Die einzige formelle Voraussetzung für eine Wahl zum Bundesrichter ist die Stimmberechtigung – und das richtige Parteibuch. So liest sich denn die parteipolitische Zusammensetzung der 38 Bundesrichter (13 davon Frauen) wie die Zauberformel einer sehr grossen Koalition: 10 SVP, 9 SP, 7 CVP, 6 FDP, 4 GPS, 1 GLP, 1 BDP.
Eine juristische Ausbildung wird nicht vorausgesetzt. In der Praxis werden jedoch nur erfahrene Juristen gewählt. Zusätzlich werden sprachliche und regionale Kriterien beachtet. Zurzeit gibt es 23 deutschsprechende, 12 französisch- und 3 italienischsprachige Bundesrichter.
Das Parteibuch der Kandidaten ist wichtig, weil die Sitze im Bundesgericht unter den Parteien gemäss ihrer Wählerstärke aufgeteilt werden. Sie wählen die Kandidaten aus, die in der Folge von der Gerichtskommission geprüft und schliesslich von der Bundesversammlung gewählt werden. Wer nicht Mitglied einer Partei ist, respektive sich zumindest zu einer bekennt, hat keine Chance, einen der Richtersitze zu ergattern. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre, Wiederwahlen sind üblich. Spätestens mit dem Erreichen des 68. Lebensjahres scheiden die Richter aus dem Amt aus.
Auch in den meisten Kantonen bestimmen die politischen Parteien über die Zusammensetzung der Gerichte. Die Kantonsparlamente wählen die Richter und schauen auch dort, dass die Parteien gemäss ihrem Wähleranteil im Gremium vertreten sind.
Seit 1953 kein Richter ohne Parteibindung mehr
Das war nicht immer so: Nach der Gründung des Bundesgerichts im Jahr 1848 gab es elf nebenamtliche Bundesrichter, die von der Bundesversammlung auf drei Jahre gewählt wurden. Erst mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 wurde das Bundesgericht zu einem ständigen Gericht mit Sitz in Lausanne und neun vollamtlichen Bundesrichtern. Die Zahl der Richter nahm seither kontinuierlich zu.
Zu Beginn des neu gegründeten Bundesstaates betrug der Anteil parteiloser Richter teilweise über 60 Prozent. Diese Zahl nahm jedoch stetig ab. In den 1920er-Jahren waren noch fast 30 Prozent der Bundesrichter parteilos, im Verlauf der 1940er- und 1950er-Jahre sank der Anteil auf null. Seit 1953 wurde gemäss der Studie «Richterwahlen in der Schweiz: Eine empirische Analyse der Wahlen an das Bundesgericht von 1848 bis 2013» von Adrian Vatter und Maya Ackermann kein Richter ohne Parteibindung mehr gewählt.
Bemerkenswert ist die lang andauernde Dominanz des Freisinns. Im Jahr 1893 stellte er 57 Prozent der Bundesrichter – ein Rekord. Mit der Einführung des Proporzwahlrechts für den Nationalrat 1919 nahm die freisinnige Dominanz am Bundesgericht ab. Trotzdem stellte die Partei Ende der 1960er-Jahre immer noch rund 35 Prozent der Bundesrichter. Demgegenüber waren die Katholisch-Konservativen am Bundesgericht lange Zeit schwach vertreten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelang es diesen, mehr Bundesrichtersitze zu ergattern.
Zu Beginn der 1930er-Jahre steigen die Sozialdemokraten zur stärksten politischen Kraft auf, bleiben jedoch am Bundesgericht lange Zeit untervertreten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielt die SP eine ihrer Wählerstärke angemessene Vertretung am obersten Gericht. Ab Ende der 1940er-Jahre verfügte sie über einen Anteil von über 20 Prozent der obersten Richter.
