plädoyer: Herr Raselli, Sie waren 17 Jahre lang Bundesrichter, gewählt von der Bundesversammlung. Wären Sie lieber von einer Fachkommission auf Ihre Eignung geprüft und dann durch das Los gewählt worden?
Niccolò Raselli: Nein, ich finde es besser, vom Parlament gewählt zu werden. Ich würde es aber begrüssen, wenn man vorher eine unabhängige Fachkommission zur Prüfung der Richterkandidaten einschalten würde. Heute evaluiert eine Kommission aus Parlamentariern die Kandidaten auf ihre Eignung. Zu meiner Zeit Mitte der Neunzigerjahre war es noch anders: Als Bewerber für einen Bundesrichterposten wurde man zuerst von einem Ausschuss der Bundeshausfraktion der eigenen Partei angehört. Dieser setzte sich dann mit den Ausschüssen der andern Parteien zusammen. Verlangten andere Parteien, dass man sich bei ihnen vorstellte, ging man hin. Damit hatte es sich. Im Hinblick auf die Qualität der Zusammensetzung des Bundesgerichts wäre ein unabhängiges Fachgremium besser. Die Wahl ins Bundesgericht müsste aber dann wie heute das Parlament vornehmen. In einem demokratischen Staatswesen scheint es mir unabdingbar zu sein, dass bei Richterwahlen eine staatliche Gewalt – sei es das Volk oder das Parlament – die letzte Verantwortung übernimmt und nicht ein Würfel.
plädoyer: Die Justizinitiative will, dass eine unabhängige Fachkommission die Kandidaten anhört und auf ihre Eignung prüft. Hauptkritik der Initianten: Das heutige System wählt die Bundesrichter aus einem sehr kleinen Pool – nämlich aus den Parteimitgliedern. Das sind etwa fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung. Alle andern haben keine Chancen – auch wenn sie bestens qualifiziert sind. Ist das nicht ein Missstand, der behoben werden sollte?
Raselli: Ich habe viel Verständnis für die Motive der Initianten. Nur halte ich ihre Lösung für falsch. Sie kritisieren zu Recht, dass heute parteiunabhängige Kandidaten keine Wahlchancen haben. Das ist ein Missstand. Dazu kommt: Die politischen Parteien versuchen Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen. Das tun sie nicht bei der Wahl eines Richters durch die Bundesversammlung, sondern über die Wiederwahl nach sechs Jahren. Deshalb erachte ich es als richtig, dass die Initianten eine einmalige Wahl der Bundesrichter verlangen und die Wiederwahl abschaffen wollen.
plädoyer: Herr Livschitz, würden Sie als Anwalt Ihre Beschwerden lieber nach Lausanne schicken, wenn die Richter dort per Los statt von den grossen Parteien bestimmt würden?
Mark Livschitz: Das vorgeschlagene Losverfahren scheint mir eher sekundär. Primär steht die Entpolitisierung der Justiz durch ein Auswahlfachgremium und die Abschaffung der Wiederwahl im Vordergrund. Das Losverfahren fand ich anfangs eher seltsam. Je mehr ich mich aber damit befasse, desto besser verstehe ich die Initianten auch in dieser Hinsicht. Vielleicht kommt über einen Gegenvorschlag des Parlaments hier noch eine Alternative zur Diskussion. Man könnte zum Beispiel verlangen, dass die Fachkommission ihre Entscheide begründet und samt Begründung publiziert – also öffentlich macht. So hätten wir ein transparentes Wahlverfahren. Das Interessante an der Initiative: Sie zeigt eine Möglichkeit auf, wie der Einfluss der Parteien auf die Rechtsprechung reduziert werden kann. Ich habe mich bereits im Jahr 2002 im Rahmen meiner Dissertation mit diesem Thema beschäftigt. Dabei stellte ich fest: Der politische Einfluss muss nicht immer explizit sein. Er kann auch implizit stattfinden. Konkret: Richter, die nicht auf der politischen Linie des Parteienmainstreams bleiben, wissen, dass sie bei der Wiederwahl Probleme bekommen könnten. Schon dieses Wissen genügt, dass sie «in der Spur laufen» – und potenziell nicht mehr unabhängige Urteile fällen. Einige der damaligen Gesprächspartner aus den Gerichten, die ich für meine Dissertation befragte, sagten in diesem Sinn aus.
plädoyer: Staatsrechtler Andreas Glaser kritisierte, es sei ein kleiner oligarchischer Kreis, aus dem das politische Personal rekrutiert werde (plädoyer 6/2017). Sollte nicht auch der Kreis der Kandidaten fürs Bundesgericht vergrössert werden?
