1. Einleitung
Gegenstand dieses Artikels sind wichtige Vorfragen, welche überprüft werden müssen, bevor die Missbräuchlichkeit der Kündigung zur Diskussion steht, nämlich deren formelle Gültigkeit, die Abgrenzung von befristeten und unbefristeten Verträgen sowie die Frage, wer wem kündigen muss und wer für ein Kündigungsschutzverfahren aktivlegitimiert ist. Überdies wird die jüngere bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Anfechtung der Vermieterkündigung gemäss Art. 271 und 271a OR behandelt.
2. Formelles zur Kündigung
2.1 Formvorschriften
Die Kündigung eines Mietvertrags über Wohn- oder Geschäftsräume muss schriftlich erfolgen. Der Vermieter muss zudem mit einem Formular kündigen, das vom Kanton genehmigt ist (Art. 266 l OR). Für die Vermieterkündigung besteht damit eine qualifizierte Schriftform. Es genügt jedoch, wenn lediglich ein Begleitschreiben zur Kündigung die Originalunterschrift des Vermieters enthält (BGE 140 III 54 in «Mietrechtspraxis» [mp] 1/14, S. 47; anders noch in BGer 4C.308/2004 vom 10. November 2004).
Dagegen erweist sich eine Kündigung als nichtig, wenn das Kündigungsdatum bloss in einem Begleitbrief erwähnt wird, jedoch auf dem amtlichen Formular fehlt (BGer 4A_374/2012 in mp 1/13, S. 39). Es gilt darauf hinzuweisen, dass das Kündigungsdatum in Art. 9 Abs. 1 lit. b VMWG ausdrücklich als Bestandteil des Formulars für die Kündigung aufgeführt wird.
Die Verwendung eines (alten) aufgehobenen amtlich genehmigten Formulars für die Mitteilung der Kündigung hat jedoch keine Nichtigkeit zur Folge, solange die Information für den Mieter, wie er gegen die Kündigung vorgehen kann, genügend ist (BGer 4A_120/2014 vom 19. Mai 2014 in «Mietrecht Aktuell» [MRA] 2/14, S. 66 ff.).
Bei einer Familienwohnung ist insbesondere das Interesse des Ehegatten oder des Partners, der nicht Mieter ist, schutzwürdig. Verlässt dieser die Wohnung allerdings freiwillig definitiv (BGE 136 III 257 E. 2.1, S. 259) und bleibt dem eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren fern, verliert die Wohnung den Charakter einer Familienwohnung. Die Kündigung, die nur der Mietpartei zugestellt wurde, erweist sich in einem solchen Fall als gültig. Der mietenden Ehegattin wird überdies vorgeworfen, eine Schutzbestimmung völlig zweckentfremdet anzuwenden, was rechtsmissbräuchlich sei (BGE 139 III 7 in mp 2/13, S. 134).
Gleich entschied das Bundesgericht im Falle eines gemeinschaftlichen Mietverhältnisses. Dem verbleibenden Mieter wird Rechtsmissbrauch vorgeworfen, wenn er sich auf die Formnichtigkeit einer nur ihm zugestellten Kündigung beruft, derweil die Mitmieterin bereits ausgezogen ist und kein Interesse an der Wohnung mehr hat (BGer 4A_240/2014 vom 28. August 2014 = BGE 140 III 491). Es kann somit erwartet werden, dass das Bundesgericht in der umgekehrten Konstellation ebenso entscheidet, nämlich dann, wenn ein verbleibender Mieter ein gemeinschaftliches Mietverhältnis alleine kündigt. Das ist sicher zu begrüssen.
Zu beantworten bleibt die Frage, wie es in solchen Fällen mit der solidarischen Haftung für den Mietzins des Mitmieters steht, der bereits ausgezogen ist und kein Interesse an der Wohnung mehr hat. Ist es rechtsmissbräuchlich, wenn ein Vermieter diesen noch für Mietzinse belangt?
2.2 Befristung, Mindestdauer, Kettenmietverträge
Manchmal stellt sich die Frage, ob ein Mietverhältnis echt befristet oder unecht befristet ist, das heisst, ob es erstmals auf einen bestimmten Termin kündbar und deshalb für die Beendigung eine Kündigung erforderlich ist.
