1. Strafrecht
1.1 Allgemeine Bestimmungen
Art. 2 Abs. 2 StGB (Lex mitior): Das Bundesgericht selbst prüft nicht, ob das nach Ausfällung des angefochtenen kantonalen Entscheids in Kraft getretene Recht milder ist.1
Art. 30 ff. StGB, Art. 76 ff., Art. 120 und Art. 304 Abs. 1 StPO (Protokollierung des mündlichen Strafantrags; Beweis des gültigen Strafantrags; Desinteresse des Geschädigten am Strafverfahren): Ein mündlicher Strafantrag kann auch in einem Polizeirapport protokolliert werden. Ein solcher Polizeirapport ist als Urkunde im Sinne von Art. 110 Abs. 4 StGB zu qualifizieren. Die Unterschrift des rapportierenden Polizisten ist nicht zwingend. Entscheidend ist, dass hervorgeht, wer den Polizeirapport verfasst hat. Ebenfalls nicht erforderlich ist, dass die anzeigeerstattende Person das Protokoll unterzeichnet. Ob ein gültiger Strafantrag vorliegt, ist vom Staat zu beweisen.
Der Verzicht auf die Stellung als Privatkläger gilt nicht als Rückzug des Strafantrags im Sinne von Art. 33 StGB. Wird der Strafantrag nicht ausdrücklich zurückgezogen, ist das Strafverfahren trotz Desinteresses des Geschädigten fortzusetzen.2
Aus dem Umstand allein, dass sich eine an einem Verkehrsunfall beteiligte Person zwecks Schadenregulierung an die Polizei gewendet hat, kann kein gültiger Strafantrag abgeleitet werden. Eine Erklärung des bedingungslosen Willens, der Beschuldigte sei wegen des Verkehrsunfalls strafrechtlich zu verfolgen, ist laut Bundesgericht darin nicht enthalten, zumal eine Zivilforderung unabhängig von einem Strafverfahren durchgesetzt werden kann und die geschädigte Person nicht in jedem Fall auf eine Strafverfolgung angewiesen ist. So erfolgt eine Unfallmeldung an die Polizei denn auch oftmals einzig zum Zweck, Beweise für ein allfälliges Zivilverfahren sicherzustellen bzw. die Schadensabwicklung mit der Versicherung zu erleichtern.3
Art. 42 Abs. 2 StGB (Gewährung des Strafaufschubs): Die Fünfjahresfrist nach Art. 42 Abs. 2 StGB beginnt mit der Eröffnung des rechtskräftigen Urteils zu laufen.4
Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 49 StGB (Bildung einer Gesamtstrafe bei Widerruf der bedingten Strafe): Am 1. Januar 2018 ist die revidierte Bestimmung von Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB in Kraft getreten. Bei Widerruf des bedingten Strafvollzugs hat das Gericht nunmehr mit der widerrufenen und der neuen Strafe eine Gesamtstrafe zu bilden. Die Gesamtstrafenbildung setzt voraus, dass die widerrufene und die neue Strafe gleichartig sind. Bei der Bildung der Gesamtstrafe ist die neue Strafe als «Einsatzstrafe» in sinngemässer Anwendung des Asperationsprinzips (Art. 49 StGB) durch die widerrufene Strafe zu erhöhen.5
Art. 47 StGB (Strafzumessung): Die Rechtsprechung zur Richtlinienfunktion von Strafmassempfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK) im Bereich des Strassenverkehrsrechts bietet keine Grundlage für das Bilden von schuldangemessenen Strafen.6
Art. 56 Abs. 3 StGB (Grundsätze der psychiatrischen Begutachtung): Der Sachverständige hat seinen Erkenntnis- und Wertungsprozess umfassend und nachvollziehbar darzustellen. Es gilt Methodenfreiheit, die Wahl der Methode muss aber begründet sein. Die wissenschaftlichen Standards müssen eingehalten, die Schlussfolgerungen transparent und für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden. Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für die Wahl des Prognoseinstruments (in casu «DyRiAS»). Zudem müssen Tatsachen und Umstände, auf welche sich eine Gefährlichkeitsbeurteilung stützt, zweifelsfrei nachgewiesen sein. Der Sachverständige hat über die Gefährlichkeit des Betroffenen eine hinreichend bestimmte Entscheidung zu treffen.7
Art. 59 Abs. 4 StGB (Anordnung und Verlängerung einer stationären therapeutischen Massnahme, Beginn der Fünfjahresfrist): Wird die stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB nicht aus der Freiheit heraus angetreten – was der Regel entspricht –, ist für die (Fünfjahres-)Frist gemäss Erstanordnung auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Für die Verlängerung der stationären therapeutischen Massnahme ist der Zeitpunkt des Ablaufs der (Fünfjahres-)Frist gemäss Erstanordnung bzw. einer allfälligen vorausgegangenen Verlängerung entscheidend. Letzteres gilt auch, wenn der Verlängerungsentscheid vor Ablauf der laufenden Periode erging, d.h. die (Fünfjahres-)Frist gemäss Erstanordnung bzw. der vorausgegangenen Verlängerung im Zeitpunkt des (neuen) Verlängerungsentscheids noch nicht abgelaufen ist. Die Interessen im Zusammenhang mit dem Massnahmenvollzug «tangierter Behörden» hat die Staatsanwaltschaft zu wahren. Diese kann vor Bundesgericht rügen, der Beginn der Verlängerung einer stationären therapeutischen Massnahme sei vom Gericht falsch berechnet worden, auch wenn der Antrag auf Verlängerung der Massnahme von der Vollzugsbehörde ausging.8