Raselli: Ja, der Kreis ist nicht gross genug, damit hervorragende Juristen und Juristinnen, die das Zeug fürs Richteramt haben, Chancen hätten. Sie werden gezwungen, einer Partei beizutreten, nur um gewählt zu werden.
Livschitz: Der Pool muss vergrössert werden. Es gibt kein vernünftiges Argument dafür, die Auswahl der Kandidaten parteipolitisch zu begrenzen. Auch die Fachkommission sollte idealerweise aus parteiunabhängigen Personen zusammengesetzt sein. Nur so wird sie gemäss Initiativtext unabhängig von politischen Organisationen agieren.
Raselli: Wir müssen raus aus dem engen parteipolitischen Gefüge. Deshalb ist das Einschalten einer Fachkommission für mich der entscheidende Schritt. Das wurde übrigens bereits bei der Bundesgerichtsrevision mehrmals diskutiert. Die damalige Expertenkommission, in der ich Mitglied war, schlug eine Fachkommission vor, welche die Richterkandidaten evaluiert und empfiehlt. Wir stiessen mit dieser Idee jedoch im Parlament auf totalen Widerstand. Also schwächten wir die Idee auf einen Beirat ab. Auch da war das Parlament dagegen. Für mich ist klar, warum dies so war: Eine Fachkommission, die eine Evaluation vornimmt und eine Empfehlung für einen Kandidaten macht, schafft Fakten, die das Parlament nachträglich nicht leichtfertig umstossen kann, auch wenn es die letzte Entscheidungsgewalt hat.
plädoyer: Laut dem Wortlaut der Justizinitiative würde die Fachkommission durch den Bundesrat gewählt. Scheitert die Parteiunabhängigkeit des Gremiums nicht schon an dieser Bestimmung?
Raselli: Es ist eine Illusion zu glauben, eine Fachkommission wäre grundsätzlich weniger nach politischen Gesichtspunkten zusammengesetzt als die heutige Gerichtskommission. Der Bundesrat wäre zwar darauf bedacht, das Gremium ausgewogen zusammenzusetzen. Er würde wohl Personen wählen, die als rechtskonservativ, konservativ, liberal oder linksliberal gelten. Seien sie nun in einer Partei oder nicht. Im Grunde genommen sprechen wir hier von einer Machtverschiebung vom Parlament zu einer Fachkommission. Diese Kommission wird im Wesentlichen gleich funktionieren wie die Kommission aus Parlamentariern – mit der Ausnahme, dass am Ende das Los entscheidet.
Livschitz: Ich sehe das anders. Heute werden die Richter über informelle Gespräche in Hinterzimmern bestimmt. Und zwar in kartellistischen Mechanismen. Kartellteilnehmer sind die Parteien. Faktisch ist das eine Umgehung des gesetzlich vorgesehenen Verfahrens. Zusätzlich kommt als unangenehme Zutat die Parteisteuer hinzu. Diese unhaltbare gegenwärtige Faktizität widerspricht der Verfassung und dem Demokratieprinzip. Es fördert auch die richterliche Unabhängigkeit nicht. Wie aber soll man dieses System durchbrechen? Die Idee der Initianten mit dem Losverfahren würde immerhin einen negativen Anreiz für die informellen Mechanismen schaffen, die hinter der Gerichtskommission stehen. Das Losverfahren würde kartellistische Mechanismen verhindern, die auch bei einer unabhängigen Fachkommission theoretisch möglich blieben. Das Losverfahren würde kartellistische Mechanismen erschweren.
plädoyer: Die Fachkommission hätte laut Initiative die Aufgabe, die Kandidaten nach ihrer fachlichen und persönlichen Eignung zum Richter auszulesen. Würde sich so die Zusammensetzung des Bundesgerichts ändern?
