Die Schweizer Städte erhalten von Ratingagenturen regelmässig Bestnoten bezüglich Lebensqualität. So verzeichnete beispielsweise allein die Stadt Zürich im Jahr 2017 einen Bevölkerungszuwachs von 7628 Personen. Es handelt sich um den höchsten Wert seit 1947.2 Dieser Zuwachs bringt eine rege Bautätigkeit mit sich, welche einerseits neuen Wohnraum entstehen lässt, andererseits aber für die bisherigen Einwohner gewisse Unannehmlichkeiten mit sich bringt.
In den Zeiten des «verdichteten Bauens» werden in der Stadt Zürich grosse neue Wohnblöcke wie beispielsweise an der Europaallee beim HB Zürich aus dem Boden gestampft. Das bedeutet für die Anwohner ein monate-, manchmal gar jahrelanges Leben neben einer Grossbaustelle. Wird ein Nachbargebäude abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, leben die Nachbarn mit Lärm, Staub, versperrten Zufahrten und belegten Parkplätzen. Für die betroffenen Mieter stellt sich die Frage, wie sie sich gegen solche Immissionen wehren beziehungsweise welche Ansprüche sie geltend machen können.
Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Ansprüche die Mieterschaft in solchen Fällen hat, wie sie geltend zu machen sind, wo die Stolpersteine liegen und wie die Gerichte zu dieser Thematik in letzter Zeit entschieden haben. Meistens bildet der Haupstreitpunkt bei der Auseinandersetzung zwischen Mieter und Vermieter die Frage nach einer Mietzinsherabsetzung sowie deren Höhe. Unter dem Begriff «Bauimmissionen» werden hier sämtliche Einwirkungen wie Lärm, Erschütterungen, Staub, Rauch, Gerüche etc. verstanden, die durch den Betrieb einer Baustelle auf ein anderes Grundstück beziehungsweise ein Mietobjekt einwirken können.
1. Immissionen als Mangel
Gemäss Art. 256 Abs. 1 OR ist der Vermieter verpflichtet, das Mietobjekt in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu erhalten. Art. 259d OR hält fest, dass der Mieter bei einer Verminderung oder Beeinträchtigung dieser Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten Gebrauch vom Vermieter eine Herabsetzung des Mietzinses verlangen kann.
Für den «Durchschnittsmieter» ist es vermutlich klar, dass er nicht den vollen Mietzins zu bezahlen hat, wenn er tagtäglich – oder zumindest wochentags – von den Immissionen der Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück betroffen ist und beispielsweise sein Balkon während Monaten unbenutzbar ist. Rechtsprechung und Lehre waren sich aber lange nicht einig, ob Immissionen von benachbarten Grundstücken einen Mangel im mietrechtlichen Sinne darstellen und eine damit einhergehende Mietzinsreduktion zur Folge haben.
Noch vor nicht allzu langer Zeit vertraten diverse Autoren allerdings die Auffassung, dass Beeinträchtigungen beziehungsweise Immissionen, die von einer Drittpartei ausgehen, nie einen Mangel im mietrechtlichen Sinn darstellen und der Mieter demzufolge keinen Reduktionsanspruch hat.3 Heute besteht jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass für den Herabsetzungsanspruch des Mieters kein Verschulden des Vermieters an der Mangelhaftigkeit der Mietsache notwendig ist.4
Hans Giger vertritt im Berner Kommentar die Ansicht, ein Herabsetzungsanspruch bei Bauimmissionen bestehe nur dann, wenn vereinbart wurde, dass der im Vertrag anvisierte Gebrauch nicht durch Umstände gestört wird, die dem Einfluss des Vermieters entzogen sind. Er stützt dies auf die Überlegung, dass der Mieter mit Umbauarbeiten auf dem Nachbargrundstück rechnen muss und die gewöhnlichen Immissionen hinzunehmen hat.5 Dieser Auffassung kann nach der hier vertretenen Meinung nicht gefolgt werden. Es ist praxisfremd, dass Mieter und Vermieter vereinbaren, der Gebrauchszweck des Mietobjekts werde nicht durch Umstände gestört, die dem Einfluss des Vermieters entzogen sind. Wieso sollte ein Vermieter eine solche Zusicherung abgeben, auf deren Einhaltung er nicht den geringsten Einfluss hat respektive haben kann?
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass Bauimmissionen von benachbarten Grundstücken den Mieter grundsätzlich dazu berechtigen, vom Vermieter eine verhältnismässige Reduktion des Nettomietzinses zu verlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Mieter in städtischem Gebiet wohnt, wo mit einer (regeren) Bautätigkeit gerechnet werden muss.
2. Gewisse Intensität nötig
Wie dargelegt, stellen nach herrschender Lehre und Rechtsprechung übermässige Immissionen wie Lärm, Erschütterungen und Staub, die in Bauarbeiten in der Nachbarschaft gründen, einen Mangel im mietrechtlichen Sinne dar, welcher zu einer Mietzinsreduktion berechtigt.
Regelmässig Anlass zu Diskussionen zwischen Mieter und Vermieter gibt die Frage, ab wann bei einer nachbarschaftlichen Baustelle beziehungsweise deren Immissionen von einem Mangel im mietrechtlichen Sinne gesprochen werden kann. Die Antwort auf die Frage des Mieters, ob er einen Reduktionsanspruch habe und falls ja, wie hoch denn dieser ausfalle, beginnt wohl oft mit «Es kommt darauf an…». Denn nicht jede benachbarte Baustelle bringt einen Reduktionsanspruch mit sich. Die Einwirkungen der Bautätigkeit auf den betroffenen Mieter sind für jeden konkreten Einzelfall anhand der individuellen Verhältnisse zu prüfen.6
Das Bundesgericht hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach nicht jede Beeinträchtigung und nicht jeder Komfortverlust zu einer Mietzinsreduktion berechtigen. In BGE 135 III 345, E. 3.2., führt das Bundesgericht aus, dass – um eine Mietzinsreduktion geltend machen zu können – die Gebrauchstauglichkeit um mindestens 5 Prozent eingeschränkt sein muss, wobei bei einer länger andauernden Beeinträchtigung der «Grenzwert» auf 2 Prozent sinkt.
