Bernard Rambert wächst in Zürich in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Sein Vater verlässt wegen Arbeitsmangels noch vor Bernards Geburt die Westschweiz und zieht in die Stadt an der Limmat. Die meisten Familienmitglieder sind Ingenieure – ausser dem Grossvater. Er war Bundesrichter.
Rambert interessiert sich nicht für Technik. Ihn zieht die Wissenschaft vom Gerechten und Ungerechten an. Also beginnt er ein Rechtswissenschaftsstudium an der Universität Zürich und besucht während einiger Semester auch Vorlesungen in Genf und Lausanne. Das Jahr 1968 prägt den jungen Studenten massgebend. Der 22-Jährige engagiert sich bei Protesten gegen autoritäre Strukturen an den Universitäten und in der Gesellschaft. So gehört er während des Studiums der linken Gruppe «kritische Jus-Studenten» an. Als junger Anwalt ist er als einer der Mitbegründer in der Organisation Revolutionärer Aufbau aktiv.
1971 schliesst Rambert sein Studium ab und arbeitet nach dem Anwaltsexamen zuerst im angesehenen Anwaltsbüro von Ullin Streiff im Zürcher Oberland. 1975 macht er sich selbständig und gründet mit der späteren Bundesrichterin Susanne Leuzinger sowie Edmund Schönenberger das Anwaltskollektiv. Sie beraten für wenig Geld die Schwachen gegen die Starken: Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber, Mieter gegen Vermieter, Ausländer gegen die Fremdenpolizei und Straffällige gegen Strafverfolger. Die Rechtsuchenden kamen ohne Voranmeldung vorbei. «Die Leute rannten uns die Bude ein», sagt Rambert heute. 1980 geht aus dem Anwaltskollektiv die Rechtsauskunftsstelle Anwaltskollektiv hervor. Rambert erinnert sich: «Viele weitere Anwälte, auch aus dem bürgerlichen Lager, traten bei. Vor allem, um Mandate zu akquirieren.»
Die Schuldfrage interessiert den Strafverteidiger nicht
Seit dieser Zeit arbeitet Bernard Rambert hauptsächlich als Strafverteidiger. Er betreut aber auch Familienrechtsfälle oder Scheidungsfälle. «Ich muss ja auch Geld verdienen», sagt er. Mittlerweile seien es aber nur noch sehr wenige Fälle. «Ich habe massiv reduziert», erzählt der heute 71-Jährige. Ganz von der Anwaltstätigkeit ablassen kann er dann aber doch nicht. «Das Strafrecht fasziniert mich noch immer!» Sein Credo: Der Strafverteidiger hat immer und einzig die Interessen seines Mandanten vor Augen. Die Frage, ob eine Person schuldig ist oder nicht, dürfe ihn nicht interessieren. «Ich habe noch nie einen Klienten gefragt, ob er etwas tatsächlich gemacht hat oder nicht. Auch wenn mich manchmal die Neugier packte.» Zu seinen Mandanten zählten bekannte Leute wie der Anarchist Marco Camenisch oder der «Ausbrecherkönig» Walter Stürm.
1975 verteidigt er die Anarchistin Petra Krause und etwas später auch die deutschen Terroristen Christian Möller und Gabriele Kröcher-Tiedemann. Deshalb wurde der Nachrichtendienst schon früh auf Rambert aufmerksam und verdächtigte ihn der Komplizenschaft. Er wurde während 15 Jahren überwacht. Erst kürzlich fand er heraus, dass der damalige Präsident der Anklagekammer des Bundesgerichts – Erhard Schweri – die Verlängerung von Überwachungen im Rahmen von gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren über mehrere Jahre kritiklos genehmigte. «Diese Ermittlungsverfahren waren offenkundig nur vorgeschoben, um mich nachrichtendienstlich ausspionieren zu können», sagt Rambert.
Mit diesen Aussagen konfrontiert, sagt der heute 96-jährige Schweri: Er habe als Präsident der Anklagekammer auf das abstellen müssen, was ihm der damalige Bundesanwalt Rudolf Gerber gesagt habe. «Wenn der Bundesanwalt etwas übertrieben darstellte, konnte ich das nicht prüfen. Ich erhielt vom Bundesanwalt nie Akten, sondern immer nur das Gesuch mit der Begründung.» Aus eigener Erfahrung wisse er aber, dass Gerber übervorsichtig gewesen sei.
Punkto Rechte der Beschuldigten hat sich laut Rambert in den letzten 40 Jahren praktisch nichts verändert: «Es gibt zwar heute einen Anwalt der ersten Stunde. Trotzdem hat sich die Waffengleichheit nicht zugunsten der Verteidigung bewegt.» Er nehme ein Klima wahr, das sich durch eine Nulltoleranz gegenüber Straffälligen und ein schon fast hysterisches Sicherheitsdenken auszeichne. Das wirke sich direkt auf das Strafmass, die bedingte Entlassung aus dem Vollzug und die strafrechtlichen Massnahmen aus.
Zudem verfügten Polizei und Staatsanwaltschaft heute über erheblich mehr Mittel als früher. Die Kriminalistik als eigenständige Wissenschaft habe riesige Fortschritte gemacht, ebenso die Rechtsmedizin: «Unsere Klienten werden heute besser überführt», so Rambert. Das möge aus gesellschaftlicher Sicht richtig sein. Gleichzeitig stehe man vor dem Problem, «dass wir bei der Überprüfung der von der Kriminalistik, der Rechtsmedizin und der forensischen Psychiatrie gewonnenen Erkenntnisse oft komplett überfordert sind».
Die Ökonomie habe im Strafverfahren einen wichtigen Platz eingenommen. Zahlen müsse alles der Verurteilte. Und ein Geständnis zu Beginn spare möglicherweise viel Geld. «Ich bin überzeugt, dass viele Geständnisse auf Anraten der Verteidigung aus Kostengründen zustande kommen.» Das könne doch nicht im Sinne eines fairen Verfahrens liegen, sagt Rambert. Auch beim Akzeptieren eines Strafbefehls oder eines erstinstanzlichen Urteils würden finanzielle Überlegungen immer mehr eine Rolle spielen.
Rambert warnt vor der neuen jovialen Situation
Letztlich erscheine die Repression innerhalb der Gerichte heute in der Gestalt von netten Phrasen. «Vor 30 Jahren gab es bei jeder Einvernahme Probleme. Wir mussten uns fast mit den Behörden prügeln, damit wir unsere Arbeit richtig ausüben konnten.» Heute sei alles viel jovialer. Rambert warnt davor: «In einer netten, entspannten Atmosphäre lässt man viel mehr Sachen durch, als wenn man angespannt ist. Klar ist ein Streit für alle Beteiligten stressig. Er hält einen Strafverteidiger aber auch alert – man ist aufmerksamer!»
Laut Rambert ist die Mehrheit der Polizisten und Staatsanwälte heute konzilianter, «aber nur im Umgang, nicht in der Sache selbst». Das ganze Rechtssystem sei verlogener geworden. «Die Etikette ist eine andere – alles ist auf Hochglanz. Im Hintergrund geht es aber noch immer gleich zu und her!»