Das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) ist 1985 als zweitletztes Sozialversicherungsgesetz in Kraft getreten. Das BVG baut auf den gewachsenen Strukturen und Konzepten der beruflichen Vorsorge auf. Wer je ein Beispiel für die normative Kraft des Faktischen sucht, findet es hier: 1985 war es aufgrund der bestehenden Ausgestaltung schlicht nicht möglich, «die Pensionskasse Schweiz» zu konzipieren oder durchzusetzen. Es existierten nämlich bereits 17 000 Pensionskassen, in denen rund zwei Drittel aller Erwerbstätigen versichert waren. Daher wurde das BVG lediglich als Minimalgesetz konzipiert, das auf jeden Fall einzuhalten ist. Darüber hinaus sind weitergehende Finanzierungen und Leistungen üblich. Deshalb wird von der umhüllenden oder weitergehenden Vorsorge gesprochen, das Obligatorium ist bloss der Kern. Hier existiert ein gewisses Schisma. Der Kern ist Sozialversicherungsrecht, alles was darüber hinausgeht, ist Privatrecht. Dies zieht einige Schwierigkeiten nach sich.
Das Obligatorium enthält die Unterstellung unter die Versicherungspflicht für einen bestimmten Kreis von Angestellten. Es enthält Leistungen, die von der Vorsorgeeinrichtung zwingend zu erbringen, und Finanzierungen, die im Minimum vorzunehmen sind. Darüber hinaus – also in der umhüllenden Vorsorge – besteht Dispositionsfreiheit. Dies wiederum verursacht gewisse Schwierigkeiten bei der Interpretation, der Präsentation oder der Ausformulierung der Ansprüche.
Vorsorgeverhältnis: Die Entstehung
Im Obligatoriumsbereich entsteht das Vorsorgeverhältnis ex lege. Bei Beginn eines Arbeitsverhältnisses entsteht automatisch ein Vorsorgeverhältnis und damit ein Vorsorgeschutz – unabhängig davon, ob die betreffende Person bei einer Vorsorgeeinrichtung angemeldet wird. Die Konstellation ist ähnlich wie bei der AHV: Wenn keine Beiträge geleistet werden, bedeutet das nicht, dass auch kein Vorsorgeschutz besteht und keine Leistungen zu erwarten sind.
Im Überobligatorium entsteht das Vorsorgeverhältnis hingegen nicht ex lege, sondern auf vertraglicher Basis. Wie das? Es kann ja nicht mit jedem Einzelnen ein Vertrag abgeschlossen werden. Hier wird auf einer Fiktion aufgebaut: Die Entgegennahme des Reglements durch den Versicherten begründet das Vorsorgeverhältnis. Ein bis anhin nicht thematisiertes Problem entsteht, wenn jemand ein Reglement nicht entgegennimmt oder einzelne Bestimmungen daraus streicht. Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist nicht damit einverstanden, dass Gesundheitsvorbehalte angebracht werden. Ob trotz Dissens ein überobligatorischer Vorsorgeschutz entsteht, ist zweifelhaft. Doch weder Lehre noch Rechtsprechung haben diese Frage je thematisiert.
Was gehört zum versicherten Lohn?
In der beruflichen Vorsorge ist der nach AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn zu versichern (Art. 3 BVV2). Darunter fallen auch Überstundenentschädigung oder die Entschädigung der Sonntagsarbeit. In der AHV-Gesetzgebung besteht Limitierung des Lohnes, der zu versichern ist. Abgerechnet wird Ende Jahr der effektiv ausgerichtete Lohn. Die berufliche Vorsorge hingegen beruht auf dem Pränumerando-System (Art. 8 BVG i.V.m. Art 3 BVV2). Versichert wird somit jener Lohn, der mutmasslicherweise in Zukunft erzielt wird. Im Standardfall im nächsten Jahr.
Was passiert nun, wenn sich der Lohn im Laufe des Jahres signifikant ändert? Praxis und Rechtsprechung haben dazu die Regel entwickelt, dass Änderungen ab plus/minus 10 Prozent zu einer Anpassung führen. Wenn also aufgrund einer Pensenerhöhung im Frühjahr klar ist, dass sich der Lohn signifikant erhöht, stünde eine höhere Vorsorgeleistung an. Die Anpassung der Vorsorgeleistung kann nur erzielt werden, wenn eine Mutation unter dem Jahr stattfindet, d.h. eine Anpassung des versicherten Lohnes durchgeführt wird und damit höhere Leistungen versichert werden.