Im Allgemeinen geht das klar aus der Parteivereinbarung hervor. Problematischer sind die Fälle, in denen ein ursprünglich unbefristetes Mietverhältnis mit Mindestdauer durch einen Vertragszusatz (nach Ausübung einer Option oder einvernehmlich) verlängert und in ein befristetes «umgewandelt» wird.
Die Umwandlung eines unbefristeten in ein befristetes Mietverhältnis verschlechtert die Position der Mieterschaft. Dadurch geht sie zweifelsohne eines Teils des Kündigungsschutzes verlustig – die Anfechtungsmöglichkeit entfällt –, und überdies verschlechtert sich auch ihre Position in einem Erstreckungsverfahren. Es handelt sich somit um eine Änderung des Mietvertrags zulasten des Mieters im Sinne von Art. 269 d Abs. 3 OR. Eine solche Umwandlung muss demzufolge mit dem amtlichen Formular mitgeteilt werden oder die Bedingungen einer konsensualen Mietzinserhöhung erfüllen (vgl. BGE 128 III 419 E. 2.4.2, in mp 1/03, S. 28), ansonsten es weiterhin bei einem unbefristeten Mietverhältnis bleibt. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass ein Mieter nicht zum Voraus auf seine Kündigungsschutzrechte verzichten kann (Art. 273 c OR).
Überdies ist daran zu erinnern, dass auch die Einführung zusätzlicher Kündigungstermine mit dem amtlichen Formular angezeigt werden muss (vgl. SVIT- Kommentar III, N 66 zu Art. 269 d OR). Gleiches gilt für den Widerruf der Zustimmung zu einer Untervermietung (BGE 125 III 62 E. 2b).
Eine ähnliche Frage stellt sich bei den sogenannten Kettenmietverträgen.
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verbietet das Gesetz Kettenmietverträge nicht. Ungültig ist die Verkettung befristeter Mietverträge dann, wenn der Vermieter ein längeres Mietverhältnis beabsichtigt, mit der Befristung aber den Schutz des Mieters aushebeln will. Wohnungsnot und eine systematische Vermietungspraxis mit Kettenverträgen deuten auf eine derartige Gesetzesumgehung hin. Ob sie vorliegt, entscheidet sich im Einzelfall (BGE 139 III 145). Diese Frage stellt sich insbesondere bei Geschäftsmietverhältnissen, welche jeweils für die feste Dauer von fünf Jahren abgeschlossen werden, damit periodisch wieder neu über den Mietzins verhandelt werden kann. Die Mieterschaft kann sich dabei auch in einer Notlage befinden, ohne dass die entsprechenden Räumlichkeiten auf dem Markt knapp sind, falls an einem neuen Ort grössere Investitionen zu tätigen sind und/oder eine ausgewiesene Ortsgebundenheit besteht, wie dies beispielsweise bei Arztpraxen oft der Fall ist.
2.3 Teilkündigungen
Das Mietverhältnis stellt ein Ganzes dar. Wird es gekündigt, entfaltet die Kündigung ihre Wirkung auf die ganze Mietsache. Eine Teilkündigung ist deshalb grundsätzlich nicht möglich.
Sofern das Mietverhältnis kein einheitliches Ganzes bildet, können einzelne Bestandteile gekündigt werden. Diese Konstellation liegt vor, wenn das Mietverhältnis zwischen den gleichen Parteien mehrere Sachen (Wohnung, Parkplatz, Bastelraum etc.) umfasst, wobei für jede ein besonderer Mietvertrag hätte abgeschlossen werden können. Die separate Kündigung eines einzelnen Bestandteils ist möglich. Überdies kommt die Mieterschaft in den Genuss der Kündigungsschutzbestimmungen (Art. 253a Abs. 1 OR und 271 ff. OR, BGE 125 III 231 in mp 2/99, S. 98).
Auch in einem solchen Fall ist jedoch eine Teilkündigung – beziehungweise eine Kündigung eines Bestandteils – nur möglich, wenn die Parteien keine inhaltliche Verknüpfung der einzelnen Bestandteile des Mietverhältnisses wollten.
