1. Staats- und Verfassungsrecht
1.1 Grundrechte
1.1.1 Persönliche Freiheit
Die Einführung einer Covid-Testpflicht für nicht geimpfte Gesundheits- und Sozialarbeiter ist laut Bundesgericht mit dem Grundrecht der persönlichen Freiheit vereinbar. Eine differenzierte Behandlung je nach Impf- oder Genesungsstatus des Personals führt zwar zu einer Ungleichbehandlung. Die fragliche Massnahme beruht jedoch auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage, ist durch ein unbestrittenes öffentliches Interesse gerechtfertigt und wurde auf der Grundlage dessen angeordnet, was in Anbetracht der damals bekannten Wirksamkeit des Impfstoffs als «akzeptables Risiko» angesehen wurde.
Da die Massnahme ermöglichte, einen differenzierten Ansatz anzuwenden (und damit generalisierte Pflichten zu vermeiden) und Solidarität mit den am stärksten gefährdeten Personen zu üben, darüber hinaus nicht übermässig invasiv ist (Speicheltests) und keine Kosten verursacht (kostenlose Tests), erweist sie sich als angemessen sowie notwendig und insofern als mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar.1
Das Erfordernis, ein gültiges Covid-19-Zertifikat vorzulegen, um an Präsenzveranstaltungen in Lehre und Forschung teilzunehmen, impliziert eine Impfung oder regelmässige Speichel- oder Nasen-Rachen-Tests und greift daher in die persönliche Freiheit ein. Die in der angefochtenen Verordnung vom 14. September 2021 über die Covid-19-Zertifikatspflicht für den Studienbetrieb an Hochschulen des Kantons Freiburg vorgesehene Alternative des Fernunterrichts beseitigte diesen Eingriff nicht, da Online- und Präsenzunterricht nicht gleichwertig sind.
Der Eingriff beruhte auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage und verfolgte ein öffentliches Interesse. Die Pflicht zur Vorlage eines Covid-19-Zertifikats ohne Regelung der Übernahme der Testkosten (selbst für Studenten in prekärer finanzieller Lage) ist jedoch mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar.2
Das Arbeitsverhältnis eines Angehörigen der Spezialkräfte der Armee wurde wegen der Weigerung, sich der für obligatorisch erklärten Covid-19-Impfung zu unterziehen, aufgelöst. Die Weisung, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, beruhte auf der Notwendigkeit, trotz der von zahlreichen Ländern wegen der Coronaviruspandemie getroffenen Massnahmen eine kurzfristige operationelle Verfügbarkeit für Einsätze im Ausland sicherzustellen. Diese Impfpflicht, verbunden mit einer Kündigungsandrohung im Falle der Widersetzung, stellt einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Artikel 10 BV) dar. Die vorliegende Grundrechtsbeschränkung stützt sich indessen auf eine genügende gesetzliche Grundlage; sie dient einem hinreichenden öffentlichen Interesse, und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit wird gewahrt.3
Die Bettelei fällt in den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit und des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Artikel 10 Absatz 2 BV und Artikel 8 EMRK). Ein partielles Bettelverbot greift in diese Rechte ein und hat die entsprechenden Voraussetzungen zu erfüllen. Das Verbot von organisiertem Betteln ist verfassungs- und menschenrechtskonform auszulegen. Das Verbot von passivem Betteln in Parks ist aufzuheben. Passives Betteln mit einer Busse und bei Nichtleistung mit einer Ersatzfreiheitsstrafe zu bestrafen, ist nur zulässig, wenn zuvor angemessene Administrativmassnahmen ergriffen wurden, um die Sanktionsfolge abzumildern.
