1. Voraussetzungen der Haftung
1.1 Haftung der Suva aus Vertrauensschutz
Das Bundesgericht befasste sich in Urteil 8C_108/2017 vom 16. August 2017 mit einem Fall, in dem sich der Bezüger von Arbeitslosentaggeldern nach Ablauf der Leistungsbezugs-Rahmenfrist weiterhin für das Unfallrisiko versichern wollte (sogenannte Abredeversicherung für Nichtberufsunfälle). Er meldete sich jedoch erst nach Ablauf der Frist einer Versicherungsnachdeckung und damit verspätet für die Abredeversicherung an. Über die Verspätung wusste er nicht Bescheid; diese war auf unglückliche Angaben zum Datum des letzten Bezugs von Arbeitslosentaggeldern zurückzuführen.
Unwissend bezahlte der vermeintlich Versicherte die entsprechende Prämie ein, gleichzeitig sicherte ihm die Suva die grundsätzliche Versicherungsdeckung nach UVG zu. Die Suva verwendete dabei jedoch den Passus «Die Versicherungsdeckung besteht nur unter der Voraussetzung, dass die gemachten Angaben korrekt sind». Fünf Monate nach vermeintlichem Abschluss der Abredeversicherung verunfallte der Versicherte. Die Suva verneinte den Leistungsanspruch mit der Begründung, es bestehe zufolge verspäteten Abschlusses keine gültige Abredeversicherung. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das kantonale Gericht ab. Das Bundesgericht hingegen schützte die Beschwerde des Verunfallten und bestätigte eine Versicherungsdeckung.
Es besteht laut Bundesgericht eine Informationspflicht betreffend der Abredeversicherung. Die Verletzung der Informationspflicht könne nach den Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes bewirken, dass die Versicherungsdeckung auch ohne Abredeversicherung bejaht werde (E. 3.2.2.1). Bei arbeitslosen Personen seien die Organe der Arbeitslosenversicherung informationspflichtig (E. 3.2.2.2).
Aus Art. 9 BV (Treu und Glauben) könne sich eine Berufung auf Vertrauensschutz ableiten. Gemäss Art. 27 Abs. 2 ATSG habe eine versicherte Person Anspruch auf Beratung über Rechte und Pflichten. Die Beratung sei auch ohne Antrag vorzunehmen, schon dann, wenn der Versicherungsträger einen Bedarf nach Beratung feststelle. Eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht komme einer falsch erteilten Auskunft gleich, was zu einem Vertrauensschutz führen könne (E. 5.2.1). Die Suva habe durch eigenes Verhalten nach der Anmeldung für eine Abredeversicherung eine Vertrauensgrundlage geschaffen (E. 5.3.1).
Nach Einzahlung der ersten Versicherungsprämie habe ein elementares Bedürfnis des vermeintlich Versicherten an Information bestanden, über das rechtsgültige Zustandekommen des Abredeversicherungsvertrags aufgeklärt zu werden (E. 5.3.2). Gemäss eigenem schriftlichen Bericht kontrolliere die Suva jeweils erst bei einem konkreten Unfall, ob die Abredeversicherung gültig zustande gekommen sei (E. 5.3.2.2).
Diese Praxis der Suva, die Gültigkeit des Abredeversicherungsvertrags erst nach Eintritt des Schadensfalls zu prüfen, könne zu stossenden Ergebnissen führen: Falls eine vermeintlich versicherte Person zunächst unfallfrei bleibt, leiste sie Prämien für eine Abredeversicherung, obwohl sie nicht versichert sei. Im Unwissen darum bestehe für diese Person kein Anlass, sich bei einem anderen Versicherungsträger um den Abschluss einer Nichtberufsunfallversicherung zu bemühen. Erleide sie jedoch einen Unfall, erfahre sie erst nach der Schadenmeldung, dass keine Versicherungsdeckung besteht. Nachträglich könne sie sich nicht mehr versichern.
Der Suva sei im Rahmen der Pflicht zur Aufklärung und Beratung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ATSG zuzumuten, zeitnah nach der ersten Zahlung der Abredeversicherungsprämie zu prüfen, ob der Abschluss fristgerecht erfolgt sei. Mit den vorliegend insgesamt sechs Bestätigungen der Versicherungsdeckung habe die Suva eine Vertrauensgrundlage im Sinne von Art. 9 BV geschaffen, die eine Haftung aus Vertrauensschutz begründe (E. 5.3.2.3 und 6).
1.2 Arbeitsunfall
Eine fahrlässige schwere Körperverletzung ist ein Offizialdelikt (Art. 125 Abs. 2 StGB). Bei schweren Arbeitsunfällen erfolgen daher auch strafrechtliche Abklärungen. Regelmässig geht es dabei um die Frage der Sorgfaltspflichten des Vorgesetzten, des Vorarbeiters oder Poliers sowie um ein Selbstverschulden des Verunfallten. Zwar ist die Bindungswirkung des Strafrechts für das Zivilrecht beschränkt (Art. 53 OR; vgl. aber Art. 126 Abs. 1–3 StPO). Dennoch hat die strafgerichtliche Beurteilung für das Haftpflichtrecht Signalwirkung und ist daher lesenswert:
Dem Bundesgerichtsurteil 6B_177/2017 vom 6. September 2017 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Forstarbeiter stürzte zehn Meter ab und erlitt eine Paraplegie. Der Sturz erfolgte, weil er bewusst die Leine seines Sicherheitsgurts öffnete, bevor er festen Stand auf einer Leiter hatte. Der Arbeitgeber hatte zuvor nicht durchgesetzt, dass die Arbeiter die vorgeschriebene doppelte Absturzsicherung tragen. Dies beurteilte das Bundesgericht wie folgt: Der Vorarbeiter ist zwar für die Arbeitsorganisation verantwortlich, nicht aber für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften seitens des verunfallten Mitarbeiters, wenn dieser ausgebildet ist und die Vorschriften kennt (E. 4.3). Das Selbstverschulden unterbreche im vorliegenden Fall den adäquaten Kausalzusammenhang zu einem allfälligen Verschulden des Vorarbeiters bezüglich der Nichtdurchsetzung einer doppelten Sicherung (E. 4.6.2).