In BGE 137 III 123 (in mp 2/11, S. 104) hält das Bundesgericht dafür, dass ein Zahlungsverzug für die zur Wohnung gemieteten Parkplätze nicht zwingend die vorzeitige Kündigung der Wohnung gemäss Art. 257 d OR zulasse. Entscheidend sei letztlich nicht der funktionale Zusammenhang der Mietverträge, sondern die Frage, ob die einzelnen Teile sinnvollerweise auch unabhängig voneinander vermietet und genutzt werden können.
Ob es sich um ein einheitliches Mietverhältnis handelt, beurteilt sich somit immer anhand der konkreten Umstände, der Parteivereinbarung und des Parteiwillens (BGer 4A_283/2013 in mp 1/14, S. 36). Dabei ist nicht entscheidend, ob mehrere Verträge bestehen und ob diese gleichzeitig oder nacheinander abgeschlossen worden sind.
Liegen separate Mietverhältnisse vor, kann die Kündigung eines Objekts missbräuchlich sein, wenn der Mieter beide Objekte nur zusammen sinnvoll nutzen kann und dies für den Vermieter bei Vertragsabschluss erkennbar gewesen ist (BGer 4A_283/2013 in mp 1/14, S. 36).
Da die Abgrenzung zwischen nichtiger Teilkündigung und missbräuchlicher Kündigung eines Bestandteiles vom Bundesgericht nicht immer konsequent gehandhabt wird, ist ein Mieter gut beraten, sicherheitshalber auch eine aus seiner Sicht nichtige Teilkündigung anzufechten.
Im Falle zusammenhängender oder einheitlicher Mietverhältnisse zieht die Kündigung des Vertrags über die Hauptsache regelmässig jene über die Nebensache nach sich. Dies gilt selbst dann, wenn das Kündigungsschreiben nur die Hauptsache erwähnt. Dagegen gilt die Kündigung der Nebensache nicht für die Hauptsache, sondern erweist sich als nichtig.
Die Parteien können jedoch den Vertrag jederzeit hinsichtlich der Bestandteile der Mietsache einvernehmlich ändern. Die Mieterschaft kann der Vermieterschaft (oder umgekehrt) auch bekanntgeben, dass sie lediglich einen Teil der Mietsache kündigen will. Diese «Kündigung» stellt eine Offerte zu einem Aufhebungsvertrag und zum Abschluss eines neuen Mietvertrags über einen reduzierten Teil der Mietsache oder zu einer entsprechenden Vertragsänderung dar. Allein aus dem Schweigen des Empfängers oder der Empfängerin einer derartigen Offerte darf allerdings nicht auf die Annahme der gewünschten Vertragsänderung geschlossen werden.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Vermieterschaft – innert enger Grenzen – ihre Leistungen vermindern kann, indem sie unter Einhaltung der Formvorschriften von Art. 269 d eine einseitige – von der Mieterseite anfechtbare (Art. 270 b Abs. 2 OR) – Vertragsänderung anzeigt, wie beispielsweise den Entzug eines Estrichabteils.
3. Die Anfechtung der Kündigung
3.1 Die Anfechtung der ordentlichen Kündigung
3.1.1 Kündigung wegen Umbaus
Grundsätzlich erweist sich eine Kündigung wegen umfassender Sanierung mit Erneuerung von Küchen, Bädern, Wand- und Bodenbelägen sowie sämtlicher Leitungsinstallationen und der Veränderung von Wohnungsgrundrissen nicht als missbräuchlich. Gemäss Bundesgericht besteht ein legitimes Interesse, die Mietverhältnisse aufzulösen, um die Arbeiten rasch und günstig durchzuführen, anstatt eine länger dauernde Renovationsphase mit Mietzinsreduktionen zugunsten der Mieter in Kauf zu nehmen. Ohne schützenswerten Grund wäre eine Kündigung wegen Modernisierungsarbeiten dann, wenn deren Durchführung durch das Verbleiben der Mieter im Mietobjekt nicht oder nur unerheblich erschwert oder verzögert würde, wie es etwa beim Streichen von Wänden, blossen Aussenrenovationen oder Balkonanbauten der Fall sein dürfte (BGE 135 III 112 in mp 1/09, S. 43 ff.).
