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Plädoyer 06/2021
29.11.2021
Letzte Aktualisierung:
13.12.2021
Manuela Hugentobler
«Warum ausgerechnet Kassel?», fragten mich eigentlich alle, denen ich von meinen Plänen erzählte. «Da gibts ja nicht einmal eine juristische Fakultät!» Gerade deswegen, denke ich, und versuche zu erklären, warum es mich begeistert, beim Fachgebiet Politische Theorie zu Gast zu sein. Das Fachgebiet erklärt seine eigene Existenz damit, «dass ein theoriefreier Zugang zu den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen unmög...
«Warum ausgerechnet Kassel?», fragten mich eigentlich alle, denen ich von meinen Plänen erzählte. «Da gibts ja nicht einmal eine juristische Fakultät!» Gerade deswegen, denke ich, und versuche zu erklären, warum es mich begeistert, beim Fachgebiet Politische Theorie zu Gast zu sein. Das Fachgebiet erklärt seine eigene Existenz damit, «dass ein theoriefreier Zugang zu den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen unmöglich ist». Bereits dieser Satz ist ein Versprechen: Hantiert man als Juristin doch tagtäglich mit ebendiesen Verhältnissen, verfügt aber über kaum theoretisches Handwerkszeug dafür.
Nun sitze ich wöchentlich im Adornoseminar, unterrichte feministische Rechtskritik und bin immer noch fasziniert von den Denkräumen, die sich hier auf eine ganz ungewohnte Weise eröffnen. An meiner Dissertation zu arbeiten und mich nicht ablenken zu lassen ist aber eine Herausforderung. Der Austausch hilft dabei, die eigenen Thesen differenzierter zu denken und doch verständlich zu formulieren. So gibt es für die Präzisierung der eigenen Kritik am Recht bekanntlich nichts Besseres als Studierende, denen Rechtsdogmatik so fremd ist wie mir die «Kasseler Ahle Worscht».
Einer der Schwerpunkte der politischen Theorie an der Universität Kassel ist die Rechtskritik. Darauf verweist auch die aufregende Vergangenheit der Universität. Sie wurde vor 50 Jahren als Reformhochschule gegründet. Die feudalen Strukturen der Traditionsuniversitäten sollten aufgebrochen und Hochschulbildung für alle zugänglich gemacht werden.
Das – so ein Gerücht – sei auch der Grund dafür, weshalb erst gar keine juristische Fakultät eingerichtet worden war. Zu gross wäre das Risiko gewesen, dass die Juristerei den Reformbestrebungen sogleich ein Ende gesetzt hätte. Umso dankbarer bin ich, als Juristin trotzdem teilhaben zu dürfen an einem Unialltag, der sich unablässig mit seinem historischen Kontext und den aktuellen politischen Verhältnissen auseinandersetzt.
Manuela Hugentobler, 33, promoviert zu «(Un-)Möglichkeiten der Partizipation – Demokratie, Diskriminierung und Verfassungsstaat» am Institut für öffentliches Recht der Universität Bern. Im Rahmen eines Doc.Mobility-Stipendiums verbringt sie ein Jahr am Fachgebiet Politische Theorie der Universität Kassel.