Vielleicht war es Zufall, dann aber ein gut geplanter: Ende 2013 erschien im Berner Stämpfli Verlag ein Ratgeber des Wirtschaftsanwalts Hans Bollmann. Titel: «Es kommt darauf an! – Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen.» Diese 587 Seiten, knallrot eingebunden, sind ein gross angelegtes Plädoyer für die Anwaltskapitalgesellschaft – passend zur Initiative des Schweizerischen Anwaltsverbands, die Anwaltsgesellschaft als Kapitalgesellschaft im Schweizerischen Anwaltsgesetz zu verankern.
Die Publikation, die nach dem Willen des Autors weder ein Lehr- noch ein Handbuch sein soll, sondern eine Art Notizbuch über Erfahrungen in der Advokatur, wird mittlerweile gern zitiert, wenn es um die Zukunft der schweizerischen Wirtschaftsanwaltskanzleien geht.
Wer ist Hans Bollmann? Jahrgang 1943, Major, promoviert, obligatorische Lehrjahre in New York, jahrzehntelang Partner und Sozius bei Pestalozzi und Partner, der ältesten und renommiertesten Wirtschaftskanzlei der Schweiz, mit dem Schwerpunkt Bankrecht. Seit 2009 in eigener Anwaltskanzlei als Berater und Coach tätig, Autor mehrerer juristischer Publikationen und militärhistorischer Beiträge.
«Es kommt darauf an!», der etwas ungewöhnliche Titel des Buches, signalisiert: Hier spricht jemand aus der Praxis für die Praxis. Und tatsächlich sind die Einleitung und die ersten 222 Seiten in der Ich-Form geschrieben: Bollmann erzählt aus seiner Anwaltspraxis, berichtet über seine persönlichen Erfahrungen mit dem Motto «Know Your Client», stellt grundsätzliche moralische und rechtliche Überlegungen an, setzt sich mit juristischen Formalien auseinander oder beschäftigt sich im Detail mit der Frage, was Höflichkeit für einen Juristen bedeutet.
Ab Seite 223 wechselt der Ton dann vom persönlichen Ich zum verschwörerischen Wir, denn ab hier geht es um das Kernanliegen des Autors: in die Kultur des Anwaltsunternehmens einzuführen. Mit kräftigen Formulierungen, aufgeheitert durch einige launige Cartoons, führt Bollmann die Leser in die Gedanken- und Vorstellungswelten der «Big Ten» der schweizerischen Wirtschaftsanwaltsszene ein.
Der sehr persönliche Stil Bollmanns, eine Art Dampfwalzenplauderei, verleitete die Rezensentin der «Neuen Zürcher Zeitung» zum Schluss, hier habe einer der aussterbenden Klasse der Social-Club-Anwälte, nunmehr wieder «solo», seine Weisheiten der Nachfolgegeneration vermitteln wollen, die heute «unter die Räder des amerikanischen Kanzleigefüges gekommen ist» (siehe NZZ vom 3. April 2014).
Diese Reduzierung auf die Vermittlung von Altersweisheiten wird den Ambitionen des Autors aber nicht gerecht und verstellt auch den Blick, den dieses Buch auf das neoliberal geprägte Milieu der international agierenden Anwaltskanzleien ermöglicht.
Bollmanns Ehrgeiz, die Kapitalanwaltsgesellschaft als die Zukunft der anwaltlichen Tätigkeit zu propagieren, wird auch im Vorwort von Beat von Rechenberg, dem Präsidenten des Schweizerischen Anwaltsverbandes, deutlich unterstrichen. Er schreibt: «Diese Sammlung relevanter Kriterien für die Führung eines Anwaltsunternehmens macht dieses Buch besonders lesenswert für alle Kolleginnen und Kollegen, die in einer Anwaltsgesellschaft arbeiten.» Und weiter: «Dieser Thematik wird sich jedes SAV-Mitglied stellen müssen, das sich nicht als Einzelkämpfer in einem Spezialgebiet versteht und Gedanken zur Zukunft seiner Tätigkeit in einem ständig kompetitiver werdenden Markt macht.»