Nur gelegentlich anfallende Lohnbestandteile stellen AHV-Lohn dar, können aber reglementarisch von der Versicherung ausgeschlossen werden (Art. 3 Abs. 1 lit. a BVV2). Dabei stellt sich die heikle Frage, was unter diese Regelung fällt. Arbeitsvertraglich zugesicherte Entschädigungen, etwa für eine vereinbarte Sonntagsarbeit, sind nicht gelegentlich anfallende Lohnbestandteile, auch wenn nicht generell jeden Sonntag gearbeitet werden muss. Sie fallen vielmehr unter den Lohn, der in der beruflichen Vorsorge zu versichern ist (EVG-Urteil B 118/03 vom 17. November 2003).
Spannend ist die Frage beim Bonus: Fällt er gelegentlich an? In der Regel besteht ein Anspruch auf Bonuszahlungen, wenn dies im Arbeitsvertrag so vorgesehen ist. Solche Bonuszahlungen können im Obligatoriumsbereich nicht ausgeschlossen und müssen versichert werden, auch wenn die Höhe nicht genau bezifferbar ist. Im Überobligatorium hingegen kann ein stets anfallender Bonus reglementarisch ausgenommen werden (vgl. SVR 2009 BVG Nr. 15; SVR 2011 BVG Nr. 40).
Arbeitgeber ohne Vorsorgeeinrichtung
Das Konzept der beruflichen Vorsorge basiert auf einem äusserst liberalen Ansatz: Arbeitgeber können eine eigene Vorsorgeeinrichtung errichten, bei der sie ihr Personal versichern, oder sie schliessen sich einer Sammel- oder Gemeinschaftseinrichtung an (Art. 11 Abs. 1 BVG). Was geschieht, wenn sich ein Arbeitgeber keiner Vorsorgeeinrichtung anschliesst? Der Anschluss selbst – wie auch die Kündigung – bedarf der Zustimmung der Angestellten (Art. 11 Abs. 2 und 3bis BVG). Die AHV-Ausgleichskasse nimmt die Anschlusskontrolle vor. Falls kein Anschluss erfolgt, fordert die Auffangeinrichtung den Betrieb zu einem Anschluss innert zwei Monaten auf (Art. 11 Abs. 5 BVG). Wird kein Anschluss nachgewiesen, erfolgt ein Zwangsanschluss an die Stiftung Auffangeinrichtung. Diese tritt hoheitlich auf und verfügt den Anschluss (Art. 60 Abs. 2 lit. b BVG).
Was passiert, wenn bei einer versicherten Person ein Leistungsfall eintritt, bevor die Anschlusskontrolle durchgeführt wurde und der Arbeitgeber keiner Vorsorgeeinrichtung angeschlossen ist? In solchen Fällen wird das Anschlussverfahren gemäss Art. 11 Abs. 5 BVG in die Wege geleitet. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, sich einer Vorsorgeeinrichtung anzuschliessen. Die meisten Vorsorgeeinrichtungen werden dies jedoch ablehnen, da schon ein Leistungsfall ansteht, der finanziert werden muss. Findet der Arbeitgeber keine Vorsorgeeinrichtung, erfolgt der Zwangsanschluss an die Stiftung Auffangeinrichtung. Dabei muss der Arbeitgeber einen Zuschlag in der Höhe des Vierfachen der normalen Prämie für alle Nichtversicherten bezahlen (Art. 3 Abs. 3 VOAO). Diese Mehrfachprämie hat pönalen Charakter.
Stolpersteine bei der fristlosen Entlassung
Angenommen, ein Arbeitgeber spricht eine fristlose Entlassung aus und im Anschluss daran tritt eine Arbeitsunfähigkeit ein, die zu einer Invalidität führt. Die fristlose Entlassung wird angefochten und erweist sich als zu Unrecht ausgesprochen. Das Arbeitsverhältnis wie auch das Vorsorgeverhältnis endet rechtlich mit der fristlosen Entlassung (Art. 10 Abs. 2 lit. b BVG). Während einem Monat besteht noch eine Nachdeckung für die Schadenfälle Tod und Invalidität (Art. 10 Abs. 3 BVG).