Eine Kündigung wegen Sanierung ist jedoch missbräuchlich, wenn das geplante Bauprojekt weder ausgereift noch ein Baugesuch eingereicht worden ist. In solchen Fällen ist es nicht möglich, den Umfang der geplanten Arbeiten zu beurteilen. Es fehlt jedenfalls ein aktuelles Vermieterinteresse an der Kündigung (BGer 4A_425/2009 vom 11. November 2009 in mp 3/10, S. 208, sowie in MRA 5/09, S. 182 ff.). Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung in einem Entscheid vom 27. August 2014 (BGer 4A_31/2014 in mp 4/14, S. 334 = BGE 140 III 496) bestätigt.
Obwohl diese Entscheide überzeugen, bekunden einige Schlichtungsbehörden und Gerichte Mühe damit. Sie begnügen sich nach wie vor mit vagen Bauvorhaben, um eine Kündigung als zulässig zu qualifizieren.
Eine Kündigung wegen umfassender Sanierungsmassnahmen ist im Weiteren missbräuchlich, wenn das Projekt aus öffentlichrechtlichen Gründen nicht bewilligungsfähig ist (BGE 140 III 496 E. 4.1.).
Die Vermieterschaft muss die Ernsthaftigkeit des Projektes nachweisen, die Mieterschaft ist ihrerseits beweispflichtig für den allfälligen Einwand, das Projekt sei nicht bewilligungsfähig (BGer 4A_518/2010 vom 16. Dezember 2010 in MRA 2/11, S. 59 ff., sowie BGE 140 III 496 E. 4.1.).
In einem Entscheid vom 9. Dezember 2009 hielt das Bundesgericht jedoch dafür, eine umfassende Renovation rechtfertige für sich allein keine Kündigung, wenn der Mieter anbiete, die Wohnung während der Renovation zu verlassen (BGer 4A_414/2009 vom 9. Dezember 2009 in mp 2/10, S. 134). Die Kündigung war in diesem Fall aus einem andern Grunde gültig.
Drei Jahre später präzisierte das Bundesgericht, eine Kündigung sei dann missbräuchlich, wenn der Vermieter das Mietverhältnis kündige, obwohl er bereits zum Zeitpunkt des Aussprechens der Kündigung die Garantie habe, dass der Mieter zur gegebenen Zeit für die Dauer der Sanierungsarbeiten ausziehe (BGer 4A_126/2012 in mp 1/13, S. 32). In solchen Fällen werden die Renovationsarbeiten durch den «Verbleib der Mieterschaft im Objekt» nicht behindert, weshalb ein schutzwürdiges Kündigungsinteresse fehlt. Vorausgesetzt ist jedoch eine verbindliche, ernstzunehmende Zusage der Mieterschaft, ein vages Versprechen eines möglichen vorübergehenden Auszuges kann nicht genügen.
Deshalb ist eine Kündigung wegen umfassenden Umbauarbeiten zulässig, wenn der Mieter sich lediglich bereit erklärt, sich während der Arbeiten zu arrangieren, da die Anwesenheit von Mietenden zu zusätzlichen Kosten und allenfalls einer Verlängerung der Umbauzeit führen kann (BGE 140 III 496 E. 4.1.).
3.1.2 Missbräuchliche Renditekündigung
Das Bundesgericht hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach der Vermieter bei einer Kündigung zur Erzielung einer höheren Rendite nachweisen muss, dass ihm nach absoluter Methode (Ertrag oder Orts- und Quartierüblichkeit) ein Mietzins zusteht, den er im laufenden Mietverhältnis nicht realisieren kann. Das gilt auch gegenüber den Erben eines Mieters, auf die der Vertrag übergegangen ist (BGer 4A_397/2013 in mp 4/14, S. 329 ff.).
