Ausländern ohne Aufenthaltsbewilligung droht bei nicht rechtzeitiger Ausreise die Administrativhaft. Das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) spricht von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft. Die Folge ist für die Betroffenen dieselbe. Sie werden nicht wegen einer Straftat eingesperrt, sondern um ihre Ausschaffung zu erwirken. Das Bundesgericht entschied daher: «Das Vollzugsregime hat diesem Zweck entsprechend freier als in der Untersuchungshaft oder im Strafvollzug zu sein.»1 Das Gesetz schreibt vor, dass die Untersuchungshaft und der Strafvollzug getrennt von der Administrativhaft durchgeführt werden müssen.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichts ging es oft um die Frage, ob ein Gefängnis als «spezielle Einrichtung» qualifiziert werden könne, die die Voraussetzungen für die Administrativhaft erfüllt. Dieser Begriff stammt aus dem EU-Recht, das die Schweiz wegen des Schengen-Abkommens berücksichtigen muss.
Die Schweizer Praxis stützt sich vor allem auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die gerügten Haftanstalten kommen in der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Administrativhaft nicht gut weg: «Das dem Gericht notorisch bekannte Untersuchungs- und Strafgefängnis Stans»,2 der eigenständige Trakt im Regionalgefängnis Bern, das Untersuchungsgefängnis Solothurn, die Justizvollzugsanstalt Realta in Graubünden, das Ausschaffungsgefängnis Bazenheid in St. Gallen – alle gelten gemäss Bundesgericht nicht als spezielle Anstalten, da sie das Trennungsgebot zwischen Strafvollzug und Administrativhaft nicht einhalten.3
Einige Haftanstalten von Bundesgericht gerügt
Wie gehen die Haftanstalten mit der höchstrichterlichen Kritik um? Nach Rügen aus Lausanne führen die Migrationsämter in Stans, Realta GR und in Bazenheid SG keine Ausschaffungshaft mehr durch und in den Untersuchungsgefängnissen Solothurn und Olten SO nur noch während 96 Stunden. Auch andere Anstalten, die nicht gerügt wurden, aber auch Strafvollzug und Administrativhaft durchführten, erklären auf Nachfrage, dass sie keine Administrativhaft mehr vollziehen oder diese auf 96 Stunden begrenzen würden.
Das Bundesgericht macht den Kantonen weitere Auflagen. So darf eine Festhaltung in einem besonderen Trakt eines Strafgefängnisses nur wenige Stunden oder Tage dauern, und es müssen hierfür Gründe vorliegen.4 Eine pauschale Inhaftierung für 96 Stunden in einer Haftanstalt ist ohne Prüfung der Umstände nicht zulässig. Darauf angesprochen, argumentierten etwa das Migrationsamt Solothurn oder die Leitung des Gefängnisses Glarus, dass die Frist von 96 Stunden angewendet werde, weil ab dieser Zeitspanne gemäss Gesetz eine richterliche Überprüfung der Haft erfolgen müsse. Zudem ordne das Migrationsamt Solothurn immer eine Einzelfallüberprüfung des Haftgrunds an.
Neben dem Trennungsgebot von Strafvollzug und Administrativhaft müssen auch die Haftbedingungen gewissen Standards genügen. Laut Bundesgericht erfüllt das Regionalgefängnis Moutier die Voraussetzungen für die Durchführung von Administrativhaft basierend auf dem Trennungsgebot. Trotzdem kritisierte es die Haftbedingungen – vor allem dass der Beschwerdeführer 18 Stunden pro Tag in seiner Zelle eingeschlossen wurde und keinen Internetzugang hatte. Diese Einschränkungen seien als Verletzungen des Rechts auf persönliche Freiheit sowie der Meinungs- und Informationsfreiheit zu werten.5
Bis zu 18 Stunden pro Tag in der Zelle eingesperrt
Auch das Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft in Kloten ZH musste kürzlich richterliche Kritik einstecken. Dabei handelt es sich um das ehemalige Flughafengefängnis, das seit April 2022 nur noch Administrativhaft und keinen Strafvollzug mehr durchführt. Dennoch rügte das Verwaltungsgericht Zürich Ende 2022 die Haftbedingungen: Das Einsperren in Zellen von rund 18 Stunden mehrmals pro Woche sei zu viel. Umgekehrt sei eine tägliche Spazierzeit von unter drei Stunden sowie ein Zugang zum Internet von 50 Minuten pro Woche zu wenig. Auch die Besuchszeiten stufte das Gericht als zu starr ein.6
Laut Olivier Aebischer, Sprecher des Justizvollzugs Bern, sind die Haftbedingungen im Regionalgefängnis Moutier angepasst worden: «Heute werden die Abteilungen innerhalb des Gefängnisbetriebs tagsüber weitgehend offen geführt.» Es gebe nun ein erweitertes Trainingsangebot mit Zugang zum Fitnessraum an sechs Wochentagen.
