Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird besonders in der jüngeren Generation immer mehr zum Thema. Davon bleibt auch der klassische Anwaltsberuf nicht unberührt. Folge dieser Entwicklung ist zwangsläufig ein erhöhtes Bedürfnis nach Flexibilität in der Ausgestaltung des Berufes. Anwälte müssen in der Lage sein, den Anwaltsberuf unabhängig auszuüben.1 Sie können Angestellte nur von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung lässt es indes zu, dass auch Angestellte von Personen, die ihrerseits eben nicht im kantonalen Register eingetragen sind, sich unter gewissen Voraussetzungen ins Register eintragen lassen können. Ein solches Bedürfnis besteht vor allem bei teilzeitangestellten Anwälten, aber auch bei solchen, die in ihrer Freizeit der klassischen Anwaltstätigkeit nachgehen wollen. Im Zentrum steht hier bei der Beurteilung über die Zulässigkeit zum Eintrag in ein kantonales Anwaltsregister die Frage der Unabhängigkeit.
Zweck der Unabhängigkeit
«Von herausragender Bedeutung» und «als Berufspflicht weltweit anerkannt»: So bezeichnete das Bundesgericht den Grundsatz der anwaltlichen Unabhängigkeit in einem seiner Leitentscheide.2 Damit bringt das Bundesgericht zum Ausdruck, wie wichtig die anwaltliche Unabhängigkeit ist, um das Vertrauen in die Anwaltschaft und in die Justiz zu gewährleisten.
Bereits in der Botschaft zum BGFA vom 28. April 1999 wurde die bundesgerichtliche Rechtsprechung zusammengefasst und festgehalten, dass eine (freiberufliche) Anwaltstätigkeit nicht vollzeitlich sein müsse und eine zusätzliche Erwerbstätigkeit im Angestelltenverhältnis zulässig sei. Unmissverständlich schloss bereits die Botschaft einen Registereintrag von angestellten Anwältinnen und Anwälten nicht aus, solange kein Konflikt zwischen den Interessen des Arbeitgebers und den Interessen der Klientschaft entstehen könne. Mit der Lösung in Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA wollte man die Entwicklung des Begriffs der Unabhängigkeit weiter den kantonalen Aufsichtsbehörden und Gerichten überlassen.3
Die Unabhängigkeit als Berufspflicht umfasst dabei sowohl die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat als auch gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten. Obwohl historisch betrachtet wohl eher die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat von Bedeutung war, stellt heute vermehrt die Unabhängigkeit gegenüber Dritten ein Problem dar.4 Einerseits besteht in der heutigen Gesellschaft vermehrt ein Bedürfnis nach Teilzeitstellen und flexiblen Arbeitszeiten, um eine möglichst gute «Life-Work-Balance» zu erlangen. Andererseits gehen Anwälte auch aus wirtschaftlichen Motiven vermehrt Bindungen zu Dritten ein, die sich mit der Berufspflicht der Unabhängigkeit als problematisch darstellen könnten.
Das BGFA befasst sich in zwei Bestimmungen mit der Unabhängigkeit. Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA regelt die institutionelle Unabhängigkeit, indem die Unabhängigkeit eine persönliche Voraussetzung für den Registereintrag darstellt. Art. 12 lit. b BGFA umschreibt die Unabhängigkeit als Berufspflicht. Ein Anwalt hat bei der Ausübung des Berufes im Einzelfall abzuschätzen, ob ein Interessenkonflikt vorliegt. Diese Berufspflicht führt dazu, dass an die institutionelle Unabhängigkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA gemäss dem Bundesgericht nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen. Bei der Beurteilung der Unabhängigkeit als persönlicher Voraussetzung für den Registereintrag steht damit bei einem (Teilzeit-)Angestellten die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses im Zentrum.
Bedürfnis der Eintragung
Ein angestellter Anwalt wird sich insbesondere dann ins kantonale Anwaltsregister eintragen lassen wollen, wenn er neben einer Teilzeitanstellung als unabhängiger Anwalt tätig werden will. Im Zuge der Debatte über mehr Teilzeitarbeitsstellen und flexible Arbeitszeitmodelle wird dieses Bedürfnis unter Anwälten zwangsläufig weiter anwachsen.
Abgesehen vom Fall der Teilzeitanstellung könnte es aber auch sein, dass vollzeitlich bei einer Unternehmung angestellte Anwälte in ihrer Freizeit gelegentlich einer unabhängigen Anwaltstätigkeit nachgehen möchten. Hier stellt sich nebst der Frage der Unabhängigkeit auch die Frage, wie der vollzeitlich bei einer Unternehmung angestellte Anwalt die Erreichbarkeit für seine Klienten sicherstellen möchte. Flexible Arbeitszeiten oder ein Sekretariat in einer Kanzleigemeinschaft könnten hier Abhilfe schaffen. Grundsätzlich gilt also, dass der Umstand einer Vollzeitanstellung nicht per se gegen die Zulässigkeit des Registereintrags spricht. Das Argument, wer vollzeitlich angestellt sei, biete mangels zeitlicher Kapazität keine Gewähr für eine korrekte Mandatsführung, trifft gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung so nicht zu. Denn nicht nur beim vollzeitlich angestellten Anwalt, sondern auch beim ausschliesslich freierwerbenden Anwalt besteht die Gefahr der Überlastung. Es ist nämlich so oder anders Sache des Anwalts, bei der Mandatsübernahme den Zeitbedarf, die Kapazitäten und auch die Wahrscheinlichkeit allfälliger Dringlichkeitssituationen abzuschätzen.
