Die Verwaltungskommission des Bundesgerichts untersuchte die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht und entkräftete die meisten Vorwürfe in ihrem Aufsichtsbericht vom April 2020. Dennoch empfahl sie dem Gericht in Bellinzona acht Massnahmen. Sie sah es als erwiesen an, «dass sich einige Bundesstrafrichter bei Meinungsverschiedenheiten mit Untergebenen in Stil und Tonlage vergreifen und insbesondere die kulturellen Eigenheiten der Tessiner nicht immer in genügender Weise berücksichtigen».
Nur 15 von 20 Richtern bei gemeinsamem Brief dabei
Gegen die Kritik wehrte sich eine Mehrheit der Bundesstrafrichter mit einem offenen Brief. Darin schrieben sie im Juli 2020, die Untersuchung habe gezeigt, dass die Vorwürfe weitestgehend unbegründet und gegenstandslos seien. «Die Vorwürfe von Sexismus, Mobbing und ungerechter Behandlung der italienischsprachigen Mitarbeitenden gründen offensichtlich auf Unterstellungen einiger weniger Personen des Bundesstrafgerichts», heisst es im Brief. Die Richter fordern: «Das Ziel ist, das Arbeitsklima am Bundesstrafgericht wieder auf ein solides Fundament zu stellen, das von gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägt ist.» Die Richter sind sich untereinander jedoch uneinig: Nur 15 der 20 hauptamtlichen Bundesstrafrichter unterzeichneten das Schreiben.
Jahrelang bestand das Bundesstrafgericht aus zwei Kammern – der Straf- und der Beschwerdekammer. 2019 kam die Berufungskammer hinzu. Die Aufgaben der drei Kammern sind im Bundesgesetz über die Organisation der Behörden des Bundes geregelt. Die Straf- und die Beschwerdekammer urteilen erstinstanzlich, die Berufungskammer zweitinstanzlich (siehe Kasten).
Zwischen 2009 und 2019 erledigte das Bundesstrafgericht jährlich zwischen 589 und 852 Verfahren, im vergangenen Jahr waren es total 809 Fälle. Seit 2009 wuchs das Gericht personell massiv: Die Zahl der Richter stieg innert zehn Jahren von 18 auf 20, die Anzahl Gerichtsschreiber von 19 auf 30, das Gesamtpersonal ohne Richter von 39 auf 61 Personen. Das Generalsekretariat des Bundesstrafgerichts erklärt den personellen Ausbau mit der steigenden Fallzahl und den zusätzlichen Aufgaben. Es konstatiert: «Die Effizienz des Bundesstrafgerichts ist gestiegen.»
Auflösung des Gerichts gefordert
Umstritten ist die Qualität der Rechtsprechung in Bellinzona – nicht erst seit dem Fifa-Verfahren. Der Zürcher Rechtsanwalt Daniel Walder war einer der Verteidiger von Financier Dieter Behring. Walder kritisiert die Qualität der Entscheide des Bundesstrafgerichts. «An gewissen Bezirksgerichten ist die Rechtsprechungsqualität höher.» Es sei ein Trugschluss zu glauben, in Bellinzona arbeite die juristische Elite des Landes. «An diesem Gericht dürfen Leute Richter spielen, die vorher noch nie auf einer Richterbank sassen. Daneben dürfen sie sogar noch als Anwalt arbeiten», kritisiert er. Sein Fazit: «Das Bundesstrafgericht braucht es nicht.» Die kantonalen erstinstanzlichen Gerichte könnten dessen Fälle übernehmen. Schon heute würden sich diese teilweise mit sehr umfangreichen und anspruchsvollen Verfahren beschäftigen.
Auch Richter und Strafrechtsprofessor Niklaus Ruckstuhl ist der Ansicht, das Bundesstrafgericht könnte problemlos abgeschafft werden. «Aus rein fachlicher Sicht ist dieses Gericht nicht nötig.» Es beurteile nur bestimmte Ausschnitte der Kriminalität. Diese Aufgaben könnten kantonale Gerichte wahrnehmen. «Bevor das Bundesstrafgericht 2004 startete, erhob die Bundesanwaltschaft ihre Anklagen bei einem kantonalen Gericht.» Dies sei problemlos gewesen.
Eingespartes Geld auf vier Kantone verteilen
Ruckstuhl: «Die Bundesanwaltschaft könnte ihre Fälle vor jenem kantonalen Strafgericht anklagen, an dem die zuständige Zweigstelle der Bundesanwaltschaft den Fall untersucht hat – also in Bern, Lausanne, Lugano oder Zürich.» Das mit der Abschaffung des Bundesstrafgerichts eingesparte Geld «könnte man den vier Kantonen für die Aufwendungen zur Verfügung stellen, die sie mit der Bearbeitung der Fälle der Bundesanwaltschaft haben.»
Der emeritierte Strafrechtsprofessor Mark Pieth hingegen befürwortet ein erstinstanzliches Strafgericht auf Bundesebene für Fälle in der Kompetenz der Bundesanwaltschaft. Auch er kritisiert die heutige Situation: «Gewisse Bundesstrafrichter sind inkompetent.» Dies sei so, «weil Bundesrichterwahlen politische Wahlen sind und weil die Richter keine Fachprüfungen bestehen müssen». In anderen Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich hingegen müsse ein Richter mindestens die Kompetenzen eines Anwalts aufweisen.
Auch der Zürcher Rechtsanwalt Valentin Landmann erachtet das Bundesstrafgericht als sinnvolle Institution. Der «untauglichen Bundesanwaltschaft» müsse eine Behörde gegenüberstehen, welche die Ressourcen und die Autorität habe, ihr die Stirn zu bieten. «Das Bundesstrafgericht sollte auf keinen Fall eingeschränkt oder abgeschafft werden, solange die Bundesanwaltschaft in der heutigen Form wütet und Verfahren und Anklagen präsentiert, die nach dem richterlichen Hammer schreien.»
Die drei Kammern des Bundesstrafgerichts
Strafkammer: Sie entscheidet in erster Linie über Delikte gemäss den Artikeln 23 und 24 der Strafprozessordnung (StPO). Sie sind ausdrücklich der Gerichtsbarkeit des Bundes unterstellt. Dabei handelt es sich um Verbrechen und Vergehen gegen Bundesinteressen oder um Sprengstoffdelikte, Wirtschaftskriminalität, organisiertes Verbrechen und Geldwäscherei mit interkantonalem oder internationalem Bezug. Die Strafkammer beurteilt als erste Instanz zudem strafbare Handlungen gemäss weiteren Bundesgesetzen, zum Beispiel dem Luftfahrt- oder dem Kriegsmaterialgesetz.
Beschwerdekammer: Sie entscheidet über Beschwerden gegen Verfahrenshandlungen der Bundespolizei und der Bundesanwaltschaft sowie gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts und der Strafkammer, die keinen Urteilscharakter haben. Darüber hinaus urteilt die Beschwerdekammer im Verwaltungsstrafrecht bei Zuständigkeitskonflikten zwischen Kantonen sowie zwischen Bund und Kantonen und bei der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
Berufungskammer: Sie entscheidet in Bundesstrafsachen über Berufungen gegen Urteile der Strafkammer. Ausserdem urteilt sie über Revisionsgesuche gegen Urteile der Straf- und der Berufungskammer und über Strafbefehle der Bundesanwaltschaft.