Inhalt
Plädoyer 1/11
24.01.2011
Letzte Aktualisierung:
04.10.2013
Brief aus Boston
Alle sieben Jahre ist es den Professoren an der Universität St. Gallen vergönnt, ein sogenanntes «Sabbatical» zu nehmen - frei von Lehrverpflichtungen und Sitzungen. Ein solches Forschungssemester soll dazu dienen, ein grösseres Forschungsvorhaben zu realisieren, neue Forschungs- und Lehrideen zu entwickeln, aber auch im eigenen Interessensbereich wissenschaftlich «aufzutanken» und persönliche ­...
Brief aus Boston
Alle sieben Jahre ist es den Professoren an der Universität St. Gallen vergönnt, ein sogenanntes «Sabbatical» zu nehmen - frei von Lehrverpflichtungen und Sitzungen. Ein solches Forschungssemester soll dazu dienen, ein grösseres Forschungsvorhaben zu realisieren, neue Forschungs- und Lehrideen zu entwickeln, aber auch im eigenen Interessensbereich wissenschaftlich «aufzutanken» und persönliche Netzwerke zu pflegen.
Für mein «Sabbatical» habe ich mir zum Ziel gesetzt, zwei Themen, die mich in den letzten Jahren vor allem aus schweizerischer Sicht beschäftigt haben, aus internationaler und vergleichender Perspektive vertiefter anzugehen: Nämlich die Fragen rund um die Universitätsgovernance und -autonomie sowie der nun wieder aktuell gewordene Themenkomplex «Verfassung und Aussenpolitik». Es schien mir für dieses Vorhaben dienlich, das Forschungssemester an einer ausländischen Institution zu verbringen, die nicht nur ein ausgewähltes Kursangebot, sondern auch ein ideales Umfeld bietet für den kollegialen Erfahrungsaustausch.
Einen längeren Forschungsaufenthalt im Ausland kann man nicht wie eine Ferienreise angehen. Die Wahl der Institution hängt von den eigenen Erwartungen und einer entsprechenden Einladung ab. Da auch meine Frau wissenschaftlich tätig ist, galt es, auch ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Die Beziehung der HSG zur «Fletcher School of Law and Diplomacy» war in meinem Fall ein wichtiger Grund für die Wahl dieser Institution. Ein anderer wichtiger Faktor im Entscheidungsprozess waren unsere beiden Kinder (acht und zehn Jahre). Neben der Wahl des geeigneten Zeitpunktes und Aufenthaltsortes wie auch der passenden Wohnung stellte sich die Schulfrage. Wir haben uns für eine öffentliche Schule entschieden. Die Kinder sollten die Schule so erfahren, wie sie eben für die grosse Zahl amerikanischer Kinder ist: ein Gemisch unterschiedlicher ethnischer und sozialer Hintergründe, verschiedener Verhaltensweisen und Begabungen.
Der bald zu Ende gehende Forschungsaufenthalt in Boston war für mich wie für die ganze Familie bereichernd, intellektuell wie kulturell. Unsere Erwartungen sind mehr als erfüllt. Natürlich: Das Ganze ist ein «Trade-off» zwischen beruflichen und privaten Ansprüchen. Aber das ist ja auch zu Hause nicht ganz anders.
Bernhard Ehrenzeller ist Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Von 2002 bis 2010 war er auch Prorektor. Er verbringt derzeit als «Visiting Scholar» ein Forschungssemester an der «Fletcher School for Law and Diplomacy» in Boston/Medford, USA.