Eine ehrliche Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem faktischen Umgang der Bundesversammlung mit dem seit 1891 bestehenden Volksrecht: Man betrachte dabei ihr langfristiges Verhalten. Die Volks- und Ständevertreter haben die Volksinitiative nicht nur freudig begrüsst, sondern zum Teil bedeutende Hindernisse errichtet, um sie in ihrer Wirksamkeit zu begrenzen. Dazu der Reihe nach:
1. Zunächst versah die Bundesversammlung das Abstimmungsverfahren bei Volksinitiativen mit einem verzerrenden Mechanismus: Es stellte sich nämlich die Frage, wie das Verfahren ausgestaltet werden sollte, wenn die Bundesversammlung der Initiative einen Gegenentwurf entgegenstellt. Der Bundesrat wollte ein korrektes zweistufiges Verfahren mit Eventualabstimmung und Schlussabstimmung einführen. Die Bundesversammlung sah jedoch die Chance, Volksbegehren mit einem Gegenvorschlag leicht bekämpfen zu können, und führte ein einstufiges Verfahren mit einem Verbot des doppelten Ja ein. Die änderungswilligen Stimmbürger spalten sich somit in zwei Gruppen auf, womit das Anliegen viel eher scheitern konnte. Erst die Zulassung des doppelten Ja im Jahr 1987 setzte diesem unfairen Verfahren ein Ende.
2. Ab 1930 entwickelten Bundesrat und Bundesversammlung eine wirksame Methode, um die schon damals beklagte «Überproduktion an Volksbegehren» zu stoppen. Bundesrat und Bundesversammlung nahmen die Gewohnheit an, gültige eingereichte Volksinitiativen auf Teilrevision der Verfassung während Jahren liegenzulassen. Später schrieb man die Initiativen ab, ohne sie der Abstimmung zu unterstellen. Oder man setzte die Abstimmung nach Jahren, als sie jede politische Relevanz verloren hatte, an. Der Zürcher Staatsrechtler Zaccaria Giacometti (1893–1970) rügte diese Praxis 1949 als «Schubladisierung». Sie wandle das Recht auf Volksinitiative zu einem blossen Petitionsrecht um. Giacomettis Kritik wirkte: Die Bundesversammlung gab die verfassungswidrige Praxis nach 1950 auf.
3. Im Folgenden suchte und fand die Bundesversammlung neue Mittel, um eine Volksinitiative zu torpedieren. Anlässlich der umweltschützerischen Rheinau-Initiative erwog sie zusammen mit dem Bundesrat neue materielle Ungültigkeitsgründe, so die Frage der Durchführbarkeit, der Völkerrechtskonformität, des Rückwirkungsverbotes und des Vertrauensschutzes. Sie unterstellte diese Initiative zwar der Abstimmung, aber in den 1950er-Jahren sollte sie diese neuen Kriterien immer wieder bemühen, und im Fall der Chevalier-Initiative (Rüstungspause) auch anwenden. Das so entwickelte Instrumentarium ist noch heute in Gebrauch und soll nach Vorschlägen der staatspolitischen Kommission (SPK) des Ständerats vom August 2015 massiv ausgebaut werden, damit politisch unliebsame Initiativen gestoppt werden können.
4. Die mangelhafte Umsetzung von angenommenen Volksinitiativen ist in jüngster Zeit ein weiteres Instrument der Bundesversammlung, um auch in der direkten Demokratie die Hegemonie zu behalten. Hier ist die Opposition des Parlaments gegen das Volk bedeutend heikler. Eine unzureichende Umsetzung zieht den Vorwurf des undemokratischen Verhaltens nach sich. Dieses Mittel hat die Bundesversammlung in mehreren Fällen dennoch eingesetzt, so etwa im Fall der Preisüberwachungs- (1982), der Alpen- (1994) oder der Zweitwohnungsinitiative (2012).
Das Handeln der Bundesversammlung gibt eine klare Antwort auf die oben gestellte Frage: Das Parlament ist gegen die Volksinitiative und bringt sein Misstrauen gegenüber dem Volk nicht selten mit halblegalen und sogar mit offen verfassungswidrigem Gebaren zum Ausdruck. Es ist kein Wunder, dass sich die Bundesversammlung – quer durch alle Parteien – auch jeglicher Verfassungsgerichtsbarkeit widersetzt.