plädoyer: Sind Sie miteinander befreundet oder verfeindet?
Patrick Sutter: Wir kennen uns vom Studium her. Wir waren in der Studentenpolitik aktiv und sind uns vermutlich auch schon in Streitgesprächen begegnet.
Patrick Guidon: Wir sind weder befreundet noch verfeindet, allenfalls ist dies nach diesem Gespräch anders (lacht).
plädoyer: Patrick Guidon, würden Sie als Gerichtspräsident in den Ausstand treten, wenn Patrick Sutter in einem bei Ihnen pendenten Verfahren Rechtsvertreter wäre?
Guidon: Nein, die Voraussetzungen dafür sind nicht erfüllt.
plädoyer: Die Prozessordnungen sehen vor, dass Richter von sich aus allfällige Ausstandsgründe offenlegen müssen und selbst entscheiden, ob sie in den Ausstand treten. Bewährt sich diese Praxis?
Guidon: Ja. Das aktive Offenlegen ist richtig und wichtig. Ich plädiere für einen offensiven Umgang mit möglichen Ausstandsproblemen. Oft gründet das Unbehagen von Parteien im Umstand, dass ein möglicher Ausstandsgrund nicht transparent gemacht wurde und man von diesem erst im Nachhinein erfährt.
Sutter: Ziel eines jeden Verfahrens ist die Herstellung von Rechtsfrieden. Das setzt die Akzeptanz des Urteils durch die Parteien voraus. Jeder Klient reagiert empfindlich, wenn er glaubt, ein Richter habe aus sachfremden Gründen entschieden. Das entwertet sofort jedes Urteil.
plädoyer: Das Bundesgericht entschied kürzlich, es sei nicht zu beanstanden, wenn ein Einzelrichter des Bezirks Schwyz über den angeklagten Vater der Gerichtspräsidentin urteile (1B_121/ 2014). Im Urteil steht, «eine berufliche Beziehung oder ein kollegiales Verhältnis» stelle keinen Ausstandsgrund dar. Sind Sie gleicher Meinung?
Guidon: Der Entscheid steht angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts etwas quer in der Landschaft. Wichtig ist: Für einen Ausstand genügt schon der Anschein der Befangenheit. Das Bundesgericht nimmt diesen Anschein im Allgemeinen relativ rasch an. Das ist richtig so. Deshalb hätte ich mir im vorliegenden Fall auch einen anderen Entscheid vorstellen können. Aber das Urteil ist vertretbar.
Sutter: Aus der Begründung des Urteils erschliesst sich mir nicht, wie die Argumente des Beschwerdeführers lauteten. Man findet zum Beispiel die Aussage des Beschwerdeführers, die Bevölkerung sei der Ansicht, jede Gerichtspräsidentin habe ihre Richter unter Kontrolle. Da stelle ich mir die Frage: Weshalb sollte ich als Vater der Gerichtspräsidentin ein Ausstandsbegehren gegen einen Richter stellen, den meine Tochter unter Kontrolle hat? Wie man der Begründung entnehmen kann, spielte aber die bevorstehende Verjährung wohl eine massgebliche Rolle, indem nach dem Ausstand nicht mehr rechtzeitig vor der Verjährung ein neu konstituiertes Gericht vorhanden gewesen wäre.
plädoyer: Das Bundesgericht hat letztes Jahr in einem andern Fall aus dem Kanton Schwyz entschieden, der Richter hätte in den Ausstand treten müssen. Damals entschied ein Verwaltungsrichter über eine Beschwerde gegen eine Steuerveranlagung, die von seiner Frau bearbeitet worden war. Haben kleinere Kantone besonders Mühe, den Anspruch auf ein unparteiliches Gericht zu erfüllen?
Sutter: In einem kleinen Kanton kennt unter Richtern, Anwälten und Verwaltungsjuristen fast jeder jeden persönlich. Die Richter kennen sogar nicht selten die Parteien von irgendwoher – häufig allein schon durch Begegnungen im Alltag. Das führt aber noch nicht zu einer allgemeinen Befangenheit. Eine Besonderheit im Kanton Schwyz ist zudem die Kollegialität unter Anwälten und Richtern: Denn im Kanton Schwyz können alle Juristen mit Anwaltspatent – also auch Richter und nicht nur registrierte Anwälte – Mitglieder des Anwaltsverbands sein. Diese Kollegialität hat Vor- und Nachteile. Der Ton unter Anwälten oder unter Richtern und Anwälten in den Verfahren ist in grösseren Kantonen wie Zürich oder Luzern zum Beispiel deutlich rauer als im Kanton Schwyz.