Beim Bundesgerichtsurteil 6B_1420/2016 vom 3. Oktober 2017 geht es um den Fall eines Hilfsarbeiters, der bei einem Transportvorgang verletzt wurde: Der Vorgesetzte hatte gemäss Expertise mit dem eingesetzten Gabelstapler ein für das geplante Vorhaben ungeeignetes Transportmittel gewählt. Zudem hatte der Vorgesetzte den Hilfsarbeiter ungenügend instruiert, weshalb dieser im Rahmen des Warentransports unvorsichtig handelte. Das Bundesgericht verneinte eine Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Verschulden des Vorgesetzten und dem Unfall durch die Unvorsicht des Hilfsarbeiters, weil letztere auf eine Fahrlässigkeit des Vorgesetzten zurückzuführen war (E. 2.3).
Das Bundesgerichtsurteil 6B_200/2017 vom 1. November 2017 betrifft einen Unfall, der durch ein Loch für einen Lichtschacht ausgelöst wurde. Das in einem Zwischenboden befindliche Loch war mit Brettern abgedeckt worden. Die Bretter waren zwar mit genagelten Trägern fixiert, jedoch nicht solide im Boden verankert. Gemäss dem Beweisergebnis hatte ein unbekannter Dritter die Bretter absichtlich entfernt, wahrscheinlich um Material zwischen den Etagen durchzureichen. Das Loch war daraufhin nicht mehr abgedeckt. Daher fiel ein Arbeiter in das Loch, stürzte vier Meter tief und verletzte sich schwer. Gemäss unbestritten gebliebener vorinstanzlicher Feststellung sei davon auszugehen, dass der Dritte die Bretter auch entfernt hätte, wären sie fix mit dem Boden verankert gewesen. Infolgedessen seien der natürliche und adäquate Kausalzusammenhang zwischen einer ungenügenden vorherigen Befestigung der Bretter und dem Sturz unterbrochen (E. 4.3).
Gemäss Bundesgerichtsurteil 6B_278/2017 vom 12. Februar 2018 gelangte folgender Sachverhalt zum dritten Mal (!) ans Bundesgericht: Ein Hilfsarbeiter bzw. Handlager hatte ein Baugerüst demontiert. Dabei hatte er im Bereich eines Seilzugfelds das Bordbrett und einen Zwischenholm entfernt. In der Folge stürzte er neun Meter in die Tiefe und verletzte sich schwer. Die Staatsanwaltschaft klagte gegen den Geschäftsführer sowie gegen den stellvertretenden Geschäftsführer und Bauführer der Arbeitgeberin wegen fahrlässiger Körperverletzung: Diese hätten es sorgfaltswidrig unterlassen, über die geltenden Sicherheitsbestimmungen zu informieren, die Arbeiter zur korrekten Durchführung der Abbauarbeiten zu ermahnen und die Baustelle sowie die Mitarbeiter zu kontrollieren oder eine genaue Kontrolle durch den Baustellenverantwortlichen zu veranlassen.
Die kantonalen Instanzen sprachen die Angeklagten schuldig und bemassen die zivilrechtliche Haftungsquote mit 100 Prozent. Das Bundesgericht heisst ihre Beschwerde bezüglich Haftungsquote jedoch gut: Zwar sei gemäss Beweisergebnis der Vorinstanz erstellt, dass die Arbeitgeberin die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften nur ungenügend überwachte und kontrollierte. Daran ändere nichts, dass die Arbeitnehmer gemäss Art. 11 VUV verpflichtet sind, die ihnen erteilten Weisungen zu beachten (E. 2.4.5).
Gemäss Vorinstanz sei der Sturz entweder auf ein Stolpern oder ein Ausrutschen zurückzuführen; in beiden Fällen hätte die korrekte Demontage den Sturz verhindert (E. 2.6). Der Verunfallte sei laut vorinstanzlicher Feststellung in seiner Entwicklung vom Hilfsarbeiter zum Monteur bereits fortgeschritten gewesen und habe einige Erfahrung gehabt. Damit habe er die Gefahren erkennen können. Auch einem durchschnittlich sorgfältigen Menschen wäre in der Lage des Verunfallten aufgefallen, dass er zumindest beim Seilzugfeld quasi ungeschützt ist, wenn er das Bordbrett und den Zwischenholm entfernt und nur noch den Geländerholm stehen lässt. Der Verunfallte hätte der zu erkennenden Absturzgefahr mit geeigneten Massnahmen (Nachfrage beim anwesenden erfahrenen Arbeitskollegen, Abbau Feld für Feld, Belassen des Bordbretts) begegnen sollen. Daher sei der Schadenersatz- und Genugtuungsanspruch infolge Selbstverschuldens um 20 Prozent herabzusetzen (E. 4.5).