3.1.3 Kündigung ohne schutzwürdiges Interesse
Am 10. Januar 2014 beurteilte das Bundesgericht die Kündigung einer Aktiengesellschaft, welche von deren Rechtsvertreter erst nach der Anfechtung durch die Mieterschaft mit Eigenbedarf begründet wurde. Im Verlaufe des Verfahrens war unklar, wer die Wohnung übernehmen werde, und die Vermieterin machte neu wichtige, notwendige Umbauarbeiten geltend. Eine solche Kündigung erweist sich als missbräuchlich, da sie auf keinem ernsthaften, objektiven Interesse beruht (BGer 4A_431/2013).
In BGE 138 III 59 hält das Bundesgericht jedoch dafür, es sei prozessual zulässig, vor der ersten gerichtlichen Instanz Kündigungsgründe nachzuschieben, mithin neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Prozessual ist das sicher zulässig, doch widerspricht es dem Grundsatz, dass der Kündigungsgrund zum Zeitpunkt des Aussprechens der Kündigung vorliegen muss.
3.1.4 Änderung der Nutzung, widersprüchliches Verhalten
Kündigt der Vermieter, um den vertraglich vereinbarten Verwendungszweck zu ändern, stellt das grundsätzlich ein widersprüchliches Verhalten dar. Eine solche Kündigung ist deshalb nur unter besonderen Voraussetzungen nicht missbräuchlich. Die Nutzungsänderung darf nicht willkürlich, sondern muss sachlich begründet sein. Das Bundesgericht erachtete eine derart begründete Kündigung gegenüber einem Restaurantbetrieb nach einer Vertragsdauer von mehreren Jahrzehnten, während der sich auch die tatsächlichen Verhältnisse im Quartier und in der Liegenschaft wesentlich verändert hatten, als gültig, da es keine ewige Bindung des Vermieters an den einmal zugestandenen Verwendungszweck gibt (BGE 136 III 190 E. 3).
E contrario sind jedoch Kündigungen missbräuchlich, wenn damit nach kurzer bis mittlerer Vertragsdauer eine Änderung des Verwendungszweckes oder eine «Neupositionierung» angestrebt wird, ohne dass sich die tatsächlichen Verhältnisse über eine längere Dauer geändert haben. So qualifizierte das Bundesgericht folgerichtig die Kündigung gegenüber einer «Arbeiterbeiz» nach einer rund 15-jährigen Mietdauer als missbräuchlich, da der Vermieter die Ansiedlung eines Gastbetriebs mit höherem Standard bezweckte, weil einige Firmen aus der Luxusbranche in die Nachbarschaft eingezogen waren (BGer 4A_529/2014 vom 23. Januar 2015).
3.1.5 Verfahrenskündigung und subsidiäre Kündigung
Der zeitliche Kündigungsschutz nach Art. 271 a Abs. 1 lit. d OR greift mit der Klageanhebung bis zum rechtskräftigen Entscheid, unabhängig davon, wann der Vermieter über das Verfahren orientiert wurde oder davon nach Treu und Glauben hätte wissen können (BGer 4A_482/2014 vom 20. Januar 2015, E. 2.10).
Eine während einer hängigen Anfechtung einer ersten Kündigung (in casu einer ausserordentlichen nach Art. 266 g OR) ausgesprochene zweite ordentliche ist missbräuchlich (BGE 131 III 33 in mp 4/04, S. 219 ff.).
Wird die Unwirksamkeit einer ausserordentlichen Kündigung in einem Verfahren festgestellt, so löst dieses eine Sperrfrist nach Art. 271 a Abs. 1 lit. e OR aus. Ein Vermieter tut deshalb gut daran, im Zweifelsfalle ordentlich zu kündigen (ausser bei langfristigen Verträgen). Er kann sich im Falle eines Erstreckungsbegehrens von Mieterseite je nach Kündigungsgrund auf einen Erstreckungsausschlussgrund berufen (Art. 272a OR).
Die Umwandlung einer ordentlichen Kündigung in eine ausserordentliche oder umgekehrt ist unzulässig (BGE 137 III 389).