Ab den 1990er-Jahren steigt dank der Wahlerfolge die Zahl der SVP-Bundesrichter stark an. Ihr Anteil verdreifacht sich innerhalb von zehn Jahren von 10 Prozent auf rund 30 Prozent. 1998 wird der erste Grüne Bundesrichter gewählt, seit 2014 sitzen mit Felix Schöbi ein Angehöriger der BDP und mit Stephan Haag ein Vertreter der GLP im Bundesgericht.
In Deutschland auf Lebenszeit ernannt
Die Schweiz ist das einzige Land Europas, das seine Richter nach Parteiproporz bestimmt. Mehr noch: «In vielen Ländern ist es den Richtern sogar verboten, einer Partei anzugehören», sagt Stephan Gass, Kantonsrichter Baselland und Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Auch die periodische Wiederwahl der obersten Richter durch das Parlament wird sonst in Europa kaum noch praktiziert.
In Deutschland ist der Bundesgerichtshof das höchste Gericht auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit und damit letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren. Die Richter dieses Gerichts werden von einem Richterwahlausschuss gewählt, welchem die Justizminister der Länder und 16 vom Bundestag gewählte Mitglieder angehören.
Ihre Parteizugehörigkeit spielt gemäss Gass bei der ordentlichen Wahl keine Rolle. Kandidaten können vom Bundesjustizminister und von den Mitgliedern des Richterwahlausschusses vorgeschlagen werden. Der Bundesgerichtshof gibt durch seinen Präsidialrat eine Stellungnahme zur persönlichen und fachlichen Eignung der Vorgeschlagenen ab, die für den Richterwahlausschuss aber nicht bindend ist. Der Richterwahlausschuss entscheidet in geheimer Abstimmung mit dem einfachen Mehr. Nach ihrer Wahl werden die Richter des Bundesgerichtshofs auf Lebenszeit ernannt. Sie können also vor Erreichen des Renteneintrittsalters nur aufgrund schwerwiegender Verstösse aus dem Amt entfernt werden.
In Österreich ist der Oberste Gerichtshof die höchste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Die Ernennung der Richter erfolgt durch den Justizminister – anhand eines Dreiervorschlags des Personalsenats des Obersten Gerichtshofs. Der Justizminister ist zwar an den Dreiervorschlag nicht gebunden, hält sich jedoch de facto daran.
Parteilose haben heute keine Chancen
Zurück zur Schweiz: Mit der Wahl durch das Parlament geht eine parteipolitische Abhängigkeit der Richter einher. Diese haben ihrer Partei jährlich eine obligatorische Parteisteuer zu leisten, die je nach Partei und Amt unterschiedlich hoch sein kann. Weiter bewirkt die heutige Wahlpraxis, dass parteilose Kandidaten trotz hervorragender Qualifikation und grosser Erfahrung unberücksichtigt bleiben. Das Gleiche gilt für Kandidaten mit falscher Parteizugehörigkeit, wenn der frei werdende Sitz einer anderen Partei zufällt. Sprich: Das richtige Parteibuch ist viel wichtiger als die fachliche Qualifikation.
Es erstaunt daher nicht, wenn Richter einer Partei nicht aus Überzeugung beitreten, sondern aus beruflichen Gründen, nämlich um überhaupt Wahlchancen zu haben oder diese zu erhöhen.
Die relativ kurze Amtsdauer und die regelmässigen Wiederwahlen erhöhen gemäss Gass den von den Parteien verursachten Konformitätsdruck auf die Richter bei politisch und gesellschaftlich umstrittenen Fällen. Das beeinträchtigt die Entscheidungsfreiheit der Richter.
Dadurch, dass sich Bundesrichter der Wiederwahl stellen müssen, wird deren Abhängigkeit zusätzlich akzentuiert. Sie sind dem ständigen Risiko ausgesetzt, abgewählt zu werden, wenn ihre Entscheide einer Mehrheit im Parlament nicht passen.
Zu einer Abwahl – mit anschliessender Wiederwahl – eines Bundesrichters kam es in den letzten dreissig Jahren allerdings nur einmal: 1990 wurde Bundesrichter Martin Schubarth abgewählt, eine Woche später aber wiedergewählt.