Raselli: Möglicherweise schon. Beispiel: Vor rund 15 Jahren schlug eine Partei einen Kandidaten vor, der parteiintern gegen einen anderen Kandidaten abfiel. Ich weiss nicht, warum die Partei nicht den besser qualifizierten Kandidaten aufstellte. Herr Livschitz kritisiert zu Recht das kartellistische Vorgehen der Parteien. Infolge der öffentlichen Ausschreibung können sich heute zwar auch Parteilose zur Wahl stellen. Aber weil die Gerichtskommission des Parlaments aus Parteimitgliedern besteht, sind solche Kandidaten chancenlos. Aber nochmals: Es scheint mir in einer Demokratie unabdingbar, dass eine staatliche Gewalt die Verantwortung für die Wahl haben muss und als Wahlgremium fungiert. Mir schwebt eine faktische Teilung dieser Wahlmacht vor, indem eine unabhängige Fachkommission die Evaluation vornimmt und eine Empfehlung abgibt. Nachher soll aber das Parlament entscheiden. Die Empfehlung der Kommission wäre zwar nicht verbindlich, aber das Parlament könnte sich nicht leichtfertig über eine konkrete Empfehlung hinwegsetzen – auch wenn der empfohlene Kandidat parteilos ist.
Livschitz: Ich bin anderer Meinung. Der Diskurs über das Verhältnis von Demokratie und Richterrekrutierung ist interessant, weil er in der Schweiz intensiver geführt wird als in anderen Ländern, die ebenfalls demokratisch sind. Diese Staaten kennen keine Richterwahl durch das Parlament. Für mich muss eine Demokratie zwingend rechtsstaatlich sein. Rechtsstaatlich ist sie, wenn wir eine Gewaltentrennung im Sinne echter «Checks and Balances» haben. Das ist nur dann der Fall, wenn die Justiz unabhängig ist. Für mich ist also kein richterliches Rekrutierungssystem akzeptabel, das die richterliche Unabhängigkeit mehr einschränkt als nötig. Es ist für mich unnötig, die richterliche Unabhängigkeit zugunsten einer möglichst direkten demokratischen Legitimationskette durch Volks- oder Parlamentswahl einzuschränken, zumal diese keine nachweisbaren positiven Effekte auf die Justiz hat. Es überzeugt mich nicht, wenn man sagt, es ist wichtig, dass der Entscheid für eine Richterposition von einem Parlament gefällt wird – einzig, weil das Parlament in der formellen Legitimationskette vom Volk gewählt ist. Das ist ein rein formelles Kriterium, das über die Qualität der Wahl, die Unabhängigkeit und Qualifikation des Gewählten nicht viel aussagt. Diese formelle Legitimationskette liegt anderseits auch vor, wenn eine Fachkommission von der Regierung bestimmt wird, die ihrerseits wiederum vom Parlament bestimmt wird. Ich sehe nicht, warum eine solche Legitimationskette für ein Gericht – das sich ja in erster Linie über seine Unabhängigkeit und fachliche Überzeugungskraft legitimiert – unzureichend sein soll – ganz abgesehen davon, dass ja im heutigen System die Parlamentswahl nur pro forma erfolgt, die Richter in Wirklichkeit im Hinterzimmer bestimmt werden.
plädoyer: Würde heute eine Partei im Parlament eine Mehrheit erreichen, könnte sie alle Sitze des Bundesgerichts mit eigenen Leuten besetzen. Das wäre bei einer Auslosung der Richter nicht möglich. Spricht das nicht für die Initiative?
Raselli: Das halte ich praktisch nicht für möglich. Ich würde keiner Partei unterstellen, so vorzugehen. Der Parteienproporz wird nämlich bei der Wahl eines Bundesrichters im Prinzip von keiner Partei in Frage gestellt.
Livschitz: Die Idee, dass auf der Richterbank möglichst viele Strömungen aus der Bevölkerung vertreten sein sollen – und zwar dadurch, dass man Richter aus allen grossen Parteien wählt – hat einen Haken. In der Praxis läuft es eben doch anders: Mehr als zwei Drittel meiner Kollegen, die eine Richterlaufbahn eingeschlagen haben, sind aus rein opportunistischen Gründen einer Partei beigetreten. Ihre Gesinnung entspricht also nicht derjenigen der Partei. Ein Beispiel: In meinen jungen Jahren war die SVP im Kanton Zürich sehr dominant. Viele Kollegen traten ihr bei, weil sie sich so die grössten Chancen ausrechneten, einen Richterposten zu erlangen. Heisst das nun, dass alle SVP-Richter eine SVP-nahe Gesinnung haben? Nein. Es fehlen zuverlässige Evidenzen dafür, welche gesellschaftlichen Färbungen auf der Richterbank wirklich repräsentiert sind. Wir werden das nie mit Sicherheit wissen, weil wir nicht in die Köpfe der Menschen schauen können.