In einem neueren Fall hat das Bundesgericht die Lehrmeinung bestätigt, dass einer ausserordentlichen Kündigung für den Fall ihrer Unwirksamkeit eine ordentliche Kündigung nachgeschoben werden könne. Offen bleibt, ob es dafür eine gesonderte Formularanzeige braucht. Für die Mietpartei muss aber erkennbar sein, dass es sich um eine zweite, selbständige Kündigung handelt.
Im zu beurteilenden Fall ging aus dem Kündigungsschreiben nicht hervor, dass sich die neue Eigentümerschaft, welche gestützt auf Art. 261 Abs. 2 lit. a OR wegen dringenden Eigenbedarfs ausserordentlich auf den nächsten möglichen gesetzlichen Termin gekündigt hatte, im Sinne einer ordentlichen Kündigung auf den nächsten vertraglichen Termin subsidiär auf die ungenügende Rendite berief (BGE 137 III 389 in mp 4/11, S. 315 ff).
Für eine Mieterschaft sind zwei gleichzeitig mit abweichender oder allenfalls sogar identischer Begründung auf unterschiedliche Termine ausgesprochene Kündigungen nicht gerade sehr transparent. Die Kündigung als Gestaltungsrecht ist bedingungsfeindlich und muss klar sein. Die Zulassung von subsidiären Kündigungen ist deshalb abzulehnen. Mindestens muss jedoch gefordert werden, dass die beiden Kündigungen auf zwei separaten Formularen erfolgen. Überdies ist das «Nachschieben» einer ordentlichen Kündigung ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit eines Verfahrens wegen der ersten Kündigung nicht mehr möglich (BGE 131 III 33).
3.1.6 Kündigungsschutz nach Obsiegen im Verfahren
Wird auf ein Ausweisungsbegehren eines Vermieters im summarischen Verfahren (Art. 257 ZPO) mangels Liquidität nicht eingetreten, löst dieser Entscheid keine Sperrfrist im Sinne von Art. 271 a Abs. 1 lit. e OR aus, obwohl der Mieter obsiegt hat (BGer 4A_588/2013 vom 15. April 2014). Das ist korrekt, da keine materielle Prüfung des Anspruchs des Vermieters erfolgt ist. Selbstverständlich löst ein abgewiesenes Ausweisungsbegehren im ordentlichen Verfahren einen Kündigungsschutz aus.
Eine Abweisung im summarischen Verfahren ist dagegen nicht möglich, selbst wenn ein klarer Fall vorliegt (Art. 257 Abs. 3 ZPO, BGer 4A_68/2014 vom 16. April 2014).
3.1.7 Kündigungsschutz bei Einigungen ausserhalb eines Verfahrens
Als Einigung, die einen dreijährigen Kündigungsschutz auslöst, gilt nur die Beilegung einer Streitigkeit, nicht aber das sofortige Nachgeben des Vermieters. So löst die Anerkennung eines Mietzinsreduktionsbegehrens der Mieterschaft gestützt auf die Senkung des Referenzzinssatzes oder wegen Umbauarbeiten keine Sperrfrist aus (BGE 130 III 563 ff. in mp 4/04, S. 213 ff.).
Ebenfalls kein Anwendungsfall von Art. 271 a Abs. 2 OR liegt vor, wenn der Vermieter auf eine Mängelmeldung erst reagiert, nachdem der Mieter in einem zweiten Brief mit der Hinterlegung des Mietzinses droht (BGer 4A_383/2012 in mp 2/13, S. 159).
Eine Sperrfrist wird jedoch ausgelöst, wenn ein Begehren nicht sofort gutgeheissen wird. In einem weiteren vom Bundesgericht beurteilten Fall liess die Vermieterin die Fassade sanieren. Zeitgleich beschwerten sich die Mieter wegen diverser Mängel, unter anderem wegen der fehlenden Klimaanlage. Es kam zu einem Briefwechsel zwischen den Parteien. In einem Schreiben verweigerte die Verwaltung eine Mietzinsreduktion wegen der im Zusammenhang mit den Sanierungsarbeiten erlittenen Störungen mit der Begründung, sie habe mit dem Einbau einer Klimaanlage wertvermehrende Investitionen getätigt. Die Mieterin hielt an ihrem Herabsetzungsanspruch in der Höhe eines Monatszinses schriftlich fest, wonach dieser schliesslich von der Vermieterschaft akzeptiert wurde. In diesem Fall wurde eine Sperrfrist ausgelöst (BGer 4A_671/2012 vom 6. März 2013 in MRA 2/14, S.86).