Guidon: Auch in grösseren Kantonen kennen sich die Akteure oft. Bei der Frage des Ausstandes ist deshalb auch dort eine Objektivierung unumgänglich. Eine lose Bekanntschaft erfüllt die Voraussetzungen zur Annahme eines Ausstandsgrundes nicht. Was man aber häufig übersieht: Einflüsse, die einen Richter in der Entscheidung nicht mehr frei erscheinen lassen, finden sich auch ausserhalb der Ausstandsgründe und können ausgesprochen subtil sein. Wenn ich zum Beispiel nach zwei sehr fragwürdigen Rechtsmitteln eines Anwalts oder eines Staatsanwalts im gleichen Jahr eine dritte Eingabe erhalte, bin ich dann innerlich immer noch völlig unbefangen? Oder wenn sich die Berufung gegen den Entscheid einer Vorinstanz richtet, deren Entscheide überproportional oft aufgehoben werden müssen? Oder wenn ein Fall in den Medien vorgespurt wurde? Dies sind alles auch Einflüsse, die auf die Entscheidfindung einwirken können.
plädoyer: Richter sollten also sensibler mit der Frage einer allfälligen Befangenheit umgehen?
Guidon: Man sollte die Frage immer sehr sorgfältig prüfen, sofern es nicht um offensichtlich querulatorische Begehren geht. Nach meiner Erfahrung stellen insbesondere Anwälte ein Ausstandsbegehren nicht leichtfertig. Entsprechend ist eine seriöse Prüfung notwendig.
plädoyer: Geben Sie den Parteien von sich aus alle möglichen Ausstandsgründe bekannt, wie zum Beispiel die Mitgliedschaft im gleichen Verein?
Guidon: Die Mitgliedschaft im gleichen Verein allein reicht noch nicht aus. Massgebend ist, ob die Betroffenen ein besonderes Freundschaftsverhältnis verbindet. Hat der Verein mehrere Tausend Mitglieder, ist das in aller Regel nicht der Fall. Handelt es sich hingegen um eine sehr kleine Gruppe, stellt sich die Frage eher. Neben der Grösse ist auch der Zweck des Vereins, die Häufigkeit der Treffen entscheidend und ob man sich auch ausserhalb des Vereins trifft.
plädoyer: Fragen Sie sich bei jedem Fall, ob ein Anschein der Befangenheit vorliegen könnte?
Guidon: Die erste Frage ist immer, ob ich die Prozesspartei kenne oder nur deren Rechtsvertreter. Bis jetzt hatte ich noch nie einen Fall, bei dem ich die Prozesspartei selbst kannte. Kenne ich den Rechtsvertreter persönlich, frage ich mich zunächst, ob ich mich als befangen betrachte. Bejahe ich dies, mache ich dies transparent und trete in den Ausstand. Verneine ich dies, frage ich mich anschliessend, ob ein unbeteiligter Dritter den Anschein der Befangenheit bejahen würde, wenn ich ihm dies erzählen würde. Bei persönlichen Bekanntschaften mit Anwälten kann man es meist auf eine einfache Frage herunterbrechen: Wie viele gemeinsame Biere machen befangen? Wenn die bierseligen Treffen regelmässig und in einer freundschaftlichen Atmosphäre stattfinden, ist das Mass erreicht.
plädoyer: Müsste ein Richter in den Ausstand treten, wenn er den Parteivertreter schon einmal privat nach Hause eingeladen hat?
Guidon: Eine einmalige Einladung ist grundsätzlich unproblematisch. Wenn die privaten Einladungen jedoch mit einer gewissen Regelmässigkeit erfolgen, stellt sich die Frage des Anscheins der Befangenheit.
plädoyer: Patrick Sutter, würden Sie ein Ausstandsbegehren stellen, wenn Sie erfahren, dass der Gegenanwalt kürzlich privat beim Richter zum Dinner eingeladen war?
Sutter: Nein, ich beurteile das gleich wie Herr Guidon. Die Gelegenheiten zur Begegnung gerade in einem kleinen Kanton sind so gross, dass es fast willkürlich ist, ob man jemanden nach Hause einlädt oder jemandem an einem Nachtessen gegenübersitzt oder sich bei einer anderen Gelegenheit in einem Gespräch findet. Damit ich ein Ausstandsbegehren stellen würde, müsste schon mehr vorliegen als ein gemeinsames Essen.
plädoyer: Welches sind Ihre Kriterien für Ablehnungsanträge?