1.3 Haftung des Werkeigentümers
Der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts lag beim Urteil 6B_1388/2017 vom 4. April 2018 ein Unfall auf dem Cresta Run (Bob-Bahn) in St. Moritz zur Beurteilung vor. Der Schlitten des verunfallten Engländers wurde in der Skeletonbahn instabil. In der Folge wurde der rechte Unterschenkel über den oberen Rand der Seitenwand geschleudert. Dabei schlug sein Bein auf einen zehn bis zwölf Zentimeter von der Seitenwand entfernt angebrachten Holzpfosten auf. Durch den Aufprall mit dem ungepolsterten Pfosten wurde dem Verunfallten der rechte Fuss abgetrennt.
Im Rahmen des Strafverfahrens wurde der Sicherheitsverantwortliche des Skeletonclubs wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt. Laut Bundesgericht war die Gefahr erkennbar, die vom scharfen ungepolsterten Pfosten ausging. Trotzdem habe der Sicherheitsverantwortliche vorkehrende Massnahmen unterlassen. Dies sei pflichtwidrig unvorsichtig, urteilt das Gericht: Der Betreiber von Sportanlagen hat dafür einzustehen, dass zur Gefahrenabwehr alle zumutbaren Vorsichts-, Schutz- und Überwachungsmassnahmen getroffen werden. Grenze der Sicherungspflicht bildet die Zumutbarkeit, weil Schutzmassnahmen nur im Rahmen des nach der Verkehrsübung Erforderlichen und Möglichen verlangt werden können, wenn auch ein Mindestmass an Schutz immer gewährleistet sein muss. Eine weitere Schranke der Sicherungspflicht liegt in der Eigenverantwortung des Sportlers (E. 4.1 mit Hinweisen).
In einer Bob-Eisbahn wie der Cresta Run mit Fahrgeschwindigkeit von bis zu 90 km/h können sich bei Fahrfehlern enorme Dynamiken entwickeln. Wer eine solche Anlage betreibt, an den sind entsprechend hohe Sicherheitsanforderungen zu stellen. Mit groben und ungewöhnlichen Fahrfehlern muss gerechnet werden. Es erscheine unverständlich, dass am Rande einer solchen Eisbahn scharfkantige Vierkanthölzer ungeschützt platziert werden.
Fahrlässigkeitsstraftaten sind Erfolgsdelikte, so dass fahrlässiges Verhalten so lange gut geht, «bis etwas passiert». Unabhängig vom seitens des Beschuldigten vorgeworfenen grobfahrlässigen Verhalten des Geschädigten sei vorhersehbar gewesen, dass die Vierkantpfosten in dieser Position gefährlich sind. Das Hochschleudern von Bobfahrern über den Bahnrand hinaus sei ein durchaus bekanntes Phänomen. Mit Unfällen dieser Art müsse gerechnet werden, ob diese nun durch einen groben oder einen subtilen Fahrfehler verursacht werden.
Der Betreiber einer Anlage muss diese sichern, sodass selbst bei groben Fahrfehlern das Risiko minimiert wird (E. 4.5.1). Ein allfälliger Fahrfehler sei nicht derart intensiv, dass er die Adäquanz unterbreche: Ungesicherte massive Vierkantpfosten am Rand von Rennbahnen seien geeignet, einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Elementare oder grobe Fahrfehler sind in an das Limit gehenden Wettkampfsituationen keine «ganz aussergewöhnlichen Umstände, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren – namentlich das Verhalten des Angeschuldigten – in den Hintergrund drängen» (E. 4.5.3).
1.4 Haftung der Bank und des Vermögensverwalters
Im Berichtsjahr gab es mehrere interessante Urteile, welche Banken und Vermögensverwalter betreffen.
1.4.1 Anlageberatung: Berechnung des Schadens
Ein Bankkunde erhob in BGE 144 III 155 (4A_586/2017) Ansprüche auf Schadenersatz gegen seine Bank. Diese habe ihm durch nicht in Auftrag gegebene oder nicht autorisierte Transaktionen einen Schaden verursacht.
Das Handelsgericht Zürich stützte die Klage teilweise. Bezüglich Schadenumfang habe der Kläger zwar den durch einzelne Anlagen verursachten Schaden (Verlust oder entgangener Gewinn unter hypothetischer Berücksichtigung weisungsgemässer Anlagen) nicht dargelegt. Dafür habe er mit Verweis auf den ganzen Wert seines Depots einen i.S.v. Art. 42 Abs. 2 OR genügend substanzierten Schaden behauptet. Das Gericht schätzte daraus den Schaden.
Dagegen gelangte die beklagte Bank ans Bundesgericht, das die Beschwerde guthiess: Werde das gesamte Portfolio unsorgfältig verwaltet, dürfe zur Schadenermittlung auf das ganze verwaltete Vermögen abgestellt werden. Seien indessen nur Teile des Vermögens sorgfaltswidrig angelegt worden, sei für die Schadenermittlung nur auf diese abzustellen. Die Abgrenzung könne im Einzelfall schwierig sein (E. 2.2 und 2.3.3, mit weiteren Hinweisen zur Abgrenzung). Wenn die sorgfaltspflichtwidrig ausgeführten Transaktionen einzeln bestimmbar seien, müsse der Bankkunde den Schaden, der aus den einzelnen Transaktionen resultiert, je gesondert behaupten und beweisen. Entgegen dem Verdikt des vorinstanzlichen Handelsgerichts sei auch bei einer (absolut) grossen Anzahl pflichtwidriger Einzelanlagen eine Schadensberechnung sowohl möglich als auch zumutbar (E. 2.3.4).