Die vom Bundesgericht neben dem schriftlichen Nachweis einer Einigung geforderte zusätzliche Voraussetzung – die Einigung darf nicht durch die sofortige Anerkennung eines Anspruchs erzielt werden, sondern muss das Ergebnis einer Auseinandersetzung sein – findet im Gesetz keine Stütze. Es ist lediglich zu fordern, dass eine unter den Parteien kontroverse Rechtsfrage einvernehmlich und abschliessend geklärt wird.
3.2 Anfechtung der ausserordentlichen Kündigung
In Lehre und Rechtsprechung ist unbestritten, dass eine ausserordentliche Kündigung trotz Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (im Allgemeinen gemäss Art. 257 d OR) unter besonderen Umständen missbräuchlich sein kann. Im Gegensatz zur Unwirksamkeit muss die Missbräuchlichkeit jedoch innert 30 Tagen nach Erhalt der Kündigung geltend gemacht werden. Die Abgrenzung zwischen Unwirksamkeit und Missbräuchlichkeit ist deshalb von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Die Grenze wird vom Bundesgericht nicht immer sehr konsequent gezogen.
Missbräuchlichkeit liegt gemäss Bundesgericht beispielsweise vor, wenn der Vermieter unter Kündigungsandrohung vom Mieter eine wesentlich höhere Summe verlangt, als grundsätzlich geschuldet ist, ohne dass klar ist, wie hoch die geschuldete Summe tatsächlich ist (BGE 120 II 31 E. 4b, S. 33).
Die Missbräuchlichkeit wird weiter in Erwägung gezogen, wenn der Zahlungsrückstand unbedeutend ist oder falls dieser Betrag sehr kurze Zeit nach Ablauf der Zahlungsfrist mit Kündigungsandrohung bezahlt wurde und der Mieter früher die Miete immer rechtzeitig bezahlt hatte.
Gemäss Bundesgericht ist überdies auf Missbräuchlichkeit zu schliessen, wenn der Vermieter erst gewisse Zeit nach Ablauf der Zahlungsfrist kündigt. Das lange Zuwarten müsse ausser bei besonderen Umstände als Verzicht auf das Kündigungsrecht angesehen werden, weshalb dieses Verhalten einen Verstoss gegen Treu und Glauben darstelle (BGer 4A_366/2008 vom 25. November 2008 in mp 1/09, S. 17). Die Kündigung verstösst jedoch laut Bundesgericht nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Mieter die fristgerechte Zahlung des unbestrittenen Teiles der Nebenkosten trotz Kündigungsandrohung verweigert (BGer 4A_366/2008 vom 25. November 2008 in mp 1/09, S. 14 ff.).
Mit Entscheid vom 19. November 2014 (BGE 140 III 591) verneinte das Bundesgericht im Falle einer Verzugskündigung wegen eines Ausstands in der Höhe von Fr. 164.65 in einem 40-jährigen Mietverhältnis ebenfalls einen Verstoss gegen Treu und Glauben. Der Betrag betraf eine Nachzahlung aus einer Nebenkostenabrechnung, die ihrerseits bereits Gegenstand eines von Mieterseite initiierten Schlichtungsverfahrens war. Dabei einigten sich die Parteien auf eine Sistierung des Verfahrens bis Ende März 2010. Sollte bis dahin keine einvernehmliche Lösung erzielt werden, gelte die Schlichtungsverhandlung als gescheitert, und jene Partei, die an ihren Anträgen festhalte, müsse innert 30 Tagen das Gericht anrufen.
Es gab keine Einigung, und keine Partei rief das Gericht an. Das Bundesgericht hielt dafür, es wäre Sache der Mieterschaft gewesen, die strittige Frage vom zuständigen Gericht klären zu lassen. Problematisch an diesem Fall ist die Auffassung des höchsten Gerichts, dass Nebenkostenabrechnungen angefochten werden können. Eine negative Feststellungsklage betreffend Saldo aus einer Nebenkostenabrechnung ist prozessual wohl kaum möglich.