Nach meinem Dafürhalten ist eine Beratung des Mieters oder Vermieters bei der Frage über die Höhe des Reduktionsanspruchs, auch unter Zuhilfenahme vorgenannter Grenzwerte, eine äusserst schwierige Sache. Bei der Frage, wie hoch die Reduktion des Mietzinses ausfällt, haben Schlichtungsbehörden und auch Gerichte einen sehr grossen Ermessensspielraum. Ich wage zu behaupten, dass der gleiche Sachverhalt bei der einen Schlichtungsbehörde in einem Reduktionsanspruch von 5 Prozent und bei einer anderen in einem Reduktionsanspruch von 15 Prozent resultiert.
Das Mietgericht Zürich hatte in seinem Entscheid vom 27. Oktober 2014 (MD130015-L; ZMP 2014 Nr. 7) folgenden Fall zu beurteilen: Die Mieter machten geltend, der Lärm einer benachbarten Baustelle stelle einen schweren Mangel dar, welcher zu einer Mietzinsreduktion berechtige. Dem Mietgericht lag ein Bauplan vor, gemäss welchem die Erstellung des gesamten Neubaus von Juli 2012 bis Mai 2014 dauerte, mithin knapp zwei Jahre. Besonders die Erdsondenbohrungen sowie die Abbrucharbeiten verursachten Lärm und teilweise Staub. Die Erdsondenbohrungen dauerten 15 Tage und die eigentlichen Abbrucharbeiten 45 Tage. Während dieser Zeit wurden allerdings während 15 Tagen die Parkettböden im Abbruchobjekt abgebrochen, wodurch wenig Lärm nach aussen getragen wurde. Somit verblieb lediglich eine besonders lärm- und teilweise staubintensive Bauzeit von insgesamt 45 Tagen. Von den Mietern sei nicht geltend gemacht worden, die zulässigen Bauzeiten seien nicht eingehalten worden oder die Arbeiten hätten ausserhalb der zulässigen Arbeitszeiten stattgefunden. Daraus schloss das Mietgericht, es könne davon ausgegangen werden, dass auch während der 45-tägigen lärm- und staubintensiven Bauzeit jenes Mass an Immissionsfreiheit gewahrt blieb, welches den vorausgesetzten Gebrauch des Mietobjektes, nämlich das Wohnen, ermöglichte. Zum Verhängnis wurde den Mietern sodann, dass sie es unterliessen, den geltend gemachten Baulärm näher darzulegen. So hätten sie nicht ausgeführt, wann und wie lange welche Arbeiten wie viel Lärm verursacht hätten.
Grundsätzlich muss also ein Mieter jene Immissionen von Baustellen entschädigungslos hinnehmen, welche die «üblichen innerstädtischen Einflüsse» mit sich bringen. Was das vom Mieter hinzunehmende Ausmass an Immissionen in Städten ist und was eben nicht mehr, ist im Einzelfall zu beurteilen. Auch dies gestaltet sich für die Anwaltschaft äusserst schwierig, zumal die Behörden über ein grosses Ermessen verfügen. Will der Mieter ein bestmögliches Resultat, sprich eine hohe Reduktion zugesprochen erhalten, sollte er die entsprechenden Immissionen gut dokumentieren. Ich werde auf diese Thematik noch zu einem späteren Zeitpunkt näher eingehen.
Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Vermieter dem Mieter auch dann eine Reduktion des Mietzinses zu gewähren, wenn die Baustelle, die Immissionen verursacht, beziehungsweise das entsprechende Bauprojekt im öffentlichen Interesse liegen. Dem Urteil des Bundesgerichts 4A_130/2018 (publiziert in Mietrechtspraxis 4/2018, S. 296 ff.) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war Mieterin einer 3,5-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Bahnhofes Prilly-Malley in Lausanne. Von Dezember 2008 bis August 2012 wurden grundlegende Arbeiten zum Bau dieses Bahnhofes und einer vierten Eisenbahnlinie zwischen den Bahnhöfen Lausanne und Renens VD durchgeführt, die erhebliche Beeinträchtigungen verursachten. Das Mietgericht gewährte der Mieterin eine Mietzinsreduktion von 20 Prozent vom 1. Januar 2009 bis am 20. August 2012. Dieser Entscheid wurde vom Kantonsgericht gestützt. Der Vermieter wehrte sich vor Bundesgericht vergeblich mit dem Argument, eine Mietzinsreduktion sei ausgeschlossen, wenn ein öffentliches Interesse am Bauwerk bestehe.
3. Kenntnis des Mangels, Rüge
Damit der Mieter seinen Anspruch auf Reduktion des Mietzinses durchsetzen kann, ist unabdingbar, dass der Vermieter Kenntnis von den Immissionen hat, die den Mieter stören.
Von Immissionen betroffene Mieter machen oft den Fehler, dass sie erst nach Abschluss der Bauarbeiten auf ihren Vermieter zugehen und ihn auffordern, den Mietzins für die zurückliegende Bauzeit angemessen zu reduzieren. Gemäss Art. 259d OR hat der Mieter einen Reduktionsanspruch ab dem Zeitpunkt, ab welchem der Vermieter Kenntnis vom Mangel hat. Ein Teil der Lehre vertritt die Auffassung, dass bei Mängelansprüchen aus Baustellen in der Nachbarschaft keine explizite Mängelrüge des Mieters nötig ist, um eine Mietzinsreduktion geltend machen zu können. Die Eigentümerschaft oder die Verwaltung habe nämlich regelmässig Kenntnis davon, wenn in der Nähe des Mietobjektes eine Baustelle eröffnet werde. Es sei bei Mängeln, welche vom Vermieter ohnehin nicht behoben werden könnten, spitzfindig, für den Reduktionsanspruch eine Mängelrüge des Mieters vorauszusetzen.7
Dieser Auffassung kann aus den nachfolgenden Gründen nicht gefolgt werden: Das Mietrecht sieht zwar keine explizite Pflicht zur Mängelrüge wie beim Kauf- oder Werkvertrag vor. Ein Mieter wird aber trotzdem kaum erfolgreich einen Prozess ohne Mängelrüge führen können. Er trägt nämlich die volle Beweislast für alle Voraussetzungen seines Herabsetzungsanspruches. Namentlich muss er beweisen können, dass der Vermieter Kenntnis vom Mangel hatte. Zudem besagt selbst die allfällige Kenntnis des Vermieters von der benachbarten Baustelle nicht zwingend, dass sich der Mieter durch diese gestört fühlt.
