Die Ausgaben des Bundes für Ergänzungsleistungen zu AHV und IV (EL) haben sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. 2019 beliefen sie sich auf 5,2 Milliarden Franken. Das Bundesamt für Sozialversicherungen rechnet mit einem weiteren Wachstum in den nächsten zehn Jahren. Regierung und Parlament haben das Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung revidiert und erhoffen sich mit einer stärkeren Berücksichtigung des Vermögens substanzielle Einsparungen. Die wichtigsten Neuerungen:
Vermögensschwelle und Freibetrag: Bisher wurde das Vermögen lediglich über den Vermögensverzehr bei der Ermittlung des Einkommens angerechnet. Neu gilt eine Vermögensschwelle. Bei allein lebenden Personen liegt die Grenze bei 100 000 Franken, bei Ehepaaren liegt der Betrag bei 200 000 Franken. Pro Kind kommen 50 000 Franken hinzu. Bei Vermögen über dieser Schwelle besteht kein Anspruch auf EL. Selbstbewohnte Liegenschaften werden nicht berücksichtigt. Andere Liegenschaften, Sparguthaben, Aktien, Erbschaften und auch Kapitalauszahlungen aus der beruflichen Vorsorge werden zum Vermögen gezählt. Solange eine Auszahlung aus der beruflichen Vorsorge nicht möglich ist, werden solche Gelder nicht berücksichtigt. Diese Regelung entspricht der aktuellsten Praxis des Bundesgerichts.
Wer unter der Vermögensschwelle liegt, erhält zwar Ergänzungsleistungen. Bestehendes Vermögen, das über einen Freibetrag hinausgeht, führt jedoch zu einer Reduktion. Für Einzelpersonen liegt der Freibetrag neu bei nur noch 30 000 Franken, für Ehepaare bei 50 000 Franken.
Artikel 17a Absatz 2 der Verordnung zu den EL (ELV) regelt neu die Abzugsfähigkeit von Hypothekarschulden: Sie dürfen neu höchstens dem Liegenschaftswert entsprechen.
Vermögensverzicht: Nach wie vor wird ein Vermögensverzicht wie noch vorhandenes Vermögen berücksichtigt. Die Berechnung des Vermögensverzichts (etwa bei Schenkungen) ändert sich mit der Reform nicht. Bisher wurde aber ein «übermässiger Lebensstil» nicht dem Vermögensverzicht zugerechnet. Neu stellt Artikel 11a Absatz 3 ELG den übermässigen Vermögensverbrauch einem Vermögensverzicht gleich. Konkret: Pro Jahr dürfen AHV-Rentner in den letzten zehn Jahren vor der Pensionierung nur 10 Prozent ihres Vermögens verbrauchen, bei Vermögen unter 100000 Franken höchstens 10 000 Franken. Verzehren sie mehr Ersparnisse, wird dies wie noch vorhandenes Vermögen betrachtet.
Es gibt Ausnahmen, die einen Mehrverbrauch rechtfertigen. Sie werden in der Verordnung abschliessend geregelt und umfassen die Ausgaben für den Werterhalt selbstbewohnter Liegenschaften sowie für Krankheit und Behinderung, die Gewinnungskosten zur Erzielung eines Erwerbseinkommens sowie die Auslagen für eine Weiterbildung. Schliesslich ist eine Ausnahme für den gewohnten Lebensunterhalt vorgesehen. Wie gross diese tatsächlich ist, dürfte sich aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs erst im Zuge der Rechtsprechung weisen.
Mietzinsmaxima: Die maximal anrechenbaren Mietzinse fallen neu regional unterschiedlich aus und folgen dabei der Gemeindetypologie aus dem Jahr 2012. Der Gesetzgeber sieht in Artikel 10 Absatz 1quinquies ELG vor, dass die Kantone eine zehnprozentige Erhöhung oder Senkung für eine Gemeinde beantragen können. Es ist unerlässlich, die Einteilung der Wohngemeinde genau zu prüfen. Der Zuschlag für rollstuhlgängige Wohnungen wurde von 300 auf 500 Franken pro Monat erhöht.
Rückerstattungspflicht der Erben: Artikel 16a ELG führt neu eine Rückerstattungspflicht ein, falls der Nachlass des EL-Bezügers 40 000 Franken übersteigt. Bei Ehepaaren kommt diese Regelung erst beim Todesfall des zweiten Ehepartners zum Zug. Davon werden vor allem Erben von EL-Bezügern mit selbstbewohnten Liegenschaften betroffen sein. Die Rückerstattungspflicht wirkt maximal zehn Jahre zurück. Seitens der EL-Stellen ist eine schnelle Reaktion nötig: Der Anspruch muss innerhalb eines Jahres nach der Kenntnisnahme geltend gemacht werden.
Diese Rückerstattungspflicht für rechtmässig bezogene EL-Leistungen stellt einen eigentlichen Paradigmenwechsel dar. Erben müssen künftig bei Erbantritt prüfen, ob das Erbe mit EL-Schulden belastet ist und ob sie sich die Übernahme von Liegenschaften leisten können.
Übergangsregelungen: Die Reform tritt per 1. Januar 2021 mit einer dreijährigen Übergangsfrist in Kraft. In dieser Zeit gelten für EL-Bezüger weiterhin die altrechtlichen Bestimmungen, wenn sie mit der Neuregelung schlechter fahren würden. Die Rückerstattungspflicht der Erben gilt zudem nur für Leistungen, die ab 2021 bezogen werden. Die Prüfung des Vermögensverbrauchs wird erst für die Zeit nach Inkrafttreten wirksam, es gibt keine Rückwirkung.