1.4.2 Blockade wegen Geldwäschereiverdachts
In BGE 143 III 653 instruierte ein Bankkunde seine Bank, Vermögenswerte zu liquidieren und den Erlös ins Ausland zu überweisen. Wegen Geldwäschereiverdachts machte die Bank eine Mitteilung an die Meldestelle für Geldwäscherei. Diese informierte die Bundesanwaltschaft, welche ihrerseits die Konti des Kunden sperren liess. Daraus erwuchs dem Kunden ein Verzugsschaden. Erfolglos klagte er gegen die Bank auf Schadenersatz:
Eine vertragliche Haftung der Bank ist ausgeschlossen, wenn sie in gutem Glauben (Art. 3 ZGB) den Pflichten der Finanzintermediäre bei Geldwäschereiverdacht nachkommt (Art. 9–11 GwG). Der Kunde, der sich auf die Verantwortlichkeit der Bank beruft, hat deren bösen Glauben nachzuweisen oder tatsächliche Umstände aufzuzeigen, die es der Bank verbieten, sich auf ihren guten Glauben zu berufen. Zudem entsprach das Handeln der Bank deren AGB. Eine Deliktshaftung scheitert daran, dass die GwG-Regeln keine Normen zum Schutz des Vermögens des geschädigten Kunden sind (E. 4).
1.4.3 Verschweigen von Retrozessionen strafbar
Im zur Publikation vorgesehenen Urteil des Bundesgerichts 6B_689/2016 vom 14. August 2018 ging es um ein Strafverfahren gegen einen Vermögensverwalter: Dieser hatte einer Depotbank Kunden zugeführt. Dafür erhielt er von der Depotbank in den Jahren 2007 und 2008 Retrozessionen und Vergütungen im Umfang von 400 000 Franken. Dies hatte er seinen Kunden verschwiegen.
Die Walliser Justiz und das Bundesgericht leiteten aus dem Auftragsverhältnis des Vermögensverwalters mit den Kunden ab, dass er aus Art. 400 OR eine gesetzliche Pflicht zur Rechenschaft über die Geschäftsführung gehabt hätte. Dazu gehöre auch die Herausgabe all dessen, was er im Rahmen dieser Geschäfte erhalte, inbegriffen indirekte Vorteile wie Retrozessionen und andere Provisionen. Nur bei Einhaltung der Rechenschaftspflicht könne der Auftraggeber die treue und sorgfältige Auftragserfüllung kontrollieren und indirekte Vorteile herausverlangen. Das Verschweigen der nötigen Informationen und die Verletzung der Pflicht zur Rechenschaft bezüglich des Erhalts von Retrozessionen sei eine strafbare ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB).
Bemerkung: In BGE 132 III 460 entschied das Bundesgericht, dass Retrozessionen unter die Ablieferungspflicht i.S.v. Art. 400 Abs. 1 OR fallen und daher grundsätzlich dem Auftraggeber zustehen. In BGE 137 III 393 präzisierte das Bundesgericht, ein gültiger Verzicht des Auftraggebers auf Retrozessionen setze Kenntnis über Umfang und Berechnungsgrundlagen der Retrozessionen voraus. Mit Urteil 4A_127/2012 vom 30. Oktober 2012 entschied das Bundesgericht, die Herausgabepflicht gelte für sämtliche Auftragsverhältnisse. In Urteil 4A_508/2016 vom 16. Juni 2017 klärte das Bundesgericht die Frage der Verjährungsfrist: Es gelte die zehnjährige Frist, weil es sich nicht um eine periodische Schuld handle. Die Frist beginnt mit Eingang jeder einzelnen Retrozession beim Beauftragten. Mit dem neuen Strafurteil könnte neues Ungemach insbesondere auf die Finanz- und Versicherungsbranche zukommen: Begeht ein Beauftragter eine ungetreue Geschäftsbesorgung i.S.v. Art. 158 StGB mit Bereicherungsabsicht, beträgt das Strafmass bis fünf Jahre (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB). Gemäss Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB beträgt die strafrechtliche Verfolgungsverjährung 15 Jahre. Nach Art. 60 Abs. 2 OR könnten geschädigte Kunden diesfalls bis 15 Jahre zurück Zivilansprüche geltend machen. Art. 158 StGB ist ein Offizialdelikt. Die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren ermöglicht betroffenen Geschädigten wirkungsvollere, schnellere und günstigere Beweismittelbeschaffungen als ein Zivilprozess. Mit Blick auf die Möglichkeit, die Zivilklage auf den Zivilweg zu verweisen (Art. 126 Abs. 2 StPO), ist jedoch offen, ob damit auch ein rascherer Entscheid erreicht werden kann.
1.5 Haftung aus absichtlicher Täuschung
Ebenfalls um Bankgeschäfte dreht sich das Bundesgerichtsurteil 4A_285/2017 vom 3. April 2018: Ein Amerikaner mit zwanzig Jahren Erfahrung im Bereich strukturierter Produkte war Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in der Karibik. Für dieses begann er eine Geschäftsbeziehung mit einer Genfer Bank. Dabei gab er an, das karibische Unternehmen verwalte das Vermögen eines «privaten Investmentclubs». Die Genfer Bank wertete diese Tätigkeit des Unternehmens als Kollektivanlagegesellschaft. In der Folge eröffnete der Geschäftsführer der Kollektivanlagegesellschaft mehrere Konti bei der Genfer Bank und hinterlegte mehr als 200 börsenkotierte Titel mit einem durch zwei Bewertungsfirmen geschätzten Wert von 248 Millionen US-Dollar. Die Genfer Bank gewährte dem Geschäftsführer daraufhin Kredite von mehreren Millionen Dollar, die sie durch Pfandrechte an den Titeln absicherte. Später wurde bekannt, dass der Börsenwert der Titel manipuliert war und die US-Börsenaufsicht deswegen ermittelte, und dass die Kollektivanlagegesellschaft in einen Anlagebetrug involviert war. Die Bank klagte deshalb gegen den Geschäftsführer auf Schadenersatz bezüglich des gewährten und ungenügend gesicherten Kredits. Die Klage stützte sie auf Deliktsrecht.
