Die Kommentare reichten von «Meilenstein» bis «diplomatisches Wunder», als in Kampala eine Einigung zum «Verbrechen der Aggression» erzielt wurde. Dort fand im Juni 2010 die erste Überprüfungskonferenz des Römer Statuts statt. Das Statut bildet die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
Der Tatbestand des Verbrechens der Aggression bringt das in der Uno-Charta verankerte und zum zwingenden Völkerrecht zählende Gewaltverbot auf die individual-strafrechtliche Ebene. Künftig werden die höchsten Entscheidungsträger eines Staats für schwere Verletzungen des Gewaltverbots persönlich vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen. Unter Strafe gestellt werden neu Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung eines Angriffs, der die Uno-Charta verletzt. Die Strafbarkeit ist auf Personen beschränkt, die in der Lage sind, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren. Die individuellen Tathandlungen sind aus der Definition des «Verbrechens gegen den Frieden» in den Statuten der Internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio übernommen worden.
Bisher ratifizierten elf Staaten die Vereinbarung. In der Schweiz wird der Bundesrat dem Parlament demnächst seine Botschaft zur Genehmigung vorlegen. Darüber wird voraussichtlich dieses Jahr abgestimmt.
Die Ratifikation ist politisch nicht umstritten. Der Bundesrat will das Verbrechen der Aggression vorerst aber nicht in das Schweizer Strafgesetzbuch aufnehmen. Grund: Dieses Verbrechen setzt zwingend eine Handlung eines Staates voraus – im Gegensatz zu den andern im Römer Statut definierten Straftatbeständen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen). Die Schweizer Strafverfolgungsbehörden könnten also durch die nationale Umsetzung in die Lage kommen, beurteilen zu müssen, ob eine Angriffshandlung zwischen zwei Staaten stattfand. Laut Bundesrat ist der Internationale Strafgerichtshof für die Beurteilung solcher Fälle besser geeignet als einzelne Staaten.
Schweiz gegen Monopol des Sicherheitsrats
Die Schweizerische Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof kritisiert die Nichtübernahme ins Schweizer Recht. Ihr gehören unter anderem Amnesty International, die Schweizer Sektion der International Commission of Jurists oder Trial an. Das Römer Statut basiere darauf, dass einzelne Staaten ihre Verantwortung bei der Verfolgung von schweren Verbrechen gegen das Völkerrecht wahrnehmen und der Internationale Strafgerichtshof eine komplementäre Rolle bei der Verfolgung solcher Verbrechen habe. Ausserdem habe die Schweiz massgeblich zum Kompromiss von Kampala beigetragen. Es sei nur konsequent, dass sie das Verbrechen der Aggression im eigenen Strafrecht einführe. Nur so könne vermieden werden, dass Verantwortliche eines solchen Verbrechens in der Schweiz Unterschlupf finden.
Das «Verbrechen der Aggression» wurde im 1998 verabschiedeten Römer Statut erwähnt. Über eine entsprechende Gerichtsbarkeit in Den Haag hatte die Staatenkonferenz damals wegen Meinungsverschiedenheiten nicht entschieden. An der Überprüfungskonferenz in Kampala ging es vor allem um diese Frage. Die politisch heikelste Frage war aber die Rolle des Uno-Sicherheitsrats. Dessen fünf ständige Mitglieder (USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien) bestanden auf einem Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrats. Nach ihrem Willen sollte nur dieser über das Vorliegen einer Angriffshandlung entscheiden (Art. 39 Uno-Charta). Den Haag dürfte nur dann seine Tätigkeit aufnehmen, wenn der Sicherheitsrat das Gericht beauftragt.
Die Mehrheit der Staaten, darunter die Schweiz, war dagegen der Meinung, der Strafgerichtshof solle auch dann tätig werden können, wenn ein Vertragsstaat die Situation unterbreitet oder der Ankläger aus eigener Initiative agiert. Also wie bei den übrigen Verbrechen – Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit –, für die der Strafgerichtshof zuständig ist.
USA für enge Definition von Angriffshandlungen
In Kampala besonders aktiv waren die USA. Sie sind kein Vertragsstaat des Strafgerichtshofs in Den Haag. «Die USA hatten die grösste Delegation vor Ort und nahmen starken Einfluss auf die Verhandlungen», so Trial-Vertreter Richard Greiner. Die USA setzten durch, dass Angriffshandlungen enger definiert wurden. Die Staaten, die keine Vetomächte sind, erreichten aber schliesslich, dass der Sicherheitsrat eine Verfahrensaufnahme durch den Strafgerichtshof nicht blockieren kann. Der Sicherheitsrat kann aber einen Aufschub von Ermittlungen oder Strafverfolgungen verlangen.
Strittig war zudem, ob der Strafgerichtshof die Gerichtsbarkeit bei Verbrechen der Aggression auch ausüben kann, wenn der mutmassliche Aggressionsstaat die neuen Bestimmungen nicht ratifiziert hat. Die in Kampala verabschiedete Änderung des Römer Statuts sieht nun vor, dass für eine Strafverfolgung entweder der Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Aggressor hat, oder der angegriffene Vertragsstaat das Verbrechen der Aggression ratifiziert haben muss. Vertragsstaaten können zudem präventiv eine Opt-out-Erklärung abgeben und damit die Gerichtsbarkeit ausschliessen, wenn sie eine Angriffshandlung begehen. Sollte der Sicherheitsrat dem Gerichtshof eine Situation unterbreiten, gilt diese Beschränkung nicht: Wie für die anderen Verbrechen des Römer Statuts kann der Sicherheitsrat dem Gericht eine Situation in einem Vertrags- oder Nichtvertragsstaat vorlegen. Zudem wird eine Opt-out-Erklärung durch die Sicherheitsratsresolution belanglos.
Den Haag wird die neuen Kompetenzen erst erhalten, wenn 30 Staaten die Änderung von Kampala ratifiziert haben.
Als Haupterfolg der Verhandlungen in Kampala gilt, dass der Strafgerichtshof aktiv werden kann, ohne dass eine vorhergehende Feststellung eines Verbrechens der Aggression durch den Uno-Sicherheitsrat nötig ist.
Für den früheren Den Haager Richter Mauro Politi bleiben aber viele Fragen ungeklärt. So werde es von der Interpretation des Gerichtshofs abhängen, was etwa ein «offensichtlich» illegales Verhalten eines Staates sei. Gemäss Politi können dazu auch Fälle sogenannter humanitärer Interventionen und angeblicher Selbstverteidigung zählen.
Regierungen wollen über dem Gesetz stehen
Viele Beobachter bedauern das Bestehen der Opt-out-Möglichkeit. Für Amnesty International besteht damit die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit des Strafgerichtshofs ausgehöhlt wird. Die Regierungen hätten ein Zwei-Stufen-System der internationalen Justiz geschaffen, bei dem sie sich über das Gesetz stellen können, kritisierte die Organisation. Die Schweiz hält es für ein positives Verhandlungsergebnis, dass die Hürde für ein Opt-out hoch ist. Sie hätte es aber vorgezogen, dass es diese Möglichkeit nicht gäbe.