Art. 61/Art. 63 Abs. 1 StGB (Der Begriff der «schweren psychischen Störung»): Das Bundesgericht weicht die Voraussetzung der «schweren psychischen Störung» mindestens bei vollzugsbegleitenden ambulanten Massnahmen weiter auf. So sei der Begriff der schweren psychischen Störung funktionaler Natur. Der funktional konzipierte Begriff der schweren psychischen Störung soll die Fälle rechtlich indizierter Therapiebedürftigkeit abdecken. Dabei soll eine schwere psychische Störung auch unabhängig von einem operationalisierten Diagnosesystem nach wissenschaftlichen Massstäben diagnostiziert werden. Für diejenigen Fälle, in denen die gutachterliche Diagnose nicht nach ICD oder DSM kodiert werden kann, ist eine gesicherte Feststellung einer ausgeprägten psychischen Störung gleichwohl möglich, wenn sichergestellt ist, dass sie massgeblich auf delikt- und risikorelevanten persönlichkeitsnahen Risikofaktoren beruht, die einer risikovermindernden Therapie zugänglich sind. Dabei sei der funktionale Begriff der psychischen Störung auf die Rückfallprävention auszurichten. Unwissenschaftliche Begriffe wie «Domminanzfokus» oder «Vergewaltigungsdisposition» sollen zur Anordnung einer staatlichen Zwangstherapie ausreichen.9
Art. 63a StGB (Umwandlung einer ambulanten Massnahme): Will die Vollzugsbehörde eine den Strafvollzug begleitende ambulante Massnahme in eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB umwandeln, muss sie zuerst die bisherige Massnahme aufheben und dann ein gerichtliches Nachverfahren einleiten. Dabei ist das im Verwaltungsverfahren ohne Einbezug einer formellen Verteidigung erstellte psychiatrische Gutachten im gerichtlichen Nachverfahren verwertbar.10
Art. 64 Abs. 1 StGB (Verwahrung): Eine einfache Brandstiftung kann in der Regel nicht als genügend schwerwiegendes Anlassdelikt im Rahmen von Art. 64 Abs. 1 StGB gelten. Bei der Beurteilung des Anlassdelikts sind die Strafbehörden in nachträglichen gerichtlichen Verfahren an die Feststellungen des Sachgerichts gebunden. Das Dilemma, dass der Betroffene unbestrittenermassen therapiebedürftig, jedoch zurzeit nicht therapiefähig ist, darf nicht dadurch gelöst werden, dass eine Verwahrung angeordnet wird, obwohl kein genügend schweres Anlassdelikt vorliegt.11
Art. 66a ff. StGB; Art. 105 Abs. 2 StPO (Landesverweisung und Beschwerdelegitimation von Familienmitgliedern): Wird gegen eine beschuldigte Person eine Landesverweisung ausgesprochen, sind deren Familienmitglieder – im vorliegenden Fall die Lebensgefährtin und ihr Kind – davon höchstens indirekt betroffen. Die Familienmitglieder gelten daher nicht als andere Verfahrensbeteiligte im Sinne von Art. 105 Abs. 2 StPO. Sie haben kein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung der Landesverweisung – im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO – und können somit kein Rechtsmittel dagegen ergreifen. Ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK wird zumindest indirekt im Rahmen der Entscheidung über die Landesverweisung berücksichtigt.12
Zudem ist das Bundesgericht der Ansicht, das FZA enthalte keine strafrechtlichen Bestimmungen und sei kein strafrechtliches Abkommen. Die Schweiz sei in der Legiferierung des Strafrechts auf ihrem Territorium durch das FZA nicht gebunden. Jedoch habe sie bei der Auslegung die völkervertragsrechtlich vereinbarten Bestimmungen des FZA zu beachten.13
Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip ist laut Bundesgericht nicht anzunehmen, dass ein Ladendiebstahl unter schlichter Verletzung eines Hausverbots in einem dem Publikum offenstehenden Verkaufsgeschäft zu einer obligatorischen Landesverweisung führt. Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB ist im Sinne der BV tatsächlich als Einschleich- oder Einbruchdiebstahl auszulegen. Der gemeinübliche Ladendiebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch ist jedoch nicht unter Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB zu subsumieren.14
Art. 66a Abs. 2 StGB (Landesverweisung und Härtefallklausel bei Ausländern, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind): Das Gericht muss bei der Ausübung seines ihm durch Art. 66a Abs. 2 StGB übertragenen Ermessens die Verfassungsprinzipien respektieren. Sind die Voraussetzungen der Härtefallklausel erfüllt, verlangt das in Art. 5 Abs. 2 BV verankerte Verhältnismässigkeitsprinzip, von einer Landesverweisung abzusehen. Zur Bestimmung des Härtefalls rechtfertigt sich eine Orientierung an den Kriterien zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls (vgl. Art. 31 VZAE). Bei in der Schweiz geborenen oder aufgewachsenen Ausländern sind die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Widerruf der Niederlassungsbewilligung eines Ausländers der zweiten Generation zu berücksichtigen, unter Beachtung der mit der Einführung der Art. 121 Abs. 3–6 BV sowie Art. 66a ff. StGB beabsichtigten Verschärfung der bestehenden Ordnung.15
In einem Grundsatzentscheid kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass es (auch) nicht gegen internationales Recht verstösst, wenn ein mehrfach vorbestrafter krebskranker Ausländer nach Art. 66a StGB für zehn Jahre des Landes verwiesen wird. Die Leiden des Betroffenen seien auch in Guinea behandelbar.16
Art. 77b StGB (Voraussetzungen für Halbgefangenschaft): Mit Art. 77b StGB hat der Gesetzgeber die Kriterien für die Bewilligung der Halbgefangenschaft abschliessend festgelegt, ohne den Kantonen Raum für restriktivere Regelungen zu lassen. Kantonale oder interkantonale Bestimmungen dürfen die Gewährung der Halbgefangenschaft daher nicht davon abhängig machen, dass die verurteilte Person in der Schweiz über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, da sich eine solche Voraussetzung nicht aus Art. 77b StGB ergibt. Die Behörden können das Fehlen einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz höchstens bei der Beurteilung berücksichtigen, ob beim Verurteilten Fluchtgefahr besteht.17
