Meiner Meinung nach sollte ein Jus-Student Arbeitserfahrungen in ­einer Anwaltskanzlei gemacht haben, bevor er sich für oder gegen das Anpeilen des Patents entscheidet. Da dies bei mir aus verschiedenen Gründen in Zürich nicht geklappt hat, bin ich nun in Brüssel gelandet, wo ich während fünf Monaten in der Kanzlei Demolin Brulard Barthélémy (DBB) tätig bin.

Ebenso unkonventionell wie der Weg zum Praktikum war der ­Einstieg. Der Chef war drei Tage abwesend. Genaue Anweisungen? Fehlanzeige, tant pis. Inzwischen arbeite ich an verschiedenen ­Dossiers mit. So setze ich mich mit einer Publikation im Bereich des europäischen Insolvenzrechts aus­einander und werde für Fälle mit Schweizer Bezug beigezogen. Dieser Mix bringt mich dem EU-Recht näher und sorgt gleichzeitig dafür, dass ich meine Kenntnisse des Schweizer Rechts anwenden kann. Als frischgebackener Absolvent eines zweisprachigen Masters kann ich nun meine Französischkenntnisse auf Herz und Nieren prüfen lassen, was bislang vermutungsweise für alle Seiten zufriedenstellend erfolgte. Obwohl die fünf Monate nicht zum Praxisjahr zählen, das für die Anwaltsprüfung verlangt wird, bin ich ­sicher, dass mir die Erfahrungen auch in der Schweiz zum Vorteil gereichen werden. Grenzüber­schreitende Anknüpfungspunkte sind für die Schweiz alltäglich ­geworden. Das vermögen auch die vielen europakritischen Stimmen nicht zu ändern.

In Brüssel ist das Internationale allgegenwärtig und in der DNA der Stadt aufgegangen. Ob im Büro, auf den Strassen oder in den zahlreichen Bars und Cafés – überall vernimmt man unterschiedliche Sprachen. Die Stadt ist multikulturell. Bezeichnenderweise wohne ich mit einem italienischen Schuhverkäufer, einer französischen Kunststudentin und einem belgischen Physikdoktoranden zusammen.

Stets stelle ich fest, wie gut die Leute über die Schweiz Bescheid wissen – nicht erst seit dem 9. Februar. Etwas argwöhnisch wird die Europapolitik der Schweiz betrachtet. Wie oft ich die Frage nach dem Grund der Nichtmitgliedschaft in der EU gehört habe, konnte ich schon nach wenigen Tagen nicht mehr an einer Hand abzählen.

Jonas Racine hat an den Universitäten Zürich, Leiden (NL) und ­Lausanne studiert. Er ist in Brüssel bis Anfang August in der Anwalts­kanzlei Demolin Brulard Barthélémy tätig. Das Praktikum soll nicht zuletzt Erkenntnis­gewinne für den nächsten beruflichen Schritt bringen.