Das Bundesgericht hat in BGE 142 III 557 klar festgehalten, dass für den Herabsetzungsanspruch des Mieters die Kenntnis des Vermieters vom Mangel nicht ausreicht. Und zwar auch dann nicht, wenn es sich bei der benachbarten Baustelle um eine Grossbaustelle handelt. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Mieter dem Vermieter mitteilen, dass a) die benachbarte Baustelle besteht und b) er diese zumindest als störend empfindet. Damit gibt der Mieter seinem Vermieter nämlich zu verstehen, dass er der Ansicht ist, der Betrieb der Baustelle rechtfertige den vertraglich vereinbarten Mietzins nicht mehr.
Das Bundesgericht führt im vorgenannten Entscheid in der Erwägung 8.3.4 aus, die Herabsetzung des Mietzinses nach Art. 259d OR bezwecke, das durch einen Mangel am Mietobjekt entstandene Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung durch eine entsprechende Reduktion des Mietzinses wieder ins Lot zu bringen. Das Bundesgericht führt weiter aus, dass nicht jeder Mangel vom Mieter als störend empfunden werden müsse und somit nicht jeder Mangel ein Ungleichgewicht zwischen den Hauptleistungspflichten der Parteien bedeute, auch wenn objektiv ein solches vorliege. Der Vermieter darf also darauf vertrauen, dass eine benachbarte Baustelle diejenigen Mieter nicht stört, von denen er keine Mängelrüge erhält.
Selbstredend darf ein Mieter, der sich anfänglich nicht von der Baustelle gestört fühlte, seine Meinung im Verlauf der Bauarbeiten ändern und zu einem späteren Zeitpunkt eine Mietzinsreduktion fordern, wobei diese aber erst ab Kenntnisnahme der Mängelrüge durch den Vermieter geltend gemacht werden kann. Im Rahmen dieser Mängelrüge ist es nicht notwendig, dass der Mieter bereits eine Mietzinsreduktion verlangt und dessen Höhe beziffert.
4. Substanziierung des Mangels
Der Mieter ist in einem Gerichtsverfahren beweispflichtig dafür, dass die geltend gemachten Immissionen das übliche und zu tolerierende Mass übersteigen. Er hat darzutun, welche Immissionen während welcher Dauer und in welchem Ausmass die Nutzung des Mietobjektes beeinträchtigt haben. Das Mietgericht Zürich hat indes bezüglich der Substanziierungspflicht des Mieters bei Lärmimmissionen in seinem Entscheid MD080006 vom 26. Juli 2010 (publiziert in MRA 2/2012, S. 92) festgehalten, dass die Anforderungen an die Substanziierung zu hoch geschraubt würden, wenn alle einzelnen Immissionen während der ganzen Immissionszeit aufgelistet werden müssten.
Ist man als Mieter von Lärmimmissionen einer benachbarten Baustelle betroffen, ist man – im Hinblick auf ein Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren – dennoch gut beraten, die entsprechenden Immissionen möglichst genau zu dokumentieren und eine Art «Lärmprotokoll» zu erstellen, worin Art, Zeitpunkt und Dauer des übermässigen Lärms (oder sonstiger Immissionen) protokolliert werden. Eine Ergänzung dieses Protokolls mit Bild- und Videoaufnahmen macht in vielen Fällen Sinn. Was Schlichtungsbehörden und Gerichte aber nicht verlangen (dürfen), ist die Führung einer Art Tagebuch durch den Mieter, worin die Beeinträchtigungen tagtäglich im Detail festgehalten werden.
5. Umfang der Mietherabsetzung
Ziel einer Herabsetzung des Mietzinses ist die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Leistungen des Mieters und des Vermieters. Um den Herabsetzungsanspruch des Mieters zu ermitteln, ist der objektive Wert der mangelhaften Sache mit dem objektiven Wert der mängelfreien Sache zu vergleichen. Die Miete ist dann im gleichen Verhältnis zu reduzieren. Da diese Berechnungsmethode nicht immer einfach ist, kann die Mietzinsreduktion durch eine Billigkeitsentscheidung ersetzt werden unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung, des gesunden Menschenverstandes und der Gerichtspraxis (BGE 130 III 504, E. 4.1, S. 507, publiziert in Mietrechtspraxis 3/2004, S. 134).
Wie hoch die dem Mieter zugesprochene Mietzinsreduktion im Einzelfall ausfällt, hängt im Wesentlichen vom urteilenden Gericht beziehungsweise dessen Ermessen ab. In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass Mietzinsreduktionen bei Wohnungen, die von Immissionen aus benachbarten Baustellen betroffen sind, über die gesamte Bautätigkeit kaum je den Wert von 3 bis 5 Prozent übersteigen dürften. Dies mit der Begründung, dass Immissionen, die ihren Ursprung in einer benachbarten Baustelle haben, sich üblicherweise auf die Normalarbeitszeit von 42 Stunden pro Woche beschränken. Bezogen auf die gesamte Wochenzeit entspreche dies einem Anteil von 25 Prozent. Wenn also die Wohnung während der Bauzeiten gänzlich unbenutzbar wäre, so könnte die maximale Mietzinsreduktion 5 Prozent betragen. Es sei nun aber zu beachten, dass die Wohnung auch während der immissionsbelasteten Zeiten mit dem ganzen Raumangebot zur Verfügung stehe, beheizt werde und über Strom- und Wasserversorgung verfüge.
Hinzu komme, dass nicht ununterbrochen und schon gar nicht während Tagen und Wochen in gleicher Intensität Lärm produziert werde. Schliesslich sei die Lärmtoleranz tagsüber höher als in den Abendstunden und an Wochenenden, wenn das Bedürfnis nach Ruhe, Entspannung, Pflege sozialer Kontakte etc. für einen Grossteil der Betroffenen wesentlich grösser ist. Gestützt auf diese Überlegungen seien Urteile, in denen Reduktionen zwischen 20 und 35 Prozent zugesprochen würden, als Fehlentscheide zu qualifizieren, in denen die für die Bestimmung des Reduktionsanspruchs durch Lehre und Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze in krasser Art nicht beachtet würden.8
5.1 Zürich: 5 Prozent Reduktion
Diese Ansicht gründet im Wesentlichen auf einem Urteil des Mietgerichts Zürich vom 26. Juli 2010 (MD080006; publiziert und kommentiert von Hans Bärtig in MRA 2/2012, S. 92 ff.). Die Kläger waren Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss. Die Mieter monierten, aufgrund von Immissionen einer Arealüberbauung, welche etwa 4,5 Jahre dauerte, beeinträchtigt zu sein. Sie störten sich insbesondere an den Lärm- und Schmutzimmissionen und Vibrationen.