Sutter: Wenn ich Urteile lese, bin ich immer wieder erstaunt, dass die Gerichte offensichtlich kein systematisches Vorgehen kennen, wenn ein Fall auf ihr Pult kommt. Das ist bei uns Anwälten anders. Ein Anwalt muss standardmässig bei jedem neuen Mandat prüfen, ob eine Interessenkollision vorliegt. In unserer Kanzlei mit rund 12 bis 14 Anwältinnen und Anwälten erhalten alle die Gelegenheit, sich zu einem neuen Mandat zu äussern. Erst dann wird es angenommen. Wir machen Abklärungen innerhalb des Adress- und Mandantensystems und teilen zum Beispiel bei einer Aktiengesellschaft einander auch mit, wer im Handelsregister in Organstellung eingetragen ist.
plädoyer: Herr Guidon, gibt es solche Checklisten auch an den Gerichten?
Guidon: Nein. Ich finde den Gedanken aber interessant. Anders als bei den Kanzleien muss die Prüfung allerdings nicht gleich zu Beginn, sondern erst in jenem Moment erfolgen, in dem die Zusammensetzung des urteilenden Gremiums feststeht. Eine andere Frage ist die, ob man das anhand einer fixen Checkliste machen muss. Es gibt sicher Punkte, die offensichtlich sind und die das Gesetz bereits selbst klar formuliert, wie etwa der Ausstandsgrund der Verwandtschaft. Ansonsten – und das sieht man der Rechtsprechung auch an – sind die möglichen Ausstandskonstellationen sehr vielfältig. Mit einer fixen Checkliste sind sie kaum zuverlässig zu erfassen.
Sutter: Genau deshalb bräuchte es ja eine Checkliste! Die Ausstandsfrage kennt drei Ebenen: Erstens regelt die Verfassung das Erfordernis der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Gerichts. Zweitens enthalten die Gesetze Unvereinbarkeitsregeln, die Wählbarkeitshindernisse für Richter aufstellen oder festlegen, dass ein gewählter Richter gewisse Aufgaben nicht mehr wahrnehmen darf. Neben den Unvereinbarkeitsregeln haben wir als Drittes im Gesetz die Ausstandsregeln. Dort gibt es einerseits konkrete Gründe, die jeder Richter sicherlich kennt, dann gibt es aber eben auch die Generalklausel, die besagt, dass man nichts machen solle, das an der Unabhängigkeit des Richters zweifeln lässt beziehungsweise dem Ansehen des Gerichts schadet. Ich behaupte, die Mehrheit der Richter kennt die entsprechenden Urteile nicht, mit denen die verfassungsrechtliche Bestimmung und die Generalklauseln auf Gesetzesebene ausgelegt werden – gerade bei Ersatzmitgliedern und nebenamtlichen Richtern bezweifle ich dies. Es fehlt bei ihnen das Bewusstsein, dass man mehr prüfen muss, als ob man mit einer Person verwandt oder befreundet oder verfeindet ist.
plädoyer: Bei vielen Gerichten erfahren die Parteien erst mit dem schriftlichen Urteil, wer Recht gesprochen hat. Dann ist es zu spät für ein Ablehnungsbegehren. Es bleibt nur noch ein Rechtsmittel an die nächste Instanz. Bei Bundesgerichtsurteilen ist nicht einmal das mehr möglich.
Guidon: Die Strafprozessordnung sieht vor, dass der Spruchkörper beim Ansetzen der mündlichen Verhandlung bekannt gemacht wird. Dies, damit man die Gelegenheit hat, auf mögliche Ausstandskonstellationen aufmerksam zu werden. Das machen wir in St. Gallen übrigens auch bei schriftlichen Verfahren, damit entsprechende Einwände erhoben werden können. Bei mündlichen Verfahren sieht man schliesslich in der Verhandlung selbst, wer vorne sitzt.
