plädoyer: Laut Strafprozessordnung führen kantonale Staatsanwaltschaften auch Untersuchungen bei Straftatbeständen aus dem Verwaltungsrecht durch. Doch für gewisse Delikte wie Schmuggel von Fleisch, Steuervergehen oder illegales Glücksspiel sind die Bundesämter zuständig. Ist das sinnvoll?
Friedrich Frank: Das Parlament ging davon aus, dass Rechtsfragen in diesen Bereichen so schwierig sind, dass nur spezialisierte Verwaltungsbehörden sie untersuchen können. Das hat einen wahren Kern. Die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von Flugzeugen etwa ist so komplex, dass es Experten braucht.
Thomas Sprenger: Grundsätzlich ist das Vorgehen sinnvoll. Doch die Spezialisierung schafft ein Exklusivgebiet, in dem immer dieselben Leute entscheiden.
plädoyer: Ist es aus der Sicht der Strafverteidigung relevant, ob Verwaltungsbehörden oder eine Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren leitet?
Frank: Ja, die beiden Verfahren sind recht unterschiedlich. Und jedes Amt hat eine andere Praxis. Beispiel: Die Eidgenössische Spielbankenkommission und das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit befragen Beschuldigte, Zeugen und Auskunftspersonen mündlich. Dagegen führt das Eidgenössische Finanzdepartement bisher grossmehrheitlich keine Befragungen durch. Und andere Bundesämter befragten bloss schriftlich. Das ist aus Sicht der Teilnahmerechte involvierter Personen problematisch, so können sie etwa Ergänzungsfragen nicht direkt stellen. Mangels Unmittelbarkeit kann man sich auch keinen Eindruck der befragten Person bilden.
Sprenger: Eine Besonderheit des Verwaltungsstrafverfahrens besteht darin, dass es neben dem Strafverfahren stets auch noch einen Verwaltungsakt gibt. Beispiel: Wer die Mehrwertsteuer hinterzogen hat, muss im Verwaltungsverfahren Nachsteuern zahlen. Das ist ein Verwaltungsakt. Doch weil man keine Steuern hinterziehen darf, läuft parallel ein Strafverfahren. Diese Parallelität gibt es im normalen Strafverfahren nicht.
plädoyer: Ist es nicht effizient, wenn die gleiche Behörde, die ein Verwaltungsverfahren führt, auch die Strafe festsetzt?
Frank: Nein. Die Verfahren sehen zwar effizient aus. Doch sie dauern in der Regel sehr lange. Man kommt immer in die Nähe der Verjährung. Das Verwaltungsstrafverfahren wurde für Massengeschäfte und Kleinstdelikte geschaffen, wie wenn man etwa den grünen Eingang am Zoll nahm, obwohl Waren im Wert von 450 Franken zu verzollen waren. Neben dem Massengeschäft gibt es aber auch viele grössere und sehr grosse Verfahren. Und diese dauern ewig. Heikel sind zudem die Mitwirkungspflichten: Betroffene müssen laut Gesetz im Verwaltungsverfahren mitwirken. Und dann wird gegen sie trotz ihrer Mitwirkung noch ein Strafverfahren durchgeführt. In diesem Zusammenhang sind noch nicht einmal Verwertungsverbote höchstrichterlich restlos geklärt.
plädoyer: Im Strafprozess gilt der Grundsatz, dass Beschuldigte sich nicht selbst belasten müssen. Werden Aussagen, die in Verwaltungsverfahren gemacht werden, im Strafverfahren verwertet?
Sprenger: Das dürfte nicht sein. Doch in der Realität ist es so. Zum Beispiel bei einem Verfahren der Finanzmarktaufsicht: Dort wird der Sachverhalt unter Androhung grösster Nachteile der Betroffenen erstellt. Danach übernehmen die Strafverfolger das Dossier. Dort gilt zwar theoretisch der Grundsatz, dass sich Beschuldigte nicht belasten müssen. Doch wenn schon alles gesagt ist, nützt dieser Grundsatz nicht mehr viel.
