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Plädoyer 2/12
19.03.2012
Letzte Aktualisierung:
04.10.2013
Seit vergangenem August verbringe ich ein Forschungs-Sabbatical an der Singapore Management University (SMU), School of Law. Die SMU hat mich herzlich empfangen, mir ein Büro sowie Recherchetools zur Verfügung gestellt. Und so vertiefe ich mich gegenwärtig in die hiesige Rechtswelt.
Warum ausgerechnet Singapur? Ich möchte mich einerseits mit dem Common Law auseinandersetzen und andererseits, sozusagen als kleine rechtssoziologische Studie, beobachten, w...
Seit vergangenem August verbringe ich ein Forschungs-Sabbatical an der Singapore Management University (SMU), School of Law. Die SMU hat mich herzlich empfangen, mir ein Büro sowie Recherchetools zur Verfügung gestellt. Und so vertiefe ich mich gegenwärtig in die hiesige Rechtswelt.
Warum ausgerechnet Singapur? Ich möchte mich einerseits mit dem Common Law auseinandersetzen und andererseits, sozusagen als kleine rechtssoziologische Studie, beobachten, wie Singapur seit der Unabhängigkeit - also seit rund fünfzig Jahren - seine Rechtsordnung der eigenen Kultur angepasst hat.
Ein Blick in die lokalen Urteile zeigt, wie sehr die Gerichte im Privatrecht bemüht sind, dem englischen Vorbild zu folgen: Ausgiebig werden Präzedenzentscheide aus England zitiert, durchaus auch solche jüngsten Datums. Mein Interesse am Persönlichkeitsschutz hat mich allerdings rasch zur Erkenntnis geführt, dass gewisse Rechtsinstitute, etwa der Ehrenschutz, hier ganz andere Funktionen erfüllen als in Europa: In der Mehrzahl der Urteile geht es darum, Mitglieder der Regierung vor Kritik zu schützen. Praktischerweise hat die Verurteilung zu einer hohen Geldstrafen wegen «Defamation» zur Folge, dass ein betroffener Oppositionspolitiker automatisch von der Kandidatur für öffentliche Ämter ausgeschlossen ist.
Von der Meinungsäusserungsfreiheit, die in der Verfassung ausdrücklich verankert ist, ist auch sonst nur wenig zu spüren. Bei der Pressefreiheit etwa liegt Singapur abgeschlagen auf Platz 135. Während so der Ruf der regierenden Elite - ganz im konfuzianistischen Stil - hochgehalten wird, ist es umgekehrt mit dem Schutz der Privatsphäre des gewöhnlichen Bürgers (oder auch Professors) nicht weit her. Mehrfach hatte ich im Gespräch mit Kollegen den Eindruck, dass man aus Angst vor möglichen Repressalien kaum tiefgreifende Kritik an Politik und Justizsystem wagt. Ob nun wirklich alle Telefonleitungen der Uni abgehört und alle Mails gelesen werden, wie eine Professorin behauptete, werde ich wohl nie mit Sicherheit wissen. Angesichts diverser Möglichkeiten, Regierungskritiker ohne Gerichtsentscheid auf längere Zeit wegzusperren, verspüre ich wenig Lust, das System auf die Probe zu stellen. Diesen Brief jedenfalls schicke ich über einen sicheren Server in die Schweiz...
Regina E. Aebi-Müller ist Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Universität Luzern. Sie berichtet aus ihrem Forschungssemester an der «Singapore Management University» in Singapur.