Sutter: Mich erstaunt, dass das Bundesgericht im Entscheid 4A_162/2014 vom 20. Mai 2014 ausführt, das Gericht müsse die Zusammensetzung nicht im Vorfeld mitteilen. Es genüge, wenn sich die Namen der Mitglieder einer Abteilung oder Kammer aus öffentlich zugänglichen Quellen wie dem Staatskalender ergäben. Das bedeutet: Je nachdem, wie gross das Gremium ist, muss ich schon vorsorglich rügen. Bei jeder Steuersache müsste man dem Verwaltungsgericht sagen, dieser und jener Richter darf aber nicht über mich richten. Dabei wäre es Aufgabe des Gerichts bzw. der einzelnen Richter, festzustellen, ob ein Anschein der Befangenheit vorliegt. Jeder Richter müsste die Checkliste durchgehen und prüfen, ob ein Ausstandsgrund vorliegen könnte. Wenn ich die jüngsten Urteile des Bundesgerichts anschaue, hätten die Richter in allen Fällen schon von sich aus bemerken müssen, dass ein Ausstandsgrund vorliegt – und diesen zumindest offenlegen müssen.
plädoyer: Gerichtsschreiber haben beratende Funktion. Deshalb müssten auch sie abgelehnt werden können. Bei vielen Gerichten erfährt man aber nicht, welche Gerichtsschreiber welcher Abteilung zugeordnet sind.
Guidon: Im Kanton St. Gallen werden die drei Richter und der Gerichtsschreiber bekanntgegeben. Gerade wenn ein Gerichtsschreiber ein Referat unter der Verantwortung eines Richters erarbeitet, kann er erheblich Einfluss nehmen. Entsprechend haben die Parteien Anspruch, allfällige Ausstandsprobleme in Bezug auf den Gerichtsschreiber aufzuwerfen.
plädoyer: Ein Problem liegt für die Parteien oft darin, dass sie nicht wissen, dass ein Ausstandsgrund vorliegen könnte. Müssten die Gerichte die Parteien vorgängig orientieren?
Sutter: Das wäre zu wünschen. Wie soll eine Partei herausfinden – wie im Bundesgerichtsentscheid 4A_162/2014 vom 20. Mai 2014 thematisiert –, dass der Ehemann einer Richterin als Anwalt viele Mandate für eine bestimmte Versicherung führt? Auch der Schwager war noch involviert. Wie soll ich das als Anwalt herausfinden, wenn mich die Oberrichterin nicht darauf hinweist?
Guidon: Der Fall zeigt exemplarisch, dass der Anschein der Befangenheit für den Ausstand reicht. Es geht eben nicht darum, ob die betreffende Oberrichterin tatsächlich befangen war oder nicht, sondern ob die Umstände diesen Anschein begründen. Das Urteil des Bundesgerichts ist richtig.
Sutter: Meines Erachtens könnte man viele solche Fälle vermeiden: Erstens müssten die Richter wie gesagt eine Checkliste machen, die sie bei jedem Verfahren durchgehen müssten. Zweitens sollte man darüber diskutieren, ob es möglich wäre, dem Richter die Kosten aufzuerlegen, wenn er einen offensichtlichen Ausstandsgrund nicht offenlegt und dadurch unnötig Prozesskosten verursacht. Auch den Anwälten werden teilweise unnötig verursachte Prozesskosten persönlich auferlegt.
Guidon: Ich habe grosse Zweifel, ob sich die Richter von pekuniären Überlegungen steuern lassen. Wichtig scheint mir dagegen, dass das Bewusstsein für die Ausstandsproblematik geschärft wird.
plädoyer: Ein Ausstandsgrund ist auch die Vorbefasstheit. Hier toleriert die Gerichtspraxis, dass ein Fall nach Rückweisung eines Obergerichts, etwa wegen Verfahrensfehlern, wieder beim gleichen Richter der unteren Instanz landet, der den Fehler machte. Das Bundesgericht sagt: Ein Richter ist erst befangen, wenn er häufig schwere Fehler macht. Wäre es nicht besser, man würde den Fall anderen Richtern übergeben?
Guidon: Solche Situationen stellen sehr hohe Ansprüche an die beteiligten Richter, damit sie sich tatsächlich noch einmal frei mit der Sache befassen. Das Unbehagen der Parteien im Fall einer Rückweisung kann ich verstehen.
Sutter: Wenn der Richter der unteren Instanz von der oberen Instanz gemassregelt wurde und er dann den gleichen Parteien wieder gegenübertreten muss, ist das für ihn echt schwierig. Alle im Raum wissen, dass der Richter einen Fehler gemacht hat. Und der Richter darf sich in beide Richtungen nichts anmerken lassen – also auch nicht überkompensieren. Aber man muss den Richtern eben auch gewisse charakterliche und fachliche Kompetenzen zugestehen, die es braucht, um mit solchen Situationen umzugehen.