1.2. Besondere Bestimmungen
Art. 124 Abs. 2 StGB (Verstümmelung weiblicher Genitalien; unbeschränktes Universalitätsprinzip bei der Strafverfolgung): Art. 124 Abs. 2 StGB legt fest, dass wegen Verstümmelung weiblicher Genitalien strafrechtlich verfolgt werden kann, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. Das dieser Bestimmung zugrunde liegende unbeschränkte Universalitätsprinzip ermöglicht die Verfolgung der Straftat selbst dann, wenn der Bezug zur Schweiz allein darin besteht, dass sich der Täter zur Zeit des Strafverfahrens auf Schweizer Hoheitsgebiet befindet. Dass der Täter bis zur Tat noch nie in der Schweiz war, spielt keine Rolle.18
Art. 143bis Abs. 1 StGB (unbefugtes Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem): Das unbefugte Einloggen in den mit einem Passwort geschützten Gmail-Account des getrennt lebenden Ehemannes erfüllt den Tatbestand von Art. 143bis Abs. 1 StGB, auch wenn die Täterin das Passwort zufällig auf einem Notizzettel in einer Schublade im früheren gemeinsamen Büro in der ehelichen Wohnung aufgefunden hat.19
Art. 304 StGB (Irreführung der Rechtspflege): Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung macht sich nicht der Irreführung der Rechtspflege strafbar, wer einer Behörde bezüglich einer wirklich begangenen strafbaren Handlung bewusst falsche Angaben macht, in dem er z.B. den Zeitpunkt oder andere Umstände der Tat falsch schildert (BGE 75 IV 175, E. 2). Im vorliegenden Fall hat sich der angegebene Lebenssachverhalt (Auffahrunfall) tatsächlich ereignet. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, er habe einen fahrlässig begangenen Unfall zur Anzeige gebracht, während es sich tatsächlich um eine vorsätzlich verübte Sachbeschädigung und einen versuchten Versicherungsbetrug gehandelt hat. Der Beschwerdeführer hat damit nicht primär ein anderes Delikt beanzeigt, sondern lediglich falsche Angaben zu seinem Tatbeitrag sowie zu seinen wahren Motiven gemacht. Er hat sich damit nicht der Irreführung der Rechtspflege schuldig gemacht.20
Art. 305bis StGB (Geldwäscherei): Während die Banküberweisung von Vermögenswerten vom Inland ins Ausland keine Geldwäschereihandlung darstellen muss (BGE 144 IV 172, E. 7.2.2), kann die Überweisung ins Inland tatbestandsmässig sein.21
2. Nebenstrafrecht
2.1. Strassenverkehrsgesetz
Art. 55 Abs. 1 SVG (Zuständigkeit zur Anordnung eines Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV): Die Polizei ist zuständig für die Anordnung eines Drogenschnelltests nach Art. 10 Abs. 2 SKV.22
Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art. 35 Abs. 1 SVG und 36 Abs. 5 lit. b VRV (Vorbeifahren auf Einspurstrecke): Eine Einspurstrecke, die gemäss Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV zum Rechtsvorfahren berechtigt, liegt nur dann vor, wenn sich auf dieser Spur ausschliesslich ein anderes Fahrziel als auf der benachbarten Spur befindet. Bei nur teilweise unterschiedlichen Fahrzielen ist eine Ausnahme vom Verbot des Rechtsüberholens auf Autobahnen im Sinne von Art. 36 Abs. 5 lit. b VRV nicht gerechtfertigt.23
Art. 91, 95, 96 und 97 SVG, Art. 145 VZV, Art. 18 VTS (Führen eines Motorfahrrads mit qualifizierter Alkoholkonzentration, ohne Bewilligung, ohne Kontrollschilder, ohne Versicherungsschutz und missbräuchliche Verwendung von Kontrollschildern): Motorfahrräder können den motorlosen Fahrzeugen nicht ausnahmslos gleichgesetzt werden. Der Führer eines Motorfahrrads kommt nicht in den Genuss der privilegierten Form des Straftatbestands des Fahrens in fahrunfähigem Zustand im Sinne von Art. 91 Abs. 1 lit. c SVG. Der Motorfahrradfahrer in alkoholisiertem oder fahrunfähigem Zustand ist als Führer eines Motorfahrzeugs zu bestrafen. Das Führen eines Motorfahrrads ohne Führerausweis oder trotz Führerausweisentzugs wird von Art. 95 Abs. 1 lit. a und b SVG erfasst. Der Übertretungstatbestand von Art. 95 Abs. 4 lit. a SVG gelangt ausschliesslich auf Velofahrer zur Anwendung.24
Art. 95 SVG; Art. 134 StPO (Aufzeichnung der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung): Die polizeiliche Beweiserhebung mittels Aufzeichnung der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung stellt eine erkennungsdienstliche Massnahme dar und betrifft sowohl das Grundrecht der persönlichen Freiheit als auch das Recht auf Privatsphäre. Der entsprechende Eingriff durch die Polizei bedarf einer klaren (kantonalen) gesetzlichen Grundlage, ansonsten die entsprechenden Aufzeichnungen einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.25
2.2. Betäubungsmittelgesetz
Art. 19 Abs. 1 BetmG (Bestimmung des THC-Wirkstoffgehaltes): Hanfpflanzen, die einen durchschnittlichen Gesamtgehalt von mindestens 1 Prozent THC aufweisen, sind als verbotene Betäubungsmittel zu qualifizieren (Art. 1 Abs. 2 lit. a BetmG i.V.m. dem Verzeichnis d [Anhang 5] der BetmVV-EDI). Damit wird – mit Ausnahme von Cannabisharz (Haschisch), für das eine spezielle Regelung gilt – klar festgehalten, wann Cannabis als Betäubungsmittel zu gelten hat. Der THC-Gesamtgehalt ist ein konkretes, objektiv messbares und ein sachgerechtes Kriterium, nachdem durch das Rauchen von Marihuana/Haschisch psychotrop wirksames THC entsteht. Beim THC-Gesamtgehalt handelt es sich mithin um die Summe von THC und THC-Carbonsäure.26
Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG und Art. 10 Abs. 3 StPO (Bewertung der Reinheitsgradanalyse): Wenn in der Analyse des Reinheitsgrads sichergestellter Drogen eine Fehlertoleranz angegeben wird, hat sich der Richter am Wert am unteren Rand der Toleranz zu orientieren.27 Die Gesundheit vieler Menschen im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG ist bei Crystal Meth bei 12 Gramm Methamphetamin-Hydrochlorid gegeben.28
Art. 19b BetmG (strafloser Besitz von Cannabis): Der Besitz einer geringfügigen Menge Cannabis für den eigenen Konsum ist auch bei Jugendlichen nicht strafbar. Unter die straflosen Vorbereitungshandlungen fallen gemäss Rechtsprechung insbesondere der Erwerb und der Besitz einer geringfügigen Menge Cannabis.29
2.3. Jugendstrafrecht
Art. 9 JStG (Abklärung der persönlichen Verhältnisse, Beobachtung und Begutachtung): Nach einem neueren Grundsatzurteil des Bundesgerichts ist die Dauer der stationären Beobachtung nach Art. 9 JStG nicht vollständig, sondern bloss angemessen an den Vollzug der Freiheitsstrafe anzurechnen. Die angemessene Anrechnung beurteilt sich nach den vom Jugendlichen konkret hinzunehmenden Einschränkungen etwa bezüglich Freizeitgestaltung, Kontakten zu Freunden und Familie, Regelungsdichte der Tagesstruktur, persönliche Gegenstände etc.30
3. Strafverfahren
3.1. Allgemein
Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK (Anspruch auf Konfrontation): Der Anspruch auf Konfrontation gilt auch, wenn sich der Beschuldigte auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft.31 Allerdings muss der Konfrontationsanspruch des Beschuldigten rechtzeitig geltend gemacht werden.32
Art. 30 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht): Das Bundesgericht bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Spruchkörperbesetzung nur dann an eine gerichtsinterne, nicht richterliche Instanz, etwa die Gerichtskanzlei oder die leitende Gerichtsschreiberin, delegiert werden kann, wenn und soweit bei der Zuteilung überhaupt kein Spielraum besteht, weil sie nach starren Kriterien vorgenommen wird. Räumt hingegen die gesetzliche Normierung Ermessen ein, so ist es unabdingbar, dessen Ausübung einem Richter als unabhängigem, nicht weisungsgebundenem Organ vorzubehalten.33
Das Bundesgericht verneint einen Verstoss gegen den in Art. 6 EMRK verankerten Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiliches Gericht, wenn die Staatsanwaltschaft in der erst- und zweitinstanzlichen Hauptverhandlung nicht anwesend ist. Die in diesem Zusammenhang anhand der Verhältnisse in Russland entwickelte Rechtsprechung des EGMR sei für die Schweiz, in welcher dem Gericht bei der Beweisführung eine aktive Rolle zukommt, nicht massgebend.34
3.2. Schweizerische Strafprozessordnung:
Art. 1 Abs. 2 StPO (Form der Zustellung im Ordnungsbussenverfahren): Weder das Ordnungsbussengesetz noch die Ordnungsbussenverordnung enthalten Zustellungsvorschriften. Für das Ordnungsbussenverfahren sind die Bestimmungen der Strafprozessordnung grundsätzlich nicht anwendbar. Im Sinne eines qualifizierten Schweigens hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, im Ordnungsbussengesetz eine eigene Zustellungsregelung vorzusehen oder einen Verweis auf die Zustellvorschriften der StPO einzufügen. Somit besteht im Ordnungsbussenverfahren keine besonders geregelte Zustellung im Sinne von BGE 144 IV 57.35
Art. 9 Abs. 1 StPO (Anklagegrundsatz und Umschreibung in zeitlicher Hinsicht): Die Angabe eines bestimmten Zeitraums genügt, wenn sich zeitliche Verhältnisse (wie die Daten einzelner Drogenverkäufe) nicht exakt rekonstruieren lassen, solange für den Beschuldigten kein Zweifel besteht, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird.36
In einem neueren Urteil rekapituliert das Bundesgericht seine Rechtsprechung zum Anklageprinzip, insbesondere was die subjektiven Tatbestandselemente anbelangt. Eine klare Umschreibung im Anklagesachverhalt ist für eine effektive Verteidigung unerlässlich.37 Wer wegen vorsätzlicher Tatbegehung angeklagt wird, kann mangels Vorsatzes nicht wegen Fahrlässigkeit verurteilt werden, wenn die Anklage die entsprechenden Elemente nicht umschreibt.38
Art. 56 StPO (Ausstand): Die Weigerung einer Staatsanwältin in einem Haftfall bis zum Beschluss des Gerichts über ein gegen sie gerichtetes Ausstandsgesuch während fast zwei Monaten weitere Untersuchungsmassnahmen vorzunehmen, stellt einen nicht leicht zu nehmenden Verfahrensfehler dar. Der Fehler ist nicht so gravierend, dass er als schwere Amtspflichtsverletzung zu qualifizieren wäre, die den Anschein von Voreingenommenheit erweckt.39
Laut Bundesgericht ist es zulässig, dass eine erstinstanzliche Richterin in einem Berufungsverfahren die Anklage als a.o. Staatsanwältin vertritt. Die Anklage vertrat sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren, hat dann aber kurz nach der Berufungserklärung ihre Stelle als Richterin bei der Vorinstanz angetreten.40
Art. 81 Abs. 1 lit. d und Art. 91 Abs. 2 StPO (Rechtsmittelbelehrung bei Zustellung ins Ausland): Ist der Zustellungsempfänger im Ausland wohnhaft, muss die Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich einen Hinweis enthalten, dass die Rechtsmitteleingabe spätestens am letzten Tag der Frist der Schweizerischen Post übergeben werden muss oder fristwahrend auch bei einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Ausland eingereicht werden kann.41