Gemäss Bundesgericht täuscht absichtlich i.S.v. Art. 28 OR, wer Tatsachen verschweigt, die er während Vertragsverhandlungen offenlegen müsste. Eine sich daraus ergebende Verletzung der Aufklärungspflicht setzt keinen wesentlichen Irrtum des Geschädigten voraus. Aufklärungspflichtig sind alle Tatsachen, welchen den Entscheid der Gegenpartei zum Vertragsschluss beeinflussen. Die Vertragsart, der Verlauf der Verhandlungen und die Kenntnisse der Involvierten bestimmen den Umfang der Aufklärungspflicht. Die absichtliche Täuschung i.S.v. Art. 28 OR schützt vor reinen Vermögensschäden und begründet daher eine Deliktshaftung für solche. Vorliegend habe der Geschäftsführer seine Aufklärungspflicht mehrfach verletzt (Ermittlungen der Börsenaufsicht wegen Kursmanipulation, sich daraus ergebende massive Überbewertung der Titel etc.). Er hafte daher ausservertraglich aus Art. 41 OR für den sich daraus ergebenden Vermögensschaden (E. 6). Ein mittelschweres Selbstverschulden der Bank ergebe sich aus ungenügenden Abklärungen zu Beginn der Geschäftsbeziehung und der unterlassenen eigenen Bewertung der verpfändeten Titel. Daher sei der Schadenersatzanspruch um einen Drittel zu kürzen (E. 10).
2. Pflicht zum Ersatz der Schadens
2.1 Richterliche Schadensschätzung
Im Urteil 2C_357/2017 vom 12. Juni 2017 entschied das Bundesgericht über eine Staatshaftung: Zwei Sammelstiftungen mussten infolge Überschuldung liquidiert werden. Sie klagten daher auf Verantwortlichkeitsansprüche von 105 Millionen Franken gegen das Eidgenössische Finanzdepartement infolge Verletzung von Aufsichtspflichten seitens der Aufsichtsbehörde BSV. Sowohl das EFD, das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesgericht wiesen die Klage ab:
Gemäss Art. 20 Abs. 1 Verantwortlichkeitsgesetz (VG) verwirkt der Schadenersatzanspruch, wenn das Schadenersatzbegehren nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens geltend gemacht wird. Die Schadenskenntnis sei schon früher als ein Jahr vor Geltendmachung hinreichend gewesen, womit der Schadenersatzanspruch vorliegend verwirkt sei. Der Geschädigte habe bezüglich Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs nicht zuzuwarten, bis der Schaden ziffernmässig bestimmbar sei. Vielmehr könne der Geschädigte auf Ersatz künftigen Schadens klagen, selbst wenn dessen Umfang noch nicht sicher feststeht, weil künftige Ereignisse ihn noch erhöhen oder vermindern können. Art. 42 Abs. 2 OR sei nicht nur auf den bereits eingetretenen, aber schwer nachweisbaren Schaden zugeschnitten, sondern auch auf die Nachteile, die der Betroffene wegen der schädigenden Handlung voraussichtlich noch erleiden wird. Es genüge daher für den Beginn der Verwirkungsfrist, die wesentlichen Elemente des Schadens zu kennen, was hier mit dem Vorliegen des bereinigten Zwischenabschlusses schon früher der Fall gewesen sei: Mit diesem hätten die Klägerinnen ein Ermessensgesuch um Schadenersatz (vgl. Art. 42 Abs. 2 OR) hinreichend substanzieren und somit eine Staatshaftungsklage anstrengen können. Die Staatshaftungsansprüche seien daher verspätet geltend gemacht und verwirkt.
Bemerkung: Wo nicht anders geregelt, dürfte das Urteil auch auf kantonale Staatshaftungsfälle mit einer Verwirkungsfrist anwendbar sein.1 Geschädigten empfiehlt sich daher im Bereich der Staatshaftung mit Verwirkungsfrist, ihre Ansprüche auch dann innert der relativen Frist geltend zu machen, wenn sie den Schaden erst in den wesentlichen Elementen kennen, sodass er lediglich grob überblickbar und ein Haftungsbegehren in den Grundzügen begründbar ist. Sie können sich dabei auf die richterliche Schadensschätzung i.S.v. Art. 42 Abs. 2 OR berufen. Andernfalls droht die Verwirkung.
