Ein Gesuch an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) um Ficheneinsicht kann jede Person machen. Der EDÖB prüft dann, ob der Bund im Staatsschutz-Informations-System (ISIS) Daten über diese Person gesammelt hat und ob er sie rechtmässig «bearbeitet». So bestimmt es Artikel 18 des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS).
Vergangenes Jahr wurden 34 solche Gesuche gestellt, inzwischen ist die Zahl sprunghaft angestiegen. 282 Gesuche gingen beim EDÖB zwischen dem 30. Juni, nachdem die Geschäftsprüfungsdeledation (GPDel) der Eidgenössischen Räte ihren Bericht «Datenbearbeitung im Staatsschutzinformationssystem ISIS» vorlegt hatte, und Mitte August ein. Die GPDel deckte auf, dass die Staatsschützer massenhaft unerhebliche Daten gesammelt, die vorgeschriebene periodische Überprüfung versäumt und auch falsche Informationen im System abgelegt hatten. Bei der «Mehrheit der rund 80?000 Drittpersonen» entspreche die Speicherung der Daten nicht den rechtlichen Vorgaben, so die GPDel.
Doch wer sicher sein will, dass über ihn keine unrichtigen Daten gespeichert werden, hat kaum eine Chance auf Korrektur. Dafür sorgt das Verfahren: Der Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür sendet die Angaben zur Person des Gesuchstellers an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Ist keine Fiche vorhanden, stellt ihm der NDB eine entsprechende schriftliche Bestätigung aus, andernfalls erhält er eine Meldung der Registrierung. Anschliessend kann der EDÖB beim NDB einen schriftlichen Auszug der registrierten Person sowie die dazugehörenden Quellen – zum Beispiel Polizeiberichte – einsehen.
Eine Auskunft, die in Tat und Wahrheit keine ist
Wie weit handelt es sich bei dieser Einsichtnahme des EDÖB um eine tatsächliche Überprüfung? Thür formuliert es diplomatisch: Man überprüfe die Richtigkeit der erhobenen Informationen «im Rahmen unserer begrenzten Ressourcen und rechtlichen Möglichkeiten». Später erhält der Gesuchsteller einen Brief mit der gesetzlich festgelegten nichtssagenden Antwort (siehe Kasten «Einsichtsbegehren), er erfährt aber nicht, ob eine Fiche existiert. Dieser Bearbeitungsweg ist die Regel. In den Jahren von 2004 bis 2009 erhielten nur 60 von 254 Antragstellern tatsächlich Einsicht in ihre Fiche – allerdings mit vielen schwarz abgedeckten Stellen.
«Datenschützer hat keine wirksamen Werkzeuge»
Ein effektives Rechtsmittel gegen die Mitteilung des EDÖB gibt es nicht. Ist jemand damit nicht einverstanden, bleibt die Möglichkeit, an den zuständigen Abteilungspräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts zu gelangen, der die Gesuchsteller laut BWIS wiederum mit einer «stets gleich lautenden Antwort» abspeisen muss.
Ob ein fichierter Sachverhalt richtig ist, lässt sich auf diese Weise kaum je feststellen, wie René Bacher weiss. Er kennt die Mechanismen durch seine Tätigkeit als «Sonderbeauftragter für die Staatsschutzakten des Bundes» während der Fichenaffäre in den 1990er-Jahren. «Das sogenannte Auskunftsrecht gemäss Artikel 18 BWIS ist ein wirkungsloser Leerschlag, ein So-tun-als-ob», sagt er. «Mit dem seinerzeitigen Einsichtsrecht konnten die Betroffenen die nötige Korrektur falscher Einträge erkennen und veranlassen – im Gegensatz dazu hat der Datenschutzbeauftragte heute keine wirksamen Werkzeuge, um einen Eintrag zu verifizieren.»
Ist eine fichierte Person wirklich Mitglied bei einer bestimmten Organisation, wie es der Staatsschutz notiert hat? Oder handelt es sich um eine blosse Verwechslung? Hanspeter Thür kann es nicht eruieren. Ihm ist nicht erlaubt, die betroffene Person zu kontaktieren, um einen Sachverhalt zu verifizieren. Auch Organisationen darf er nicht angehen. «Wir können beispielsweise nur abklären, ob ein bestimmter Verein, wegen dessen Mitgliedschaft ein Gesuchsteller registriert wurde, tatsächlich auf der Liste der überwachungswürdigen Organisationen figuriert», erklärt Thür. «Falls nicht, fordern wir eine Entfernung der Person.»