Für den Internetzugang würden in Moutier Tablets zur Verfügung gestellt. Die Pressestelle des ehemaligen Flughafengefängnisses erklärt: «Konkret wurden die Zeiten verlängert, in denen die eingewiesenen Personen den Spazierhof benutzen, ihre Hafträume verlassen und Besuch empfangen können. Auch der Zugang zum Internet sei ausgebaut worden.
Also alles im Lot? «Nicht ganz», sagt Matthias Wäckerle, Anwalt aus Zürich und Vorstandsmitglied des Vereins Pikett Administrativhaft Zürich. Er vertrat mehrere Personen in Beschwerdeverfahren, die das Haftregime in der Administrativhaft betrafen, bis vor das Bundesgericht. Die von ihm erwirkten Urteile führten dazu, dass in der Justizvollzugsanstalt Realta und im Untersuchungsgefängnis Stans keine Administrativhaft mehr vollzogen wird und dass das einstige Gefängnis in Kloten die Haftbedingungen lockerte.
Trotz der Verbesserungen sei das Regime weiterhin übermässig restriktiv, sagt Wäckerle: «Gemäss Rechtsprechung dürfen Grundrechtseingriffe im Rahmen der Administrativhaft nur so weit gehen, wie sie für die Vorbereitung und Durchführung der Ausschaffung absolut notwendig sind.»7
Unzulässig seien der Zelleneinschluss zwischen 17 und 8 Uhr, die Beschränkung der Spazierzeiten auf wenige Stunden täglich, die Unmöglichkeit, Besuche nach Feierabend oder am Wochenende zu empfangen, die fehlende Möglichkeit, selbst zu kochen, sowie die Limitierung des Internetzugangs auf zwei 50-Minuten-Blöcke pro Woche.
Diese Einschränkungen sind für Wäckerle nicht nötig für die Durchführung eines Wegweisungsvollzugs. Gleich sieht es Anne Mazzoni, Geschäftsleiterin und Rechtsberaterin von Asylex, einem Verein, der Asylsuchende rechtlich unterstützt.
Administrativhaft ohne Gefängnischarakter
Auch in einem weiteren Punkt sind sich Wäckerle und Mazzoni einig: Die Administrativhaft dürfe nicht «Gefängnischarakter» haben. Dabei stützen sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach der Eindruck einer Gefängnisumgebung im Rahmen der Administrativhaft zu vermeiden sei.8
Das Flughafengefängnis sei aber als Gefängnis konzipiert worden. Das Zentrum für Administrativhaft weist darauf hin, dass 2025 ein Umbau geplant sei. Dass es auch anders geht, zeigt die Vollzugsanstalt für Administrativhaft in Frambois GE. Sie gilt auch für die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter als Vorbild. Laut Mazzoni ist Frambois keine Haftanstalt, sondern eher ein umzäuntes Wohnhaus mit gemeinsamer Küche, Garten und eigenen Zimmern.
1 BGer 2C_765/2022 vom 13.10.2022, E. 4.2.1.
2 BGer 2C_280/2021 vom 22.4.2021.
3 BGer 2C_447/2019 vom 31.3.2020; 2C_844/2020 vom 30.3.2020; 2C_662/2022 vom 8.9.2022; 2C_765/2022 vom 13.10.2022; 2C_781/2022 vom 8.11.2022.
4 BGE 146 II 201, E. 6.2.2.
5 BGE 149 II 6.
6 Verwaltungsgericht Zürich, Urteil VB.2022.00700 vom 15.12.2022.
7 BGE 149 II 6, E. 4.2.3.
8 Siehe BGE 146 II 201, E. 5.2.2.