Per 1. Januar 2020 trat das neue Verjährungsrecht in Kraft. Deshalb hat das Bundesgericht die Verfahren wieder aufgenommen: Im Urteil 4A_554/2013 war eine Schadenersatzklage 37 Jahre nach der Exposition eingereicht worden. Daher entschied das Bundesgericht, dass die Genugtuungsansprüche der Erben eines Asbestopfers verjährt sind. Die Verjährung ist im Schweizer Recht ein materiellrechtliches Institut, kein prozessrechtliches. Art. 6 Ziff. 1 EMRK stelle zwar das Recht zur gerichtlichen Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche sicher, begründe aber keine materiellen Ansprüche (E. 8.1.2). Das EGMR-Urteil schliesse absolute Verjährungsfristen nicht aus (E. 8.2.2).
Im Entscheid 4A_299/2013 hatten Hinterbliebene gegen eine Arbeitgeberin geklagt. Der 2004 Verstorbene war bis 1988 Asbest ausgesetzt gewesen. Die Klageeinreichung erfolgte 2010. Das Bundesgericht erwog, dass bei wiederholtem oder dauerhaftem schädigendem Verhalten die Verjährung erst dann zu laufen beginne, wenn dieses Verhalten aufhöre (E. 6.1.2). Erst mit dem Ende der Asbestexposition sei die Schädigung abgeschlossen (E. 6.1.4). Das Bundesgericht weist den Fall daher an die Vorinstanz zurück zur Prüfung, ob und wenn ja bis wann die Arbeitgeberin Schutzpflichten verletzt habe (E. 6.1.5).
2.3.2 Verjährungseinrede bei Regulierungsbereitschaft
Im Urteil 2C_1098/2018 wurde eine Staatshaftung einer Einwohnergemeinde gestützt auf das kantonale Walliser Staatshaftungsgesetz beurteilt. Ein Grundstück von Privatpersonen war im Jahr 2011 durch Unwetter überschwemmt und mit Kies, Geröll und Schwemmholz überdeckt worden. Die Einwohnergemeinde führte mit Hilfe der Armee Aufräumarbeiten durch. Acht Monate später beanstandeten die Eigentümer mit Brief an die Gemeinde, das Trassee vor ihrer Hütte liege 80 cm tiefer als die Strasse, weil zu viel Material abgeführt worden sei. Nach einem Augenschein hielt die Gemeinde fest, sie würde darauf hinwirken, dass das Militär Terrainarbeiten vor der Hütte ausführen werde. Dazu kam es allerdings nie. Im Jahr 2015 klagten die Grundstückeigentümer gegen die Gemeinde. Die kantonalen Gerichte wiesen die Klage gestützt auf die Verjährungsreinrede ab.
Das Bundesgericht erachtet die Verjährungseinrede als unzulässig: Zwar laufe die einjährige Frist analog Art. 60 OR ab Kenntnis des Schädigers und der wesentlichen Schadenselemente. Der Geschädigte müsse für den Fristbeginn nicht wissen, wie hoch der Schaden beziffert werden könne, da der ziffernmässig nicht nachweisbare Schaden gemäss Art. 42 Abs. 2 OR geschätzt werden könne (E. 2.3). Daher sei der Anspruch eigentlich verjährt (E. 2.4). Allerdings sei sich die Gemeinde ihrer Verantwortung bewusst gewesen: Sie habe einen Augenschein durchgeführt und schriftlich bestätigt, sie werde auf die Schadensbeseitigung durch das Militär hinwirken. Damit habe sie bei den Klägern den Vertrauenstatbestand geschaffen, dass diese annehmen durften, sie müssten ihre Forderung nicht innert der einjährigen Frist geltend machen: Dies komme einer Schuldanerkennung i.S.v. Art. 137 Abs. 2 OR sehr nahe resp. sei dieser gleichzusetzen (vgl. E. 2.6.3).
