Karin Keller-Sutter, 57, Bundesrätin (FDP), weiss bereits, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden würde, wenn er das «Gesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus» (PMT) beurteilen müsste. Die Gegner des am 13. Juni zur Abstimmung kommenden Gesetzes kündigten an, bei einem Volks-Ja nach Strassburg zu gelangen. Das Gesetz verstosse klar gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
Keller-Sutter sieht einer Beschwerde gelassen entgegen: «Wir sind zum Schluss gekommen, dass das vorgeschlagene Gesetz keinen Verstoss gegen die EMRK oder die Kinderrechtskonvention darstellt», sagte die Bundesrätin in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Rund 60 Schweizer Rechtsgelehrte kamen allerdings zu einer anderen Einschätzung. Sie sprachen sich in einem offenen Brief gegen die Vorlage aus und erhielten unter anderem Unterstützung von Nils Melzer, dem Uno-Sonderberichterstatter für Folter. Die Hauptkritikpunkte: Schwammige Begriffe wie «terroristischer Gefährder» sowie der Umstand, dass Massnahmen wie Meldeauflagen, Kontaktverbote oder Hausarrest präventiv auch gegen Minderjährige verhängt werden können. «Das sind keine grossen Einschränkungen», sagte Keller-Sutter lapidar dazu.
Thomas Hefti, 61, FDP-Ständerat und Rechtsanwalt, hat mit Medienrecht eigentlich nicht viel am Hut. In seinem Heimatkanton Glarus kümmert sich der ehemalige Gemeindepräsident von Glarus Süd eher um Erbverträge oder Testamente. Kürzlich aber wurde Hefti Auslöser einer medienpolitischen Kontroverse: Er beantragte in der Rechtskommission des Ständerats eine Verschärfung von Artikel 266 der Zivilprozessordnung, der vorsorgliche Massnahmen gegen Medien regelt. Laut geltendem Recht wird dafür vorausgesetzt, dass dem Kläger ein «besonders schwerer Nachteil» droht. Hefti möchte das Wort «besonders» streichen. Die Kommission folgte seinem Antrag.
Weshalb wurde diese Sache für den medienrechtlich kaum bewanderten Hefti zur Herzensangelegenheit? Artikel 266 sei ihm «im Rahmen einer Zehnjahresbilanz der Zivilprozessordnung negativ ins Auge gestochen», sagt Hefti zu plädoyer.
Der Zürcher Rechtsanwalt und Medienrechtler Matthias Schwaibold bezeichnet den Entscheid der Rechtskommission als «Attentat auf die Meinungsfreiheit». Kläger müssten neu nur noch einen «schweren Nachteil» geltend machen, um einen Medienbeitrag über sie verbieten zu können. Es gebe aber keinen Grund, die Meinungsfreiheit zu schwächen und die Zensur zu stärken.
Margit Osterloh, 77, emeritierte Wirtschaftsprofessorin der Universität Zürich, hat die Auswirkungen von Losentscheiden auf Unternehmen untersucht. Was passiert, wenn Vorgesetzte per Los gewählt statt ernannt werden? Das Resultat lässt aufhorchen – vor allem auch im Hinblick auf die Justizinitiative, die fordert, dass Bundesrichter künftig per Los gewählt werden. Fazit der Studie: Ausgeloste Chefs seien weniger überheblich und sozialer, sagt die Ökonomin. Der per Losentscheid gewählten Person sei bewusst, dass sie ihre Position nicht einzig ihrer Leistung zu verdanken habe. Deshalb bilde sie sich weniger darauf ein. Das führe automatisch zu besseren Chefs.
Die Forschungsgruppe um Margit Osterloh und Katja Rost zeigte an einem historischen Beispiel auf, welche Konsequenzen Losentscheide haben können. Professoren seien im 18. Jahrhundert an der Universität Basel per Zufall gewählt worden. Die «Oberschichtenfamilien» der Stadt, welche die Universität beherrschten, führten die Wahl per Los ein, weil Qualität und Ruf der Universität wegen Vetternwirtschaft stark litten. Die Einführung der Zufallswahl führte dazu, dass die Familien stark an Einfluss verloren. Alte Seilschaften verschwanden, die Korruption wurde beseitigt. Auf die Justiz angewendet bedeutet dies, dass die Richterwahl per Los die Macht der Parteien reduzieren würde.