Raselli: Das stimmt. Ich kenne Leute, die nachträglich die Partei wechselten, weil beim Gericht ein Richterplatz frei wurde, der dieser Partei zustand. Aus Erfahrung kann ich aber sagen, dass die Parteipolitik in der Gerichtspraxis eine untergeordnete Rolle spielt. Massgebender sind familiäre und regionale Herkunft, die religiöse Einstellung, das Familienbild usw. Die Werthaltung, die man hat, zeigt sich auch am Gericht.
plädoyer: Die Initianten wollen, dass sich die Bundesrichter von den Mächtigen im Staat unabhängiger fühlen – also von der Wirtschaft oder staatlichen Behörden. Es gibt Studien, aus denen hervorgeht, dass etwa die II. öffentlich-rechtliche Abteilung in ihren Steuerentscheiden selten dem Bürger recht gab oder die Luzerner Versicherungsrichter selten den Versicherten. Trifft die Kritik der Initianten zu?
Raselli: Ich kenne diese Studien nicht. Eine pauschale Machtnähe zum Staat kann ich so nicht bestätigen. Ich erlebte während meiner Richterkarriere freisinnige Kollegen, die eine sehr staatsnahe Auffassung hatten, und SP-Richter, die staatlicher Macht gegenüber kritisch waren. Auch das Losverfahren hätte hier Schwächen: Nehmen wir an, es wären zwei Richterposten zu vergeben, und zwanzig Personen bewerben sich dafür. Zehn Kandidaten fallen aus formellen Gründen weg. Aus den andern zehn werden sechs als geeignet beurteilt: Zwei von ihnen gelten als rechtskonservativ, zwei als linksliberal und zwei als der politischen Mitte zugehörig. Nun bestimmt das Los zwei Rechtskonservative. Die beiden zurückgetretenen Richter waren aber linksliberal. Es könnte auch der umgekehrte Fall eintreten. Das Losverfahren führt hier dazu, dass das Gleichgewicht auseinanderfällt, dass am Gericht keine Balance mehr besteht. Ist das erwünscht?
Livschitz: Es kommt darauf an, wie man die Losbildung kalibriert. Die Bildung der Lose ist beeinflussbar. Um zufallsbedingte Ungleichgewichte zu vermeiden, könnte man hier also ansetzen.
Raselli: Ja, aber das wäre dann kein reines Losverfahren mehr. Das Losverfahren ist der verführerische Zucker dieser Initiative: Es ist doch schon bei Kindern so: Haben sie ein Problem und können sich nicht einigen, ist der einfachste Ausweg: Man würfelt, das Los entscheidet. So muss man keine Verantwortung übernehmen. Das gefällt mir nicht.
plädoyer: Im antiken Griechenland ist man mit dem Losverfahren gut gefahren. Aristoteles bezeichnete es als demokratisch – Wahlen hingegen als oligarchisch. Denn beim Wahlverfahren würden immer Leute aus einer besonders einflussreichen Gruppe bevorzugt. Teilen Sie diese Ansicht?
Livschitz: Wir müssen gar nicht auf die Antike zurückgreifen. Es gibt heute aktuelle Beispiele von Losverfahren in der Wirtschaft, die gerade wegen der dadurch erzielten Resultate anerkannt sind. So kann man zum Beispiel beim Testen der Wirksamkeit von internen Kontrollen in Unternehmen die getesteten Transaktionen entweder nach Ermessen oder aber per Zufallsgenerator – also durch Los – aussuchen. Beides ist methodisch anerkannt. Nach Ermessen sucht man aus, um die für eine bestimmte Testanordnung vermeintlich geeignetsten Transaktionen im Pool zu haben, nach Los, um ein möglichst ausgewogenes Bild der Transaktionen im Unternehmen zu vermitteln. Die Justizinitiative scheint beide Aspekte zu kombinieren: Vorauswahl eines geeigneten Kandidatenpools nach fachlichem Ermessen durch die Fachkommission, Losziehung für eine möglichst ausgewogene Stellenbesetzung im Einzelfall.
plädoyer: Laut Initiativtext müssten sich die Bundesrichter keiner Wiederwahl stellen. Sie wären bis zum 70. Altersjahr gewählt, falls sie nicht früher zurücktreten.
