Auch Anwälte fälschen Urkunden oder veruntreuen Geld. Neben dem Strafprozess droht in solchen Fällen ein verwaltungsrechtliches Verfahren vor der kantonalen Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte.
Gegen einen Zuger Anwalt etwa wurden innert 15 Jahren sieben Mal anwaltsrechtliche Sanktionen verhängt, wie aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichts hervorgeht. Sein letztes Fehlverhalten: Er wollte das Erbe der Mandantin in der Höhe von rund 17'000 Franken nicht herausgeben (2C_164/2023 vom 25. März 2024).
Ein Berner Anwalt musste 2021 vor der Aufsichtsbehörde antraben, weil er die Abfindung seiner querschnittgelähmten Klientin von mehr als einer halben Million für sich behielt (Entscheid AA 21 36 vom 12. August 2021). Und Ende September befasste sich das Bundesgericht mit einem Fall eines in Zürich tätigen österreichischen Anwalts, der vor zwei Jahren wegen Betrugs, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung in seinem Heimatland verurteilt wurde (2C_659/2023 vom 24. September 2024).
Die kantonalen Aufsichtsbehörden über die Anwälte sind dafür zuständig, dass Anwälte sich an die Regeln halten. Wer straffällig wird oder die Berufsregeln des Anwaltsgesetzes verletzt, muss mit Sanktionen rechnen. Anwälte müssen den Beruf gewissenhaft ausüben, Interessenkonflikte vermeiden und beispielsweise fremde Vermögenswerte getrennt aufbewahren. Bei Nichteinhaltung eröffnet die Aufsichtsbehörde ein Disziplinarverfahren. In schweren Fällen können befristete oder definitive Berufsverbote ausgesprochen werden.
Das definitive Berufsverbot ist die härteste Sanktion, die den Behörden gemäss Artikel 17 des Anwaltsgesetzes zur Verfügung steht. Bei «Handlungen, die mit dem Anwaltsberuf nicht zu vereinbaren sind», kann die Aufsichtsbehörde zudem strafbare Anwälte gemäss Artikel 9 Anwaltsgesetz aus dem Anwaltsregister löschen. Gewisse Kantone nennen im kantonalen Anwaltsrecht ausserdem explizit den Entzug des Anwaltspatents als mögliche Sanktion.
Löschungen basieren nicht unbedingt auf strafrechtlichen Verurteilungen, sie können auch bei fehlender Handlungs- oder Zahlungsunfähigkeit ausgesprochen werden. Bei einer Löschung wegen Straffälligkeit muss das Delikt im Konnex mit dem Anwaltsberuf stehen, aber nicht zwingend während der beruflichen Tätigkeit erfolgen. Kantonale Behörden haben etwa bei Verurteilungen wegen Mords, schwerer Körperverletzung, Drohung, Urkundenfälschung oder Geldwäscherei Anwälte aus dem Register gelöscht.
Mit einem Berufsverbot sanktionieren die Behörden nur Verletzungen der Standesregeln. Erfasst werden somit nur Delikte, die in der anwaltschaftlichen Tätigkeit begangen werden. Bei Löschungen und Berufsverboten darf der betroffene Anwalt nicht mehr vor Gericht prozessieren. Die rechtliche Beratung von Klienten ist aber weiterhin möglich.
Entzug des Anwaltspatents ist die schärfste Sanktion
Ein Entzug des Anwaltspatents geht einen Schritt weiter. In dem Fall darf sich der Betroffene nicht mehr Rechtsanwalt nennen und keine Beratungstätigkeiten unter Verwendung dieses Titels anbieten.
Der Entzug ist im Anwaltsgesetz des Bundes nicht geregelt, gemäss Bundesgericht steht diese Möglichkeit den Kantonen aber trotzdem offen: «Ist es dem kantonalen Gesetzgeber gestattet, den Erwerb des Anwaltspatents von persönlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, so kann er das Patent auch entziehen.» Dies sei sogar ohne gesetzliche Grundlage möglich.
Unklar ist, wie häufig es zu Berufsverboten und Patententzügen kommt. Nur die grösseren Kantone veröffentlichen die Anzahl in den Jahresberichten. Keine Behörde konnte plädoyer die jährliche Anzahl von Löschungen im Berufsregister angeben, die gegen straffällige Anwälte verfügt wurden. Denn die Löschungen würden nicht danach aufgegliedert, ob diese aufgrund von Straffälligkeit, Verlustscheinen oder fehlender Handlungsfähigkeit erfolgte.
Wenige Kantone publizieren Berufsverbote von Anwälten
Die kantonalen Register über die vor Gericht zugelassenen Anwälte sind für jedermann einsehbar. Im Kanton Waadt gibt es zudem eine öffentliche Liste mit allen Anwälten, gegen die Berufsverbote verhängt wurden – zurzeit sind es vier. Doch ob und wie oft Sanktionen gegen einen Anwalt erlassen wurden oder ob jemand aus dem Register gelöscht wurde, ist für die Rechtssuchenden nicht ersichtlich.
Luzern publiziert als einer der wenigen Kantone Löschungen, Patententzüge und Berufsverbote im Amtsblatt. Das Bundesgericht hat im Urteil zum Zuger Anwalt die Veröffentlichung von Berufsverboten aber als nicht zulässig befunden – wegen der «Prangerwirkung» einer solchen Publikation. Das Verwaltungsgericht St. Gallen übernahm diese Praxis.
plädoyer versuchte aufgrund von Urteilen, Medienberichten und Behördenanfragen zu quantifizieren, wie häufig Berufsverbote, Patententzüge und Löschungen aus dem Register verhängt werden.
