Die Demokratischen Jurist*innen Zürich (DJZ) sind ein Zusammenschluss kritischer Juristen. Stellen sie in den Augen des Geheimdienstes eine Gefahr für die innere Sicherheit dar? Im Mai 2019 beantragten die DJZ Einsicht in ihre Akte. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) schob die Auskunft für fünf Datenbanken auf. Die DJZ erhielten erst im März 2022 eine Antwort.
Beruhigend für die Betroffenen: Der Verein sei «kein Ziel der nachrichtendienstlichen Beschaffungsaktivität» und werde «nicht als Bedrohung» der Sicherheit eingeschätzt. Sein Name stehe jedoch auf Dokumenten, die bestimmte Personen betreffen. So speicherte der NDB verschiedene Zeitungsbeiträge, etwa über eine Anzeige der DJZ wegen eines umstrittenen SVP-Plakats oder zu verschiedenen Beschwerden wie etwa gegen die Polizeidatenbank Polis oder gegen den Beitritt zum Hooligan-Konkordat. Und im «Internetmonitoring Linksextremismus» ist der Verein als Mitorganisator einer Veranstaltung zum deutschen NSU-Prozess und einer Migrationsdemonstration vermerkt. Speicherungswürdig war für den NDB auch, dass ein Anwalt im Briefkopf seiner Kanzlei vermerkt hatte, er sei Mitglied der DJZ.
Der Verein hatte seine Mitglieder ermuntert, beim NDB auch Einsicht über ihre persönlichen Daten zu fordern. Einzelne Mitglieder erhielten teilweise Auskunft. Etwa eine Anwältin, die im Ausländerrecht tätig ist. Der NDB habe elf Dokumente in seinen Akten aus einem Verfahren, in dem sie ein ehemaliges Kadermitglied der kurdischen PKK vertrat. Zudem speichere er auch ein Dokument aus dem Asylverfahren eines nicht hochrangigen PKK-Mitglieds, das an die Anwältin adressiert war. In vier weiteren NDB-Dokumenten zu Asylverfahren sei die Anwältin namentlich genannt. Der Geheimdienst gab jedoch nicht bekannt, um welche Asylverfahren es ging. Eine andere Anwältin, ebenfalls Migrationsrechtlerin, fand in ihrem NDB-Auszug neun Dokumente aus ihrer Berufstätigkeit. In zwei Fällen ging es um Strafverfahren von Klienten betreffend Landfriedensbruch. Bei Dokumenten aus Asylverfahren verweigerte der NDB die Mitteilung, um welchen Fall und welches Dokument es sich handelt. Dagegen führt die Anwältin Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Der Entscheid steht noch aus.
Laut dem NDB-Auszug befanden sich noch weitere Dokumente über die Anwältin bei den Akten. Aus «Geheimhaltungsgründen» wurde die Einsicht darüber aufgeschoben. Schiebt der Geheimdienst die Auskunft auf, ist laut Nachrichtendienstgesetz (NDG) keine Beschwerde möglich, sondern nur eine Überprüfung durch den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (Edöb) und allenfalls das Bundesverwaltungsgericht (siehe Kasten). Eine aussagekräftige Antwort bekam die Anwältin auf diesem Weg nicht.
Sie ist damit nicht allein. Im Jahr 2020 stellten beim NDB 572 Personen ein Auskunftsgesuch, lediglich 17 von ihnen erhielten eine vollständige Information. Diese Zahlen gehen aus dem Lagebericht des NDB hervor. 488 Gesuchsteller erhielten nur über einen Teil der Datenbanken Auskunft. Für die restlichen Datenspeicher wurde die Information «aufgeschoben». Das heisst: Sie wurden auf später vertröstet. Laut Gesetz schiebt der NDB die Auskunft über Einträge auf später auf, wenn «überwiegende Geheimhaltungsgründe» vorliegen. Er erteilt die Auskunft, sobald das Geheimhaltungsinteresse wegfällt, spätestens aber mit der Löschung der Information. Stossend: Gesuchsteller ohne Einträge erhielten gemäss Praxis des NDB erst nach drei Jahren Kenntnis davon, dass sie nirgends vermerkt sind.