Im Übrigen ist die erlassene Regelung eines partiellen Bettelverbots mit Blick auf die persönliche Freiheit und den Schutz des Privatlebens nicht zu beanstanden. Das partielle Bettelverbot bewirkt als Gesetzesbestimmung keine indirekte Diskriminierung. Bei der Umsetzung des Verbots ist jedoch den Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Rechtsanwendung gebührend Rechnung zu tragen. Das Bettelverbot verstösst nicht gegen das Personenfreizügigkeitsrecht.4
1.1.2 Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts
Der Kanton Thurgau hat eine Gesetzesvorlage zur vorschulischen Sprachförderung ausgearbeitet mit der Pflicht zum Besuch eines Angebots. Mit dieser Gesetzesvorlage führt der Kanton Thurgau ein Obligatorium ein, das zur Ausweitung der allgemeinen Schulpflicht führt. Soweit die Bestimmungen der Gesetzesvorlage eine Kostenbeteiligung der Erziehungsberechtigten vorsehen und die Verantwortung für den Transport ebenfalls auf diese übertragen, erweisen sie sich als verfassungswidrig.5
1.1.3 Eigentumsgarantie
Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle äusserte sich das Bundesgericht zur Tragweite der Eigentumsgarantie bei der Pflicht zur Entfernung bestehender elektrischer Heizungen: Die mit dem Verbot von Elektroheizungen verbundene Pflicht zur Entfernung solcher Anlagen und die daran anknüpfende Strafdrohung beschränken im Kanton Zürich das Eigentum von Inhabern solcher Heizungssysteme. Die gesetzliche Regelung bildet eine genügende Grundlage für den Eingriff in die Eigentumsgarantie, beruht auf einem ausreichenden öffentlichen Interesse und ist verhältnismässig. Eine allfällige Entschädigungspflicht ist nicht im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle, sondern gegebenenfalls im konkreten Einzelfall zu prüfen.6
Die Initiative «Hochdorf heizt erneuerbar – ab 2030 erst recht» enthält eine verbindliche Zielvorgabe und bezweckt einen Grundsatzbeschluss. Weder die Eigentumsgarantie noch die baurechtliche Bestandesgarantie vermittelt grundsätzlich einen Anspruch auf Beibehaltung einer einmal geltenden Rechtsordnung. Die Zielsetzung der Initiative kann als Schritt in Richtung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung (Artikel 73 BV) verstanden werden.
Die Verhältnismässigkeit der Eigentumsbeschränkung hängt in erster Linie von den mutmasslichen Kosten ab und davon, wer dafür aufzukommen hat. Es dürfte den Behörden möglich sein, in der für die Umsetzung der Initiative verbleibenden Zeit eine mit dem höherrangigen Recht vereinbare Regelung zu erlassen. Die Ungültigerklärung der Initiative verletzt demnach Artikel 34 Absatz 1 BV.7
1.1.4 Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbot
Hinsichtlich eines in der Schweiz vorläufig aufgenommenen, unbegleiteten Minderjährigen wurde geklärt, ob die erstmalige berufliche Ausbildung unter das in Artikel 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens fällt. Das verneinte das Bundesgericht. Betreffend die Kostenübernahme für eine solche Ausbildung (Artikel 16 Absatz 1 IVG) verstösst die in Artikel 9 Absatz 3 IVG vorgesehene Unterscheidung betreffend Personen unter zwanzig Jahren mit und ohne Schweizer Bürgerrecht nicht gegen die in Artikel 8 BV statuierten Prinzipien der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsverbots.8
Die im Kanton Wallis geltende Minimal-Grundstücksteuer für Eigentümer ohne Wohnsitz in der Gemeinde verstösst gegen das Rechtsgleichheitsgebot. Die ungleiche Behandlung im Vergleich zu Personen mit Erstwohnsitz ist sachlich nicht zu rechtfertigen.9
1.1.5 Verfahrensgrundrechte
Im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens betreffend Haftentlassung wurde klargestellt, dass der Schutzbereich von Artikel 30 Absatz 1 BV und Artikel 6 Ziffer 1 EMRK nicht bloss die gegen äussere Beeinflussung gerichtete richterliche Unabhängigkeit umfasst, sondern auch die interne Unabhängigkeit und damit namentlich die Autonomie der einzelnen Gerichtsmitglieder im Kollegialgericht. Letztere kann nicht nur durch formelle Hierarchien, sondern auch durch informelle Hierarchien innerhalb des Spruchkörpers gefährdet sein. Die vorliegend zu beurteilende Einsetzung von zwei Gerichtsschreibern der entscheidenden Kammer als Richter in ebendieser Kammer ist nicht mit dem Anspruch auf ein unabhängiges Gericht zu vereinbaren.10
Im Zusammenhang mit einer sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeit wird festgehalten, dass kantonale Regelungen, wonach nur im eigenen Kanton registrierte Anwälte mit amtlichen Mandaten betraut werden können, grundsätzlich mit Artikel 29 Absatz 3 BV vereinbar sind. In besonderen Fällen, namentlich bei einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt oder wenn sich der Anwalt bereits in einem vorangegangenen Verfahren mit der Sache befasst hat, dürfen kantonale Bestimmungen dem Einsetzen eines ausserkantonalen unentgeltlichen Rechtsbeistands jedoch nicht entgegenstehen.