2.2 Haustier: Heilungskosten und Affektionswert
Im Urteil 4A_241/2016 vom 19. September 2017 ging es um Schadenersatzansprüche für ein verletztes Pferd infolge einer Auffahrkollision in einen Pferdeanhänger. Streitig war, ob dieses als «Tier im häuslichen Bereich» i.S.v. Art. 43 Abs. 1bis OR gilt: Das Pferd war sechs Kilometer (nur wenige Fahrminuten) vom Wohnort der Klägerin untergebracht. Die Klägerin war für die Pflege zuständig und ritt das Pferd bis zum Unfall aus. Gemäss Bundesgericht schliesst eine gewisse Entfernung zwischen Haushalt und Stallung des Pferds nicht aus, dass dieses als «Tier im häuslichen Bereich» gilt. Gemäss Art. 43 Abs. 1bis OR ist für ein geschädigtes häusliches Tier, das nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, der Affektionswert zu berücksichtigen. Sinn und Zweck dahinter ist die Berücksichtigung der affektiven Beziehung zwischen Mensch und Tier. Die räumliche Distanz schliesst dies nur aus, wenn sie einen regelmässigen Kontakt verhindert. Trotz der Distanz von sechs Kilometern zwischen Wohnort der Klägerin und Stallung des Pferdes vermittelten hier Aufwand, Pflege und Kontakt eine vergleichbare Affektion, wie wenn das Pferd auf dem eigenen Grundstück untergebracht gewesen wäre, d.h., wie wenn es ein im Haus lebendes Haustier gewesen wäre. Daher sind die Heilungskosten angemessen zu entschädigen, auch wenn sie den Wert des Tieres übersteigen (Art. 43 Abs. 3 OR), und es ist der Affektionswert beim Schadenersatz zu berücksichtigen (Art. 43 Abs. 1bis OR).
2.3 Haftung für Sozialversicherungsbeiträge
In Urteil 9C_548/2017 vom 13. März 2018 entschied das Bundesgericht über die Schadenersatzpflicht eines Geschäftsführers einer GmbH: Diese ging Konkurs und hinterliess offene Sozialversicherungsbeitragsschulden. Die Ausgleichskasse verfügte deshalb die Haftung des ehemaligen Geschäftsführers und verpflichtete ihn zu Schadenersatz. Das Bundesgericht heisst seine Beschwerde gegen eine kantonalgerichtliche Haftungsbestätigung teilweise gut und weist die Sache an die Vorinstanz zurück:
Zwar sei hier das ehemalige Organ zufolge seiner Pflichtverletzungen grundsätzlich schadenersatzpflichtig. Die Ausgleichskasse habe aber ein Mitverschulden im Zusammenhang mit der Gewährung eines Zahlungsaufschubs gegenüber der GmbH. Sie habe den Zahlungsaufschub auf ein blosses Gesuch hin zu leichtfertig und (zwecks Ratenzahlung) für eine zu lange Dauer von vier Jahren bewilligt. Damit habe die Ausgleichskasse das Risiko eines Beitragsverlustes erhöht und die Beitragszahlungspflicht relativiert. Zudem habe sie in einem Jahr gar keine Beiträge erhoben. Dieses Verhalten der Ausgleichskasse sei eine grobe Pflichtverletzung, welche den Schaden adäquat kausal verschlimmert habe. Daher sei der Schadenersatzbetrag im Rahmen eines neuerlichen kantonalen Gerichtsentscheids zu reduzieren.
Bemerkung: Art. 52 AHVG verlangt zwar ein schuldhaftes Verhalten des Organs i.S. einer mindestens groben Fahrlässigkeit. Die Gerichtspraxis vermutet allerdings das Verschulden. Dessen Beurteilung kritisiert die Lehre als überhart, als unverständlich weite Auslegung oder kaum noch nachvollziehbare Ausdehnung der Pflichten des Verwaltungsrats und als faktische Kausalhaftung.2 Mit dem neuen Urteil können Organe immerhin einwenden, auch die Ausgleichskasse habe Verfehlungen zu verantworten, womit ihr Anteil zu Schadenersatz zu reduzieren sei. Zu erwarten ist allerdings künftig, dass die Ausgleichskassen genauere Abklärungen treffen und zurückhaltender agieren, wenn es um Zahlungsaufschübe geht.
3. Sozial- und Privatversicherungsrecht
3.1 Übernahme von Gutachten
Mit seinem Urteil vom 30. November 2017 (Geschäfts-Nummer LB170028-O/U)3 hat das Obergericht des Kantons Zürich entschieden, dass die medizinischen Gutachten der IV nicht unbesehen in das Haftpflichtrecht übernommen werden können. Medizinische IV-Gutachten beantworteten in der Regel Fragen zur Kausalität nicht (E. 9.2). Es sei diesbezüglich nicht relevant, dass auch ein Teil der gesunden Bevölkerung die bei der Klägerin festgestellten Rotationswerte der Halswirbelsäule aufweise. Daraus könne nicht auf fehlende Unfallkausalität geschlossen werden (S. 29). Darüber hinaus erfolgten die Beurteilungen in der IV stets unter dem Aspekt einer ausgewiesenen Pathologie (E. 9.2). Im Haftpflichtrecht sei es hingegen nicht relevant, ob die gesundheitlichen Beschwerden im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung invalidisierend sind und ob ihnen in der Fachmedizin ein anerkannter Krankheitswert zugemessen werde (S. 31 oben). Das Obergericht hiess daher die Berufung der Verunfallten gut und wies die Vorinstanz an, ein gerichtliches Obergutachten einzuholen.
Bemerkung: Das Urteil zeigt, dass die Hürden für die Geltendmachung von Ansprüchen im Haftpflichtrecht tiefer als jene im Sozialversicherungsrecht liegen. Anders als im Sozialversicherungsrecht sind haftpflichtrechtlich auch dann Leistungen geschuldet, wenn keine ausgewiesene Pathologie vorliegt oder diese nicht «invalidisierend» ist.