Gegen die Zulassung von Vollzeitangestellten zur nebenberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt lässt sich denn auch nicht einwenden, diese könnten sich der Pflicht zur Übernahme von Offizialmandaten entziehen. Einerseits stellt sich das Problem nur, wenn nicht genügend vollzeitlich freierwerbende Anwälte zur Verfügung stehen, die (finanziell) an derartigen Mandaten interessiert sind. Andererseits wird der nur nebenbei als freischaffender Anwalt Tätige die Übernahme solcher Mandate zwar nicht generell ablehnen dürfen, sich aber gegen eine übermässige entsprechende Beanspruchung legitimerweise zur Wehr setzen können.5 Die gewissenhafte Berufsausübung gebietet ihm ohnehin, sich nicht übermässig beanspruchen zu lassen, und gibt ihm auch die nötige Begründetheit zur Ablehnung amtlicher Mandate. Ausschlaggebend zur Zulassung zum Registereintrag ist also letztlich allein, ob der Anwalt darlegen kann, dass angesichts der Ausgestaltung seines Anstellungsverhältnisses keine Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit bzw. der gewissenhaften und allein im Interesse seiner Klienten liegenden Berufsausübung droht.6
Liberales Bundesgericht
Gestützt auf diese Auslegung von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA hat das Bundesgericht erklärt, einem vollzeitlich bei einem Industriebetrieb angestellten Anwalt, der in seiner Freizeit und mit ausdrücklicher Erlaubnis des Arbeitgebers private Mandate betreue, könne der Eintrag im kantonalen Anwaltsregister nicht verwehrt werden. Die Gefahr von Interessenkonflikten sei bei einer solchen Anstellung von vornherein viel kleiner als bei Tätigkeiten in Unternehmen, zu deren Aufgabenkreis die Beratung in Rechts- und Wirtschaftsfragen gehöre.7 Allerdings erachtete es den Eintrag im kantonalen Anwaltsregister auch bei einem vollzeitlich bei einer Versicherung angestellten Mitarbeiter als zulässig, der durch eine vertragliche Vereinbarung jede Vermischung zwischen arbeitsvertraglicher und anwaltlicher Tätigkeit ausgeschlossen hatte.8
Von den dargestellten Grundsätzen liess sich das Bundesgericht auch leiten, als es die Vereinbarkeit von Tätigkeiten für die öffentliche Hand mit der Anwaltstätigkeit mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz zu beurteilen hatte.9 Es erklärte es als unverhältnismässig, einer teilzeitlich an einem Aargauer Bezirksgericht angestellten Gerichtsschreiberin eine nebenamtliche Tätigkeit als Anwältin für das ganze Kantonsgebiet zu untersagen; eine Beschränkung der Anwaltstätigkeit auf Mandate ausserhalb der Zuständigkeit des fraglichen Bezirksgerichts sei ausreichend zur Wahrung der Unabhängigkeit.10 Die Rechtsprechung hält überdies – mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit – eine Anwaltstätigkeit mit einem nebenamtlichen Richteramt grundsätzlich für vereinbar.11
Fehlende Unabhängigkeit
Ein Anwalt, der bei einem Arbeitgeber angestellt ist, der selber nicht im Anwaltsregister eingetragen ist, kann die vom BGFA verlangte Unabhängigkeit aufweisen, wenn er seine Anwaltstätigkeit ausserhalb dieses Angestelltenverhältnisses ausübt und sich auf Mandate beschränkt, die auch klar ausserhalb des Tätigkeitsbereichs seines Arbeitgebers liegen. Für eine derartige teilzeitliche selbständige Anwaltstätigkeit besteht daher Anspruch auf Eintragung ins Register, sofern die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.12
Es ist in einer solchen Konstellation aber wichtig, sämtliche Berührungspunkte zum Arbeitgeber zu vermeiden. Konkret bedeutet dies, dass der angestellte Anwalt weder seinen Arbeitgeber noch dessen Geschäftspartner oder Kunden vertreten darf. Zudem ist der Anwaltstätigkeit in separaten Räumlichkeiten nachzugehen, es muss eine komplette räumliche Trennung zwischen der Anwaltstätigkeit und der Anstellung vorliegen. Weitere mögliche Überlagerungen der beiden Tätigkeiten, die zu Interessenkonflikten führen können, sind im Einzelfall abzuschätzen und durch entsprechende Vorkehrungen zu vermeiden. Andernfalls kann die vom BGFA geforderte Unabhängigkeit nicht gewährleistet werden.