Guidon: In der bisherigen Diskussion fehlt meines Erachtens die andere Seite der Medaille: Jede Partei hat einen verfassungsmässigen Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ein allzu leichtfertig gutgeheissenes Ausstandsgesuch führt zur Veränderung des Spruchkörpers. Diese Veränderung kann selbst wiederum eine Verletzung des Rechts auf einen verfassungsmässigen Richter darstellen. Die andere Partei hat nämlich einen legitimen Anspruch, dass sich das Gericht so zusammensetzt, wie es vorgesehen ist. Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung muss die Regel bilden, der Ausstand die Ausnahme.
plädoyer: Die Sanktionen bei Verstössen gegen die Ausstandspflicht sind mild. Die Urteile sind nicht nichtig. Sie werden nur aufgehoben, wenn eine Partei es innert der kurzen Zeit von fünf Tagen im Strafprozess und zehn Tagen in zivilen Fällen beantragt. Dabei wäre es doch wichtig, dass Urteile von den Parteien akzeptiert werden.
Guidon: Ja, der Gedanke der Akzeptanz des Urteils scheint mir wichtig. Er steht hinter dem Anspruch auf ein unparteiisches Gericht.
Sutter: Die kurzen Fristen sind fragwürdig. Dabei hatte der Gesetzgeber offenbar eher die trölerische Partei im Blick, die irgendwann noch Rüge erhebt, um Verzögerungen im Prozess zu bewirken.
plädoyer: Einige nebenamtliche Richterstellen werden von Anwälten besetzt. Diese richten dann zum Teil in Fällen, in denen Anwälte beteiligt sind, gegen die sie in anderen Mandaten prozessieren. Sollten Anwälte solche Posten nicht besser meiden?
Sutter: Der Nutzen solcher Doppelmandate wird tendenziell überschätzt – gemessen an den dadurch hervorgerufenen Problemen.
Guidon: Das nehme ich – jedenfalls im Kanton St. Gallen – nicht so wahr. Ich finde, der Einbezug von Anwälten als nebenamtliche Richter ist für die Entscheidfindung hilfreich und insofern für die Justiz ein Gewinn. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass es zu problematischen Konstellationen kommen kann.
Sutter: In unserer Kanzlei ist klar, dass niemand eine Richterfunktion annimmt, auch wenn es der eine oder andere durchaus gerne machen würde. Der Denner-Fall vor dem Bundespatentgericht zeigt die Problematik: Involviert war ein Anwalt und nebenamtlicher Richter, dessen Kanzlei die Migros Frankreich in einem laufenden Verfahren vertrat (BGE 139 III 433). Meiner Meinung nach geht es heute nicht mehr, dass Anwälte nebenamtliche Richter sind. Ich bin für eine klare Trennung zwischen Anwalts- und Richtertätigkeit. Wenn dies die Qualität der Gerichte in Frage stellt, deutet es auf ein institutionelles Problem hin.
Patrick Guidon, 38, ist Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, Lehrbeauftragter für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität St. Gallen und Vizepräsident der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter.
Patrick Sutter, 37, Partner bei Kessler Wassmer Giacomini & Partner in Schwyz und Wollerau, ist Vizepräsident des Anwaltsverbands und Mitglied der Anwaltskommission des Kantons Schwyz, Lehrbeauftragter für Verwaltungsrecht an der Uni Zürich und für Sicherheitsrecht an der ETH.
Die wichtigsten Ausstandsgründe
Die Artikel 47 der Zivilprozessordnung und 56 der Strafprozessordnung regeln, wann Richter in den Ausstand treten sollten. Die Gründe dafür sind weitgehend gleich:
- persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens,
- Vorbefasstheit in der gleichen Sache – etwa in einer Vorinstanz,
- Ehe, eingetragene Partnerschaft, faktische Lebensgemeinschaft mit einer Partei,
- Verwandtschaft oder Schwägerschaft zu einer Partei,
- Verwandtschaft oder Schwägerschaft zum Vertreter einer Partei,
- Freund- oder Feindschaft sowie andere Gründe.
Befangenheit des Richters ist immer dann anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu erwecken. Die Ablehnung setzt aber nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügen Umstände, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit begründen. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in äusseren Gegebenheiten funktioneller oder organisatorischer Natur begründet sein. Es muss gewährleistet sein, dass der Prozess aus der Sicht aller Beteiligten als offen erscheint.