Frank: Verwaltungsbehörden sollten die Befragten richtig informieren – nämlich, dass sie die Aussage verweigern dürfen, wenn sie sich der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen. Die Belehrungen sind aber oft unvollständig oder gar falsch. Befragte stehen zudem wegen ihrer beruflichen Position oft unter besonderem Aussagedruck, vor allem wenn ihr Arbeitgeber mitwirkungspflichtig ist.
plädoyer: Was schlagen Sie als Alternative vor?
Frank: Ich befürworte, dass eine unabhängige Staatsanwaltschaft die verwaltungsstrafrechtlichen Vorwürfe untersucht. Sie könnte den Sachverhalt auf einer korrekten strafprozessualen Grundlage erstellen. Es braucht meiner Meinung nach eine objektivere Behörde als die Bundesverwaltung. Heute ist es so: Die Person, die das Rückleistungsverfahren führt, sitzt Tür an Tür mit der Person, welche die Strafverfolgung macht. Die beiden arbeiten nicht unabhängig voneinander. Manchmal ist es sogar dieselbe Person. Die Spezialisierung ist eines der Grundübel des Verwaltungsstrafrechts.
plädoyer: Warum ist die Spezialisierung ein Problem und nicht ein Vorteil?
Sprenger: Nehmen wir als Beispiel einen Kernphysiker. Er macht im Verwaltungsverfahren eine Abklärung und kommt zu einem bestimmten Resultat. Später kommt sein Büronachbar im Strafverfahren zum gleichen Ergebnis. Wehrt sich jemand gegen eine Verurteilung, kommt die Sache vor normale Gerichte. Diese verstehen die Materie oft nicht. Sie haben dann die Tendenz, die Sachdarstellung der Verwaltung zu übernehmen – diese kommt ja von einer spezialisierten Behörde, deren Briefpapier das Schweizerkreuz trägt und deshalb objektiv erscheint – obschon es eine Parteidarstellung wiedergibt.
Frank: Nach meiner Erfahrung haben die kantonalen Gerichte oft Schwierigkeiten mit verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren – dies sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. In der Gesetzgebung besteht nämlich ein Konzeptionsfehler: Einerseits sagt man, es brauche für die Untersuchung eine Spezialbehörde. Am Schluss ist aber für die Beurteilung wieder ein kantonales Gericht zuständig.
plädoyer: Das Bundesamt für Verkehr übertrug die Strafverfolgung im Fall der Postauto-Subventionen ohne gesetzliche Grundlage an das Bundesamt für Polizei. War das Bundesamt überhaupt in der Lage, ein solch grosses Verfahren zu führen?
Sprenger: Es mag sein, dass die Fachkompetenz im jeweiligen Bereich gross ist. Doch im rechtlichen Bereich haben die Ämter teilweise grosse Mankos. Das ist etwa der Fall, wenn strafrechtliche und prozessuale Fragen im Raum stehen.
Frank: Innerhalb der Bundesverwaltungsbehörden gibt es fähige Strafjuristen. Schwierig wird es, wenn Untersuchungsbeamte ohne juristische Ausbildung die Verwaltungsstrafuntersuchung führen müssen. Da müssen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die selbst für spezialisierte Juristen schwierig zu beantworten sind. Ohne juristische Ausbildung ist es schwer, strafrechtliche Entscheidungen richtig zu treffen.
Und diese Entscheidungen haben weitreichende Folgen. Bussen sind nicht einmal das Schlimmste, sondern die beruflichen Konsequenzen. Eine Busse ab 5000 Franken wird im Strafregister eingetragen. Für Compliance-Angestellte einer Bank kommt das einem Berufsverbot gleich. Die Finma eröffnet allenfalls ein berufsrechtliches Verfahren, und in der Bankenwelt ist man gebrandmarkt.
plädoyer: Der Bundesrat schlägt in seinem Entwurf für ein neues Verwaltungsstrafrecht eine Modernisierung und Anpassung an die Strafprozessordnung vor. Löst der Vorschlag die bestehenden Probleme?
Sprenger: Nein, die Revision ist in vielen Bereichen nur eine Umetikettierung. Im Bericht dazu ist zu lesen, dass der Bundesrat viele bestehende Bestimmungen «aufgrund der Besonderheit des Verwaltungsstrafrechts» eins zu eins übernahm. Diese angeblichen «Besonderheiten» wurden vom Bundesrat nicht hinterfragt.
plädoyer: Welche Behörde sollte für die Untersuchung von Verwaltungsstrafdelikten zuständig sein?