Das Mietgericht Zürich kam nach einem aufwendigen Beweisverfahren zum Schluss, dass die Immissionen hinsichtlich Intensität und Dauer über das tolerierbare Mass hinausgingen. Es habe sich um ein grosses Bauvorhaben gehandelt, das in mehreren Etappen erstellt worden sei, sich über vier Jahre erstreckt habe und bei einer Entfernung von ca. 40 Metern in unmittelbarer Nähe zum Mietobjekt erfolgt sei. Während Jahren sei gefräst, gebohrt, gehämmert und Beton in der Betonanlage direkt vor dem klägerischen Mietobjekt gemischt worden. Es habe ein ständiger Lastwagenverkehr über den Auslieferungsweg in unmittelbarer Nähe zum Mietobjekt geherrscht, wobei gerade dieser Umstand von den befragten Zeugen als besonders immissionsträchtig empfunden worden sei.
Bei einem über Jahre andauernden grösseren Bauvorhaben sei zudem allgemein bekannt, dass erhebliche Lärm- und Staubimmissionen erfolgten, die eine rechtlich relevante Beeinträchtigung des vetragsgemässen Gebrauchs verursachten und daher zu einem Herabsetzungsanspruch berechtigten, auch wenn sie teilweise sporadisch und in unterschiedlichem Masse auftreten würden. Dabei spiele es für die Qualifizierung eines Mangels im Sinne des Gesetzes keine Rolle, ob die Auflagen gemäss Baubewilligung eingehalten worden seien oder nicht. Das Mietgericht erachtete es als erstellt, dass von der benachbarten Baustelle Lärm- und Schmutzimmissionen ausgingen, welche insbesondere dazu führten, dass die Mieter den Balkon nur begrenzt nutzen konnten, einen erheblichen Reinigungsaufwand bezüglich der Balkonmöbel, der Fensterscheiben und der Rollläden betreiben mussten sowie die Fenster – zumindest teilweise – nicht geöffnet halten konnten, womit sie in der vertragsgemässen Nutzung der Wohnung eingeschränkt gewesen seien.
Das Mietgericht sprach den Mietern für die Zeit von August 2004 bis Ende Dezember 2007 eine 5-prozentige und von Januar 2008 bis Ende 2008 eine 3-prozentige Reduktion zu. Gemäss Mietgericht sei mit Blick auf die Höhe der Reduktion zu berücksichtigen, dass das Wohnen verschiedene Nutzen beinhaltet. So biete eine Wohnung Schutz vor Witterung, diene als Unterbringungsort für persönliche Effekten, als Ort der Ruhe, der Verpflegung und der Besorgung der Körperhygiene. In Bezug auf die Beeinträchtigung aufgrund von Lärmimmissionen hätten die Kläger vorgebracht, morgens um 7 Uhr aus dem Schlaf gerissen worden zu sein und dass tagsüber selbst bei geschlossenen Fenstern Telefongespräche oder Gespräche mit Gästen nicht möglich gewesen seien (was jedoch nicht bewiesen werden konnte).
Die Kläger hätten – zu Recht – nicht geltend gemacht, ein Aufenthalt in der Wohnung sei unmöglich gewesen. Auch seien wichtige Tätigkeiten wie Kochen, Essen, tägliche Hygiene oder Schlafen während der üblichen Nachtruhezeiten uneingeschränkt möglich gewesen. Der Wunsch der nicht mehr erwerbstätigen Kläger, länger als bis 7 Uhr schlafen zu können, sei zwar verständlich, ein Anspruch darauf könne aus dem vereinbarten Gebrauchszweck jedoch nicht abgeleitet werden.
An den Wochenenden war denn auch der üblicherweise im Vordergrund stehende Erholungszweck nicht oder jedenfalls weit weniger beeinträchtigt. Die Nutzung des Balkons war aufgrund der Lärm- und Staubimmissionen – wie von den verschiedenen Zeugen übereinstimmend geschildert – während der gesamten Bauzeit tagsüber unter der Woche erheblich eingeschränkt, indessen abends nach 17 Uhr sowie am Wochenende – nach entsprechend erhöhtem und gewiss mühsamem Reinigungsaufwand – durchaus möglich, wobei die Kläger naturgemäss während der wärmeren Jahreszeit davon mehr tangiert waren als während der kälteren.
In Bezug auf den Umstand, dass die Kläger die Fenster – zumindest teilweise – nicht geöffnet halten konnten, ist zu bemerken, dass sich der Gesamtnutzungswert einer am Tage ungelüfteten Wohnung kaum geringer darstellt als derjenige einer gelüfteten Wohnung, unabhängig dessen, dass einem Mieter das Lüften sehr wichtig sein dürfte und dies gewiss zu bevorzugen ist. Wie erwähnt, konnten die Kläger nicht darlegen, dass das Führen von Gesprächen in der Wohnung nicht möglich gewesen sei. Das Mietgericht kam unter Berücksichtigung des zeitlichen wie auch des sachlichen Umfangs der Störung im Gebrauch ermessensweise auf die genannten Reduktionen.
5.2 St. Gallen: 35 Pozent Reduktion
Das Kreisgericht St. Gallen hielt in seinem Entscheid vom 21. Oktober 2008 (publiziert in Mietrechtspraxis 3/2011, S. 233 ff.) fest, dass Baustellenlärm auch in städtischen Verhältnissen grundsätzlich einen Mangel darstelle. Eine konkrete Berechnung der Wertverminderung sei bei Immissionen von einer Baustelle kaum möglich. Die Wertminderung sei vielmehr im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aufgrund von Billigkeitsregeln, allgemeiner Lebenserfahrung, gesundem Menschenverstand und anhand der Kasuistik aus der Rechtsprechung zu schätzen. Lange andauernde und intensive Immissionen rechtfertigten eine Mietzinsherabsetzung je nach Lage der Wohnung zur Baustelle zwischen 20 und 35 Prozent. Diesem Entscheid lag der Sachverhalt zugrunde, wonach Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung im 4. Obergeschoss vom Vermieter eine Mietzinsreduktion verlangten, weil in unmittelbarer Nähe der Liegenschaft ein neues Kongresszentrum erstellt wurde.