Salopp formuliert kann man den präsidialen Hinweis als Aufforderung verstehen, das «rote» Buch des Hans Bollmann allen jungen Juristen auf den Gabentisch zu wünschen, die gerade ihre Anwaltsprüfung absolviert haben.
Der Social Club, eine Bollmannsche Begriffsschöpfung, die sich assoziativ an den legendären Buena Vista Social Club der Weltmusik anlehnt, ist der Organisationsstand der klassischen Anwaltskanzlei, die Unkostengemeinschaft: ein gemeinsames Büro und die Kosten werden geteilt. Hier herrscht Club-Atmosphäre – man ist flexibel, frei, sein eigener Herr und kann kooperieren, mit wem man will, wie auch Beat von Rechenberg in seinem Vorwort einräumt.
Doch für die Zukunft ist laut Bollmann eben ein richtiges Unternehmen notwendig, denn der Social Club gehe unter: «Das ist an sich schade; er war ja angenehm», so Hans Bollmann. «Trösten kann man sich nur mit der Erkenntnis, dass er auf jeden Fall untergeht, so oder so.»
Das neue Unternehmen macht die einzelnen Anwälte zu Partnern einer Kapitalgesellschaft, also zu Firmeneigentümern. Sämtliche Einnahmen der Partner fliessen in einen Topf und die Gewinne werden nach jeweils unterschiedlichen Schlüsseln an die Kapitaleigner und Partner ausgezahlt. Je nach Grösse wird noch ein Geschäftsführer bestellt (aus den Reihen der Partner), sodass die Kapitaleigner nur noch bei konkreten Entscheidungen über ihr Eigentum mitbestimmen können. Die einzelnen Partner stellen junge Anwälte ein, mit dem Status von Associates, mit der Option, als Partner aufsteigen zu können, wenn sie aus der Sicht der bisherigen Partner die Gewinne steigern. Die Associates werden in Abständen gebrieft, wie ihre Chancen stehen, zum Partner aufzusteigen. Kontakte zu den Klienten sind selten möglich, da diese das Kapital der Partner darstellen. Die Associates erhalten die Arbeitsaufträge von ihrem Key-Partner; er ist sozusagen ihr Klient, dem sie zu Diensten stehen. Darunter ist die Ebene der Praktikanten installiert, als Anwärterposition für den Associates-Status.
Nach Hans Bollmann soll die Dynamik des Anwaltsunternehmens durch die Konkurrenz um die Gewinnverteilung entfacht werden. Denn seine Einsicht lautet, dass «das Pekuniäre, besonders bei ehrgeizigen Menschen – zu denen wir Anwälte uns zählen –, das zentrale Thema ist».
Der interne Wettbewerb der Partner um die Gewinnverteilung hat laut Bollmann «Incentive-Charakter» und gilt als Steuerungsmoment für die Partnerschaft. Jeder Partner hat für die Gesamtheit der Kapitaleigner schlicht «alles» zu geben. Bei «schwierigen» Partnern und «Lame Ducks» seien Konsequenzen angebracht. Die Associates stünden im Wettbewerb untereinander um die Chance, als Junior-Partner in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Ebenso gebe es einen Wettbewerb unter den Praktikanten. Die Mittel im internen Wettbewerb sind: persönlich verbundene Klienten, viele «Billable Hours», also mit dem Klienten abrechenbare Anwaltsstunden, sowie spezielles Fachwissen für profitable Nischen. Und immer droht laut Bollmann das «Outplacement-Problem»: «Die Kanzlei erspart ... (es) sich, wenn ihre Mitarbeiter es vorher ‹merken› und frühzeitig selber etwas suchen…»
Nüchtern betrachtet wirkt diese Konstruktion, in der die Anwaltstätigkeit auf die Gewinnmaximierung der Kapitaleigener reduziert ist, nicht sonderlich sympathisch. Hans Bollmann gelingt es als geübtem Autor und Vortragendem jedoch, auf den 375 Seiten beim Leser einen gewissen Hype für Anwaltsunternehmen zu erzeugen. Die Anwaltsunternehmen «vibrieren» vor Wachstumsstrategien, sie sind vollständig auf Effizienz getrimmt und kreativ bei der Entwicklung neuer Produkte. Auch Anwaltsethik kann ein Produkt sein. Bei Bollmann ist alles enthusiastisch: Der Managing-Partner strotzt vor «Energie», «Drive» und «Ungeduld». In der Krise gilt es, einen Führungsrhythmus mit «Timeline» und «Staff-Training College» aufzubauen. Diskutiert man über die Strategie, gilt «Fun, Money and Glory». Es wimmelt von Hinweisen und Fussnoten mit markigen Zitaten von PR-Gurus, Professoren und potenten CEOs – meist aus den bewunderten USA, nur auf Englisch zitiert.