Die Verneinung der ausnahmsweisen Bestellung eines ausserkantonalen unentgeltlichen Rechtsbeistands mit der Begründung, das vor dem Versicherungsgericht geführte Beschwerdeverfahren stelle im Verhältnis zum bisherigen, vor dem unzuständigen Gericht geführten Verfahrensteil kein neues Verfahren im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dar, weshalb sich der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter nicht auf ein vorbestehendes Vertrauensverhältnis und auf eine Vertretung in einem vorangehenden Verfahren berufen können, stellt eine überspitzt formalistische Betrachtungsweise dar und hält vor Bundesrecht nicht stand.11
Es stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn die urteilende Behörde in einem Einbürgerungsverfahren der betroffenen Person keine Gelegenheit gibt, sich zu Internetquellen zu äussern, die von der Behörde als entscheidwesentlich erachtet werden und die nicht bloss objektivierbare Fakten enthalten.12
Im Rahmen eines Verfahrens betreffend Ausrichtung von Beiträgen aus dem kommunalen Kurtaxenertrag, die nach dem kantonalen Recht Ermessenssubventionen darstellen, hält das Bundesgericht fest, dass diesem Entscheid kein vorwiegend politischer Charakter zukommt und daher das kantonale Gericht die Rechtsweggarantie nach Artikel 29a BV verletzt.13
Im Zusammenhang mit einem Strafverfahren hielt das Bundesgericht fest, dass eine Partei in ihrem Anspruch auf das verfassungsmässige Gericht beeinträchtigt ist, wenn das Ausstandsgesuch eines anderen Prozessbeteiligten gegen einen Richter ohne stichhaltigen Grund gutgeheissen wird. Ihr ist deshalb vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren.14
1.2 Vorrang des Bundesrechts
Die im Kanton Freiburg eingereichte Verfassungsinitiative für kostenlose öffentliche Verkehrsmittel verstösst gegen übergeordnetes Recht. Artikel 81a Absatz 2 BV sieht vor, dass die Kosten des öffentlichen Verkehrs zu einem angemessenen Teil durch die von Nutzern bezahlten Preise gedeckt werden. Die wörtliche, historische, systematische und teleologische Auslegung von Artikel 81a Absatz 2 BV führt zum Ergebnis, dass die Kostenlosigkeit des öffentlichen Verkehrs mit dieser Verfassungsnorm nicht vereinbar ist. Dass von gewissen Nutzern des öffentlichen Verkehrs verlangt wird, sich an dessen Kosten zu beteiligen, verstösst weder gegen das Nachhaltigkeitsprinzip (Artikel 73 BV) noch gegen Artikel 2 Ziffer 1 des Klimaübereinkommens von Paris.15
Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle hob das Bundesgericht eine Bestimmung des Gesetzes über die Wohnraumförderung des Kantons Basel-Stadt auf. Die Bestimmung sah vor, dass für Umbau-, Renovations- und Sanierungsvorhaben in Zeiten von Wohnungsnot eine Bewilligung eingeholt werden muss. Diese sollte davon abhängig gemacht werden, ob den bisherigen Mietern ein Rückkehrrecht eingeräumt wird. Dieses Rückkehrrecht ist zivilrechtlicher Natur und greift direkt in das Mietverhältnis ein, das vom Bundesgesetzgeber abschliessend geregelt wird. Folglich verstösst die Bestimmung gegen Bundesrecht.16
Betreffend die altrechtliche Regelung des Einführungsgesetzes und der Verordnung zum Krankenversicherungsgesetz des Kantons Zürich, die bei einem rückwirkenden Antrag auf Prämienverbilligung eine im bereits abgeschlossenen Anspruchsjahr eingetretene Einkommenseinbusse unberücksichtigt lässt, hält das Bundesgericht fest, dass diese dem Sinn und Geist des Bundesrechts widerspricht. Eine übergangsrechtlich begründete Bemessungslücke, die dazu führt, dass die finanziellen Verhältnisse der Versicherten eines konkreten Jahres bei der Bestimmung des Anspruchs auf Prämienverbilligung in keinem Anspruchsjahr berücksichtigt werden, lässt sich mit den Vorgaben des Bundesrechts ebenfalls nicht vereinbaren.17
Im Zusammenhang mit einer Volksinitiative aus dem Kanton Genf «für eine demokratischere Stadtentwicklung in Genf» stellte sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht. Die Schaffung einer kommunalen Grundsatzabstimmung bei Vorliegen mehrerer Entwürfe im Gebiet der Quartierplanung («plan localisé de quartier») durch ein kantonales Gesetz im formellen Sinn verletzt Artikel 51 Absatz 1 BV nicht. Die Einführung dieses neuen politischen Rechts ohne Grundlage in der Kantonsverfassung selber ist mit dem Genfer Verfassungsrecht vereinbar.18