2.4 Haushaltschaden
2.4.1 Normative und tatsächliche Bemessung
Im Entscheid 4A_430/2019 beurteilte das Bundesgericht die Klage einer Autofahrerin gegen eine Motorfahrzeughaftpflichtversicherung. Die Klägerin war nach einem früheren Unfall (2002) zu 20 Prozent in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Im Jahr 2005 kollidierte sie als Autolenkerin mit einem Traktor. Gestützt auf diesen (zweiten) Unfall klagte sie gegen dessen Motorfahrzeughaftpflichtversicherung auf Schadenersatz und Genugtuung. Ein medizinisches Gutachten ergab, dass der frühere und der eingeklagte Unfall je zu 50 Prozent für die 30 Prozent Haushalts-Arbeitsunfähigkeit verantwortlich sind.
Das Kantonsgericht hiess die Klage grösstenteils gut, das Obergericht reduzierte die Schadenersatzpflicht. Die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung zog vor Bundesgericht, welches die Beschwerde abwies: Der erste Unfall hätte sich auch ohne zweiten Unfall ausgewirkt. Daher sei die daraus stammende konstitutionelle Prädisposition bei der Schadensberechnung (Art. 42 OR) zu berücksichtigen, und nicht bei der Schadenersatzbemessung (Art. 44 OR). Zwar sei die Klägerin vor dem zweiten Unfall nur 80 Prozent erwerbstätig gewesen. Sie habe für diesen Vorzustand aber keine IV-Rente bezogen. Entsprechend sei auch eine solche Berufssituation (Teilerwerbspensum von 50 bis 89 Prozent ohne Bezug einer IV-Rente, aber mit Vorzustand) in den Sake-Tabellen abgebildet.
Wenn die Vorinstanz vom statistisch berechneten Wert der Haushaltsleistung wegen des Vorzustands 15 Prozent abgezogen und 15 Prozent als Folge des zweiten Unfalls berücksichtigt habe, so habe sie den ersten Unfall zutreffend bei der Schadensberechnung berücksichtigt. Für den ersten Unfall sei daher im Rahmen der Schadenersatzbemessung kein zweiter Abzug zulässig, ansonsten dieser doppelt berücksichtigt würde (E. 2.4). Zwar betreibe die (alleinstehende) Klägerin selbständig eine Bar und habe (im Teilzeitpensum von 80 Prozent) eine hohe Arbeitsbelastung (bis zu 70 Stunden pro Woche). Daraus könne aber noch nicht geschlossen werden, die Klägerin wende weniger Zeit im Haushalt auf als eine Person mit einem «normalen» Teilzeitpensum. Mit dem Abstellen auf die Statistik wird ein «Soll» und nicht ein «Ist» abgegolten. Es wäre methodisch falsch, die Werte über die statistisch erfassten Eckdaten hinaus anzupassen. Daher dürfe bei einer normativen Bemessung des Haushaltschadens weder ein übergrosser Wohnungsgrundriss oder viele Haustiere erhöhend berücksichtigt werden, noch eine überdurchschnittlich zeitaufwendige Erwerbstätigkeit reduzierend wirken. Andernfalls würde die normative mit der tatsächlichen Bemessung des Haushaltschadens vermengt (E. 2.5).
2.4.2 Substanziierung und Schadenminderungspflicht
Im Urteil 4A_481/2019 ging es um einen Auffahrunfall, den die Klägerin 1997 erlitten hatte. Im Jahr 2003 verklagte sie Lenker, Halterin und Motorfahrzeughaftpflichtversicherung auf Schadenersatz und Genugtuung. Das erstinstanzliche Gericht holte ein biomechanisches und medizinisches Gutachten ein und bestätigte mit Zwischenentscheid im Jahr 2009 die Widerrechtlichkeit und Kausalität für den Schadenersatz- und Genugtuungsanspruch in noch zu bestimmender Höhe. Der Zwischenentscheid blieb unangefochten. Daraufhin holte das Bezirksgericht ein medizinisches Gutachten zum Ausmass der Einschränkung in Beruf und Haushalt ein. Die Beklagte verlangte die Sistierung bis zur Festlegung der UV-Leistungen und die Edition eines IV-Gutachtens. Das Bezirksgericht hiess die Klage teilweise gut. Alle Parteien erhoben Berufung. Das Obergericht edierte das IV-Gutachten und wies die Klage im Jahr 2015 ab.
