Jeder Kanton regelt das Notariatswesen selbst. In einigen Kantonen sind Notare Staatsangestellte, in anderen arbeiten sie als Selbständigerwerbende (siehe Unten). Doch in einem Punkt sind sich alle Kantone einig: Am heutigen Zustand soll nichts geändert werden.
So wehrten sich die Notarenzunft und ihre parlamentarischen Gehilfen im Nationalrat kürzlich erfolgreich gegen eine Liberalisierung ihres Berufsstandes. Parlamentarier fast aller Parteien lehnten Anfang März nämlich das Postulat «Wettbewerb statt Protektionismus – schweizweite Liberalisierung des Notariatswesens» der grünliberalen Nationalrätin Kathrin Bertschy mit 137 gegen 35 Stimmen klar ab. Einzig die Grünliberale Partei stimmte geschlossen dafür.
“Überhöhte Kosten berappen die Bürger”
Das Postulat verlangte vom Bundesrat, in einem Bericht darzulegen, wie eine landesweite Liberalisierung des Notariatswesens mit einem möglichst freien, interkantonalen Wettbewerb umgesetzt werden kann. Bertschy begründet ihr Postulat mit dem fehlenden Wettbewerb im Bereich der Notariatsdienstleistungen: «Die Kosten der überhöhten Monopol- oder zumindest Oligopolpreise berappen die Bürger.» Dieser kantonale Protektionismus sei ein alter Zopf. Es gebe keinen vernünftigen Grund, warum Notare ihre Dienstleistungen nicht auch in einem anderen Kanton anbieten könnten.
Weshalb hatte das Postulat im Nationalrat keine Chance? Kathrin Bertschy sagt: «Alle Notare sind gegen eine Liberalisierung.» Und sie sei auch keine parteipolitische Frage, deshalb hätten die Parlamentarier je nach Kanton anders abgestimmt.
In der Ratsdebatte brachten die Gegner einer Liberalisierung dann aber staatsrechtliche Argumente vor. Die Walliser CVP-Frau und Notarin Viola Amherd etwa wies auf den hoheitlichen Akt hin, den die Arbeit des Notars darstelle. Es sei eine dem Staat vorzubehaltende Aufgabe. Der Zürcher SVP-Mann und Rechtsanwalt Hans Egloff sah es ebenfalls so: «Es geht um sensible Lebens- und Rechtsbereiche, etwa ehe-, erb- und sachenrechtliche Geschäfte. Der Vorbehalt des staatlichen Handelns oder der staatlichen Aufsicht ist sicher nicht falsch», sagte er in der Ratsdebatte.
“Notare unterstehen dem Binnenmarktgesetz”
Anderer Ansicht ist die Wettbewerbskommission (Weko): «Nach unserer Auffassung sind Notare aufgrund der Entwicklungen im Europarecht und im Freizügigkeitsabkommen nicht hoheitlich tätig und unterstehen somit dem Binnenmarktgesetz», sagt Nicolas Diebold, Leiter des Kompetenzzentrums Binnenmarkt bei der Weko. Die Überlegungen dazu hat die Weko vor drei Jahren in einem Bericht zuhanden der Kantone und des Bundesrats betreffend Freizügigkeit für Notare und öffentliche Urkunden formuliert. Bertschys Postulat basiert denn auch auf diesem Bericht und den darin aufgelisteten Empfehlungen der Weko.
Darin heisst es: Die Ausklammerung der notariellen Tätigkeit vom Geltungsbereich des Binnenmarktgesetzes und des Freizügigkeitsabkommens stünde inzwischen «im Spannungsverhältnis» mit der neueren Praxis des Gerichtshofs der EU, wonach die von den Notaren ausgeübte Tätigkeit der öffentlichen Beurkundung nicht die Ausübung öffentlicher Gewalt und hoheitlicher Befugnisse beinhaltet.
Auch unabhängig von den Entwicklungen im bilateralen Freizügigkeitsrecht ist die gegenwärtige Situation in der Schweiz für die Weko unbefriedigend. So heisst es im Bericht: «Einerseits führt es zu Ungleichbehandlungen, wenn gewisse Kantone Anerkennungsmöglichkeiten vorsehen, gewisse Kantone ein Gegenrecht des Herkunftskantons fordern und gewisse Kantone gar keine Anerkennung gewähren (Art. 8 Abs. 2 BV, Art. 6 Abs. 3 BGBM).»
Andererseits lasse sich auch aus Sicht des Verhältnismässigkeitsgebots gemäss Art. 5 Abs. 2 BV kaum begründen, weshalb beispielsweise ein Notar, der über ein Hochschulstudium verfüge, ein mehrjähriges Praktikum und eine Prüfung absolviert habe und mehrere Jahre als selbständiger Notar tätig gewesen sei, nicht in einem anderen Kanton zugelassen werden könne, ohne erneut ein mehrjähriges Praktikum und die komplette Prüfung absolvieren zu müssen. Die kantonalen Regelungen betreffend die gegenseitige Anerkennung von Notariatspatenten sollten laut der Weko nach «einheitlichen und diskriminierungsfreien Kriterien» ausgestaltet sein.