Bei einem so nebenberuflich tätigen Anwalt besteht die Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Bestimmung von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA, geht es doch bei dieser Bestimmung gerade darum, die Einflussnahme Dritter zu verhindern. Hingegen stellt die Einflussnahme von Personen, die selber im Anwaltsregister eingetragen sind, kein Problem dar.
Die Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit lässt sich widerlegen, indem aufgezeigt wird, dass die Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit bewirkt. Für den Registereintrag muss der angestellte Anwalt darlegen, dass die Ausgestaltung seiner beabsichtigten nebenberuflichen Anwaltstätigkeit eine komplette räumliche Trennung von seinem Arbeitsort aufweist, keine Klienten bedient werden, die im Zusammenhang mit seinem Angestelltenverhältnis stehen und seinem Arbeitgeber keinerlei Weisungsbefugnis in Bezug auf seine anwaltliche Tätigkeit zukommt. Kann der Anwalt diese organisatorischen Vorkehren aufzeigen, so kann er die Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit widerlegen und erfüllt damit die Voraussetzung von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA.
Schutz der Klienten
Solange jemand neben einer Anstellung freiberuflich als Anwalt tätig sein will, besteht zwar die Vermutung fehlender Unabhängigkeit, die sich jedoch durch entsprechende Nachweise widerlegen lässt. An die institutionelle Unabhängigkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA werden somit nicht allzu hohe Anforderungen gestellt.
Im Zentrum steht die viel weiter reichende Unabhängigkeit im Sinne von Art. 12 lit. b BGFA, welche die Berufsausübung immer begleitet. Während Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA als persönliche Voraussetzung für den Registereintrag nachzuweisen ist, gilt die Berufspflicht der Unabhängigkeit im Sinne von Art. 12 lit. b BGFA fortlaufend. Art. 12 lit. b BGFA verpflichtet den Anwalt während der Berufsausübung dauernd zur Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit im Sinne von Art. 12 lit. b BGFA ist fallbezogen, eine Verletzung dieser Pflicht kann ein Disziplinarverfahren nach sich ziehen. Kann die Unabhängigkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d hingegen nicht nachgewiesen werden, so ist eine Verweigerung des Registereintrages die Konsequenz. Der Anwalt hat damit noch nicht gegen eine Berufspflicht verstossen. Insofern kommt Art. 12 lit. b BGFA in der Praxis eine stärkere Bedeutung zu, weil diese Bestimmung den Klienten im Einzelfall konkret schützt.
Eintragspflicht für gerichtlich tätige Anwälte
Gemäss Art. 5 BGFA führt jeder Kanton ein Register der Anwältinnen und Anwälte, die über eine Geschäftsadresse im entsprechenden Kanton verfügen und die Voraussetzungen nach den Art. 7 (fachliche Voraussetzungen) und Art. 8 (persönliche Voraussetzungen) BGFA erfüllen. Verpflichtet zur Eintragung in ein kantonales Register sind nur diejenigen Anwältinnen und Anwälte, die Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten wollen (Art. 6 BGFA). Ohne Eintragung im Anwaltsregister können Anwälte zudem nicht vor Bundesgericht auftreten. Anwältinnen und Anwälte, die in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind, können folglich in der ganzen Schweiz ohne weitere Bewilligung Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten (Art. 4 BGFA). Für die beratende Anwaltstätigkeit wird keine Eintragung ins Anwaltsregister verlangt. Das BGFA ist auf die forensische Anwaltstätigkeit ausgerichtet.
Den Eintrag im Anwaltsregister haben die Anwältinnen und Anwälte im Geschäftsverkehr anzugeben (Art. 11 Abs. 2 BGFA). Nach Art. 10 Abs. 2 BGFA hat jede Person ein Recht auf Auskunft, ob eine Anwältin oder ein Anwalt im Register eingetragen ist und ob gegen sie oder ihn ein Berufsausübungsverbot verhängt ist. Das Register bietet damit gegenüber den Klienten Gewähr dafür, dass die eingetragenen Anwältinnen und Anwälte über die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen im Sinne von Art. 7 und 8 BGFA verfügen, insbesondere also, dass sie ein Anwaltspatent haben, handlungsfähig sind, keine strafrechtliche Verurteilung und keine Verlustscheine gegen sie vorliegen und dass sie ihre Anwaltstätigkeit unabhängig ausüben.
1 Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA.
2 BGE 130 II 87 E. 4.1.
3 Botschaft zum BGFA vom 28.4.1999, S. 6033 ff.; S. 6054.
4 Walter Fellmann, Anwaltsrecht, Bern 2010, N 265.
5 Vgl. Urteil 2P.248/2001 vom 20.12.2001, publ. in: Pra 91/2002 Nr. 50, S. 267.
6 BGE 130 II 87 E. 6.2.