Die Klägerin gelangte ans Bundesgericht, welches den Entscheid aufhob: Das Abstellen auf das IV-Gutachten widerspreche dem Zwischenentscheid aus dem Jahr 2009, der mit seiner Rechtskraft innerprozessual verbindlich geworden sei. Diese Verbindlichkeit gelte aber nur für den Zeitraum, den das erstinstanzliche medizinische Gutachten damals beurteilt habe. Nach der Rückweisung holte das Obergericht im Jahr 2017 ein weiteres medizinisches Gutachten ein. Dieses ergab eine Verlangsamung im Haushalt von 40 Prozent (E. 4.5.1). Gleichwohl wies das Obergericht die Klage ab. Dagegen gelangte die Klägerin mit unentgeltlicher Rechtspflege ans Bundesgericht. Dieses weist die Beschwerde ab: Gemäss Vorinstanz sei die Klägerin auch im Haushalt zur Schadenminderung verpflichtet. Dies gelte auch für mit ihr wohnende Angehörige. Die Familie müsse den Haushalt neu so organisieren, dass gesunde Mitglieder im Umfang, in dem sie vor dem Unfall Hausarbeiten erledigten, die Arbeiten der geschädigten Person übernehmen, welche diese nicht mehr erbringen könne, und diese dafür kompensatorisch leichtere, ihr mögliche Arbeiten übernehme. Der Einschränkungsgrad sei final, d.h. nach Wahrung der zumutbaren Schadenminderung zu beurteilen (E. 4.2.2 i.V.m. E. 4.5.4).
Ein Zweipersonenhaushalt einer Mutter mit ihrer erwachsenen Tochter sei in der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) nicht abgebildet, weshalb die Statistik nicht dazu tauge, den Stundenaufwand dafür abstrakt zu berechnen. Deshalb hätte die Klägerin den konkreten Aufwand ihres (zwischenzeitlich durch Scheidung und Wegzug ins Ausland mehrfach veränderten) Haushalts behaupten und allenfalls ein individuelles Gutachten beantragen müssen (E. 4.4). Die Einschränkung im Haushalt sei so konkret wie möglich zu bemessen. Auch wenn dazu keine systematische Liste nötig sei, welche Arbeiten die geschädigte Person im Haushalt ausübe und bei welcher Tätigkeit die Einschränkung wie hoch sei, so hätte die Klägerin gleichwohl substanziierte Behauptungen zu ihrem Haushalt und der ihr darin zufallenden Aufgaben machen müssen (E. 4.5.3).
Zu den Prozesskosten erwog das Bundesgericht, dass die Vorinstanz nicht nur ein Ermessen bei der Verlegung im Rahmen von Art. 107 ZPO habe, sondern auch dabei, ob sie überhaupt von den allgemeinen Verteilungsgrundsätzen nach Art. 106 ZPO abweiche (E. 6). Nach ganzen 17 Seiten Begründung – mit Verweis auf neue Literatur und Rechtsprechung bezüglich Schadenminderung im Haushalt (E. 4.1.3 und 4.5.4) – erachtet das Bundesgericht die Beschwerde als «zum vornherein aussichtslos» und verneint einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (E. 7).
Bemerkung: So findet der Haftpflichtprozess nach 17 Jahren den Abschluss. Die strenge Schadenminderungspflicht der geschädigten Person, sich im Haushalt durch Familienangehörige entlasten zu lassen, galt bislang im Haftpflichtrecht nicht, dies im Gegensatz zum Opferhilfe- und IV-Recht. Letzteres wird damit begründet, dass bei Inanspruchnahme der Allgemeinheit ein vermehrter Einsatz von Familienangehörigen erwartet werden könne. Nun soll offenbar auch im Haftpflichtrecht der Schädiger auf Kosten der Angehörigen des Opfers entlastet werden. Das wirft bisherige Grundsätze über den Haufen.
3. Prozessuales
3.1 Substanziierungslast bei «Expertenwissen»
Im Urteil 4A_412/2019 ging es um einen Bauhaftpflichtprozess. Die Ausführungen zur Substanziierungslast sind auch für den Personenschadenbereich lesenswert: Eine Bauherrin klagte gegen eine Planerin und Architektin auf Schadenersatz für Baumängel. Zum Nachweis des Baumangels, der Kausalität und des Schadens hatte die Bauherrin zwei Privatgutachten eingebracht, die Befragung der Privatgutachter als sachverständige Zeugen sowie eine Expertise beantragt. Das Handelsgericht wies die Klage mangels Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Mängeln und Schadenbehebungskosten sowie wegen ungenügend substanziierten Schadenspositionen ab. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist den Fall ans Handelsgericht zurück: Bei der Festlegung der Substanziierungsanforderungen ist zwingend die dienende Funktion des Zivilprozessrechts zu beachten.