Resultat: In den letzten zehn Jahren sprachen die kantonalen Aufsichtsbehörden in rund 40 Fällen Berufsverbote aus, löschten Straffällige aus dem Anwaltsregister oder entzogen ihnen das Patent – dies bei 14'000 eingetragenen Anwälten. Bei der Hälfte der Fälle wurden befristete oder definitive Berufsverbote verfügt. Zu Löschungen kam es in zehn Fällen. In Zürich und St. Gallen wurde das Patent je zwei Anwälten wegen Straffälligkeit entzogen.
Anwälte können Disziplinarverfahren zuvorkommen, indem sie ihren Registereintrag auf eigenes Begehren löschen lassen. Nur wenige Kantone wie etwa Basel-Stadt, Bern, Luzern oder Zürich sehen in ihren Anwaltsgesetzen Sanktionen für Anwälte vor, die nicht im Register eingetragen sind und bloss Beratungen anbieten. Das Bundesgericht stufte die Rechtmässigkeit solcher Sanktionen gegen nicht eingetragene Anwälte als umstritten ein.
Die Löschung des Registereintrags auf Antrag ist für straffällige Anwälte aus einem weiteren Grund vorteilhaft: Der Vermerk «Löschung auf eigenes Begehren» im Amtsblatt macht sich besser als die Veröffentlichung einer Löschung durch die Aufsichtsbehörde.
In den letzten Jahren liessen einige Anwälte ihren Registereintrag in Anbetracht eines Strafverfahrens löschen. Ob damit ein Disziplinarverfahren umgangen werden soll, lässt sich nicht sagen. Wenn aber etwa ein Genfer Anwalt zufälligerweise einen Tag vor Löschung seitens der Behörden selbst eine Löschung verlangt oder ein Anwalt in Zürich seinen Registereintrag löschen lässt, bevor eine Woche später eine Anzeige bei der Aufsichtsbehörde gegen ihn eingeht, scheint der zeitliche Zusammenhang doch relativ klar. Gemäss Walter Fellmann, Professor an der Uni Luzern und Experte für Anwaltsrecht, sei ein solches Vorgehen von Anwälten durchaus denkbar und zulässig.
Diese Problematik war schon bei der Entstehung des neuen Anwaltsgesetzes bekannt. Das zeigt ein Blick in die Vernehmlassungsantworten. Einige Kantone zeigten sich besorgt, dass Anwälte mittels einer Löschung einem Disziplinarverfahren entgehen könnten. Dieser Einwand sei bei den Behörden jedoch nicht durchgedrungen. Auch Rechtsanwalt Daniel Kettiger warnte im Jahr 2009 in einem Aufsatz, dass mit der Löschung aus dem Register die Möglichkeit des Berufsausübungsverbots wegfällt.
Straffällige Anwälte zögern Fristen hinaus
Löschungen seitens der Behörden wiederum werden auch von den Gerichten blockiert. Denn eine Löschung wegen Straffälligkeit kann nur vorgenommen werden, solange ein Strafregistereintrag besteht. Bei bedingten Strafen wird der Eintrag im Strafregister entfernt, sobald die Probezeit abläuft. Diese Frist beginnt ab der Verkündung des strafrechtlichen Urteils.
Wenn die Behörden das Disziplinarverfahren nicht rechtzeitig durchführen, kann diese Probezeit ablaufen, bevor die Anwaltsaufsicht entscheidet. So geschehen etwa in einem Fall eines Zürcher Anwalts vor vier Jahren, gegen den die Behörden erst ein Jahr nach seiner Verurteilung ein Verfahren um Löschung einleiteten. Durch geschicktes Hinauszögern verschiedener Fristen gelang es ihm, der Beschwerdeinstanz einen Strafregistereintrag zu präsentieren, der seit wenigen Tagen wieder sauber war. Das Gericht musste die Löschung deshalb aufheben.
plädoyer sind weitere Fälle etwa in Bern oder Zürich bekannt. Das prominenteste Beispiel findet sich im Wallis. Der Anwalt und SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor war 2020 wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Strafe verurteilt worden, weshalb ihn die Walliser Behörde ein Jahr später aus dem Anwaltsregister löschte. Addor erhob Beschwerde. Im Urteil vom Mai 2022 kam die Walliser Beschwerdeinstanz zum Schluss, dass die Löschung des Registereintrags aufzuheben sei – die Probezeit seiner bedingten Strafe war abgelaufen, es lag kein Strafregistereintrag mehr vor. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde blieb er durchgehend im Register eingetragen.
In kleinen Kantonen scheint immerhin eine gewisse soziale Kontrolle der schwachen behördlichen Aufsicht entgegenzuwirken. Das zeigt der Fall eines Schwyzer Anwalts, gegen den seit Jahren ein Strafverfahren wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung läuft. Schon zum zweiten Mal hob das Bundesgericht dieses Jahr wegen Verfahrensmängeln den Freispruch des Anwalts durch die kantonalen Gerichte auf. Der Anwalt kann trotz den schweren Vorwürfen weiterhin tätig sein. Der beschuldigte Anwalt zu plädoyer: «Ich wurde in dieser langjährigen Angelegenheit immer wieder in den Lokalzeitungen namentlich genannt. Da ich vor allem Stammkunden habe, sind diese darüber informiert.»