Der Leser findet sich wieder beim Nachtessen mit internationalen Kollegen am weiss gedeckten Tisch in Singapur und diskutiert über den «Generation Gap», oder er unterhält sich mit den wichtigsten CEOs der Schweiz über das sinkende Image des Anwaltsberufes. Er nimmt teil am Krisenmanagement für einen Klienten, der seine Probleme in-house nicht lösen kann: Es geht um die Teambildung unter Leitung eines Partners mit Associates, Betriebsjuristen nebst Strafverteidigern. Die Ziele dabei: Führen, den Gegner abschätzen, ein Worst-Case-Szenarium erstellen. Der Leser lernt dabei: Krisenmanagement ist immer auch Informationsmanagement, Kommunikation ist Chefsache oder mit dem zitierten Roger Köppel: «Wer siegen will, liefert seinen Gegnern keine Munition.» Natürlich ist es richtig, «viel zu verlangen, nur die ‹Besten› zu wählen, nur jene, die die Partnerschaft noch besser machen. Eine Selektion schreckt die besten jungen Kräfte nicht ab, sondern zieht sie eher noch an.»
Und dann das pekuniäre Faszinosum, eine eigene Welt, in der der Verkauf einer Anwaltsstunde zu 600 Franken, abrechenbar mit dem Klienten, als erstrebenswert und 35 000 Franken Streitwert als klein und nicht kostendeckend gelten. Private Klientel ist grundsätzlich vermögend, Laufkundschaft oder E-Mail-Anfragen gibt es nicht. Pro-bono-Programme fallen unter Marketingmassnahmen, «nach dem Prinzip: Tue Gutes und rede darüber». Das geltende Anwaltsgesetz mutiert zur Standesregel mit Ratschlagcharakter. «Aber mehr dürfen wir von Standesregeln auch nicht erwarten».
Zum Thema Berufsglück schreibt Bollmann: «Im Idealfall könnten wir ganz unseren persönlichen Neigungen entsprechend wählen, zwischen einer mehr sozialen Tätigkeit im Stile des Atticus Finch (‹To kill a mockingbird›) oder einer eher ‹unfriendly one› im Solde einer ‹Heuschrecke›.» Sprich: Es gibt keine ethisch-moralische Grenze. Die Freiheit des Anwalts ist «eine Riesenchance zur eigenen Entfaltung. Vielleicht werden Anwälte gerade deshalb mit dem Alter noch glücklicher!»
Nicht aufzulösen scheint sich im Buch der Zwiespalt zwischen Hans Bollmann, dem vertrauenswürdigen Anwalt als Teil des Rechtsstaates, und dem Apologeten des Gewinnschöpfungs-Monopols für die Kapitaleigner. Immerhin: Kein Leser zweifelt nach der Lektüre des ersten Ich-Teils daran, dass der folgende Wir-Teil mit dem dort beschriebenen Kernbereich der Anwaltstätigkeit nichts zu tun hat.