Auskunftsrecht laut Kritikern “wirkungslos”
Gegen den nichtssagenden Bescheid, die Auskunft zu den persönlichen Daten werde aufgeschoben, können die Betroffenen ein Prüfungsgesuch beim Datenschützer einreichen. Seine Kompetenzen sind aber arg beschränkt. Die Standardantwort lautet: «Wir teilen Ihnen mit, dass in Bezug auf Sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass wir im Falle von Fehlern der Datenbearbeitung oder betreffend Aufschub der Auskunft eine Empfehlung zu deren Behebung an den Nachrichtendienst des Bundes gerichtet haben.» Es folgt eine Rechtsmittelbelehrung. Danach könne vom Bundesverwaltungsgericht verlangt werden, dass es diese Mitteilung oder allenfalls den Vollzug der abgegebenen Empfehlung überprüft.
Edöb-Sprecherin Silvia Böhlen erklärt das Vorgehen: Bei einem Gesuch um Prüfung der Antwort des NDB frage der Edöb dort nach, ob die Person verzeichnet sei. Bei registrierten Personen würden dann zwei Edöb-Mitarbeiter die Räumlichkeiten des NDB aufsuchen. Auf Antrag könnten sie die Daten zusammen mit NDB-Mitarbeitern aus dem System heraussuchen. Oder sie erhalten die vom NDB bereitgestellten Daten und dürfen sie elektronisch lesen. Man prüfe dann, ob die Daten gesetzeskonform bearbeitet wurden – also etwa, ob Daten über politische Meinungsäusserungen oder Betätigungen aussortiert wurden.
In den vergangenen fünf Jahren habe der Edöb bei 12 von 168 vollständigen Gesuchen den NDB informiert, dass er plane, eine Empfehlung abzugeben. Das entspricht 7 Prozent der Prüfgesuche. Laut Böhlen anerkannte der NDB die Beanstandungen in den 12 Fällen, sodass der Edöb nie eine Empfehlung abgeben musste.
Kritiker beurteilten das Auskunftsrecht gegenüber dem NDB seit längerem als «wirkungslos» (plädoyer 4/2010). Gemäss NDB-Sprecherin Isabelle Graber betrifft «die überwiegende Mehrheit der Aufschübe» Leute ohne einen Eintrag. Warum teilt man ihnen nicht mit, dass sie nicht verzeichnet sind? Das scheint sich Mitte 2021 auch der damalige NDB-Direktor Jean-Philippe Gaudin gefragt zu haben. Er änderte die Praxis. Wer in den NDB-Systemen nicht verzeichnet ist, soll in der Regel die entsprechende Auskunft erhalten. Die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments kritisiert im aktuellen Jahresbericht: «Mit der neusten Praxisänderung benachteiligt der NDB frühere Gesuchsteller, deren Auskunft unter der vorherigen Praxis aufgeschoben wurde.» Isabelle Graber verspricht deshalb plädoyer: «Der NDB ist daran, sämtliche nichtverzeichneten Auskunftsgesuchsteller nachträglich über ihre Nichtverzeichnung zu informieren.»
Im neuen NDG soll laut Entwurf des Bundesrats der Grundsatz gelten, dass die Auskunft erteilt wird, ob persönliche Daten gespeichert werden. Der NDB soll die Auskunft jedoch weiterhin bei «überwiegenden Geheimhaltungsinteressen» verweigern, einschränken oder aufschieben dürfen.