Art. 82 Abs. 4 StPO (Verweis auf die erstinstanzliche Begründung): Der blosse Verweis auf die erstinstanzliche Begründung gemäss Art. 82 Abs. 4 StPO ist unzulässig, wenn diese Begründung als unzutreffend gerügt wird.42
Art. 96 Abs. 1 StPO (Verwendung von Personendaten bei hängigen Strafverfahren): Die Strafbehörden sind nach Art. 96 Abs. 1 StPO berechtigt, Personendaten aus einem hängigen Strafverfahren zwecks Verwendung in einem anderen hängigen Straf-, Zivil- oder Verwaltungsverfahren von sich aus weiterzugeben, wenn anzunehmen ist, dass die Daten wesentliche Aufschlüsse geben könnten und der Bekanntgabe keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.43
Art. 100 StPO (Aktenführung): Strafakten müssen paginiert und mit einem Verzeichnis versehen sein. Die Dossiers, gerade auch die (beigezogenen) Vollzugsakten, haben transparent strukturiert und paginiert aufbereitet zu sein, sodass sie unmittelbar erschliessbar sind. Eine nicht chronologisch aufdatierte systematische Erfassung und Paginierung der Aktenbestände erschwert der Verteidigung und den befassten Behörden die Sachbearbeitung, was die Beurteilung auf zureichender Tatsachenbasis gefährden kann.44
Art. 130/131 StPO (Dauer der notwendigen Verteidigung): Die notwendige Verteidigung ist bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens und damit auch für ein allfälliges (kantonales) Fristwiederherstellungsverfahren zu gewähren.45
Art. 135 Abs. 4 StPO (Rückerstattung der Entschädigung der amtlichen Verteidigung): Gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO kann einzig die zu den Verfahrenskosten verurteilte beschuldigte Person zur Rückzahlung der Entschädigung der amtlichen Verteidigung verpflichtet werden. Mangels geeigneter gesetzlicher Grundlage besteht bei einem (auch teilweisen) Freispruch keine Rückzahlungspflicht der Privatklägerschaft. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung ist in diesem Fall vom Staat zu tragen.46
Art. 141 Abs. 2 StPO (Verwertbarkeit privater Dashcam-Aufnahmen): Das Bundesgericht schliesst in einem Grundsatzentscheid auf Unverwertbarkeit privater Dashcam-Aufnahmen. Zunächst erwies sich die Aufnahme als widerrechtlich im Sinne von Art. 4 Abs. 4 und Art. 12 DSG (heimliche Datenbearbeitung, Persönlichkeitsverletzung ohne Rechtfertigung). Massgebend für die Rechtswidrigkeit ist, dass im Rahmen der Beschaffungshandlung gegen eine Bestimmung des materiellen, objektiv gesetzten schweizerischen Rechts verstossen wurde. Im Zusammenhang mit der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 141 Abs. 2 StPO führt das Bundesgericht aus, dass es aus Sicht der beschuldigten Person unerheblich sei, durch wen die Beweise erhoben worden sind, mit welchen sie in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren konfrontiert wird. Es erscheine deshalb angemessen, bei der Interessenabwägung denselben Massstab wie bei staatlich erhobenen Beweisen anzuwenden und Beweise, die von Privaten rechtswidrig erlangt worden sind, nur zuzulassen, wenn dies zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich ist. In konkreten Fall qualifizierte das Bundesgericht den Vorwurf einer einfachen und groben Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 1 und 2 SVG) nicht als schwere Straftaten im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO, sodass die Interessenabwägung zuungunsten der Verwertung ausfiel. Ob die zur Diskussion stehenden Aufzeichnungen rechtmässig durch die Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können, kann dabei offenbleiben.47 Private Observationsergebnisse sind in der Regel jedoch verwertbar.48
Art. 147 StPO (Beschränkung der Teilnahmerechte): Die in BGE 139 IV 25 in Erwägung gezogene Möglichkeit einer Beschränkung der Teilnahmerechte bei Ersteinvernahmen von Mitbeschuldigten in analoger Anwendung von Art. 101 Abs. 1 StPO im Anfangsstadium der strafrechtlichen Untersuchung habe sich – so das Bundesgericht – in der Praxis mittlerweile faktisch etabliert. Die von der Rechtsprechung aus Art. 101 Abs. 1 StPO abgeleitete analoge Beschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person bis zu deren erster Einvernahme ist zudem nicht auf Verfahren mit mehreren beschuldigten Personen beschränkt. Die Staatsanwaltschaft kann demnach das den Parteien nach Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO umfassende Teilnahme- und Mitwirkungsrecht an Beweiserhebungen nicht nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen der Art. 108 Abs. 1, Art. 146 Abs. 4 oder Art. 149 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO beschränken, sondern in analoger Anwendung der Grundsätze von Art. 101 Abs. 1 StPO im Einzelfall prüfen, ob sachliche Gründe für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen.49
Art. 196, Art. 280 lit. b, Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 272 Abs. 1 und Art. 277 Abs. 2, Art. 141 Abs. 1 StPO (Polizeiliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz; Beweisverwertungsverbot): Eine polizeiliche Videoüberwachung von Angestellten in Geschäftsräumen zwecks Aufklärung einer Straftat stellt eine strafprozessuale Zwangsmassnahme unter Einsatz technischer Überwachungsgeräte dar. Diese muss von der Staatsanwaltschaft angeordnet und vom Zwangsmassnahmengericht genehmigt werden. Dass die Geschäftsleitung als Hausherrin in die Überwachung eingewilligt hat, ändert nichts daran. Wird die Massnahme weder von der Staatsanwaltschaft angeordnet noch vom Zwangsmassnahmengericht genehmigt, sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse absolut unverwertbar.50