Das Gericht hielt in seiner Urteilsbegründung fest, die Wohnung gehöre zur Privatsphäre eines Menschen. Sie sei ein Ort, an den man sich jederzeit zurückziehen, wo man sich ausruhen und wohl fühlen können solle. Wohnungen dienten dem Schlafen, dem Kochen, dem Empfang von Besuch, der Entspannung und Erholung, der Pflege von Hobbys und dem Aufenthalt im Allgemeinen, und dies nicht nur nachts, sondern auch tagsüber. Diese Funktionen sollte eine Wohnung grundsätzlich jederzeit erfüllen, wobei sich gewisse Differenzierungen und Einschränkungen aufgrund der Lage und der Tageszeiten ergeben könnten.
Die Wohnung der klagenden Mieter befand sich im Zentrum der Stadt St. Gallen. Ein durchschnittlicher Stadt- und Strassenlärm sei hier alltäglich und müsse in Kauf genommen werden. Zu dieser Lage gehöre auch, dass an benachbarten Liegenschaften Unterhalts- und Renovationsarbeiten vorgenommen würden und dass es ab und zu auch zu umfassenden Sanierungen komme. Die Mieter hätten aber nicht damit rechnen müssen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Kongresszentrum erstellt werde.
Das Gericht erachtete die Darstellung der Mieter als glaubhaft, wonach sie während eines Jahres unter Lärm, Vibrationen, Staub und durch viele Lastwagenfahrten verursachte Abgase gelitten hätten. Die Mieter hätten aufgrund des Gestanks und des Lärms die Fenster nicht mehr öffnen und die Dachterrasse kaum noch benutzen können. Dadurch seien sie in ihrem Bedürfnis, sich zu Hause zu erholen, zu entspannen und unterhalten zu können, mehr als ein Jahr gestört worden. Das Nachhausegehen habe «keinen Spass» mehr gemacht und das psychische Wohlbefinden habe unter dieser lang andauernden Belastung gelitten. Die Wohnqualität der Mieter habe sich seit Beginn des Bauprojektes stark gemindert. Plötzlich habe ihre Wohnung an eine Baustelle gegrenzt. Die Umgebung sei von Lärm, Staub und Gestank geprägt gewesen.
Immissionen von solcher Intensität und derart langer Dauer würden selbst das in einer Stadt hinzunehmende Mass deutlich übersteigen und würden die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung beeinträchtigen. Bezüglich der Bemessung des konkreten Mietzinsherabsetzungsanspruchs kam das Gericht zum Schluss, dass im vorliegenden Fall eine konkrete Berechnung der Wertminderung der Wohnung kaum möglich sei. Vielmehr seien die verschiedenen Beeinträchtigungen während der fraglichen Zeitdauer im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Eine solche Schätzung nach Billigkeitsregeln, allgemeiner Lebenserfahrung, gesundem Menschenverstand und anhand der Kasuistik aus der Rechtsprechung sei nach Bundesrecht zulässig. Es solle daher für die ganze, geltend gemachte Dauer eine durchschnittliche Mietzinsreduktion gewährt werden. Gestützt darauf wurde den Mietern schliesslich für ein Jahr eine «pauschale» Reduktion von 20 Prozent zugesprochen. In Parallelverfahren wurden Mietern vom Kreisgericht St. Gallen Reduktionen zwischen 30 und 35 Prozent zugesprochen, je nachdem, ob ihre Wohnungen von der Baustelle weg gerichtet oder dieser direkt zugewandt waren.
5.3 Berechnungsprogramm online zugänglich
Es ist bemerkenswert, dass die Gerichte in St. Gallen und Zürich für vergleichbare Sachverhalte derart unterschiedlich hohe Reduktionen zusprechen. Daran zeigt sich das grosse Ermessen der Gerichte. Ob das Mietgericht Zürich in vergleichbaren Fällen auch heute noch eine doch eher tiefe Reduktion zusprechen würde, erscheint zumindest fraglich. So errechnet das offizielle Berechnungsprogramm betreffend Mietzinsminderung der Zürcher Gerichte (vgl. www.gerichte-zh.ch/themen/miete/rechte-und-pflich ten/maengel-an-der-mietsache/mietzinsminderung.html) bei der Wahl von «Abbruch Nachbargebäude» einen Reduktionsanspruch von 60 Prozent, bei «Umbau» eine Reduktion um 15 Prozent und bei der Eingabe von «Hochbau» immerhin noch eine durchschnittliche monatliche Reduktion von 8,33 Prozent.
Die besprochenen Entscheide aus St. Gallen als Fehlentscheide zu qualifizieren, geht nach der hier vertretenen Auffassung zu weit. Sie sind letztendlich ein Ausfluss des grossen Ermessens, das Gerichten in solchen Fällen zukommt. Das Bundesgericht hat klar festgehalten, dass die Mietzinsreduktion nicht zwingend nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen habe. Gerade bei Mängeln von mittlerer Bedeutung führe diese Berechnungsmethode teilweise zu einem nicht überzeugenden Ergebnis, weil die Inkonvenienzen für den Mieter in keinem Verhältnis stehen zum eher geringen Reduktionsanspruch.9 Das Bundesgericht erachtet deshalb eine wie vom Kreisgericht St. Gallen vorgenommene Reduktion nach Billigkeit als mit Bundesrecht vereinbar. Bekanntlich greift das Bundesgericht nicht in einen Ermessensentscheid ein, sondern erst im Falle der Ermessensüberschreitung respektive der Willkür.
