Gabriel Püntener hat ein Erfolgsgeheimnis: «Mit dem Kopf schneller denken als mit dem Herz.» Seine Erklärung dazu: Es gebe zwar engagierte Anwälte im Asylbereich. Aber die meisten würden mit so viel Herz und Emotionalität an die Fälle herangehen, dass sie dabei oft die simpelste juristische Regel vergessen: «Es fehlen ihnen in der Beschwerde die guten Argumente.» So könnten sie den Leuten nicht helfen.
Dieses Problem hat Püntener nicht. Der 55-Jährige zählt zu den hartnäckigsten Asylanwälten der Schweiz. Und er ist einer der erfolgreichsten. So schrieb der «Tages-Anzeiger»: «Keiner hat in den letzten zehn Jahren mehr Asylbeschwerden vor Gericht gewonnen – wie eine computergestützte Analyse aller Asylurteile des St. Galler Bundesverwaltungsgerichts zeigt. Über zweihundert Sri Lanker, Kurden, Kosovaren, Iraner, Iraker oder Syrer leben dank Püntener heute in der Schweiz – obwohl die Asylbehörde ihre Anträge erstinstanzlich abgelehnt hatte.»
Püntener erreichte, dass das Staatssekretariat für Migration einen Ausschaffungsstopp für Personen nach Sri Lanka einführte, weil er über die politisch-gesellschaftliche Lage in Sri Lanka besser informiert war als der Bund selbst. Püntener sagt stolz: «Am Ende haben mehr als 1400 verfolgte Personen Asyl in der Schweiz bekommen.»
Acht Studenten erstellen Länderanalysen
Püntener stützt sich bei seiner Arbeit auf einen grossen Erfahrungsschatz. Am 24. Mai 1988, erinnert er sich, übernahm er sein erstes amtliches Mandat. Mittlerweile arbeitet er seit mehr als 28 Jahren als Fürsprecher.
Sein Arbeitsplatz in Bern gleicht mehr einer Denkfabrik als einer Anwaltskanzlei. Acht junge Studenten teilen sich ein Arbeitspensum von 300 Prozent. Sie recherchieren, erstellen Länderanalysen oder arbeiten an Fällen.
Püntener selbst arbeitet maximal 35 Stunden in der Woche. Er kann nur drei Stunden ununterbrochen arbeiten – dann muss er sich hinlegen und ruhen. Dies wegen eines schweren Reitunfalls, den er vor 19 Jahren erlitt. «Wenn ich aber arbeite, dann explodiere ich regelrecht.» Oft starte er um 5 Uhr morgens und bleibe bis 19 Uhr im Büro. «Dazwischen mache ich immer genug Pausen mit Gymnastik. Und ich arbeite sieben Tage die Woche.»
An einem Wochentag hat er seinen «Papa-Tag». Püntener wurde vor drei Jahren zum dritten Mal Vater. Er lebt in Bern, dem «liberalsten und freisten Ort» der Schweiz, wie er sagt. Nach Berndeutsch klingt es jedoch nicht, wenn er redet. Püntener ist in Steinhausen im Kanton Zug geboren und aufgewachsen, damals ein 800-Seelen-Dorf. Die Familie wählte stramm konservativ und war streng katholisch. Die Erziehung ebenso. Der junge Gabriel empfand die Lebensstrukturen als «bedrückend und erdrückend»: «Es war sehr einengend.» Er wollte so schnell es geht weg. In die grosse Stadt. «Dort, wo etwas los ist, wo etwas bewegt wird.» Püntener schreibt sich an der Uni Zürich ein und studiert Philosophie. Nebenbei arbeitet er als Journalist bei der «Zuger Zeitung». Später zieht er mit seiner damaligen Freundin nach Bern.
Weil er das Latein nicht nachholen will, bricht Püntener das Philosophiestudium ab und fängt ein Fürsprecherstudium an. In den Vorlesungen teilten sich die Studenten laut Püntener in zwei Gruppen: «Eine Fraktion bestand aus Männern mit langen Haaren und Bärten, die andere aus Studenten, die direkt mit der Uniform oder im Anzug kamen.» Links gegen Rechts. «Wir redeten nicht miteinander. Wir verabscheuten uns.» Püntener greift nach seinem Handy und zeigt ein Foto. Darauf zu sehen ist ein junger Mann, langes zerzaustets Haar, langer Bart, breites Grinsen. Ein Hippie? «Das bin ich! Das war die Zeit damals», sagt er. Als Student bewegte er sich rund um die Berner Knastgruppe und engagierte sich in der Berner Jugendbewegung, politisch bei der Zeitschrift «Bresche», dem Ableger der trotzkistischen Sozialistischen Arbeiterpartei SAP.
Heute trägt Püntener sein Haar kurz und ist glattrasiert. Geblieben ist sein spitzbübisches Lachen. Und das Büro. Hier hattte er schon als Praktikant für Willi Egloff gearbeitet. Otto Boss, ein Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei, hatte hier ebenfalls sein Büro. Püntener steht heute nach eigenen Aussagen politisch weder links noch rechts. Er bezeichnet sich als liberal. «Ich glaube aus tiefster Überzeugung an die Eigenverantwortlichkeit der Menschen.» Püntener trat in den Neunzigern aus der SP aus.
Diktat der Mittelmässigkeit beim Migrationsamt
«Kompliziert» ist seine Beziehung zum Bundesverwaltungsgericht und dem Staatssekretariat für Migration. Püntener kämpft gegen beide. Er redet sich in Rage, wenn es um die beiden Institutionen geht. Sein Hauptvorwurf: «Ich kann das Diktat der Mittelmässigkeit nicht ausstehen!» In beiden Häusern gebe es Leute, die eine lausige Arbeit machen würden. «Dies hat direkte Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Asylsuchenden.» Alles müsse beim Migrationsamt immer schneller ablaufen. Heute würden die Rechtsvertreter mit sehr limitierten Möglichkeiten und sehr kurzen Fristen kämpfen. «Wie sollen so noch sorgfältig Beweise gesammelt werden?», fragt Püntener.
Über das Bundesverwaltungsgericht regt er sich auf, weil vor allem mit Textbausteinen argumentiert werde. Seine Erfahrung: «Bei einem 30-seitigen Gerichtsurteil musst du lange nach etwas suchen, was wirklich fallbezogen ist.» Zudem würden die Richter die Asylsuchenden nie persönlich befragen.
Der Anwalt beklagt auch die Misstrauenskultur innerhalb des Migrationsamts und des Gerichts: «Überall wittern sie einen Rechtsmissbrauch.» Es werde nicht nach Beweisen gefragt, sondern einzig die Glaubhaftigkeit der Antragsteller geprüft. Obwohl im Gesetz stehe, «beweisen oder zumindest glaubhaft machen – ein klarer Vorrang des Beweises also», interessiere das weder die Richter noch die Mitarbeiter beim Migrationsamt. «Sie haben sich so sehr auf die Glaubhaftigkeit spezialisiert, dass das andere irrelevant ist.»
So liest er in den Entscheiden des Migrationsamts immer wieder Sätze, in denen im Stil argumentiert werde: «Ansonsten sei die Geschichte des Asylsuchenden widerspruchsfrei. Was aber nicht erstaunlich sei, denn wenn jemand eine Geschichte erfunden habe, schaue er, dass es keine Widersprüche gebe. Der Umstand, dass es keine Widersprüche gebe, sei wiederum ein Zeichen, dass es unglaubhaft sei.» Bei solcher Lektüre weiss Püntener, dass er auch in Zukunft alle Hände voll zu tun haben wird.