Es war in dieser Klarheit ein fast schon unschweizerisches Wahlergebnis: Mit 209 von 210 gültigen Stimmen wurde Stefan Blättler vom Parlament Mitte Juni als Bundesanwalt wiedergewählt. Blättler wertet das Ergebnis nicht nur als Vertrauensbeweis gegenüber ihm persönlich. «Es zeigt auch, dass der Ruf der Bundesanwaltschaft intakt ist.»
Das ist nicht selbstverständlich. Der Ruf der Bundesanwaltschaft war lange Zeit angeschlagen – gerade in personeller Hinsicht. Seit Blättlers Amtsantritt im Januar 2022 ist das anders. «Er brachte Ruhe in die Behörde», sagt der Basler Strafrechtsexperte Mark Pieth.
Das hat auch mit der Persönlichkeit des 63-Jährigen zu tun. Blättler gilt als stiller, seriöser Schaffer. Im Gespräch wirkt er ruhig und überlegt, aber auch distanziert und auf Professionalität bedacht. Zu den Vorgängen vor seiner Amtszeit äussert er sich kaum.
Blättler wuchs mit zwei Geschwistern in Nidwalden auf, wo sein Vater kantonaler Polizeikommandant war. Vor allem der «menschliche Faktor» habe sein Bild des Polizistenberufs geprägt, sagt Blättler. «Zum Beispiel wenn der Vater nach einem Lawinenunglück schlimme Nachrichten an Angehörige überbringen musste.»
Zur Kandidatur überredet worden
Auch der Sohn schlug nach seinem Jus-Studium in Neuenburg eine Polizistenlaufbahn ein. Insgesamt 30 Jahre lang arbeitete er in verschiedenen Funktionen im Berner Polizeiwesen, 16 Jahre war er Kommandant der Kantonspolizei. Seine letzte berufliche Station stand eigentlich schon fest: Blättler war bereits zum Direktor des Schweizerischen Polizeiinstituts gewählt worden – als doch alles anders kam.
Nach dem Rücktritt von Bundesanwalt Michael Lauber im Sommer 2020 tat sich die zuständige Gerichtskommission des Parlaments schwer mit der Suche nach einem Nachfolger. Insgesamt drei Mal wurde die Stelle des Bundesanwalts ausgeschrieben.
Leute aus seinem engsten beruflichen Umfeld überredeten Blättler zur Kandidatur. Der angeschlagene Ruf der Bundesanwaltschaft sei kein Hindernis gewesen, sagt er. Er habe gezögert, weil er sich «nicht in den Vordergrund» habe drängen wollen.
Internationale Straffälle und gesprengte Robidog-Kästen
Als Bundesanwalt steht Blättler nun doch im Scheinwerferlicht. Dabei ist es nicht er, der die Fälle an der Front führt. An Einvernahmen nimmt er in aller Regel nicht teil. Die Anklagen vor Schranken vertreten die zuständigen Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft. «Meine Hauptaufgabe ist die Festlegung der Strategie zur Kriminalitätsbekämpfung und der Schwerpunkte», erklärt Blättler.
Es gehe um Führung und Prioritätensetzung. Denn die Ressourcen der Bundesanwaltschaft seien begrenzt. Im Zuständigkeitskatalog finden sich komplexe internationale Straffälle, aber auch alle Sprengstoffdelikte in der Schweiz. «Nach Silvester und dem 1. August erreichen uns zahlreiche Anzeigen wegen Sprengungen von Brief- oder Robidog-Kästen», sagt Blättler. Das soll sich ändern. Eine Arbeitsgruppe erarbeitet zurzeit einen Vorschlag für einen neuen Aufgabenkatalog.
Als «prioritär» bezeichnet Blättler unter anderem den Kampf gegen kriminelle Organisationen. «Die Schweiz soll nicht nur Rechtshilfe für andere Länder leisten – wir müssen auch selbst Verfahren führen.» Kriminelle Organisationen wie die Ndrangheta würden längst auch von hier aus operieren. «Diesen Nachweis zu erbringen ist aber sehr schwierig und entsprechende Verfahren sind aufwendig.» Es gebe strukturelle und gesetzliche Hindernisse. So fehle es bisher an einer einheitlichen kriminalpolizeilichen Datenbank.
Blättler bemängelt zudem, dass es in der Schweiz keine Kronzeugenregelung gibt – also die Möglichkeit für die Strafverfolger, Beschuldigten eine reduzierte Strafe anzubieten und sie so zu Aussagen gegen andere Beschuldigte zu bewegen.
Blättler will die Diskussion darüber wieder aufnehmen: «Wenn wir in den Sphären der kriminellen Organisationen wirksam ermitteln wollen, brauchen wir eine Kronzeugenregelung», sagt er.
Als weiteren Schwerpunkt bezeichnet Blättler das Völkerstrafrecht. Kritiker bemängelten, dass dieser Bereich unter dem Vorgänger Lauber eine Abwertung erfahren habe und Ressourcen gekürzt worden seien (plädoyer 3/2022). Blättler will auch diese Vorgänge vor seiner Amtszeit nicht kommentieren. Er sagt aber, dass die Mittel für diesen Bereich aufgestockt worden seien. «Die Schweiz unterzeichnete das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag und ist Depositärstaat der Genfer Konvention», sagt Blättler. «Wir dürfen hier nicht im Abseits stehen.»
«Altlast Fifa» bleibt ein Risiko für die Behörde
Jüngst reichte die Bundesanwaltschaft nach über sechs Jahren Strafuntersuchung eine Anklage gegen den Innenminister von Gambia wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beim Bundesstrafgericht ein. Und für die Verfolgung möglicher Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg rief Blättler eine Taskforce ins Leben.
Zu den Altlasten, die Blättler von seinem Vorgänger übernahm, gehört unter anderem das Fifa-Dossier. Den vom Bundesstrafgericht gefällten Freispruch der ehemaligen Fussballfunktionäre Sepp Blatter und Michel Platini zog Blättler weiter.
Strafrechtsexperte Mark Pieth hält dies für einen Fehler: «Das könnte die Bundesanwaltschaft im Falle eines nochmaligen Unterliegens sehr schlecht aussehen lassen.» Pieth glaubt, dass der Weiterzug in erster Linie eine Konzession Blättlers an dessen zuständige Mitarbeiter gewesen sei.
Blättler bestreitet dies. Beim Freispruch des Bundesstrafgerichts handle es sich um ein «In dubio pro reo»-Urteil. Deshalb habe die Bundesanwaltschaft entschieden, das erstinstanzliche Urteil nochmals überprüfen zu lassen. «Dies aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung nicht zu tun, wäre Opportunismus.»
Die anstehende vierjährige Amtszeit wird Blättlers letzte sein. Was dann kommen wird, weiss er noch nicht. Auf jeden Fall werde er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Blättler ist verheiratet und hat eine Tochter. Seinen 13 Jahre alten Hund, ein Westie-Malteser-Mischling, nimmt er wie schon bei der Kantonspolizei Bern ab und zu auch ins Büro der Bundesanwaltschaft mit. Es ist die einzige kleine Extravaganz, die sich der sonst nüchterne Strafverfolger leistet.