Meines Erachtens weiter zu beachten ist, dass die Beeinträchtigungen des Mieters nicht einfach mit Arbeitsbeendigung auf der Baustelle um 17 Uhr enden. Je nach Umfang der Arbeiten hat er beispielsweise mit einer durch Staub verunreinigten Terrasse oder mit dreckigen Fenstern zu kämpfen, und es wird ihm verunmöglicht, nach der Arbeit Besuch zu empfangen, ohne zuvor einen unverhältnismässigen Aufwand betreiben zu müssen. Mietern, die nur in Teilzeit berufstätig sind, oder Eltern, die mehrheitlich zu Hause sind, wird eine Mietzinsreduktion einzig nach der relativen Methode wohl nicht immer gerecht, auch wenn die subjektive Komponente nicht in die Mietzinsreduktion miteinzufliessen hat. Sie wird aber wohl unter dem Gesichtspunkt «gesunder Menschenverstand» dennoch bewusst oder auch unbewusst in den Ermessensentscheid bei Schlichtungsbehörden und Gerichten miteinfliessen. So ist eine Wohnung beispielsweise im Sommer nur sehr eingeschränkt nutzbar, wenn sich aufgrund von Lärm und Staub die Fenster nicht öffnen lassen und die Terrasse oder der Balkon nicht benutzbar sind. Hat man Kinder, die einen Mittagsschlaf halten, hat man je nach Lärmimmissonen während der Bauarbeiten äusserst unentspannte Tage. Ich bin deshalb klar der Ansicht, dass auch Mietzinsreduktionen im Umfang von 20 Prozent bei Grossbaustellen im Einzelfall sachgerecht sein können.
Die vorangehenden Ausführungen haben aufgezeigt, wie unterschiedlich Gerichtsurteile bei ähnlich gelagerten Sachverhalten ausfallen können. Je nach Art der Immission hat man als Mieter das Risiko, dass ein Gericht zum Schluss kommt, die Immissionen gingen mit innerstädtischen Verhältnissen einher und man damit (entschädigungslos) leben muss. Erhält man eine Mietzinsreduktion zugesprochen, kann diese je nach Berechnungsmethode der kantonalen Gerichte zudem stark variieren.
5.4 Genf: 30 Prozent Reduktion bei Büros
Bei der Miete von Geschäftsräumen ist zu beachten, dass diese grossmehrheitlich tagsüber, also während der Bauzeiten, benützt werden. Bei der Höhe des Reduktionsanspruches bei Geschäftsräumen ist insbesondere der vertraglich vereinbarte Benutzungszweck relevant. So ist eine Schreinerei oder ein Malerbetrieb von benachbarten Bauimmissionen weit weniger beeinträchtigt als eine Arztpraxis oder eine Anwaltskanzlei.
Der Cour de Justice in Genf hatte sich in seinem Entscheid vom 10. März 2014 (publiziert in Mietrechtspraxis 2/2015, S. 129 ff.) mit Umbauarbeiten in einer Geschäftsliegenschaft in Genf zu befassen. Die Vermieterin erlaubte der Mieterin im 1. Obergechoss diverse Umbauarbeiten (Abbruch von verschiedenen Zwischenwänden, Ersatz von elektrischen Leitungen und der Beleuchtung, Ersatz eines Teils der Decke durch eine Metalldecke mit integrierten Leuchten, Anpassungen an der Klima- und Heizanlage, Erneuerung der sanitären Installationen, Versetzung von Zwischenwänden, Ersatz eines Teils der Spannteppiche und Einbau einer Videoüberwachung und einer Einbruchsicherung).
Gemäss der erstinstanzlichen Sachverhaltserstellung dauerten die Arbeiten rund eineinhalb Monate und die damit einhergehenden Lärmimmissionen waren sehr störend, verunmöglichten zuweilen Gespräche und hätten die Mieterin im Erdgeschoss gezwungen, Sitzungen abzubrechen. Hinzu kamen weitere Unannehmlichkeiten wie die zeitweise Blockierung des Lifts und ein mit Baumaterial verstelltes Treppenhaus. Erschwerend kam hinzu, dass das Bauunternehmen das Versprechen, wonach lärmintensive Arbeiten früh am Morgen oder über Mittag hätten ausgeführt werden müssen, nicht einhielt.
Das Mietgericht gewährte der Mieterin im Erdgeschoss für die eineinhalbmonatige Dauer eine Reduktion von 30 Prozent. Dagegen wehrte sich die Vermieterin erfolglos. Die Vermieterin machte unter anderem geltend, bei der Berechnung der Mietzinsreduktion seien die Arbeitszeiten auf der Baustelle ins Verhältnis zur gesamten Wochenzeit zu setzen. Folgte man dieser Berechnungsmethode, würden die Büroräume nur während 23,8 Prozent der Zeit benutzt (8 Stunden täglich während 15 Wochentagen, was bei einer wöchentlichen Gesamtstundenzahl von 168 einem Anteil von 40 Stunden entspricht). Selbst wenn die Büroräume während der Bürozeiten vollkommen unbenutzbar gewesen wären, hätte gemäss der Vermieterin nur eine Mietzinsreduktion von maximal 23,8 Prozent zugesprochen werden können.
Das Gericht verwarf diese Argumentation mit dem Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und den Wortlaut von Art. 259d OR, welcher vorschreibt, dass bei der Mietzinsherabsetzung der vertragliche Gebrauch («Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch») berücksichtigt und von dieser Bezugsgrösse her die verhältnismässige Herabsetzung berechnet werde. Vorliegend sei die Benutzung von Büroräumen während der üblichen Bürozeiten relevant. Dem Gericht ist nach der hier vertretenen Auffassung zuzustimmen, dass bei Bauimmissionen die Beeinträchtigung während der Bürozeiten relevant und demgegenüber unerheblich ist, ob die Baustelle in den übrigen Zeiten ruht.
6. Zeitpunkt der Geltendmachung
Lange fand sich in der Literatur auf die Frage, ob der Mieter auch nach der Beendigung des Mietverhältnisses eine Mietzinsherabsetzung verlangen kann, eine Vielzahl von Antworten und Begründungen. Im Entscheid BGE 142 III 557 vom 11. August 2016 klärte das Bundesgericht diese Frage. Die Herabsetzungserklärung kann auch nach Beendigung des Mietverhältnisses erfolgen. Voraussetzung ist aber, dass der Mieter dem Vermieter während laufendem Mietverhältnis zu verstehen gegeben hat, dass der Mangel das Gleichgewicht zwischen Mietzins und Zustand des Mietobjektes stört. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung muss diese Erklärung das Mass der Herabsetzung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nennen und einen konkreten Bezug zu den beanstandeten Mängeln aufweisen – andernfalls ist sie unwirksam (E. 8.3.4). Das Bundesgericht hält in seinem Urteil fest, die Auslegung ergebe, dass keine spezifische Frist für die Abgabe der Herabsetzungserklärung gemäss Art. 259d OR bestehe. Diese Erklärung könne daher auch noch abgegeben werden, nachdem der Mangel behoben oder der Mietvertrag beendet worden sei (E. 8.3.5).