Art. 212 Abs. 3 StPO, Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK (Verhältnismässigkeit der Haftdauer): Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt von den Strafbehörden, bei der Prüfung der Haftdauer umso vorsichtiger zu sein, je mehr sich diese der zu erwartenden Freiheitsstrafe nähert. Entscheidend ist jedoch nicht allein das Verhältnis der erstandenen Haftdauer zur zu erwartenden Freiheitsstrafe.51
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO (Haft wegen Wiederholungsgefahr): Das Bundesgericht scheint bei Menschen mit einer psychischen Krankheit, die nicht einschlägig vorbestraft sind, den besonderen Haftgrund der Wiederholungsgefahr ohne Weiteres zu bejahen, wobei die Frage der Anordnung einer Fürsorgerischen Unterbringung (FU) im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung unbeachtlich sei.52 Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts ist Nötigung mit ihrer abstrakten Strafandrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe (Art. 181 StGB) ein schweres Vergehen im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO.53
Art. 221 Abs. 2 StPO (Haft wegen Ausführungsgefahr): Der Präventivhaftgrund der Ausführungsgefahr ist gemäss Bundesgericht nur mit besonderer Zurückhaltung zu bejahen.54
Art. 246/248 StPO (Entsiegelung eines gesperrten Mobiltelefons): Im vorliegenden Fall hat das Zwangsmassnahmengericht den Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft trotz festgestellter schutzwürdiger Geheimnisinteressen vollumfänglich gutgeheissen. Dieses Vorgehen ist gesetzeswidrig und lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass der Betroffene die Zugangscodes nicht bekanntgegeben hat. Soweit es möglich ist, diese zu knacken oder anderweitig ohne die Mitwirkung des Betroffenen ausfindig zu machen, muss dies im Entsiegelungsverfahren geschehen. Das Zwangsmassnahmengericht kann zu diesem Zweck spezialisierte Polizeidienste oder externe Experten beiziehen (Art. 248 Abs. 4 StPO), wobei es dafür zu sorgen hat, dass die betreffende Person nicht auf den Inhalt von (mutmasslich) geheimnisgeschützten Dateien zugreifen kann (BGE 142 IV 372 E. 3.1). Indem das Zwangsmassnahmengericht davon ausging, die Mitwirkungsobliegenheit umfasse die Bekanntgabe der Codes und indem es die Mitwirkungsverweigerung des Betroffenen mit dem Verlust der gesetzlich geschützten Geheimnisinteressen sanktionierte, übt es in unzulässiger Weise einen indirekten Druck auf ihn aus, aktiv an einer eigenen Überführung mitzuwirken. Dies verletzt das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung.55
Klar ist, dass das Zwangsmassnahmengericht die Aussonderung von geschützten Informationen nicht an die Strafverfolgungsbehörden delegieren kann.56
Wollen die Strafverfolgungsbehörden anlässlich einer Hausdurchsuchung oder einer Edition Informationsträger «sicherstellen», haben sie den Inhaber verständlich über seinen Siegelungsanspruch nach Art. 248 StPO zu informieren. Die Beweislast für die Erfüllung der wirksamen Rechtsbelehrung liegt bei der durchführenden Behörde.57
Den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, trifft die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu substanziieren. Das gilt insbesondere bei grossen Datenmengen.58
Art. 255 Abs. 1 lit. a und Art. 259 StPO (Erstellung eines DNA-Profils im Hinblick auf allfällige künftige Straftaten: Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO bildet (auch) eine gesetzliche Grundlage für die Erstellung eines DNA-Profils im Hinblick auf allfällige künftige Straftaten. Die Verhältnismässigkeit der Erstellung eines DNA-Profils im Hinblick auf allfällige künftige Straftaten setzt insbesondere erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person in solche Delikte verwickelt sein könnte, wobei diese von einer gewissen Schwere sein müssen. Ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 StPO kann und muss insoweit nicht bestehen. Er ist jedoch erforderlich hinsichtlich der Tat, die Anlass zur Probenahme oder Profilerstellung gibt.59
Art. 276 Abs. 1 StPO (Aktenführung und Triage; Anspruch auf rechtliches Gehör): Den Parteirechten ist im Zusammenhang mit den ausgesonderten Aufzeichnungen der Fernmeldeüberwachung insoweit Rechnung zu tragen, als die beschuldigte Person das Recht hat, den Archivdatenträger mit den Aufzeichnungen der Fernmeldeüberwachung nach den Vorgaben von Art. 101 f. StPO einzusehen, um sich anhand der Gesprächsaufzeichnungen ein Bild über die von den Strafbehörden vorgenommene Triage zu machen. Betreffend die Transkription von Telefonüberwachungen steht fest, dass übersetzte Abhörprotokolle nicht zulasten der beschuldigten Person verwertet werden dürfen, soweit den Strafakten nicht zu entnehmen ist, wer sie wie produziert hat und ob die übersetzenden Personen auf die Straffolgen von Art. 307 StGB hingewiesen wurden. Beweismittel, die den genannten Anforderungen nicht genügen, können vom Gericht neu erhoben werden, indem die massgebenden Gespräche an der Gerichtsverhandlung angehört und unmittelbar übersetzt werden. Die Strafbehörden haben für sämtliche Protokolle, welche zu verwerten sind, die Namen der übersetzenden Person bekanntzugeben.60
