Marcel Alexander Niggli, 62, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Freiburg, hält das Anwaltsgeheimnis hoch. In seinem Gutachten an den Schweizerischen Anwaltsverband (SAV) vom Oktober 2022 beurteilte er ein Verbot, das Anwälten die Erbringung von juristischen Dienstleistungen an russische Personen untersagt, aus rechtsstaatlicher Sicht als «höchst problematisch». Auch der Anspruch auf rechtliches Gehör wäre gemäss Niggli verletzt. Der Bundesrat sah es anders. Er verschärfte am 23. November 2022 die Sanktionen gegen Russland, indem er weitere EU-Massnahmen übernahm. In einer Verordnung untersagte er, russische Firmen und Organisationen juristisch zu beraten. Ausgenommen sind Dienstleistungen, die für die Interessenwahrung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren erforderlich sind.
Nigglis Gutachten kritisierte, «eine Trennung anwaltlicher Tätigkeiten in einerseits erlaubte Prozessvertretung und andererseits unerlaubte Beratung» sei «ohne Verletzung von Anwalts- und Berufsgeheimnis kaum erreichbar». Beratung werde oft «im Hinblick auf mögliche Rechtsvertretung geleistet». Und die Einhaltung des Anwaltsgeheimnisses sei eine gesetzliche Pflicht. Der Bundesrat könne es nicht durch eine Verordnung ausser Kraft setzen.
Stephan Zimmerli, 51, Rechtsanwalt aus Luzern, wurde mit einer politisch delikaten Aufgabe betraut. Er ist Sonderermittler Nummer zwei, der im Auftrag der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) das Strafverfahren gegen den Sonderermittler Nummer eins, Peter Marti, führen soll. Marti prüft im Auftrag des Bundes mögliche Amtsgeheimnisverletzungen im Fall Crypto AG. Er weitete das Verfahren auf mögliche Amtsgeheimnisverletzungen des Bundesamts für Gesundheit aus. Marti liess Peter Lauener, den ehemaligen Medienchef von Bundesrat Alain Berset (SP), festnehmen. Lauener reagierte mit einer Strafanzeige gegen Marti wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung.
Weshalb setzte die AB-BA als ausserordentlichen Staatsanwalt nun ausgerechnet Stephan Zimmerli ein? Auf Anfrage bleibt die AB-BA vage und verweist auf eine «weder verbindliche noch abschliessende Liste von Fachpersonen». Zimmerli selbst sagt auf Anfrage nur: «Die Anwaltswelt, insbesondere jene der Spezialisten mit langjähriger strafprozessualer Erfahrung, ist überschaubar.» Ein Kenner der Branche vermutet, dass die Luzerner Rechtsanwältin Luzia Vetterli den Kontakt zu Zimmerli herstellte. Sie gehört der AB-BA an und ist wie Zimmerli amtliche Strafverteidigerin im Kanton Luzern.
René Ernst, 62, Präsident des Strafgerichts Basel-Stadt (SP), beschert dem kantonalen Appellationsgericht viel Arbeit. Die obere kantonale Instanz hatte verschiedene Ausstandsgesuche gegen Ernst und weitere Richter abgewiesen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerden gegen die Entscheide des Appellationsgerichts Mitte Dezember gut. Dieses muss nun nochmals über die Bücher.
Ernst hatte im Zusammenhang mit den «Basel-nazifrei-Prozessen» der «Basler Zeitung» im Herbst 2020 ein Interview gegeben. Unter anderem sagte er damals, dass die an der «Basel-nazifrei-Demo» vom November 2018 angewandte Gewalt «massiv» gewesen sei und sich «nicht rechtfertigen» lasse. Zu diesem Zeitpunkt waren aber noch nicht alle Verfahren vor dem Strafgericht abgeschlossen. Es stellte sich die Frage der Befangenheit der andern Richter, da das Interview mit Ernst nach Absprache mit dessen Richterkollegen erfolgt sein soll. Die Beschuldigten der «Nazifrei-Prozesse» hatten deshalb Ausstandsgesuche gegen das gesamte Strafgericht gestellt.
Gemäss Bundesgericht stellt sich die Frage, ob die vom Ausstandsbegehren betroffenen Richterkollegen von Ernst sich dessen öffentliche Aussagen aufgrund einer Absprache zu eigen gemacht hätten. Dies habe die Vorinstanz nicht abgeklärt.