Zu beachten ist, dass der Rückforderungsanspruch des Mieters vertraglicher Natur ist und nach fünf Jahren verjährt, wobei die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, sobald der Vermieter vom Mangel Kenntnis erlangt.10
7. Ausschluss im Mietvertrag
In Mietverträgen ist vermehrt die Klausel zu finden, in der die Parteien festhalten, dass die derzeitigen und künftigen Lärmimmissionen der benachbarten Liegenschaften bereits berücksichtigt sind oder dass dem Mieter bereits bei Vertragsabschluss für eine gewisse Zeitdauer (etwa bis zum Ende der Bauarbeiten) ein reduzierter Mietzins zugestanden wird. So findet man beispielsweise in einem Mietvertrag den Zusatz: «Dem Mieter sind die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück bekannt. Die daraus resultierenden Immissionen berechtigen den Mieter nicht zu einer Herabsetzung des Mietzinses.» Was passiert nun, wenn der Mieter trotzdem ein Herabsetzungsgesuch stellt? Wird der Vermieter mit dem Verweis auf die vorgenannte Klausel erfolgreich eine Mietzinsreduktion abwehren können?
Der Herabsetzungsanspruch des Mieters ist mit Blick auf Art. 256 Abs. 2 lit. b OR relativ zwingend und kann folglich zuungunsten des Mieters nicht wegbedungen werden. Ein Mieter kann nicht bereits im Vorfeld eines Bauvorhabens auf seine Mängelrechte verzichten. Solche Klauseln sind nichtig und der Mieter kann somit trotz Unterzeichnung dieser Abmachung seine Reduktionsansprüche geltend machen.
Zulässig ist jedoch, die Vereinbarung über den Verzicht auf Mängelrechte beziehungsweise eine pauschale Mietzinsreduktion im Voraus, wenn der Vermieter den Mieter im Detail über das entsprechende Bauvorhaben und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen informiert.
Im Entscheid 4A_269/2009 vom 19. August 2009 (publiziert in Mietrechtspaxis 1/2010, S. 21 ff.) hatte das Bundesgericht einen Fall zu beurteilen, in dem die Parteien im Hinblick auf ein Umbauvorhaben vereinbarten, dass «die Mieterin über die allenfalls bevorstehenden, umfassenden Renovationsarbeiten informiert ist, insbesondere was die Fassade, die Heizung und Belüftung anbelangt». Weiter wurde vereinbart, «dass die Arbeiten im Falle ihrer Ausführung keine Auswirkungen auf den Mietzins haben». Die Parteien vereinbarten, dass unter dem Titel «Beteiligung an den Renovationsarbeiten des Mieters» die Mietzinszahlungen für die ersten drei Monate erlassen würden.
Trotz dieser Vereinbarung verlangte die Mieterin eine Mietzinsreduktion. Das Kantonsgericht reduzierte in seinem Urteil den Mietzins für ein Jahr um 10 Prozent und für drei Monate um 20 Prozent. Eine gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht ab. Es erwog, ein Verzicht zum Voraus auf die Mängelrechte setze voraus, dass der Mieter im Zeitpunkt seines Entscheides (über den Verzicht der Mängelrechte) korrekt über die Beeinträchtigungen, welchen er ausgesetzt sei, informiert sei. Vorliegend war dies nicht der Fall, weil zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Mieterin die Arbeitsplanung, die Details der Ausführung, die Auswirkungen der provisorischen Schutzwände auf die Mieträumlichkeiten, die Dauer der Arbeiten sowie die Koordination derselben mit der Gesamtheit der übrigen Mieter nicht gekannt habe.
Dieser Entscheid betraf einen Umbau im selben Haus, in welchem die Mieterin ihr Mietobjekt hatte. Der Vermieter war also gleichzeitig Bauherr des Umbauprojekts. Während sich in solchen Fällen Umfang, Art und Dauer der Arbeiten wohl einigermassen genau bekannt geben lassen, ist dies im Falle eines Bauprojektes in der Nachbarschaft kaum denkbar. Insofern ist nach der hier vertretenen Auffassung die Vereinbarung über einen Verzicht auf eine Mietzinsreduktion bei einem Bauprojekt in der Nachbarschaft grundsätzlich nichtig, da sich die kommenden Beeinträchtigungen für den Mieter nicht im Detail voraussagen lassen.
Dem Entscheid des Bundesgerichts 4C.39/2003 (publiziert in MRA 5/2003, S. 174–179) lag der Sachverhalt zugrunde, wonach die Mieter eine Mietzinsreduktion aufgrund von Umbauarbeiten sowohl in der von ihnen bewohnten als auch in der benachbarten Liegenschaft verlangten. Der Vertrag beinhaltete zwar keinen Verzicht auf eine Herabsetzung des Mietzinses, dennoch wies das erstinstanzliche Gericht das Mietzinsherabsetzungsgesuch ab. Die Mieter hätten den Mietvertrag im Februar 2001 im Bewusstsein geschlossen, dass die Mietsache zumindest bis zum Abschluss der vierten Renovationsetappe erheblich mit Immissionen belastet sein werde. Die Vermieterin habe dies sinngemäss mit der vorgemerkten Mietzinsreserve aufgrund wertvermehrender Investitionen im Mietvertrag zum Ausdruck gebracht, auf deren Geltendmachung sie während dreier Jahre – somit bis zum Abschluss der Renovationsarbeiten in der betreffenden Siedlung – verzichtet habe. Das Obergericht hob diesen Entscheid auf mit der Begründung, die Mieter hätten beim Bezug der vorübergehend mit diversen Immissionen belasteten Wohnung nicht gültig auf ihre Mängelrechte und damit auf ihren Herabsetzungsanspruch verzichten können, sofern sie dafür nicht eine entsprechende Entschädigung in Form eines reduzierten Mietzinses oder eines andern Entgelts erhalten hätten. Das Gericht hielt es aus diesem Grund für unerheblich, ob die Mieter wussten, dass mit Immissionen wegen der Umbau- und Renovationsarbeiten zu rechnen sein werde. Das Bundesgericht stützte diesen Entscheid und wies die dagegen erhobene Beschwerde ab.