Das Verfahrensrecht ist darauf ausgerichtet, dem materiellen Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Es dürfen keine Anforderungen an die Substanziierung gestellt werden, die zur Erreichung dieses Zweckes nicht erforderlich sind. Angesichts seiner dienenden Funktion darf das Prozessrecht nicht zu einem Selbstzweck werden. Die Substanziierungsanforderungen dürfen namentlich nicht zu einer (faktischen) übermässigen Einschränkung der Durchsetzung eines materiellen Anspruches führen (E. 4.1). Die Einholung eines Gutachtens ist dort angebracht, wo zur Beurteilung einer streitigen und entscheidrelevanten Tatsachenbehauptung Fachwissen erforderlich ist (E. 4.2.2.1).
Das Handelsgericht habe diese Grundsätze teilweise missachtet (E. 4.3): Zwar sei dem Handelsgericht darin beizupflichten, dass sich den klägerischen Rechtsschriften weder eine ausführliche naturwissenschaftliche Erklärung der Kausalität zwischen Mängeln und Schäden noch eine klare Zuordnung der verschiedenen Schadenposten zu den einzelnen Mängeln entnehmen lasse. Entgegen ihrer Ansicht konnte dies jedoch realistischerweise nicht verlangt werden (E. 7.4.2). Zwar verlange die Substanziierungslast, dass die Klägerin dem Gericht sämtliche Tatsachen unterbreite, die Tatbestandsmerkmale bilden. Die Vorinstanz verkenne jedoch, dass die Klägerin nicht notwendigerweise über das erforderliche Fachwissen verfüge, um die Auswirkungen der einzelnen Mängel in technischer Hinsicht zu eruieren. Es könne von der Klägerin vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass sie vor der Durchführung eines Beweisverfahrens die entscheidrelevanten technischen Aspekte bis ins letzte Detail darlege, würde dies doch die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche faktisch verunmöglichen.
Dass einer der beiden beauftragten Privatgutachter zwar die Kausalität bejaht habe, ohne jedoch genauere Ausführungen zu diesem Punkt zu machen, könne nicht zur Abweisung der Klage führen. Dass der Experte den Kausalzusammenhang bejahte, müsse vielmehr als Behauptung genügen, auch wenn dieser die technischen Modalitäten des Kausalzusammenhangs nicht detailliert darlegte. Indem die Klägerin mit Hinweis auf zwei Privatgutachten und unter Angabe von verschiedenen Beweisofferten ausführe, dass verschiedene Bauelemente, welche dem Schutz vor Feuchtigkeit dienen, entgegen den Regeln der Baukunde nicht vorhanden oder mangelhaft seien, was Feuchtigkeitsschäden verursacht habe, sei sie ihrer Behauptungs- und Substanziierungslast hinsichtlich der Voraussetzung des Kausalzusammenhanges nachgekommen (E. 7.4.2.1).
Auch an die Haftungsvoraussetzung des Schadens stellte die Vorinstanz überhöhte Substanziierungsanforderungen. Es sei nicht praktikabel zu verlangen, dass die Klägerin verschiedene Schadenposten einzelnen Mängeln zuordne. Komme das Gericht zum Schluss, dass nur einzelne der gerügten Mängel bestehen, habe es grundsätzlich nach seinem Ermessen gestützt auf die abgenommenen Beweise den Anteil der bejahten Mängel am geltend gemachten gesamten Schaden festzusetzen. Vom Kläger zu verlangen, dass er sich mit sämtlichen entsprechenden hypothetischen Konstellationen in Antizipation der gerichtlichen Beurteilung auseinandersetzt, sei nicht zumutbar (E. 7.4.2.2).
