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Plädoyer 1/13
04.02.2013
Letzte Aktualisierung:
04.10.2013
Viele Unternehmen haben dichtgemacht, die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent, bei Jungen bei über 50 Prozent. Familien kommen kaum über die Runden. Heizöl ist so teuer geworden, dass viele für diesen Winter keines gekauft haben und hoffen, mit Decken, Gasofen und Feuerholz durchzukommen.
In überfüllten Zivilgerichten wächst der Frust. Kläger, Angeklagte und Anwälte warten auf das Unabänderliche: Noch eine Vertagung, wieder ein n...
Viele Unternehmen haben dichtgemacht, die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent, bei Jungen bei über 50 Prozent. Familien kommen kaum über die Runden. Heizöl ist so teuer geworden, dass viele für diesen Winter keines gekauft haben und hoffen, mit Decken, Gasofen und Feuerholz durchzukommen.
In überfüllten Zivilgerichten wächst der Frust. Kläger, Angeklagte und Anwälte warten auf das Unabänderliche: Noch eine Vertagung, wieder ein neuer Termin. Ein Streik der Richter und Staatsanwälte als Protest gegen Gehaltskürzungen hat das verknöcherte Justizsystem fast lahmgelegt, verhandelt wird nur eine Stunde am Tag. So lautet die Berichterstattung über Griechenland. Vieles stimmt, vieles wird übertrieben. Tatsache ist, dass dieses Umfeld die Arbeit der Anwälte erschwert. Die durchschnittliche Wartezeit von der Klageeinreichung bis zur ersten Verhandlung beträgt heute in Athen mehr als fünfzehn Monate. Wenn der Verhandlungstermin mit einem Streik der Anwälte oder Richter zusammentrifft, wird ein neuer Termin rund sechs Monate später angesetzt.
Die Mehrheit der Gerichte ist als Folge einer Klageflut überlastet. Eine wenig zeitgemässe Gerichtsorganisa-tion verhindert eine speditive Klageerledigung. Mit der letzten Revision des Zivilprozesses 2011 wurde das Instrument der Mediation eingeführt. Im Gegensatz zur Schweiz, wo die meisten einfachen Sachverhalte durch einen Vergleich erledigt werden, wird in Griechenland verhandelt. Die Feststellung von Professor Kummer in seinem Werk zum Schweizer Zivilprozessrecht, wonach jeder Rechtsstreit ein soziales Übel sei, das durch Prozess, Mediation oder Vergleich beseitigt werden soll, findet im griechischen Gerichtsalltag leider keine vollständige Beachtung. Die Prozesserledigung durch Vergleich ist fast inexistent, in praktisch allen Streitigkeiten wird ein Urteil gefällt. Mit dem Instrument der Mediation wird versucht, diese Situation zu verbessern, damit Streitigkeiten auch aussergerichtlich gelöst werden können. Neben Anwälten, die entsprechende Zusatzausbildungen als Mediator benötigen, wird vor allem ein Mentalitätswandel notwendig sein, sodass alle Parteien den Sinn und Zweck einer vergleichsweisen Prozesserledigung erkennen können.
Andreas Gantenbein ist Schweizer Rechtsanwalt, lebt seit 1997 in Griechenland und betreibt seit 2008 eine Anwaltskanzlei in Athen. Dort bietet er Schweizer Privatpersonen und Unternehmen Rechtsberatung an, vorwiegend in privatrechtlichen Angelegenheiten.