Sprenger: Die Untersuchungen sollten von einer separaten Staatsanwaltschaft vorgenommen werden – in den Kantonen und beim Bund. Der Bundesrat wagte sich jedoch nicht an grundlegende Änderungen. Er traute sich nicht, die Arbeit jemand anderem zuzuteilen. Die kantonalen Staatsanwaltschaften würden sich wehren, da sie bereits heute überlastet sind.
Frank: Eine verwaltungsexterne Ermittlungsbehörde wäre eine gute Sache. Der Revisionsentwurf des Bundesrats ist primär eine Verschärfung. Es werden zahllose neue Zwangsmassnahmen eingeführt. Bisher gab es nur die Durchsuchung, die Beschlagnahme und die Haft. Neu dürfen Bundesämter verdeckt ermitteln, Staatstrojaner verwenden und DNA-Analysen machen. Das Gesetz wird aufgebläht. Bisher hatte das Verwaltungsstrafrechtsgesetz zirka 80 Verfahrensnormen. Das neue Gesetz zählt etwa 290. Viele davon sind zum Nachteil der Beschuldigten.
plädoyer: Die Zwangsmassnahmen werden neu an die Strafprozessordnung angepasst. Und ein Gericht überprüft die Strafmassnahmen. Wo sehen Sie ein Problem?
Frank: Für schwere Zwangsmassnahmen wie Haft oder verdeckte Ermittlung braucht es einen dringenden Tatverdacht. Wie kann ein Zwangsmassnahmenrichter ohne Spezialkenntnisse unter extremem Zeitdruck über Fragen des materiellen Verwaltungsrechts mitentscheiden? Wir haben hier wieder einerseits die hochspezialisierte Verwaltungsbehörde und auf der anderen Seite das Zwangsmassnahmengericht. Letzteres wird sich sagen, die sind ja hochspezialisiert. Die werden schon wissen, was sie tun. Die Gutheissungsquote von Haftanträgen liegt im normalen Strafrecht um die 95 Prozent. Im Verwaltungsstrafrecht wird sie dann wohl bei gegen 100 Prozent liegen.
plädoyer: Übertretungen dürfen nicht mehr mit Haft sanktioniert werden. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Sprenger: Ja, das war fällig.
Frank: Im Verwaltungsstrafecht wird eine Übertretung ganz rasch zu einem Vergehen, etwa wenn ein Delikt unter Banden- oder Gewerbsmässigkeit fällt. Das ist bereits bei jeder zweiten Übertretung möglich. Das reicht dann schon wieder für einen Haftantrag.
plädoyer: Sie sagten, kantonalen Gerichte fehle die Erfahrung, um verwaltungsstrafrechtliche Fragen zu beurteilen. Wäre eine Delegation an das Bundesstrafgericht zweckmässig?
Frank: Das wäre die richtige Option. Das Bundesstrafgericht hat schon grosse Erfahrung mit dem Verwaltungsstrafrecht. In allen verwaltungsstrafrechtlichen Beschwerdeverfahren und im Finanzmarktstrafrecht ist es die zuständige Instanz. In allen anderen Verwaltungsstrafsachen kommen aber kantonale Gerichte zum Zug. Das sollte sich ändern.
Sprenger: Auch bei der Rechtshilfe in internationalen Strafsachen ist das Bundesstrafgericht zuständig. Das hat sich bewährt.
plädoyer: Der Bundesratsentwurf verwirft die Idee, dass Firmen straffrei ausgehen können, wenn sie kooperieren. Eine verpasste Chance?
Frank: Ja. Der Revision fehlt jegliche Innovation. Die ausschweifende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit und die grossen beruflichen Folgen von verwaltungsstrafrechtlichen Vorwürfen benötigen zwingend ein Korrektiv. So führte Österreich im Verwaltungsstrafrecht eine neue Norm ein: beraten statt strafen. Kleinen Firmen will man helfen und sagt: «Das Mehrwertsteuerrecht ist kompliziert. Fehler können passieren.» Man muss nicht immer strafen. Das fehlt im Entwurf. Der Zwangmassnahmenkatalog wird ausgeweitet, obwohl es die neuen Massnahmen kaum je brauchen wird. Es werden immer weniger Fehler toleriert und immer mehr Tatbestände eingeführt.
plädoyer: Weshalb gibt es im Verwaltungsstrafrecht viel mehr Fahrlässigkeitstatbestände als im Strafgesetzbuch?