Für den Vermieter bedeuten solche Klauseln folglich ein erhebliches Risiko. Wenn solche Vereinbarungen Arbeiten betreffen, auf die der Vermieter einen Einfluss hat beziehungsweise die er selbst planen kann, lassen sich Art und Ausmass der Immissionen, welche den Mieter beeinträchtigen, besser abschätzen. Dementsprechend präzise formulierte Klauseln dürften in einem Gerichtsverfahren Bestand haben. Allgemein gehaltene Klauseln, die Bauprojekte in der Nachbarschaft betreffen, sind in den allermeisten Fällen aufgrund ihrer Unbestimmtheit nichtig, der Vermieter wird sich nicht erfolgreich auf sie berufen können.
8. Folgen einer Einigung
Meldet sich ein Mieter beim Vermieter mit einem Begehren zur Herabsetzung seines Mietzinses, wird in den meisten Fällen spätestens vor der Schlichtungsbehörde eine Vereinbarung über die Herabsetzung des Mietzinses getroffen, weil sich das Prozessieren aus Zeit- und Kostengründen für keine der Parteien lohnt. In der Praxis geht aber oft vergessen, welche Konsequenzen eine solche Einigung mit sich bringt. Wenn der Mieter eine 30-prozentige Reduktion verlangt, der Vermieter aber höchstens 10 Prozent zugestehen will und man sich schliesslich auf eine Reduktion von 20 Prozent einigt, löst dies eine sogenannte «Sperrfrist» aus. Der Vermieter wird vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss des Vergleiches keine ordentliche Kündigung aussprechen können (vgl. Art. 271 Abs. 1 lit. e OR).
Vermieter, die mit Herabsetzungsbegehren konfrontiert sind und ihre Liegenschaft in den nächsten Jahren selbst umbauen wollen, schenken diesem Umstand oft zu wenig Beachtung. Das Auslösen einer Sperrfrist kann faktisch nur verhindert werden, indem der Anspruch des Mieters auf Mietzinsherabsetzung umgehend anerkannt wird und keine Streitigkeit entsteht. Diesfalls wird keine Sperrfrist ausgelöst.11
9. Schadenersatz durch Vermieter
Immer wieder taucht die Frage auf, inwiefern der Mieter vom Vermieter verlangen kann, sich an den Kosten zu beteiligen, die infolge der Bauarbeiten in der Nachbarschaft entstehen. Zu denken ist hierbei beispielsweise an die Reinigungskosten für Fenster, Terrassen und Balkonmöbel.
Gemäss Art. 259e OR wird der Vermieter gegenüber dem Mieter schadenersatzpflichtig, wenn der Mieter durch den Mangel einen Schaden erleidet. Dies aber nur, wenn der Vermieter nicht beweisen kann, dass ihn am Mangel kein Verschulden trifft. Da der Vermieter bei Bauimmissionen in der Nachbarschaft beweisen kann, dass ihn am allfälligen Schaden des Mieters kein Verschulden trifft, wird der Mieter eine Kostenbeteiligung des Vermieters nicht erfolgreich verlangen können.
10. Miete hinterlegen, fristlose Kündigung
Mögen die Immissionen der benachbarten Baustelle für den Mieter noch so nervend und störend sein, das Institut der Hinterlegung des Mietzinses gemäss Art. 259g OR steht ihm nicht zur Verfügung. Der Mietzins kann nur dann nach entsprechender Androhung hinterlegt werden, wenn es dem Vermieter möglich ist beziehungsweise wäre, den Mangel zu beseitigen.12 Dies ist bei einer benachbarten Baustelle nicht der Fall. Aus denselben Gründen wird dem Mieter auch eine fristlose Kündigung gestützt auf Art. 259b lit. a OR verwehrt sein.
Der Text basiert auf einem Referat an der 6. Tagung zu aktuellen Fragen zum Mietrecht des Europa-Instituts der Universität Zürich am 19.3.2019.
www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen/2018/februar/180215a.html.
Peter Higi, Zeitschrift für Baurecht und Vergabewesen, 4/2002, S.154.
Matthias Tschudi, N 16 zu Art. 259d OR, in: Schweizerischer Verband der Immobilienwirtschaft (Hrsg.), Das schweizerische Mietrecht, 4. Aufl., Zürich 2018 (fortan: Svit-Kommentar); Claude Roy in: Lachat et al., Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl., Zürich 2016, S. 254, Rz. 11.4.5.1.5.; Beat Rohrer, Wohn und Geschäftsmiete, Handbücher für die Anwaltspraxis, Basel 2016, N 5.70.
Hans Giger, Berner Kommentar, Schweizerisches Obligationenrecht: Die Miete, Art. 253–273c, Bern 2013/2015, Art. 259d OR N 16.
Rohrer, a.a.O., N 5.70; Urban Hulliger / Peter Heinrich, N 8 zu Art. 259d OR, in: Marc Amstutz et al. (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Vertragsverhältnisse Teil 1: Art. 184 ff. OR, 3. Aufl., Zürich 2016.
Roy, a.a.O., S. 249, FN 89.
Rohrer, a.a.O., N 5.76, Fn. 107.
Roger Weber, Art. 259d N 6,
in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl.,
Basel 2015.
Svit-Kommentar, N 47
zu Art. 259d OR.
Anita Thanei in: Lachat et al. (Hrsg.), Mietrecht für die Praxis, Zürich 2016, S. 809, Rz. 29.3.2.6.5.
Statt vieler: Weber, a.a.O., Art. 259d N 6, der als Beispiel für eine unzulässige Hinterlegung die Hinterlegung bei Immissionen durch rechtmässige Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück nennt; a.M. Roy, a.a.O., S. 266, Fn. 219, wonach diese Voraussetzung «umstritten» sein soll.