Vor Inkrafttreten der eidgenössischen Strafprozessordnung ging man davon aus, dass das abgekürzte Verfahren eher eine Nischenexistenz führen wird. In den letzten fünf Jahren erwies sich diese Verfahrensart aber als weit praxisrelevanter als gedacht. Dies steht in Kontrast zur äusserst geringen gesetzlichen Regelungsdichte. Die StPO widmet dem abgekürzten Verfahren bloss fünf Artikel. Entsprechend gefordert ist die Praxis.
Irma Jaggi kommt das Verdienst zu, mit ihrem Werk einen Aspekt des abgekürzten Verfahrens detailliert abzuhandeln. Sie erörtert die Rolle des Gerichts bei Absprachen und bezieht dabei rechtsvergleichend Erfahrungen aus Deutschland und den USA ein. Jaggi geht differenziert auf zahlreiche Einzelfragen wie etwa die Abänderung der Anklageschrift vor Gericht oder die Dispensation der Beschuldigten von der Hauptverhandlung ein.
Die Dissertation ist damit eine Hilfestellung bei der Lösung praktischer Probleme in der Richterrolle beim abgekürzten Verfahren. Staatsanwälte, Strafverteidiger und insbesondere Richter werden nicht umhinkommen, das flüssig geschriebene Werk hierfür zu konsultieren.
Nach der Lektüre des Buchs von Jaggi bleibt indes der Eindruck, dass in einem Rechtsstaat der Gesetzgeber gefordert wäre, eine solide gesetzliche Grundlage zu schaffen. Zudem drängt sich die Frage auf, ob sich das abgekürzte Verfahren überhaupt sinnvoll in den kontinentaleuropäischen Strafprozess integrieren lässt.
Hier setzt die grundsätzlich angelegte Dissertation von Marion Lagler an. Sie geht der Frage nach, ob das abgekürzte Verfahren und das Strafbefehlsverfahren Ausdruck einer Überlastung der Strafjustiz oder erhöhter Punitivität sind. Das sehr lesenswerte, kritische Werk diskutiert die Fragestellung vor einem strafrechtshistorischen, rechtssoziologischen und rechtsphilosophischen Hintergrund und leistet überdies einen wertvollen dogmatischen Beitrag zu strafprozessrechtlichen Grundsatzfragen.
Irma Jaggi
Die strafprozessuale Absprache vor den Schranken des Gerichts. Rolle und Einfluss des Gerichts im abgekürzten Verfahren
Schulthess, Zürich 2016, 308 Seiten, Fr. 79.–
Marion Lagler
Besondere Verfahrensarten: Überlastung der Strafjustiz oder Ausdruck erhöhter Punitivität?
Schulthess, Zürich 2016, 238 Seiten, Fr. 76.–