2. Verwaltungsrecht
2.1 Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht
Betreffend Abweichung eines Sondernutzungsplans (Arealplans) von der Grundordnung hält das Bundesgericht fest, dass wesentliche Abweichungen eines Sondernutzungsplans von der Grundordnung der Planungspflicht sowie dem planerischen Stufenbau nach Artikel 2 Absatz 1 RPG widersprechen. Die Zulässigkeit einer Abweichung ist strenger zu beurteilen, wenn diese demokratisch weniger stark abgestützt ist als die Grundordnung. So im Fall Samedan: Die im Arealplan vorgesehene Verdoppelung bis Verdreifachung der in der Grundordnung maximal zugelassenen Gebäudelänge ist derart massiv, dass Artikel 2 Absatz 1 RPG verletzt ist.19
Das Waadtländer Kantonsgericht hob den Teilzonenplan für den Windpark «Eoljoux» wegen einer ungenügenden Grundlage im kantonalen Richtplan auf. Das Projekt «Eoljoux» wurde vom kantonalen Planungsausschuss zwar in die kantonale Richtplanung aufgenommen. Allerdings wurde der Richtplan von den Bundesbehörden nie vorbehaltlos genehmigt und erreichte nie das Stadium der geregelten Koordination. Der Teilnutzungsplan Windpark konnte somit noch nicht genehmigt werden, da es an einer ausreichenden Verankerung im Richtplan (Artikel 8 Absatz 2 RPG) fehlte. Denn auch aus Artikel 12 EnG kann nicht automatisch abgeleitet werden, dass das Projekt «Eoljoux» materiell die Anforderungen für die Festsetzung im kantonalen Richtplan erfüllt.
Die Gemeinde kann die Nichtgenehmigung der Festsetzung des Windparks im kantonalen Richtplan durch den Bundesrat nicht anfechten. Da der Richtplan aber für die Gemeinde verbindlich ist und diese daran hindert, den Windpark auf ihrem Gebiet zu realisieren, muss sie die Möglichkeit haben, den Richtplan (im vorliegenden Verfahren betreffend Aufhebung des Nutzungsplans) inzident überprüfen zu lassen. Es muss also vorfrageweise geprüft werden, ob der kantonale Richtplan die materiellen Voraussetzungen für eine Nutzungsplanung über den betreffenden Windpark enthält.20
Im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens betreffend eine direkte Zufahrt zum Einkaufszentrum Seedamm-Center ab dem Autobahnanschluss Pfäffikon über eine Hochbrücke wird festgehalten, dass Bauvorhaben, die weitreichende Eingriffe in die Bausubstanz eines bestehenden Autobahnanschlusses und seiner technischen Einrichtungen beinhalten, der Durchführung eines Plangenehmigungsverfahrens nach den Vorschriften des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen (NSG) bedürfen.
In casu bedingt die neue Hochbrücke eine gewichtige bauliche Umgestaltung des Anschlusses Pfäffikon (Teilabriss und -wiederaufbau mit horizontal und vertikal verschobenen Fahrbahnen). Diese Umgestaltung sowie auch die Hochbrücke, die unabdingbarer Bestandteil des Ausführungsprojekts ist, müssen in einem bundesrechtlichen Plangenehmigungsverfahren nach NSG und nicht im kantonalen Baubewilligungsverfahren bewilligt werden.21
In Bezug auf ein landwirtschaftliches Grundstück, das in einen Kiesabbauplan integriert ist, stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB). Wenn eine Kiesabbauzone geschaffen wird und sie – wie in casu – nicht zu einer Bauzone im Sinne von Artikel 15 RPG gehört, ist das darin liegende landwirtschaftliche Grundstück nicht vom räumlichen Geltungsbereich des BGBB ausgeschlossen. Wird das Grundstück hingegen tatsächlich als Kiesgrube genutzt, endet die Unterstellung unter das BGBB aufgrund des Ausscheidens aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes.22
2.2 Migrationsrecht
Die etablierte Rechtsprechung, wonach sich ein Ausländer nach einem rechtmässigen Aufenthalt von zehn Jahren in der Schweiz grundsätzlich auf ein Recht auf Verbleib in der Schweiz berufen kann, das sich aus dem durch Artikel 8 Ziffer 1 EMRK garantierten Schutz des Privatlebens ergibt, ist nicht anwendbar auf Fälle, in denen der Ausländer um eine neue Aufenthaltsbewilligung ersucht, nachdem er die Schweiz verlassen hat und seine ursprüngliche Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Artikel 61 Absatz 2 AIG erloschen ist.23