Immerhin kann der EDÖB prüfen, ob die Schranken von Artikel 3 BWIS eingehalten wurden, wonach Informationen über die politische Betätigung und die Ausübung der Meinungs-, Koalitions- und Versammlungsfreiheit nur in absoluten Ausnahmefällen erfasst werden dürfen. «Bei Unklarheiten oder Verdacht auf unrechtmässige Bearbeitung verlangen wir vom NDB zusätzliche Informationen – etwa Fichen anderer Personen», sagt Thür.
Parlament will keine Verbesserung
Die meisten Gesuchsteller sind mit dem kaum existierenden Auskunftsrecht höchst unzufrieden. Auch Thür selbst hat wiederholt vorgeschlagen, das System umzukehren und im Normalfall – wenn nicht Staatsschutzinteressen entgegenstehen – Auskunft zu erteilen oder Einsicht zu gewähren.
Doch das Parlament wollte bislang nichts davon wissen. Zuletzt lehnte es in der Frühjahrsession 2010 einen Vorstoss von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer mit vergleichbarer Zielrichtung ab.
Unbefriedigend ist das heutige System auch aus einem weiteren Grund. Die Trennung zwischen den Staatsschutzakten des Bundes, der Kantone und der Städte ist unklar. So ist den Kantonen zurzeit nicht bekannt, in welchem Ausmass überhaupt kantonale Staatsschutzakten existieren. Bruno Baeriswyl zum Beispiel, der Datenschützer des Kantons Zürich, weiss heute nicht, wie viele kantonale Datensätze existieren. «Zurzeit führen wir eine umfassende Kontrolle durch, welche diese Fragen klären soll», sagt er.
Andere Kantone und städtische Datenschutzbeauftragte wissen noch weniger, weil der NDB bislang solche Kontrollen durch eine Verweigerung der Einsicht verhinderte, wie die Geschäftsprüfungsdelegation in ihrem Bericht festgestellt hat. Deshalb sollten sich betroffene Personen sicherheitshalber auch an die kommunalen und kantonalen Datenschützer wenden oder bei der kantonalen Polizeibehörde ein Auskunftsgesuch stellen.
Einsichtsbegehren: So gehts
Musterbriefe für ein Gesuch um Einsicht in persönliche Fichen finden sich im Internet beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten www.edoeb.admin.ch ‹ Dienstleistungen ‹ Datenschutz ‹ Musterbriefe ‹ Bundesbehörden, Kantone & Gemeinden ‹ Prüfungsgesuch ISIS. Und der Verein Grundrechte Schweiz bietet auf www.grundrechte.ch eine Vorlage an.
Im Unterschied zur EDÖB-Vorlage bezweckt der Musterbrief des Vereins Grundrechte eine tatsächliche Einsicht in die Fichen. Gemäss Absatz 3 von Artikel 18 BWIS ist eine solche Auskunft «in angemessener Weise» und ausnahmsweise möglich, «wenn der gesuchstellenden Person sonst ein erheblicher, nicht wieder gutzumachender Schaden erwächst» und wenn damit «keine Gefährdung der inneren oder der äusseren Sicherheit verbunden ist».
Ein solches Gesuch sei möglichst gut zu begründen, empfiehlt der Verein Grundrechte und liefert auf zwei Seiten viele Tipps und nützliche Beispiele für Formulierungen.
Weniger weit geht die andere Vorlage: Der Musterbrief des EDÖB zielt auf eine Überprüfung gemäss Absatz 1 von Artikel 18 BWIS ab, die lediglich mit der nichtssagenden Antwort bestätigt wird: «Wir teilen Ihnen mit, dass in Bezug auf Sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass wir bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den Nachrichtendienst des Bundes gerichtet haben.»
Immerhin weist der EDÖB bei der Bestätigung des Erhalts eines solchen Gesuchs auf die weitergehende Möglichkeit hin, gemäss Artikel 18 Absatz 3 BWIS Einsicht zu beantragen. Die dafür nötige Begründung kann innert zwanzig Tagen dem EDÖB nachgeliefert werden. Die Gesuche werden laut Thür in der Regel spätestens zwei Monate nach Eingang behandelt.