Allgemein verunsichernde Bedingungen
Inhalt
Plädoyer 6/10
29.11.2010
Letzte Aktualisierung:
07.10.2013
Thomas Müller
Nicht überall ist der Kunde König. Er muss sich manchmal auch als Bettler begnügen, wie ein Blick auf die jüngst gekürten konsumentenfeindlichsten Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zeigt. Organisiert wurde der Wettbewerb von Rechtsanwalt Volker Pribnow aus Baden. Die Preisverteilung erfolgte an der Tagung des Vereins Haftpflicht und Versicherung (HAVE) Ende Oktober in Luzern.
Auf den ersten Platz schaffte es eine Bestimmun...
Nicht überall ist der Kunde König. Er muss sich manchmal auch als Bettler begnügen, wie ein Blick auf die jüngst gekürten konsumentenfeindlichsten Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zeigt. Organisiert wurde der Wettbewerb von Rechtsanwalt Volker Pribnow aus Baden. Die Preisverteilung erfolgte an der Tagung des Vereins Haftpflicht und Versicherung (HAVE) Ende Oktober in Luzern.
Auf den ersten Platz schaffte es eine Bestimmung, die sich in der Krankenversicherung wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat. Mit ihr nimmt sich der Versicherer das Recht heraus, AVB und Zusatzbedingungen einseitig aus folgendem Grund anzupassen: «Entwicklung der modernen Medizin beziehungsweise Pflege».
Diese Entwicklung ist so sicher, wie die Sonne am Morgen im Osten aufgeht. Die Versicherungsgesellschaft kann also die Bedingungen jederzeit nach eigenem Gutdünken verändern, die Versicherten haben sich zu unterwerfen. «Ob und wieweit dies überhaupt zulässig ist, bleibt offen», hält Pribnow sich vornehm zurückhaltend fest.
Platz zwei erreichte eine Klausel aus der Motorfahrzeugversicherung. Die Gesellschaft verzichtet damit unter bestimmten Voraussetzungen auf ihr Rückgriffsrecht auf den Versicherten. Doch davon «ausgenommen ist die vorsätzliche oder eventualvorsätzliche Herbeiführung des Schadensereignisses». Was bedeutet nun der Verzicht auf den Verzicht genau? Das sei für den Konsumenten «kaum erkennbar», sagt Pribnow. Ein Laie kenne den Begriff des Eventualvorsatzes nicht. Das führe «zu einer Unverständlichkeit der Bestimmung».
Nicht nur für Laien, sondern auch für Fachleute unverständlich ist die Klausel auf Platz drei. Sie stammt aus der Privathaftpflichtversicherung: «Nicht versichert sind Regress- und Ausgleichsansprüche für Leistungen, welche die Anspruchsteller den Geschädigten ausgerichtet haben für Schäden, verursacht durch versicherte Kinder, Hausgenossen sowie Tiere.» Kommentar von Pribnow: Diese Klausel führe dazu, dass der Versicherte zu seiner völligen Überraschung für Regressansprüche der Sozialversicherungsträger mit dem eigenen Vermögen hafte. «Und dies, obwohl er eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat.» Die drei Beispiele zeigen: Es wäre in der Schweiz dringlich, eine minimale richterliche Inhaltskontrolle für Allgemeine Versicherungsbedingungen einzuführen. Der Bundesrat schlug dies bekanntlich mit einer Änderung von Artikel 8 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vor.
Der Ständerat stimmte dem bundesrätlichen Vorschlag bereits zu. Doch eine Woche nach der HAVE-Tagung trat die Rechtskommission des Nationalrats auf die Bremse. Sie lehnte die vorgeschlagene Inhaltskontrolle ab. Unter anderem deshalb, weil sie «eine erhebliche Rechtsunsicherheit» befürchtete. Ob die Rechtskommission das ironisch gemeint hat, wird das Plenum des Nationalrats demnächst entscheiden dürfen.