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Plädoyer 02/2016
29.03.2016
Nils Reimann
Nach drei Jahren eher geradlinigen Studierens wollte ich Eintönigkeit vermeiden. Ein Austauschsemester schien mir geeignet, um mich zumindest vorübergehend von den bekannten Strukturen zu lösen. Ohne vorher dort gewesen zu sein, zog es mich in den kühlen Norden Deutschlands.
Hier helfe man sich. Das sagte eine Bekannte, die unlängst nach Hamburg gezogen war. Als die ehrenamtliche Betreuungsstelle für Geflüchtete am Hauptbahnhof ...
Nach drei Jahren eher geradlinigen Studierens wollte ich Eintönigkeit vermeiden. Ein Austauschsemester schien mir geeignet, um mich zumindest vorübergehend von den bekannten Strukturen zu lösen. Ohne vorher dort gewesen zu sein, zog es mich in den kühlen Norden Deutschlands.
Hier helfe man sich. Das sagte eine Bekannte, die unlängst nach Hamburg gezogen war. Als die ehrenamtliche Betreuungsstelle für Geflüchtete am Hauptbahnhof auf den Mangel an Helfenden aufmerksam machte, leisteten innert kürzester Zeit über 300 Freiwillige dem Aufruf Folge. Und als ich mich mit einem Pappschild auf die Strasse stellte und darauf einigermassen unernst nach einem Zimmer für den nächsten Monat fragte, fand ich im ersten Passanten meinen zukünftigen Mitbewohner. So bewahrheitete sich die etwas romantisch anmutende Aussage eingangs ein Stück weit.
Dass man sich in der Hafenstadt von Gegenwind nicht so leicht beirren lässt, ist nicht zuletzt bei den Studentinnen und Studenten sichtbar. Nicht wenige geben der Verwirklichung hochschulpolitischer und sozialer Anliegen den Vorzug gegenüber einem Abschluss in der Regelstudienzeit. Auf Freiräume wird Wert gelegt. Die Folgen sind eine beachtliche Vielfalt in den Fakultäten und ein hoher Grad an Selbstverwaltung in der Universität.
Anders als viele andere Ideen haben jene der Bologna-Reform bisher an der juristischen Fakultät der UHH nicht Einzug gehalten: Das Studium wird noch immer mit Staatsexamen abgeschlossen und ist nicht in Bachelor und Master gegliedert, wie das in Europa sonst üblich ist. Dennoch knüpften meine Kurse aus dem Schwerpunkt Völkerrecht nahtlos an die Grundlagen aus dem bisherigen Studium an. Während eine Vertiefung zu Gender im Recht vielleicht gerade wegen der nur einstelligen Zahl Teilnehmender besonders Eindruck hinterliess, war ein Seminar zwecks Ausbildung zur studentischen Beratung im Flüchtlingsrecht erfreulich begehrt. Letzteres Beispiel könnte denn auch an weiteren Universitäten Schule machen.
Mit den Privilegien des Austauschstudierenden ausgestattet und in Abwesenheit von Sprachbarrieren habe ich Formen von Leben und Lernen gefunden, die sich mir zuvor nicht erschlossen hatten. Was zwischen den zwei Zugfahrten alles entstanden ist, wird sich in seiner Gesamtheit wohl erst noch zeigen.
Nils Reimann, 23, verbrachte das erste Semester seines Masterstudiums an der Universität Hamburg.