In Präzisierung seiner Rechtsprechung in Bezug auf die Möglichkeit der Anrufung des Rechts auf Achtung des Privatlebens erwägt das Bundesgericht, dass es nicht ausgeschlossen ist, nach dem definitiven Verlust eines Aufenthaltsrechts in der Schweiz das sich aus Artikel 8 EMRK ergebende Recht auf Privatleben anzurufen, wobei diese Möglichkeit eine besonders ausgeprägte Integration voraussetzt. Bei dieser Ausgangslage findet hingegen die etablierte Rechtsprechung, wonach nach zehnjährigem rechtmässigem Aufenthalt eine Vermutung genügend enger Beziehungen im Land besteht, keine Anwendung.24
Das Bundesgericht bejaht die Frage, ob die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide über die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung offensteht. Die Verfassungsmässigkeit einer Einbürgerung setze voraus, dass eine individuelle Prüfung und Zuordnung der gesetzlichen Voraussetzungen vorgenommen wird. Insbesondere genüge es für die Beurteilung des Risikos für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht, wenn lediglich eine familiäre Beziehung zu einer anderen Person besteht, bei der das Vorliegen einer entsprechenden Gefahr bejaht wird.25
Für die Frage, ob eine Sozialhilfeabhängigkeit im Sinne von Artikel 63 Absatz 1 litera c AIG und somit ein Grund für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung besteht, ist auf den Zeitpunkt des angefochtenen Urteils abzustellen. Wenn in diesem Zeitpunkt keine Sozialhilfe mehr, sondern Ergänzungsleistungen bezogen werden, ist der Widerrufsgrund nicht mehr erfüllt.26
Das Bundesgericht klärte im Rahmen eines Verfahrens für eine Härtefallbewilligung das Verhältnis zwischen Artikel 14 AsylG und Artikel 8 EMRK. Es erwog, Artikel 8 EMRK gewähre ein Verbleiberecht gestützt auf die Achtung des Privat- und Familienlebens. Für die erstmalige Begründung nach einem (illegalen) Aufenthalt oder für die Fortführung der Anwesenheit, nachdem diese durch die Behörden rechtskräftig beendet worden ist, könne man sich jedoch nicht darauf berufen. Allerdings müsse Artikel 14 Absatz 4 AsylG EMRK-konform ausgelegt werden.
Der Artikel besagt, dass einer gesuchstellenden Person nur beim Zustimmungsverfahren des Staatssekretariats für Migration Parteistellung zukommt. Bei einem durch Artikel 8 EMRK geschützten Fall müsse somit stets auch das Recht auf wirksame Beschwerde gemäss Artikel 13 EMRK gewahrt werden.27
2.3 Steuern und öffentliche Abgaben
Das Bundesgericht ändert seine Praxis betreffend Abzugsfähigkeit von Liegenschaftskosten. Neu wird der Abzug von Kosten für Arbeiten im Zusammenhang mit einer Totalsanierung oder dem völligen Um- oder Ausbau (sogenannter wirtschaftlicher Neubau) als Instandstellungskosten zugelassen, soweit die Arbeiten aufgrund ihres objektiv-technischen Charakters dazu dienen, einen früheren Zustand der Liegenschaft wiederherzustellen, sie mithin werterhaltend wirken.28
Wenn eine in der Schweiz ansässige Person den Wohnsitz in der Schweiz aufgibt und zu einem späteren Zeitpunkt in derselben Steuerperiode in der Schweiz als Grenzgänger eine neue Tätigkeit aufnimmt, kann sie – sofern die praxisgemässen Voraussetzungen dafür erfüllt sind – eine ordentliche Veranlagung der Arbeitseinkünfte aus der Schweiz verlangen. In diesem Fall sind die Arbeitseinkünfte für die unterjährige Steuerperiode nach Artikel 40 Absatz 3 DBG zur Satzbestimmung auf zwölf Monate umzurechnen. Nach Ansicht des Bundesgerichts liegt darin keine Diskriminierung, die gegen das FZA verstossen würde.29
Die Anwaltshonorare, die für die Erlangung von Unterhaltsbeiträgen aufgewendet wurden, können nicht von den erhaltenen, steuerpflichtigen Unterhaltsbeiträgen als Gewinnungskosten in Abzug gebracht werden.30
Im Rahmen eines Falles betreffend eine Flugzeug-Eigentümergesellschaft, deren einziger Zweck im Halten eines Flugzeugs besteht, ändert das Bundesgericht seine Rechtsprechung. Es erwägt, dass zuerst geprüft werden muss, ob die Gesellschaft in der Schweiz subjektiv steuerpflichtig ist und inwieweit ihre Leistungen als gewerbliche Tätigkeit gelten können, die zum Vorsteuerabzug berechtigt. Erst in einem nächsten Schritt ist dann zu prüfen, ob eine Steuerumgehung vorliegt. Befördert die Gesellschaft den wirtschaftlich Berechtigten oder eine ihm nahestehende Person zu privaten Zwecken, liegt keine gewerbliche Tätigkeit vor.