3.2 Observationen im privaten Versicherungsrecht
Im Urteil Vukota-Bojić c. Suisse vom 18.1.2017 entschied der EGMR, dass Überwachungsmassnahmen einer obligatorischen UVG-Versicherung mangels gesetzlicher Grundlage gegen das Recht auf Privatleben in Art. 8 EMRK verstossen. Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung auf die IV übertragen. Die Ergebnisse einer Observation seien jedoch je nach Güter- und Interessenabwägung gleichwohl beachtlich.4 Mit seinem Urteil 4A_110/2017 vom 27. Juli 2017 entschied das Bundesgericht nun, dass diese Rechtsprechung zur Observation im privaten Versicherungsrecht nicht anwendbar ist: Eine Privatversicherung handelt nicht als staatliches Organ, weshalb ihre Observation auch nicht Grundrechte wie das Privat- und Familienleben verletzt (E. 5.2). Die Zulässigkeit der Observation durch eine private VVG-Krankentaggeldversicherung sei durch eine Abwägung der Interessen einzelfallweise zu prüfen.
Dem Interesse an der Verhinderung eines Versicherungsbetrugs sei das Interesse des Persönlichkeitsschutzes gegenüberzustellen. Indem der Betroffene selber einen Anspruch auf Leistungen erhebe, sei er für die Klärung der Arbeitsfähigkeit zur Mitwirkung verpflichtet. Er habe daher zu dulden, dass allenfalls auch ohne sein Wissen von der Versicherung die objektiv gebotenen Untersuchungen durchgeführt werden. Gemäss kantonaler Sachverhaltsfeststellung habe ein Anfangsverdacht vorgelegen und sich damit eine Observation gerechtfertigt. Die Observationsergebnisse seien daher ein zulässiges Beweismittel im Prozess um das Ende der Taggelder (E. 5.3 f.). Infolge Klageabweisung trage der Observierte auch die Observationskosten (E. 7 mit Hinw.).
3.3 Regress
3.3.1 Regress gegen den Kausalhaftpflichtigen
Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 4A_602/2017 vom 7. Mai 2018 entschied das Bundesgericht über das Regressrecht einer Krankenversicherung gegen eine Motorhaftpflichtversicherung: Die Krankenversicherung hatte einer verletzten Buspassagierin Krankenpflegeleistungen aus Zusatzvertrag nach VVG bezahlt. Dafür klagte sie regressweise gegen die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung des Halters des Busses auf Ersatz.
Bis anhin verneinte die Rechtsprechung ein Regressrecht des aus Vertrag Ersatzpflichtigen gegen den kausal Haftpflichtigen (zuletzt BGE 132 III 352). Mit dem neuen Urteil ändert das Bundesgericht seine Rechtsprechung: Der Ersatzanspruch des Anspruchsberechtigten gegenüber Dritten aus unerlaubter Handlung gehe im Umfang der geleisteten Entschädigung auf den Versicherer über (Art. 72 VVG). Der Kausalhaftpflichtige handle unerlaubt i.S.v. Art. 41 ff. OR, auch wenn er kein Verschulden habe; das Regressrecht aus VVG erfordere kein Verschulden. Der Haftpflichtige dürfe nicht privilegiert werden, nur weil der Geschädigte zufällig für einen freiwilligen Versicherungsschutz gesorgt habe. Zudem sehe die VVG-Teilrevision ein integrales Regressrecht vor, das sich der Subrogation der Sozialversicherer angleiche. Daher sei eine Praxisänderung angezeigt. Die private Schadenversicherung sei gleich wie die Sozialversicherungen zu behandeln, die im Umfang ihrer Leistungen durch Subrogation in die Stellung der geschädigten Person eintreten. Art. 51 Abs. 2 OR finde hier keine Anwendung, denn Art. 72 VVG sei lex specialis.
Bemerkung: Die Praxisänderung trägt der zunehmenden Kritik in der Lehre Rechnung. Geschädigten ermöglicht das Urteil, die an einem Regress interessierte Schadenversicherung zur Klärung der Haftung ins gleiche Boot zu holen.5
3.3.2 Kausalhaftung und Deliktshaftung
Wenn mehrere Personen dem Verletzten für denselben Schaden aus verschiedenen Rechtsgründen haften (zum Beispiel aus unerlaubter Handlung und Gesetzesvorschrift), so trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist (Art. 51 Abs. 2 OR). Um die konkrete Auslegung dieser Bestimmung ging es im Bundesgerichtsurteil 4A_453/2017 vom 12. Juli 2018 (zur Publikation vorgesehen):
Ein Arbeiter zündete in einem Abwasserkontrollschacht eine Zigarette an. Dabei entzündete sich Gas, und er verletzte sich. Die Sozialversicherungen erbrachten Leistungen und regressierten gegen die Haftpflichtversicherung der Inhaberin der Rohrleitungsanlage gestützt auf die Kausalhaftung nach Rohrleitungsgesetz (RLG). Das Bundesgericht gibt den klageweise regressierenden Sozialversicherungen Recht: Die Stufenregelung von Art. 51 Abs. 2 OR sei nur eine Regelbestimmung und im Einzelfall nicht starr anzuwenden. Art. 34 RLG sei eine Kausalhaftung mit nur beschränkten Entlastungsmöglichkeiten, weil gasförmige und flüssige Treib- und Brennstoffe nie ganz auszuschliessende Risiken beinhalteten. Zudem hafteten Rohrleitungsinhaber auch bei Drittverschulden aus Billigkeit.
Vorliegend habe sich mit der Entzündung von Gas aus einem Leck der Rohrleitung eine typische Gefahr der Kausalhaftung des Rohrleitungsgesetzes verwirklicht. Dem stehe als nicht grobe Fahrlässigkeit das Nichtdurchsetzen des Rauchverbots seitens der Arbeitgeberin als Verschulden gegenüber. In dieser Konstellation sei von der Stufenregelung abzuweichen und die Haftung intern hälftig aufzuteilen (E. 5.3– 5.5).