Tritt die zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Nachdeckungsfrist, aber während der nicht angewendeten Kündigungsfrist ein, besteht somit kein Vorsorgeschutz (AJP 2002, 583 [B 55/99]). Art. 337c OR regelt, dass ein Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer fristlos ohne wichtigen Grund entlässt, diesem alles zu ersetzen hat, was er ohne fristlose Kündigung erhalten hätte. Damit stellt sich die Frage, ob dem zu Unrecht entlassenen Angestellten gegen den Arbeitgeber ein Schadenersatzanspruch in der Höhe der entfallenden Rentenleistungen zusteht. Die Kapitalisierung einer Invaliden- oder Hinterlassenenrente könnte zu ruinösen Konsequenzen für den Arbeitgeber führen. Eine Rechtsprechung zu dieser Problemstellung ist nicht bekannt.
Leistungsaufschub infolge Taggeld
Der Leistungsbeginn der beruflichen Vorsorge im Falle einer Invalidität ist an den Leistungsbeginn der IV gekoppelt. Dies ist die sogenannte Bindungswirkung, die in Art. 23 BVG festgelegt ist. Der Leistungsfall Invalidität, also der Zeitpunkt, ab dem zum ersten Mal Anspruch auf eine IV-Rente besteht, ist massgebend für den Leistungsbeginn der beruflichen Vorsorge. Zulässig ist jedoch ein Leistungsaufschub, solange der Versicherte den vollen Lohn erhält (Art. 26 Abs. 2 BVG) oder wenn Taggelder als Lohnersatz ausgerichtet werden. Die Vorsorgeeinrichtung kann den Anspruch auf Invalidenleistung bis zur Erschöpfung des Taggeldanspruchs aufschieben, wenn erstens der Versicherte anstelle des vollen Lohnes Taggelder der Krankenversicherung erhält, die mindestens 80 Prozent des entgangenen Lohnes betragen, und zweitens die Taggeldversicherung vom Arbeitgeber mindestens zur Hälfte mitfinanziert wurde (Art. 26 BVV2).
Die Vorsorgeeinrichtung wird ihren Leistungsbeginn reglementarisch mit dem Ende der Taggeldleistungen koordinieren und eine Wartefrist von 24 Monaten beachten. Dieser Aufschub führt dazu, dass die Beiträge an die Risikoversicherung tiefer ausfallen, da die Vorsorgeeinrichtung ihre Leistungen aufgrund des Leistungsbeginns der IV unter Berücksichtigung des Wartejahres ebenfalls erst ein Jahr später erbringen muss.
Ein Problem kann sich nun ergeben, wenn der Arbeitgeber eine Taggeldversicherung hat, jedoch deren Leistungsdauer von 720 auf 360 Tage kürzt und dabei vergisst, den vereinbarten Leistungsaufschub bei der Vorsorgeeinrichtung rückgängig zu machen. Die Vorsorgeeinrichtung wird aufgrund der eingetretenen Invalidität leistungspflichtig und muss ex lege durch die Bindungswirkung nach Ablauf des Wartejahres der IV die obligatorische Leistung erbringen. Dafür hat sie jedoch keine Risikobeiträge erhalten. Der Vorsorgeeinrichtung entsteht ein Schaden, der maximal in der Höhe von 12 monatlichen, obligatorischen Invalidenrenten liegt. Ihr steht ein Anspruch auf Schadenersatz gegenüber dem Arbeitgeber zu. Wird der Vertrag weitergeführt, besteht Anspruch auf das positive Vertragsinteresse. Wird er dagegen aufgelöst, besteht Anspruch auf Ersatz für den konkret eingetretenen Schaden.
In einem anderen Fall kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis vor Erschöpfen des Taggeldanspruchs und die Taggeldversicherung endet aufgrund der Vertragsbedingungen ebenfalls mit dem Arbeitsverhältnis. In diesem Fall muss die Vorsorgeeinrichtung ohne Deckung leisten, geschuldet ist wiederum das Obligatorium. Erneut steht ihr Schadenersatz zu.
Der Arbeitgeber verletzt unter Umständen aber auch die arbeitsvertragliche Zusage, bei Arbeitsunfähigkeit Taggeldleistungen während 720 Tagen zu erbringen. Der Wegfall einer arbeitsvertraglich zugesicherten Taggeldversicherung führt dazu, dass nebst der Schadenersatzforderung der Vorsorgeeinrichtung auch ein Schadenersatzanspruch des Angestellten aus Arbeitsvertrag besteht.
Dieser Beitrag basiert auf einem Referat, gehalten anlässlich des Seminars «Aktuelle Probleme des Arbeitsrechts» des Europa-Instituts der Universität Zürich am 2. Juni 2015.