Wer mit Professor Thomas Gächter, 40, telefoniert, erwischt ihn oft zu Hause und hört seine vier Kinder im Hintergrund. In seinem kargen Büro an der Universität Zürich darauf angesprochen, meint der Delegierte für die akademische Nachwuchsförderung schmunzelnd: «Nachwuchs ist für mich nicht nur beruflich ein Thema, sondern offenbar auch eine Lebensphilosophie.» Wie so oft blitzt hier die Selbstironie hervor. Und doch hat die Aussage einen wahren Kern: Der Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht bezeichnet seine Familie als «existenzwesentlich».
Der in Zürich aufgewachsene Jurist fiel in seiner Familie mit dem Berufswunsch Professor auf, gab es doch bei den Gächters keine Akademiker. «Beschaulich», stellte sich Gächter als Gymnasiast seinen Traumberuf vor: «Ich habe gedacht, als Professor wandle man den ganzen Tag umher, überlege sich etwas und schreibe das ein paar Wochen später auf.» Das Recht interessierte ihn, «weil das sehr viel mit Sprache und politischen Zusammenhängen zu tun hat».
Er wurde Professor, wenn auch auf eine ungewöhnliche Weise. Doktorvater Alfred Kölz stellte bei der Lektüre von Gächters Dissertationsprojekt zum Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht fest, dass er eine Habilitation vor sich hatte. Glücklicherweise konnte der damals 31-jährige Gächter ein bereits publiziertes Werk zur vereinfachten Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge als Dissertation nachreichen.
Zwei Jahre später wurde Gächter zum ausserordentlichen Professor für Sozialversicherungsrecht ernannt. Beschaulich wurde sein Leben nicht. Seinen familiären Nachwuchs kann er jedenfalls nicht für seine Arbeit begeistern: «Mein zehnjähriger Sohn sagte, er wolle Medizin studieren. Für Jus müsste man zu viel arbeiten.»
Sein Ruf unter den Studenten belegt aber, dass Gächter den universitären Nachwuchs begeistern kann. Was ihm ein inneres Anliegen ist: «Wir haben an der Universität Zürich ein Potenzial, das wir nicht voll ausnutzen.» Erkannt worden sei das Problem vor einigen Jahren, als verschiedene Stellenbesetzungen stockten. «Es hiess, wir würden nur Deutsche berufen. Aber der einheimische Nachwuchs liess sich halt nicht hinter dem Ofen hervorzaubern», beantwortet Gächter eine Frage, bevor sie gestellt wurde. Die von Gächter geleitete Nachwuchsarbeitsgruppe schlug schliesslich verschiedene Massnahmen vor. Die wichtigste beginnt mit einer einfachen Gegenfrage: «Haben Sie sich schon überlegt, dazu eine Dissertation zu schreiben?», reagiert Gächter jeweils auf interessante Fragen in seiner Vorlesung.
Einen besonderen Fokus richtet Gächter auf die Frauen. Sie würden sich oft nicht zutrauen, eine Dissertation zu schreiben. Der neuralgische Punkt sei aber die Zeit nach der Promotion. Laut Gächter gehen hier die meisten Frauen für die Universität wegen ihres eigenen Nachwuchses verloren. Zusammen mit dem Gleichstellungsbüro der Universität Zürich hat er auch hier Massnahmen eingeleitet, unter anderem wurde bei der Unileitung eine ganz praktische Forderung deponiert: «Wenn wir wollen, dass Frauen habilitieren, brauchen wir Kindertagesstätten.»
Gächters Team ist bereits heute fast ausschliesslich weiblich. Den Vorwurf, er diskriminiere Männer, musste er sich dennoch nie anhören: «Und dass ich jemanden aus anderen als aus wissenschaftlichen Gründen angestellt habe, vermutet niemand: Dafür bin ich ein zu biederer Typ.» Gächter amüsiert sich über sich selbst.
Eine akademische Karriere hält Gächter aber für «eine ernste Angelegenheit»: «Früher war die Nachwuchsförderung ein Glücksfall. Heute ist das Verfahren kompetitiv.» Deswegen müsse eine akademische Karriere geplant sein. «Das eigene Schrifttum sowie Ausland- und Praxiserfahrung sind die zentralen Elemente», sagt der 40-Jährige. Er selber habe seine Karriere allerdings noch nicht so gezielt geplant. Sein Studienaufenthalt im belgischen Leuven beispielsweise stand nicht im Zeichen der Karriereplanung. «Ich wollte einfach mal weg», sagt er.
Die Praxiserfahrung war für Gächter ein wichtiges Element. Drei Jahre hat er als Gerichtssekretär am Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gearbeitet. Auch die meisten anderen Schweizer Professoren hätten uniexterne Berufserfahrung, betont Gächter: «Wir sind keine rein akademischen Gewächse.»
Und was hält der Professor vom Vorwurf, die Universität sei ein Elfenbeinturm? Er zuckt mit den Schultern: «Solange er nicht stimmt, ist mir dieser Vorwurf egal.» Akademische Arbeit habe auch in der Praxis ihren Wert, gibt er sich überzeugt. So sei eine Dissertation Beleg für eine Spezialisierung. «Die Partner international tätiger Kanzleien haben alle einen Doktortitel», sagt Gächter. Weil diese Anwälte jedoch für die Uni verloren sind, setzt sich der Nachwuchsförderer für mehr Hilfsassistentenstellen ein. «Weiss ein Anwalt aus eigener Erfahrung, was ihn an der Uni erwartet, lässt er sich eher zurückholen», sagt Gächter.
Gleichwohl sei für etablierte Anwälte eine Habilitation kurzfristig nicht attraktiv: «Wenn man bedenkt, wie viele Billable Hours darin stecken, können die sich ihre eigene Zeit nicht mehr leisten.» Für diejenigen, die sich den Luxus einer Habilitationsschrift dennoch leisten, zahle sich dies jedoch aus: «Wer das Gegenteil behauptet, hat noch nie die Honorarnoten von Titularprofessoren angeschaut», meint der Professor mit einem Augenzwinkern.
Hat Gächter nie mit dem Anwaltsberuf geliebäugelt? «Nein, ich bin nicht über Geld motivierbar», lautet die Antwort. «Was zählt, ist das Interesse.» Damit ist auch klar, welche Eigenschaft sich der Professor von seinen Studenten wünscht: «Neugierde.» Die hätten seine Studenten. Deswegen mag er auch nicht in das Klagelied über das Bologna-System einstimmen.
Manchmal werde zwar die Neugierde der Studenten leider überlagert von Bologna-typisch ökonomischen Überlegungen: «Einmal hat mir eine Studentin vorgerechnet, dass die sechs Credits des Gesundheitsrechts günstig seien, da das Lehrbuch nur 59 Franken koste», amüsiert sich Gächter.
Auch die Neugierde des Wissenschafters hat ihre Grenzen. Das zeigt sich am Schluss des Gespräches. Gächter ist von der Kamera des ihn porträtierenden Fotografen fasziniert: «Ich habe vierzig Kameras zu Hause, ein paar davon sind Leicas. Auf Digital habe ich nie umgestellt, das hat mich immer irritiert.» Sagt's und muss lachen. Über sich selbst.