Das höchste Gericht lehnt sich sodann an die Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung an und erwägt, dass eine private Nutzung unschädlich bleibt, wenn sie weniger als 20 Prozent der Gesamtnutzung des Flugzeugs ausmacht.31
Bei Mittelflüssen zwischen Dienststellen desselben Gemeinwesens handelt es sich nicht um Subventionen. Sie führen daher in der Regel nicht zu einer Kürzung des Vorsteuerabzugs, wobei die Steuerumgehung vorbehalten ist.32
Es liegt keine Verletzung des Prinzips ne bis in idem vor, wenn strafrechtliche Sanktionen gegen die juristische Person als Haupttäterin einer vollendeten Steuerhinterziehung verhängt werden und gleichzeitig das Organ dieser juristischen Person als Teilnehmer derselben Straftat sanktioniert wird.33
Wenn ein Inhaber von Beteiligungsrechten gegenüber der Gesellschaft ohne Gegenleistung eine private Schuldübernahme leistet und diese Kapitaleinlage in den Büchern der Gesellschaft nicht abgebildet wird, liegt eine verdeckte Kapitaleinlage vor. Auch verdeckte Kapitaleinlagen können grundsätzlich i.S.v. Artikel 20 Absatz 3 DBG steuerfrei zurückbezahlt werden; der Nachweis, woher die Mittel stammen, muss nicht zwingend durch die separate Verbuchung bei der Gesellschaft (Artikel 125 Absatz 3 DBG) erfolgen; er kann auch auf andere Weise erbracht werden.34
Das abgaberechtliche Legalitätsprinzip verlangt insbesondere, dass die Steuersätze in einem Gesetz im formellen Sinn verankert sind. Das System der Quellensteuer, wie es bis zum 31. Dezember 2020 in Kraft war, enthielt keine gesetzliche Grundlage, die vorsah, dass das satzbestimmende Einkommen aus dem Einkommen, das ein der Besteuerung an der Quelle unterliegender Arbeitnehmer erzielte, hochgerechnet («annualisé») werden muss. Es können vom Schuldner demnach keine entgangenen Steuern nachgefordert werden, wenn das satzbestimmende Einkommen nicht aufgrund einer Hochrechnung der tatsächlichen Einkommen seiner Angestellten berechnet wurde, da dafür die gesetzliche Grundlage fehlt.35
2.4 Konzessionen
Betreffend ein Wasserkraftwerk stellte sich eine Auslegungsfrage in Bezug auf die Wasserrechtskonzession. Es handelte sich um einen Fall von aufeinanderfolgenden Konzessionen, wobei das Schicksal des Rechts zur Nutzung der Wasserkraft strittig war. Das Bundesgericht erwog, dass die Konzession für den Betrieb des Wasserkraftwerks nicht auch das Recht zur Nutzung der Wasserkraft umfasse, das zuvor den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) eingeräumt worden war. Dieses Recht sei nach Ablauf der Konzession der SBB wieder an die Verleihungsbehörde heimgefallen.36
2.5 Strassenverkehrsrecht
Im Zusammenhang mit einem Warnungsentzug des Führerausweises wegen Rechtsüberholens durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf der Autobahn ist der Grundsatz der lex mitior zu beachten. Gemäss dem seit Anfang 2021 geltenden Anhang 1 Ziffer 314.3 der Ordnungsbussenverordnung ist Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf der Autobahn in gewissen, wenig gravierenden Fällen neu als Ordnungswidrigkeit (und nicht mehr als grobe Verkehrsregelverletzung) zu beurteilen. Die neue Bestimmung ist jedoch mit Blick auf die mit Rechtsüberholmanövern auf der Autobahn verbundenen Risiken eng auszulegen und zurückhaltend anzuwenden.
Eine Bewertung und Ahndung als Ordnungswidrigkeit kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Ein Anwendungsfall ist etwa ein Rechtsüberholen ohne erschwerende Umstände, welche die Annahme einer erhöhten abstrakten Gefährdung rechtfertigen. Dies wurde in casu bejaht, weshalb der verfügte Warnungsentzug mit Blick auf den neuen Ordnungsbussentatbestand Artikel 16 Absatz 2 SVG verletzt.37
2.6 Radio und Fernsehen
Die SRG löschte auf Instagram den Kommentar eines Nutzers zu einem Beitrag auf ihrem Profil. Auf Beschwerde hin stellte sich die Frage, ob die SRG in einer solchen Konstellation eine öffentliche Aufgabe erfüllt, sie mithin grundrechtsgebunden ist und somit die Rechtsweggarantie offenstehen muss und welchen Instanzenzug die Rechtsweggarantie nach Artikel 29a BV verlangt. Das Bundesgericht bejaht die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe im übrigen publizistischen Angebot.