Livschitz: Das scheint mir sehr wichtig. Damit wird die Unabhängigkeit der Richter enorm gestärkt. Ich bin überzeugt, dass der grösste Teil der Schweizer Bevölkerung nicht weiss, dass Richter heutzutage beeinflussbar sind und den politischen Parteien einen Obolus abgeben müssen, damit sie überhaupt in ihrem Amt bleiben können. Es ist ein Verdienst dieser Initiative, dass diese Aspekte nun in der Bevölkerung diskutiert werden sollen.
plädoyer: Eine Schwäche der Initiative ist laut Professor Andreas Glaser, dass gewählte Richter von einer einfachen Mehrheit des Parlaments abgewählt werden könnten.
Raselli: Das sehe ich auch so. Ich verstehe nicht, warum die Initianten nicht auch die Fachkommission für die Abwahl der Richter bei schwerer Verletzung der Amtspflichten oder Amtsunfähigkeit bestimmt haben. Beim heutigen Abberufungsverfahren entscheidet das Parlament. Das geht meines Erachtens nicht, weil der einzelne Parlamentarier niemandem Rechenschaft schuldig ist über die Gründe, warum er ja oder nein stimmt. Das ist Willkür. In meinen Augen muss das Abberufungsorgan alle Unabhängigkeitseigenschaften eines Gerichts nach Artikel 30 der Bundesverfassung haben, also ein gerichtliches Verfahren garantieren. Beim Parlament ist das nicht der Fall.
Livschitz: Auch ich bin der Meinung, dass man das Amtsenthebungsverfahren der Fachkommission übertragen und einer gerichtlichen Beurteilung unterstellen sollte. Es könnte aber auch noch andere Möglichkeiten geben. Vielleicht entwickelt das Parlament Alternativen und macht einen Gegenvorschlag. Von der Grundidee liegt die Justizinitiative aber doch richtig. Weil sie ein Grundproblem des heutigen Richterbestellungssystems aufgreift.
Raselli: Das stimmt. In diesem Sinn kann ich der Initiative durchaus etwas Positives abgewinnen. Ich hoffe, das Parlament nimmt den Ball auf, nimmt das Grundanliegen der Initianten ernst und diskutiert die Themen, die schon lange fällig sind: die einmalige Wahl, eine unabhängige Fachkommission, welche die Kandidaten evaluiert. Die Initiative weist auf Probleme hin, die existieren. Das Parlament könnte darauf mit einem direkten oder indirekten Gegenvorschlag antworten.
Der Wortlaut der Justizinitiative
Die Bundesverfassung soll nach dem Willen der Initianten wie folgt geändert werden:
Art. 145 Amtsdauer
1 Die Mitglieder des Nationalrats und des Bundesrats sowie die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler werden auf die Dauer von vier Jahren gewählt. Die Amtsdauer der Richterinnen und Richter des Bundesgerichts endet fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters.
2 Die Vereinigte Bundesversammlung kann auf Antrag des Bundesrats mit einer Mehrheit der Stimmenden eine Richterin oder einen Richter des Bundesgerichts abberufen, wenn diese oder dieser:
Amtspflichten schwer verletzt hat; oder die Fähigkeit, das Amt auszuüben, auf Dauer verloren hat.
Art. 188a Bestimmung der Richterinnen und Richter des Bundesgerichts
1 Die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts werden im Losverfahren bestimmt. Das Losverfahren ist so auszugestalten, dass die Amtssprachen im Bundesgericht angemessen vertreten sind.
2 Die Zulassung zum Losverfahren richtet sich ausschliesslich nach objektiven Kriterien der fachlichen und persönlichen Eignung für das Amt als Richterin oder Richter des Bundesgerichts.
3 Über die Zulassung zum Losverfahren entscheidet eine Fachkommission. Die Mitglieder der Fachkommission werden vom Bundesrat für eine einmalige Amtsdauer von zwölf Jahren gewählt.
Sie sind in ihrer Tätigkeit von Behörden und politischen Organisationen unabhängig.
Niccolò Raselli, 74, von 1995 bis 2012 Bundesrichter. Bis 2008 Mitglied der II. zivilrechtlichen Abteilung, davon sechs Jahre als Präsident, dann in der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung.
Mark Livschitz, 51, Anwalt in Zürich. Dissertation zum Thema «Richterwahl im Kanton Zürich: Ihre Faktizität am Obergericht und an den Bezirksgerichten als verfassungsrechtliches Problem.»