Art. 280, 281, 269 StPO (Voraussetzung zur Überwachung mit technischen Geräten): Der Einsatz von GPS-Ortungsgeräten zur geheimen Überwachung gemäss Art. 280 lit. c StPO unterliegt den Voraussetzungen von Art. 281 Abs. 1–3 StPO und aufgrund des Verweises in Art. 281 Abs. 4 StPO von Art. 269 StPO. Entsprechend muss der dringende Verdacht bestehen, dass eine der im Katalog von Art. 296 Abs. 2 StPO genannten Straftaten begangen worden ist (Art. 269 Abs. 1 lit. a StPO).61
Art. 343 Abs. 3 StPO (Zwingende Beweisabnahme im Berufungsverfahren): Ist die unmittelbare Kenntnis eines Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig, hat das Gericht den Beweis zwingend abzunehmen. Dies gilt sowohl für das erstinstanzliche als auch für das Berufungsverfahren, denn die Beweiserhebung durch das Erstgericht kann die erforderliche unmittelbare Kenntnis des Berufungsgerichts nicht ersetzen.62
Bei einer «Aussage gegen Aussage»-Situation ist die Würdigung der Einvernahmeprotokolle ohne Befragung der Parteien und persönlichen Eindruck von deren Aussageverhalten bundesrechtswidrig.63
Art. 344 StPO (Abweichende rechtliche Würdigung): Ein erst in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eröffneter Würdigungsvorbehalt und die damit allenfalls einhergehende Verletzung des rechtlichen Gehörs der beschuldigten Person kann im Rechtsmittelverfahren «geheilt» werden, da die Berufungsinstanz sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht über volle Kognition verfügt.64
Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO (Erlass eines «neuen» Strafbefehls): Gegen einen «neuen» Strafbefehl, der im Grunde lediglich ein auf Einsprache hin berichtigter Strafbefehl und in Bezug auf Schuldspruch und Sanktion identisch ist, muss nicht erneut Einsprache geführt werden.65
Art. 391 Abs. 2 StPO (Verbot der «reformatio in peius»): Nach Ansicht des Bundesgerichts ist es zulässig, im Rechtsmittelverfahren nebst der Strafe eine stationäre Massnahme anzuordnen, die vor erster Instanz kein Thema war. Dies mit der Begründung, dass die Behandlung der Suchterkrankung ja im Interesse des Betroffenen liege. Das Schlechterstellungsverbot stehe der Aussprechung einer stationären Massnahme im Rechtsmittelverfahren auch bei nachträglichen Verfahren im Sinne von Art. 363 StPO nicht entgegen.66
Art. 406 StPO (Schriftliches Berufungsverfahren): Ein Berufungsverfahren ist nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen auf schriftlichem Wege zulässig. Ist eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme beantragt, oder zu erwarten, liegt aufgrund der Schwere der Sanktion ein Fall notwendiger Verteidigung vor (Art. 130 lit. b StPO). Es handelt sich um so bedeutende Verfahren, die nach der gesetzlichen Konzeption die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft und unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens die Durchführung einer öffentlichen Berufungsverhandlung erfordern. Art. 406 Abs. 2 StPO ist restriktiv zu handhaben.67
Art. 429 StPO (Entschädigung bei Freispruch infolge Schuldunfähigkeit): Die beschuldigte Person, die als Folge ihrer Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, hat Anspruch auf eine Entschädigung gemäss Art. 429 StPO. Diese Entschädigung kann herabgesetzt oder verweigert werden, wenn die betroffene Person die Kosten des Verfahrens in Anwendung von Art. 419 StPO vollständig oder teilweise trägt.68
3.3. Bundesgesetz über das Bundesgericht
Art. 42 Abs. 2 Satz 2 und Art. 84 BGG (Besonders bedeutender Rechtshilfefall): Nach der massgeblichen deutschen und italienischen Fassung des Gesetzeswortlauts von Art. 84 Abs. 2 BGG kann auch die drohende Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren – etwa des rechtlichen Gehörs – einen besonders bedeutenden Fall begründen. Auf ausreichend substanziierte Vorbringen hin erfolgte (im Rahmen der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen) eine vorläufige materielle Prüfung der drohenden Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze.69
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (Nicht wieder gutzumachender Nachteil): Das Bundesgericht vereinheitlicht seine Rechtsprechung und anerkennt mit einem neueren Urteil, dass die Verfahrenstrennung nach Art. 30 StPO einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im rechtlichen Sinn darstellt.70
4. Anwaltsgesetz
Art. 12 lit. c Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Vertretungsverbot; Interessenkonflikt im Fall eines Wechsels der Kanzlei durch einen mitarbeitenden Anwalt): Das durch einen Interessenkonflikt verursachte Hindernis eines Anwalts, jemanden zu vertreten, erstreckt sich grundsätzlich auch auf alle Anwälte, die zum Zeitpunkt der Begründung des Mandatsverhältnisses in der gleichen Kanzlei tätig sind, und zwar unabhängig vom Status (Partner oder mititarbeitende Anwälte). Dass ein mitarbeitender Anwalt einer Kanzlei aufgrund seines vorherigen Arbeitsverhältnisses Kenntnis von einem Dossier hat, das vom neuen Arbeitgeber betreut wird, ist ein entscheidendes Element für die Bejahung eines konkreten Interessenkonflikts, der vermieden werden kann, indem der neue Arbeitgeber das Mandat niederlegt. Unzureichend ist hingegen die Errichtung organisatorischer Abschottungen («Chinese Walls») durch die neue Kanzlei.71
Erwähnte Urteile
1) BGE 145 IV 137.