Es leitet diese aus einem «engen inhaltlichen Bezug» zwischen dem redaktionellen Beitrag und den Nutzerkommentaren ab sowie aus der Tatsache, dass sie solche gestützt auf ihre «Netiquette» streicht. Die Vorgaben in der «Netiquette» seien analog der Grundrechtsbindung im Werbebereich zu handhaben. Da der zivil-, straf- und aufsichtsrechtliche Rechtsweg in solchen Konstellationen den Anforderungen von Artikel 29a BV genügt, sei der verwaltungsrechtliche Weg mittels Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) zu öffnen.38
Im Zusammenhang mit Fernseh- und Radiosendungen über Todesfälle in Tessiner Altersheimen während der ersten Welle der Corona-Pandemie befasste sich das Bundesgericht mit einer Programmbeschwerde. Es hält fest, dass das Verfahren der Programmaufsicht der nachträglichen Überprüfung ausgestrahlter Sendungen dient; hingegen beurteilt die UBI Ereignisse, die sich im Vorfeld einer Publikation abspielen, nur insofern, als dass sich problematische Vorbereitungshandlungen auf das Endprodukt auswirken und dadurch die Willensbildung des Publikums beeinträchtigen könnten.
Der Vorwurf der Beschwerdeführer, dass die RSI nicht genügend über den Kontext der Ausstrahlung der Sendung orientiert und die Personen mit inquisitorischen Fragen interviewt habe, hatte jedoch keinen massgebenden Einfluss auf das journalistische Endergebnis. Es lag somit kein Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebot (Artikel 4 Absatz 2 RTVG) vor.39
2.7 Berufspflichten von Ärzten
Gegenüber einem Arzt wurde eine Disziplinarmassnahme in Form eines vorübergehenden Tätigkeitsverbots (drei Monate) verhängt. Dies, weil bei einer Patientin aufgrund eines Diagnosefehlers die Gebärmutter entfernt wurde. Die Sorgfaltspflicht eines Arztes verlangt, eine Diagnose zu stellen, um anschliessend eine Prognose und einen Therapievorschlag aufstellen zu können. Die Sorgfaltspflicht kann gerade auch bedingen, eine Differentialdiagnose zu stellen. Jedoch stellt nicht jede Fehldiagnose automatisch auch eine Sorgfaltspflichtverletzung dar. In casu konnten weder bei der makroskopischen Untersuchung Spuren eines Myoms festgestellt werden, noch enthielt das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung Hinweise auf abnormale Zellen.
Der Arzt hätte vor Entfernung der Gebärmutter eine Differentialdiagnose stellen müssen und typischerweise eine Biopsie durchführen sollen. So äusserte schliesslich auch der Arzt selbst, dass die bei der subtotalen Hysterektomie entfernte Masse «überraschend» nicht einem Myom entsprach und dass deren Ursprung unbekannt blieb. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht wurde im vorliegenden Fall bejaht; es kam noch hinzu, dass der Arzt – hätte er mit seiner Diagnose tatsächlich richtig gelegen – die Operation ungenügend ausgeführt hätte und nicht nur die Gebärmutter, sondern auch den Gebärmutterhals hätte entfernen müssen.40
2.8 Zollgesetz
Das Bundesgericht klärte in einem Fall, in dem – mangels Originalunterschrift – auf den Rechnungen im Zeitpunkt der Zollanmeldung die gültigen Ursprungserklärungen fehlten, dass im Anwendungsbereich des Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Zeitpunkt der definitiven Veranlagungen noch nicht existierende, erst nachträglich ausgestellte Ursprungserklärungen berücksichtigt werden müssen.
Gestützt auf Artikel 22 Absatz 8 des Protokolls Nr. 3 zum Freihandelsabkommen ist es für niedrige Warenwerte unter 6000 Euro ausdrücklich zulässig, die Ursprungserklärungen auf der Rechnung auch nach der definitiven Zollanmeldung vorzulegen, vorausgesetzt, sie werden im Einfuhrland spätestens zwei Jahre nach der Einfuhr der betroffenen Erzeugnisse vorgelegt. In diesem Fall sind die von den schweizerischen Zollbehörden erhobenen Nachforderungen wegen ungerechtfertigt erfolgter Präferenzabfertigung (Artikel 85 Zollgesetz) unzulässig.41
2.9 Kinderbelange
In Genf wurden die Rahmenbedingungen der vorschulischen Betreuung geändert. Eine Vertragsergänzung sah vor, dass das Tarifsystem geändert wird. Der Tarif soll nicht mehr wie bisher auf der Grundlage des gemeldeten Einkommens der Eltern, sondern neu gestützt auf die letzte Steuerveranlagung bestimmt werden. Das Bundesgericht hatte die Frage zu beantworten, ob es sich vorliegend um eine öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Streitigkeit handelt. Es erwog, dass der Vollzug von Aufgaben, die an die Planung, die Koordination und die Förderung der Schaffung von Betreuungsstrukturen anknüpfen, sowie die Kosten, die vom Gemeinwesen getragen werden, öffentliche Aufgaben darstellen.