Sprenger: Die Spezialisierung in der Verwaltung führt dazu, dass ein Beamter, der stets denselben Tatbestand überprüft, sich kaum vorstellen kann, dass jemand etwas nicht kannte oder versehentlich einen Fehler beging. Zudem besteht heute die Tendenz, dass immer jemand schuld sein muss.
Frank: Es scheint, dass der Staat sein Vermögen besser strafrechtlich schützen will als das seiner Bürger. Vermögensdelikte sind sonst im Strafrecht völlig zu Recht nicht fahrlässig begehbar.
plädoyer: Die Verjährung soll künftig unterbrochen werden, sobald die Verwaltung eine Strafverfügung erlässt. Ist das sinnvoll?
Frank: Das gilt bereits bisher gemäss Bundesgericht. Innerhalb der Lehre und wohl auch des Bundesgerichts ist das jedoch zu Recht umstritten. Der Direktor eines Amts, der die Strafverfügung erlässt, ist kein unabhängiges Gericht, wie es das Strafgesetzbuch verlangt, das in diesem Punkt auch für das Verwaltungsstrafrecht gilt.
Sprenger: Das Bundesgericht sagt, dass die Strafverfügung des Chefs des Strafrechtsdienstes die Verjährung unterbricht, weil sie mit dem Entscheid eines unabhängigen Gerichts vergleichbar sei. Dieser Vergleich ist nicht sachgerecht. Es bestehen auch Chancen, dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung früher oder später ändern könnte. Es wäre ein Fehler, die heutige Praxis ins Gesetz aufzunehmen. Im Strafrecht verjähren Übertretungen nach drei Jahren. Im Verwaltungsstrafrecht erst nach vier, in vielen Fällen gar sieben Jahren. Das sollte doch reichen.
plädoyer: Laut Bundesratsentwurf besteht ein Recht auf Akteneinsicht nicht mehr erst nach Abschluss der Untersuchung, sondern nach der ersten Einvernahme. Strafverteidiger dürften das begrüssen.
Sprenger: Es wird wohl lange dauern, bis die Verwaltungsbehörden ihre Praxis anpassen. Heute ist verbreitet, dass man erst in letzter Sekunde Akteneinsicht erhält. Dies wäre in jedem normalen Strafverfahren absolut undenkbar.
Frank: Im neuen Gesetz wird das ja korrigiert. Spätestens nach der ersten Einvernahme hat man neu Anspruch auf Akteneinsicht.
Sprenger: Nur auf dem Papier. Es gibt nämlich noch den Zusatz «sofern die wichtigsten Beweismittel abgenommen wurden». Die Behörden haben da grossen Ermessensspielraum. Es besteht die Gefahr, dass man die bisherige Praxis einfach weiterführt. Allfällige Einsprachen würden ja auch von demselben Amt behandelt.
Frank: Ich bin etwas optimistischer. Der neue Wortlaut könnte eine Verbesserung bringen.
Friedrich Frank
Fachanwalt Strafrecht, Zürich
Thomas Sprenger
Fachanwalt Strafrecht, Zürich
Die Revision des Verwaltungsstrafrechts
Das Verwaltungsstrafrecht findet Anwendung, wenn ein Gesetz eine Bundesbehörde für die Strafverfolgung zuständig erklärt. Für gerichtliche Beurteilungen sind die kantonalen Gerichte zuständig. Der Vorentwurf des Bundesrats vom Januar behält diese Kompetenzen bei. Vorgesehen sind unter anderem folgende Änderungen:
- Zwangsmassnahmen werden an die Strafprozessordnung angepasst. Neu dürfen auch Verwaltungsbehörden DNA-Proben anordnen und auswerten. Und auch verdeckte Ermittlungen und Schadsoftware sind als Untersuchungsmittel zulässig.
- Die Beschwerdefrist beträgt neu zehn statt drei Tage.