Am 19. August 2014 (BGer 4A_127/2014) hielt das höchste Gericht in einem Ausweisungsverfahren nach Art. 257 ZPO betreffend eine ausserordentliche Kündigung wegen Verzugs zu Recht dafür, eine Nachzahlung aus Nebenkosten sei nicht fällig, wenn die Nebenkostenabrechnung zu wenig detailliert sei. Sämtliche Instanzen traten wegen Illiquidität nicht auf das Ausweisungsbegehren ein. Mangels Fälligkeit der iForderung wäre die Kündigung auch unwirksam gewesen.
Abschliessend ist für die Abgrenzung zwischen Unwirksamkeit und Anfechtbarkeit einer Verzugskündigung zu fordern, dass bei unklaren in Verzug gesetzten Forderungen oder bei Kündigungen lange nach Ablauf der Zahlungsfrist von der Unwirksamkeit, bei zu Recht bestrittenen dagegen von der Anfechtbarkeit auszugehen ist. Im Falle einer Kündigung nach Art. 257 f OR wird auch gefordert, die Abmahnung dürfe nicht zu lange zurückliegen.
Wenn man für ausserordentliche Kündigungen wegen Zahlungsverzugs betreffend die laufenden Mietzinse noch ein gewisses Verständnis aufbringen kann, bereiten solche wegen Saldi aus der Nebenkostenabrechnung wesentlich mehr Mühe. Es ist nicht einzusehen, wieso ein Vermieter bei Unklarheiten betreffend die Nebenkosten nicht den ordentlichen Prozessweg beschreiten soll. Doch der Gesetzgeber war bis anhin nicht bereit, den Anwendungsbereich von Art. 257 d OR auf die fälligen Mietzinse zu beschränken.
3.3 Anfechtungsfrist
Bei der Zustellung der Kündigung gilt die absolute Empfangstheorie. Bis anhin gelangte dagegen zumindest in der Deutschschweiz für die Berechnung der 30-tägigen Anfechtungsfrist gemäss Art. 273 OR die sogenannte relative Empfangstheorie zur Anwendung.
In einem Entscheid vom 11. November 2013 erklärte das Bundesgericht, dass für die Fristenberechnung ebenfalls die absolute Empfangstheorie zur Anwendung gelange. Das Bundesgericht hält dafür, das sei eine direkte Konsequenz des Leitentscheides BGE 137 III 208, wonach für die Frage der rechtzeitigen Zustellung der Kündigung die absolute Empfangstheorie zur Anwendung gelange (BGer 4A_471/2013 in mp 1/14, S. 56, sowie BGer 4A_120/2014 vom 19. Mai 2014 in MRA 2/14, S. 66 ff.).
3.4 Anfechtungslegitimation
Endlich konnte sich das Bundesgericht mit der in der Lehre umstrittenen Frage auseinandersetzen, ob sich ein Mitmieter im Falle eines gemeinschaftlichen Mietverhältnisses alleine einer Kündigung widersetzen könne. Einige Autoren sprechen einem einzelnen Mitmieter die Legitimation ab, andere stellen dagegen den Sozialschutzgedanken in den Vordergrund (zum Beispiel Roger Weber, Der gemeinsame Mietvertrag, Dissertation, Zürich 1993, S. 184 ff.).
Das Bundesgericht ist zu Recht der zweiten Meinung gefolgt. Der Sozialschutz muss jedem einzelnen Mitmieter zuteil werden. Da es sich bei der Anfechtung einer Kündigung jedoch um eine Gestaltungsklage handelt, müssen nebst der Vermieterschaft auch die Mitmietenden als Gegenpartei eingeklagt werden (BGE 140 III 598).
Dieser Beitrag basiert auf einem Referat, gehalten anlässlich der 4. Tagung zu aktuellen Fragen zum Mietrecht des EuropaInstituts der Universität Zürich am 4. März 2015