2) BGE 145 IV 190.
3) Urteil 6B_719/2018 vom 25.9.2019.
4) BGE 145 IV 137.
5) BGE 145 IV 146.
6) Urteil 6B_510/2019 vom 8.8.2019.
7) Urteil 6B_828/2018 vom 5.7.2019.
8) BGE 145 IV 65.
9) Urteil 6B_933/2018 vom 3.10.2019;
Urteil 6B_828/2019 vom 5.11.2019.
10) Urteil 6B_156/2019
vom 27.6.2019.
11) Urteil 6B_1035/2019 vom 22.10.2019.
12) BGE 145 IV 161.
13) BGE 145 IV 55; Urteil 6B_1152/2017 vom 28.11.2018; vgl. auch Urteil 6B_378/2018 vom 22.5.2019.
14) Urteil 6B_1221/2018 vom 27.9.2019.
15) BGE 144 IV 332.
16) Urteil 6B_2/2019
vom 27.9.2019.
17) BGE 145 IV 10.
18) BGE 145 IV 17.
19) BGE 145 IV 185.
20) Urteil 6B_1437/2017 vom 6.11.2018.
21) Urteil 6B_416/2019 vom 4.7.2019.
22) BGE 145 IV 50.
23) Urteil 6B_216/2018 vom 14.11.2018.
24) BGE 145 IV 206.
25) Urteil 6B_908/2018 vom 7.10.2019.
26) Urteil 6B_878/2018 vom 29.7.2019.
27) Urteil 6B_632/2019 vom 20.8.2019.
28) Urteil 6B_504/2019 vom 29.7.2019.
29) Urteil 6B_509/2018 vom 2.7.2019.
30) Urteil 6B_1159/2018 vom 18.9.2019.
31) Urteil 6B_692/2018 vom 4.6.2019, vgl. auch Urteil 6B_128/2018 vom 8.2.2019.
32) Urteil 6B_1196/2018 vom 6.3.2019.
33) Urteil 6B_383/2018 vom 15.11.2018.
34) Urteil 6B_1442/2017 vom 24.10.2018.
35) BGE 145 IV 252.
36) Urteil 6B_720/2018
vom 3.10.2018,
Urteil 6B_489/2018
vom 31.10.2018.
37) Urteil 6B_638/2019
vom 17.10.2019; vgl. auch
Urteil 6B_1391/2017
vom 17.1.2019.
38) Urteil 6B_434/2019
vom 5.7.2019.
39) Urteil 1B_293/2019
vom 10.9.2019.
40) Urteil 1B_102/2019
vom 13.6.2019.
41) BGE 145 IV 259.
42) Urteil 6B_183/2018
vom 31.10.2018.
43) BGE 145 IV 80.
44) Urteil 6B_1095/2019
vom 30.10.2019.
45) Urteil 6B_826/2018
vom 7.11.2018.
46) BGE 145 IV 90.
47) Urteil 6B_1188/2018
vom 26.9.2019.
48) Urteil 6B_739/2018
vom 12.4.2019.
49) Urteil 6B_256/2017
vom 13.9.2018.
50) BGE 145 IV 42, vgl. auch
Stefan Maeder / Marcus Stadler, «Strafprozessuale Videoüberwachung und informationelle Selbstbestimmung – Anmerkungen zu BGE 145 IV 42», in: Forumpoenale 5/2019, S. 396 ff.
51) BGE 145 IV 179;
Urteil 1B_360/2019
vom 26.7.2019.
52) Urteil 1B_466/2018
vom 24.10.2018.
53) Urteil 1B_489/2018
vom 21.11.2018.
54) Urteil 1B_567/2018
vom 21.1.2019.
55) Urteil 1B_376/2019
vom 12.9.2019.
56) Urteil 1B_274/2019
und 1B_275/2019
vom 12.8.2019.
57) Urteil 1B_85/2019
vom 8.8.2019.
58) Urteil 1B_550/2018
vom 6.8.2019.
59) BGE 145 IV 263.
60) Urteil 6B_403/2018
vom 14.1.2019; vgl. auch
Urteile 6B_376/2018
vom 25.9.2018, E. 5.2
und 6B_1368/2017
vom 14.6.2018, E. 2.3.
61) BGE 144 IV 370.
62) Urteil 6B_1330/2017
vom 10.1.2019.
63) Urteil 6B_1189/2018
vom 12.9.2019.
64) Urteil 6B_531/2018
vom 2.11.2018.
65) Urteil 6B_1321/2018
vom 26.9.2019.
66) Urteil 6B_805/2018
vom 6.6.2019.
67) Urteil 6B_606/2018
vom 12.7.2019, vgl. auch
Urteil 6B_582/2018
vom 12.7.2019.
68) BGE 145 IV 94.
69) BGE 145 IV 99.
70) Urteil 1B_230/2019
vom 8.10.2019.
71) BGE 145 IV 218.