In ihren Empfehlungen ersucht die Weko dementsprechend die Kantone, erstens «ausserkantonale Notare unter Anerkennung ihrer Fähigkeitsausweise für diejenigen Tätigkeiten zuzulassen, die im eigenen Kanton ebenfalls durch freierwerbende Notare ausgeübt werden dürfen». Und zweitens sei «im Bereich des freien Notariats auf Marktzugangsbeschränkungen wie Gegenrechtbestimmungen, Wohnsitzpflichten und Staatsbürgerschaftserfordernisse zu verzichten.
Dem Bundesrat wird empfohlen, «im Entwurf zur Revision des SchlT ZGB (Öffentliche Beurkundung) die Anerkennung aller öffentlichen Urkunden zwischen den Kantonen zu normieren». Und den Kantonen wird weiter empfohlen, «im kantonalen oder interkantonalen Recht die Grundlagen zu schaffen, nach denen die Anerkennung von ausserkantonalen Urkunden betreffend Grundstückgeschäfte möglich wird».
Preisüberwacher für eine Liberalisierung
Auch Preisüberwacher Stefan Meierhans ist der Mangel an Wettbewerb mit entsprechend hohen Tarifen ein Dorn im Auge: «Wir verstehen unter der Teilliberalisierung primär eine Tarifliberalisierung. Ein Notar sollte den staatlich vorgegebenen Tarif unterbieten dürfen, sodass überhöhte Tarife unter Druck kommen.» Eine solche Liberalisierung hätte er in der Vergangenheit in verschiedenen Empfehlungen an die Kantone gefordert. Er befürwortet auch, dass bei Immobiliengeschäften ausserkantonale Notare zugelassen werden. Auch das würde die kantonalen Monopoltarife unter Druck setzen. Das Problem beim Postulat Bertschy besteht gemäss Meierhans darin, dass damit auch das staatliche Notariat in Frage gestellt würde – «mithin die heute günstigste Notariatsform». Deshalb habe es wohl im Nationalrat eine Kumulation der Opposition gegeben: «Die einen wollten die freien Notare schützen, andere sahen günstige staatliche Notariate bedroht.»
Nach dem Nein des Nationalrats sei das Thema nicht definitiv vom Tisch, sagt Meierhans kämpferisch. «Wir arbeiten im Rahmen unserer Möglichkeiten weiterhin auf günstigere Tarife hin. Eben auch mit der Empfehlung, die Tarife gegen unten freizugeben.»
Die Weko bleibt am Thema ebenfalls dran. Laut Diebold wird die Wettbewerbskommission gegen eine BGBM-relevante Verfügung aus dem Notariatsbereich Beschwerde führen und die Frage gerichtlich prüfen lassen, sobald ihr eine solche Verfügung vorliege.
Die Weko verfügt neben dem Empfehlungs- auch über ein Beschwerderecht. Sie kann gegen binnenmarktrechtswidrige Verfügungen Beschwerde führen (Art. 9 Abs. 2bis BGBM). Eine Beschwerde setzt voraus, dass der Weko eine konkrete Verfügung vorliegt. «Im Notariatswesen könnte eine Verfügung darin bestehen, dass ein Kanton das Bewilligungsgesuch eines in einem anderen Kanton bereits zugelassenen Notars mit gleichwertiger Ausbildung abweist», so Diebold.
Notariate: Jeder Kanton macht, was er will
Die Regelung der öffentlichen Beurkundung liegt in der Kompetenz der Kantone (Art. 55 SchlT ZGB). Die Kantone bestimmen somit, wer öffentliche Beurkundungen vornehmen darf. Es gibt drei verschiedene Formen von kantonalen Regelungen:
Amtsnotariat (SH, ZH): Das Amtsnotariat sieht vor, dass öffentliche Urkunden ausschliesslich von staatlich angestellten Urkundspersonen erstellt werden dürfen. Für die Kunden ist dieses System relativ preisgünstig.
Freiberufliches Notariat (AG, BE, BL, BS, FR, GE, NE, JU, TI, UR, VD, VS): Öffentliche Beurkundungen werden durch selbständigerwerbende Notare vorgenommen. Der Kanton legt in der Regel die Tarife oder die Anzahl der zugelassenen Notare fest. In manchen Kantonen dürfen die Notare keine zusätzliche Erwerbstätigkeit ausüben, während in anderen Kantonen eine gleichzeitige Tätigkeit als Anwalt häufig ist.
Gemischtes Notariat (AI, AR, GL, GR, LU, NW, OW, SG, SO, SZ, TG, ZG): Im gemischten Notariat werden bestimmte Bereiche den kantonalen Amtsnotaren vorbehalten (beispielsweise Grundbuchgeschäfte), während die übrigen Angelegenheiten auch freiberuflichen Notaren offenstehen.