Der Untertitel des Bollmannschen Ratgebers für diesen zweiten Teil – «changing the mind set» – gibt für diesen Double Bind eine mögliche Erklärung: Der Begriff stammt aus der Coaching-Szene und versteht unter Mind-Set Grundüberzeugung und Glaubensvorstellung, die die Realität filtern. Dieses Mind-Set soll genutzt werden für ein neues, erstrebenswerteres Ziel, hier: den Platz in einer Anwaltsgesellschaft. Dass diese autosuggestive Methode eine lange Tradition hat, ist selbstverständlich und kann kritisch betrachtet je nach Ziel und Perspektive in ihrem Extrem als Gehirnwäsche oder Seelenrettung bezeichnet werden.
Hans Bollmann zeigt detailliert auf, welches anwaltliche Mind-Set wohin «gechanged» werden soll. Ausgangsbasis bildet das klassische Mind-Set der Advokatur, stichwortartig mit diesen Merkmalen beschrieben: Ego, Neid, Individualität, freiheitsliebend, keine betriebswirtschaftliche Ausbildung und Erfahrung, wenig Management- und Führungserfahrung, Geringschätzung der Betriebswirtschaft, kein Druck von Aktionären, Kapitaleignern (Heuschrecken), Stabsmentalität (wesentliche Entscheidungen werden dem Klienten überlassen), Dienstleistungsmentalität, Bewusstsein für Fragen der Ethik und möglicher Reputationsrisiken.
Umgewandelt werden soll dieses Einzelplayer-Bewusstsein in ein Teamplayer-Bewusstsein – durch Anerkennung einer übergeordneten Existenz, des Unternehmens, und der Gewinnmaximierung für die Kapitaleigner. Bollmann: «Es ist wie das Aufgehen in einem grösseren militärischen Verband… Es ist essenziell für eine Sozietät, diese übergeordnete Existenz zu erkennen. Es geht dabei auch um das Erkennen und vor allem Anerkennen einer übergeordneten Führungsebene, bei der die individuellen Praxisprobleme bekannt sind und wo diese koordiniert und gelöst werden.»
Die Change-Phase folgt dem Set «Forming, Storming, Norming, Performing». Bollmann: «In der Entwicklung zum Unternehmen muss jeder Partner eine im wahrsten Sinne entscheidende Phase der Bewusstwerdung durchlaufen.» Und: «Die negativen Aspekte der aufgezählten anwaltlichen Eigenarten sind zu übersehen – oder, wenn sie ins Gewicht fallen, auszutarieren oder auszumerzen. Soweit Eigenarten stören, sind sie abzustellen, eventuell zu therapieren. Allerdings erwarte man keine Therapiewunder.»
Nun sind erwachsene Menschen nur begrenzt ausschliesslich auf ein einseitiges Ziel auszurichten, daher wird bei entsprechendem kulturellem und sozialem Druck der Konflikt durch eine Art Bewusstseinsspaltung, dem Double Bind, überbrückt. Es ist, zumindest gedanklich, immer noch die Flucht ins «Solo», die eigene, kleine Kanzlei möglich.
P.S. Tröstlich bleibt anzumerken, dass man im Kapitel über den Seniorpartner die Erklärung findet, warum Hans Bollmann 2009 aus der Anwaltsunternehmerszene ausgeschieden ist und «solo» eine Anwaltskanzlei am passenden Zürcher General-Guisan-Quai betreibt. Er schreibt: «Der ältere Partner betreibt eine Art Darwinsches Change-Management und passt sich den veränderten Umständen an.» Dann folgen sechs Seiten Vorschläge, wie ein Seniorpartner weiter produktiv in seiner Anwaltsfirma tätig sein kann.
Das Change Management hat wohl im Falle des Hans Bollmann nicht so richtig geklappt, Darwin war wohl mehr für das «Outplacement». Frisst die neoliberale Revolution vielleicht doch ihre (gealterten) Kinder?