Verbreiteter als die Abwahl von Bundesrichtern ist das Verteilen von Denkzetteln durch die Parlamentarier: Diese wählen Bundesrichter, die an umstrittenen Entscheiden mitwirken, mit (deutlich) weniger Stimmen als ihre Kollegen.
An Änderungsvorschlägen fehlt es nicht: Statt der Parteizugehörigkeit könnten fachliche Qualifikationen für Richterämter massgebend sein. Doch die Schweiz kennt heute keine Ausbildung für Richter. Möglicherweise wäre es aber sinnvoll, das erfolgreiche Absolvieren eines speziellen Lehrgangs zur Voraussetzung für ein Richteramt zu machen.
Der Zürcher Rechtsanwalt Mark Livschitz schlägt vor, dass Richter eine Richterprüfung oder die Anwaltsprüfung ablegen sollten. Ausserdem sollten nur Leute mit mehrjähriger Erfahrung in der Advokatur oder Privatwirtschaft zum Richteramt zugelassen werden, um – so Livschitz – hinreichende Sozialkompetenz und genügendes Verständnis für wirtschaftliche Problemstellungen zu gewährleisten.
Stephan Gass schlägt vor, einen Justizrat oder ein ähnliches, vom Parlament unabhängiges Fachgremium einzurichten, das ein Bewerbungsverfahren durchführen, die Richterkandidaturen prüfen und der Wahlbehörde die geeigneten Kandidaten vorschlagen würde. «Wahlbehörde sollte aber weiterhin das Parlament sein.»
Auch Benjamin Schindler, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich, macht sich dafür stark, dass weiterhin das Parlament die Bundesrichter wählt. Er schlägt aber vor: «Ein Drittel der Kandidaten sollte durch das Bundesgericht statt durch die Parteien vorgeschlagen werden.» So hätten nämlich auch parteilose Kandidaten Chancen auf das Richteramt.
Lange Amtsdauer würde Unabhängigkeit stärken
Der Basler Staatsrechtsprofessor Markus Schefer fordert: «Ich plädiere für eine fixe Amtsdauer von fünfzehn oder achtzehn Jahren ohne Möglichkeit der Wiederwahl.» Auch Schindler empfindet es als problematisch, dass sich die Bundesrichter alle sechs Jahre der Wiederwahl stellen müssen. «Obwohl die Richter die Wiederwahl in aller Regel problemlos schaffen, birgt dieses Damoklesschwert die Gefahr, dass Richter politischem Druck ausgesetzt werden könnten, was der Unabhängigkeit der Justiz schadet.» Er macht sich daher ebenfalls für eine einmalige Wahl mit einer bestimmten Amtszeit stark.
Auch die schweizerische Richtervereinigung befürwortet, dass Richter bis zum Erreichen des Pensionsalters gewählt werden. Der Kanton Freiburg hat ein solches System: Hier erfolgt eine einmalige Richterernennung durch das Parlament auf unbestimmte Dauer bei einem gleichzeitig klar normierten Amtsenthebungsverfahren.
Bislang konnte sich kein Änderungsvorschlag durchsetzen. Dies dürfte den Parteien gefallen: Das jetzige System sichert ihnen nämlich praktisch das Monopol auf die Besetzung der Gerichte. Sie sind daher nicht an einer Änderung dieses Systems interessiert.
Bundesrichter: Voraussetzungen für die Wählbarkeit
Einzige formelle Voraussetzung für die Wählbarkeit als Bundesrichter ist die Stimmberechtigung in der Schweiz (Artikel 143 in Verbindung mit Artikel 136 Absatz 1 BV). Eine juristische Ausbildung wird nicht vorausgesetzt.
Im Sinne der Gewaltentrennung ist das Amt des Bundesrichters mit der Mitgliedschaft in einer anderen Behörde oder einem Amt des Bundes unvereinbar. Das heisst: Bundesrichter – auch nebenamtliche – dürfen nicht zugleich Mitglieder des National-, des Stände- oder des Bundesrats sein (Artikel 144 Absatz 1 BV).