Die Diskussion um den Kernwaffenverbotsvertrag (TPNW) beleuchtet nicht nur die Frage der atomaren Abrüstung. Sondern auch die Ohnmacht des Parlaments gegenüber dem Bundesrat: Was kann das Parlament tun, wenn der Bundesrat partout seine gesetzlichen Pflichten nicht wahrnehmen will? Salopp gesagt: nicht viel.
2017 reichte Ständerat Carlo Sommaruga (SP, GE) in seiner damaligen Funktion als Nationalrat eine Motion ein: Der Bundesrat solle so schnell wie möglich den TPNW unterzeichnen. 2018 nahmen beide Parlamentskammern den Vorstoss an. Seitdem verweigert der Bundesrat die Umsetzung. Im März 2024 tat er in einer Medienmitteilung via Aussendepartement seinen Widerstand erneut kund: «Der Bundesrat bleibt bei seiner Beurteilung von 2018 und 2019 und tritt dem TPNW weiterhin nicht bei.»
Der Bundesrat meinte damals, der Vertrag entspreche zwar dem Sinn der schweizerischen Abrüstungspolitik. Auch würden humanitäre und völkerrechtliche Überlegungen eher für einen Beitritt sprechen. Er wollte aber die «Kernwaffenstaaten» nicht stigmatisieren. In seinem neusten Bericht zum TPNW vom Januar 2024 schreibt er zudem, er wolle es sich mit der Nato nicht verscherzen, was bei einer Unterzeichnung der Fall sein könne.
Darf der Bundesrat eine Motion einfach nicht umsetzen? Eine Motion ist der stärkste politische Vorstoss, der dem Parlament ausserhalb von Beschlüssen und Gesetzgebung zur Verfügung steht. Anders als Postulate verpflichten Motionen den Bundesrat zur Umsetzung des betreffenden Geschäfts. Entsprechend höher sind auch die Anforderungen. Für eine Annahme wird die Zustimmung beider Räte vorausgesetzt, während das Postulat nur vom Rat angenommen werden muss, in dem es eingereicht wurde.
«Vorgehen des Bundesrats klar rechtswidrig»
Ist eine Motion nach zwei Jahren noch nicht erfüllt, ist der Bundesrat gemäss Artikel 122 Absatz 1 Parlamentsgesetz verpflichtet, «der Bundesversammlung jährlich darüber zu berichten, was er zur Erfüllung des Auftrages bisher unternommen hat und wie er den Auftrag zu erfüllen beabsichtigt». Nach Absatz 2 und 3 wird eine Motion abgeschrieben, wenn sie erfüllt ist oder der Bundesrat die Abschreibung beantragt.
Beim Atomwaffenverbotsvertrag verweigert der Bundesrat die Unterzeichnung des Vertrags, beantragt aber keine Abschreibung. Warum nicht? Gemäss Bernhard Waldmann, Professor für Staatsrecht an der Universität Freiburg, bedarf der Abschreibungsbeschluss der Zustimmung beider Räte.
Das heisst: Hat der Bundesrat diese Mehrheit nicht, würde er bei einem Abschreibungsbegehren seine Position schwächen. Fabian Molina, SP-Nationalrat aus Zürich und Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, pflichtet bei. Nur so lasse sich seine Verzögerungstaktik erklären. Hat die fehlende Beachtung der gesetzlichen Vorschriften Konsequenzen für den Bundesrat? «Der Motion kommt die Rechtsnatur einer verbindlichen Weisung zu», so Waldmann.
Bei der Verpflichtung zur Umsetzung handle es sich jedoch «um eine politische und nicht um eine rechtlich durchsetzbare Verbindlichkeit». Es würden bloss politische Druckmittel verbleiben, um auf den Bundesrat Einfluss zu nehmen. Gleich sieht es Molina, auch wenn er das Vorgehen des Bundesrates als klar rechtswidrig erachtet. Deshalb hat er Mitte Juni den Bundesrat per Interpellation gefragt, worauf sich die Angst vor einem negativen Einfluss auf die Beziehung zur Nato stützt. Immerhin sei Österreich Teil des TPNW und Mitglied der «Nato-Partnerschaft für den Frieden».
Das Aussendepartement erklärt auf Anfrage, der Bundesrat missachte das Parlamentsgesetz nicht. Er lege jährlich Rechenschaft ab. Das Departement trage den Entscheid des Bundesrats mit.
Möglich ist also nur eine politische Reaktion. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis mit DJS, Greenpeace, den Grünen und den Juso nimmt den Ball auf. Es hat am 6. Juli die Atomwaffenverbotsinitiative lanciert.