Bemerkung: Für geschädigte Personen wünschenswert wäre, wenn eine derart pragmatische Handhabung der Substanziierungsanforderungen auch im Personenschadenbereich Schule machen würde (vgl. z.B. vorne Ziff. 1.6.2). Schliesslich soll formelles Recht der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen, nicht diese verunmöglichen.
4. Regress
4.1 Arbeitgeberprivileg schützt Kausalhaftpflichtige
Im Urteil 4A_397/2019 ging es um einen Arbeitsunfall: Die Arbeitgeberin war auch Mieterin eines Gebäudes. Zwei ihrer Mitarbeiter entfernten für die Reinigung ein Metallgitter und legten so nicht tragfähige Styroporplatten frei. Ein weiterer Mitarbeiter lief über die Styroporplatten, stürzte ein und verletzte sich schwer. Die Sozialversicherungen richteten eine ganze Rente aus und klagten im Regress gegen den Eigentümer der Liegenschaft aus Werkeigentumsmangel.
Alle Instanzen wiesen die Klage ab: Die Arbeitgeberin profitiert bei einem Arbeitsunfall gegenüber der regressierenden Sozialversicherung vom Regressprivileg: Sie ist nur bei Vorsatz oder Grobfahrlässigkeit belangbar (Art. 75 Abs. 2 ATSG). Auch Werkeigentümer haben kein Rückgriffsrecht gegen den privilegierten Arbeitgeber, wenn dieser wie hier nicht mindestens grobfahrlässig gehandelt hat. Deshalb ist der Umfang des Rückgriffsanspruchs der Sozialversicherung gegen den haftpflichtigen Dritten nach Art. 44 OR laut Art. 51 OR um denjenigen Anteil zu reduzieren, den die Arbeitgeberin bei fehlender Privilegierung übernehmen müsste. Hier hätte die Arbeitgeberin ohne Privilegierung den gesamten Schaden zu tragen. Daher ist auch der Regressanspruch null (E. 3).
Bemerkung: Damit bestätigt das Bundesgericht trotz Kritik in der Lehre explizit die Praxis gemäss BGE 143 III 79 und verhindert zulasten der Sozialversicherung, dass der Werkeigentümer für das Regressprivileg der Arbeitgeberin büsst.
4.2 Haftungsverteilung bei Helikopterunfall
In den beiden Bundesgerichtsentscheiden 4A_529/2019 und 4A_531/2019 ging es darum, die Haftung zwischen einer Helikopterfirma, einer Bauunternehmung und einem verunfallten Bauarbeiter zu verteilen. Der temporär angestellte Bauarbeiter war mit Aufräumarbeiten nach einem Erdrutsch beschäftigt. Die Helikopterfirma transportierte Bündel von Baumstämmen an einem langen Seil. Ein Holzstamm löste sich und verletzte den Bauarbeiter schwer am Kopf. Der Temporärangestellte trug keinen Helm. Seitens IV und Suva wurde er voll berentet.
Das Bundesgericht bejahte eine Haftung der Arbeitgeberin wegen einer Verletzung der Informations-, Präventions-, Überwachungs- und Schutzpflichten. Als Baufirma müsse sie die Integrität ihrer Angestellten schützen und sie hätte durchsetzen müssen, dass die Mitarbeiter während der gefahrenträchtigen Helikoptertransporte den Helm tragen. Das Helikopterunternehmen hafte nach Art. 64 Luftfahrtgesetz sowie aus Verschulden, weil ihre Angestellten die Lufttransporte ohne Befolgung der Helmtragungspflicht unternahmen.
Die Verfehlungen der Arbeitgeberin und der Helikopterfirma seien natürlich und adäquat unfallkausal.
Der Mitarbeiter habe aber ebenfalls zum Unfall beigetragen, weil er keinen Helm trug und den Blick während des Helikoptermanövers nicht auf die Ladung richtete, was aber die Adäquanz nicht unterbreche, die Haftung aber um 70 bis 75 Prozent reduziere. Die Bau- und Helikopterfirma haften unecht solidarisch i.S.v. Art. 51 Abs. 2 OR. Im Vordergrund stehe das Verschulden der Mitarbeiter der Helikopterfirma. Daher sei die Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR nicht strikt anzuwenden, sondern die beiden Haftpflichtigen im Innenverhältnis zu je 50 Prozent haftbar (E. 3–6).