Hingegen stellt das Betreiben einer Betreuungsstätte, das heisst die konkrete Betreuung der Kinder, gestützt auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen gerade keine öffentliche Aufgabe dar. Die Kosten der Kinderbetreuung werden durch kantonale und kommunale Erlasse konkret geregelt, und vom Gemeinderat werden, gestützt auf öffentliche Interessen, die anwendbaren Tarife festgelegt, von denen nur in Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Da die entsprechende Vertragsklausel direkt auf die einschlägigen Bestimmungen verweist und der Betreuungsstätte damit kein Handlungsspielraum verbleibt, handelt es sich bei der Festlegung der Tarife für die vorschulische Betreuung um eine öffentliche Aufgabe.42
Das Bundesgericht äussert sich zum Begriff der Fremdplatzierung im Sinne von Artikel 2 des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) und erwägt, dass ein Kind, das zunächst behördlich bei einer Pflegefamilie fremdplatziert und später durch die Pflegeeltern der gleichen Familie adoptiert wurde, auch nach der Adoption von einer Fremdplatzierung im Sinne von Artikel 2 litera b AFZFG betroffen ist.43
2.10 Verfahrensrecht
Im Rahmen einer Stimmrechtsbeschwerde wurde ein Urteil angefochten, das den Einwohnerrat von Aarau (Stadtparlament) verpflichtet, eine neue Umsetzungsvorlage zu einer allgemeinen Anregung auszuarbeiten. Dieser selbständig eröffnete Zwischenentscheid ist vor Bundesgericht anfechtbar (Artikel 93 Absatz 1 litera a BGG). Die Beschwerdeführer, die in der Angelegenheit stimmberechtigt sind, sind zur Beschwerde vor Bundesgericht
befugt, obwohl sie am vorinstanzlichen Verfahren nicht teilgenommen haben. Denn für die Beschwerdeführer gibt gerade erst der vorinstanzliche Entscheid Anlass, ein Rechtsmittel zu ergreifen.44
Das Bundesgericht äusserte sich zur Anfechtbarkeit von Baubewilligungen mit Nebenbestimmungen und deren Qualifikation als End- oder Zwischenentscheid. Wenn bei der Umsetzung der Nebenbestimmungen noch ein Spielraum besteht und trotz nominaler Erteilung einer «Baubewilligung» noch gar nicht gebaut werden darf, handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der vor Bundesgericht nur unter den Voraussetzungen von Artikel 93 Absatz 1 BGG angefochten werden kann.45
Im Zusammenhang mit der Änderung des Reglements über die Waadtländer Weine («vins vaudois») stellte sich die Frage, ob die Anfechtung eines Erlasses vor Bundesgericht zulässig ist, wenn dieser vom kantonalen Verfassungsgericht aufgehoben worden ist. Die unter dem Bundesrechtspflegegesetz (OG) entwickelte Rechtsprechung zu Beschwerden von Privaten gegen die Aufhebung eines kantonalen Erlasses wird mit Differenzierungen übernommen. Es besteht in einem solchen Fall grundsätzlich kein Anfechtungsobjekt mehr. Jedoch steht die Beschwerde gegen den kantonalen Entscheid offen, um die Verletzung von Verfahrensrechten, die Nichteinhaltung einer Gesetzgebungspflicht oder eine Verletzung der Gemeindeautonomie zu rügen.46
Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle betreffend die Einführung einer Covid-Testpflicht für nicht geimpfte Gesundheits- und Sozialarbeiter stellte sich unter anderem die Frage nach der Prüfungsbefugnis und die Frage nach der Zuständigkeit für die Feststellung des Sachverhalts, wenn das Bundesgericht als einzige richterliche Instanz im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle entscheidet. In einer solchen Konstellation obliegt es dem Bundesgericht, die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Zu diesem Zweck stützt es sich insbesondere auf die von den Parteien vorgebrachten Beweise, amtlichen Mitteilungen und offenkundigen Tatsachen und würdigt diese im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung.47
Fussnoten siehe PDF.