4. Prozessuale Fragen
4.1 Änderung der Rechtsprechung zur Teilklage
In BGE 142 III 683 trat das Bundesgericht auf eine Teilklage nicht ein, weil die streitgegenständlichen drei Jahresboni jeweils unterschiedliche Perioden und damit verschiedene Lebenssachverhalte beträfen. Dies sei eine alternative objektive Klagenhäufung, falls der Kläger nicht präzisiere, «in welcher Reihenfolge und/oder in welchem Umfang die einzelnen Ansprüche geltend gemacht werden». Diesfalls genüge das Rechtsbegehren den Bestimmtheitsanforderungen der ZPO nicht, weshalb darauf nicht einzutreten sei (E. 5).
In BGE 143 III 254 erwog das Bundesgericht bezüglich einer Teilklage auf Schadenersatz und Genugtuung aus einem Unfall, der Kläger könne einen quantitativen Teil seines gesamten aus einer Körperverletzung sich ergebenden Schadens einklagen, ohne dass er seine Klage auf bestimmte Schadenpositionen beschränken müsste. Wenn er eine echte Teilklage – unter Vorbehalt der Nachklage – erhebe, so verlasse er den Streitgegenstand nicht, wenn er mehrere unterschiedliche Schadenspositionen und Genugtuung aus demselben Unfallereignis einklage. Das Rechtsbegehren genüge den Bestimmungsanforderungen der ZPO (E. 3).
In Urteil 4A_15/2017 vom 8. Juni 2017 erwog das Bundesgericht: Liegt der gesamte Schaden aus einer Körperverletzung (also mehrere unterschiedliche Schadenspositionen sowie die Genugtuung) innerhalb desselben Streitgegenstands, wäre es ein unauflösbarer Widerspruch, wenn gleichzeitig eine einzelne dieser Schadenspositionen alleine als sich aus mehreren Streitgegenständen zusammensetzend betrachtet würde. Daher liege der ganze Erwerbsausfallschaden aus dem Unfall innerhalb desselben einzigen Streitgegenstands (E. 3.3.5 und 3.3.6).
Diese dynamische Rechtsprechungsentwicklung ist nun um ein weiteres Urteil (4A_442/2017 vom 28. August 2018; zur Publikation vorgesehen) reicher: Zu beurteilen war eine Verantwortlichkeitsklage gegen mehrere Organe aus Aktienrecht über 3 Millionen Franken für eine Kreditgewährung und Krediterhöhung. Das Handelsgericht des Kantons Aargau war auf die Klage nicht eingetreten, weil die Klägerin sechs Teilansprüche resp. Schadensposten geltend mache, die durch verschiedene Pflichtverletzungen der Beklagten als Verwaltungsrat, Revisionssstelle und faktisches Organ schuldhaft verursacht worden seien: Die Teilklage beruhe auf verschiedenen Lebenssachverhalten und sei daher eine Teilklage in Kombination mit einer objektiven Klagehäufung, ohne dass die Klägerin die Reihenfolge der Anspruchsprüfung vorgebe.
Das Bundesgericht geht auf die Kritik in der Lehre ein. Die Unterscheidung zwischen mehreren Streitgegenständen, gestützt auf verschiedene Lebenssachverhalte einerseits, und einem einzigen Streitgegenstand, gestützt auf einen einheitlichen Streitgegenstand, bereite Schwierigkeiten, sei schwer vorhersehbar und führe zu Rechtsunsicherheit. Die Abgrenzung folge der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts (E. 2.3). Die in BGE 142 III 683 vorgenommene Unterscheidung sei daher nicht praktikabel und die Rechtsprechung zu ändern: Bei Häufung mehrerer Ansprüche in einer Teilklage müsse nicht präzisiert werden, in welcher Reihenfolge und/oder in welchem Umfang die einzelnen Ansprüche geltend gemacht werden. Die Klägerin muss bloss hinreichend substanziert behaupten, es bestehe eine den eingeklagten Betrag übersteigende Forderung – unter Zugrundelegen jedes einzelnen (Teil-)Anspruchs. Diesfalls ist die Klage gemäss Art. 86 ZPO zulässig und steht es im Ermessen des Gerichts, in welcher Reihenfolge es die verschiedenen Ansprüche prüft. Im Falle einer Klagegutheissung sei der Urteilsbegründung zu entnehmen, inwieweit das Gericht die alternativen Klagegründe (rechtskräftig) beurteilt hat. Vorbehalten bleiben Treu und Glauben und das Rechtsmissbrauchsverbot (E. 2.4).
Christian Haag , Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Luzern
Für eine erste Übersicht vgl. Volker Pribnow / Oliver Keusch, Übersicht über das geltende Staatshaftungsrecht der Kantone, in: HAVE 4/2012, S. 457 ff.
Markus Häusermann, Scharfe Kausalhaft, in: Insolvenz- und Wirtschaftsrecht, 4/1998, S. 135 ff.; Alexander Bürgi und Hans
Caspar von der Crone, in:
Haftung für AHV-Beiträge, Rz. 69,
SZW 6/2002, mit detaillierten Hinweisen.
Verfügbar unter:
www.schadenanwaelte.ch/2018/02/13/obergericht-zuerich-iv-gutachten-gilt-nicht-im-haftpflichtrecht, besucht am 25.9.2018.
Urteil des Bundesgerichts 9C_806/2016 vom 14.7.2017, E. 5.
Z.B. Unterstützung für Kausalitätsgutachten, Finanzierungshilfe für Pilotprozess, oder subsidiäre Kostengutsprache für Gegenanwaltskosten im UR-Musterprozess des Direktgeschädigten.