Rainer J. Schweizer, emeritierter Staatsrechtsprofessor in St. Gallen, kritisiert: «Der grosse Fehler im Entwurf ist der weiterhin fehlende Rechtsschutz.» Und der Zürcher Anwalt Viktor Györffy, Präsident des Vereins Grundrechte.ch, ergänzt: «Der Betroffene kennt die Daten nicht und kann sie daher nicht überprüfen.» Auch der Edöb wisse nicht, welche Einträge inhaltlich richtig oder falsch seien. Györffy: «Die indirekte Überprüfung der Daten durch den Edöb und das Bundesverwaltungsgericht verletzt das Recht auf eine wirksame Beschwerde.» Das verstosse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Laut Schweizer ist eine Auskunft «ein Vorteil für die Behörde», denn so könne sie Einträge mit falschem Inhalt berichtigen. Er hält es einzig bei einer konkreten Gefährdungslage für gerechtfertigt, die Auskunft einzuschränken. «Theoretische Befürchtungen sind kein Grund, die Auskunft einzuschränken.» Im Fall der DJZ zeigte der NDB inzwischen Einsicht und löschte die Daten.
Bundesrat will Anwälte auch verdeckt überwachen
Der Bundesrat gibt sich nicht damit zufrieden, dass die Geheimdienste Zeitungsberichte und amtliche Unterlagen über Anwälte sammeln. Neu will er eine Gesetzesgrundlage schaffen, um die Rechtsvertreter verdeckt überwachen und ihre Computer hacken zu können. Solche Massnahmen wie Telefonüberwachungen oder der Einsatz von Staatstrojanern sind im heutigen Gesetz bei Anwälten, Ärzten oder anderen Personen mit einem besonderen Berufsgeheimnis und bei Medienschaffenden nicht zulässig. Der Bundesrat will nun auch bei diesen Berufen verdeckte Überwachungen erlauben. Zurzeit läuft die Vernehmlassung.
Schweizer kritisiert den Vorschlag: «Solche Berufsgeheimnisse sind immens wichtig.» Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eine strenge Praxis dazu. Im Urteil Big Brother Watch habe er 2021 entschieden, ein britisches Überwachungsgesetz schütze vertrauliche Daten von Journalisten zu wenig. Schweizer ergänzt: «Ein Klient muss in Ruhe mit dem Anwalt reden können.» Sonst verhindere der Staat, dass der Klient seine Rechte wahren könne. Auch für Anwalt Györffy ist klar: «Alles, was dem Berufsgeheimnis untersteht, darf nicht überwacht werden.» Er erstellte für den Verein Public Eye ein 98-seitiges Gutachten über dessen 431 Einträge in den NDB-Datenbanken. Es zeigt, wie der Geheimdienst gesetzeswidrig Informationen über die politische Betätigung und Ausübung der Meinungs-, Versammlungs und Vereinigungsfreiheit sammelte. Das Gutachten ist abrufbar unter: www.publiceye.ch.
So ist die Auskunft über persönliche Daten heute geregelt
Die Auskunft über Daten des Geheimdienstes kann man mit einem schriftlichen Gesuch beim NDB beantragen. Man muss eine Kopie der Identitätskarte oder des Passes mitschicken. Eine Vorlage gibt es unter Grundrechte.ch → Musterbriefe → Gesuch um Einsicht in die Staatsschutzakten des NDB.
Der NDB muss die Auskunft innert 30 Tagen erteilen. Bei überwiegenden Geheimhaltungsgründen des Staats oder von Drittpersonen kann er die Auskunft auf später aufschieben. Die Betroffenen können daraufhin ebenfalls beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) eine Prüfung verlangen. Eine Vorlage findet sich auf der Webseite Grundrechte.ch. Der Edöb prüft, ob der NDB die Daten gesetzeskonform bearbeitet hat und ob der Aufschub der Auskunft gerechtfertigt ist. Er kann dem NDB Empfehlungen machen. Kann der Gesuchsteller nachweisen, dass ihm aufgrund der aufgeschobenen Auskunft ein erheblicher, nicht wiedergutzumachender Schaden erwächst, kann der Edöb dem NDB empfehlen, ausnahmsweise sofort Auskunft zu geben. Der Edöb informiert den Gesuchsteller, dass er seine Arbeit gemacht hat, jedoch nicht über den Ausgang im konkreten Fall. Nach Erhalt dieses Schreibens kann der Gesuchsteller beim Bundesverwaltungsgericht die Prüfung der Datenbearbeitung beantragen und erhält eine Antwort ohne jede Information, was die Prüfung im konkreten Fall ergab.