Es gab Zeiten, da waren Jus-Vorlesungen an der Universität Zürich eine Zumutung. «Ein Professor las aus seinem Skript vor und sprach dabei vor allem zu seinem Bauch», erinnert sich Thomas Gächter, der sein Jus-Studium 1996 in Zürich abschloss.
Gächter ist heute Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Zürich und sagt, dass eine solche Vorlesung mittlerweile praktisch ausgeschlossen sei. «Die Lehre hat seit den frühen Nullerjahren an Gewicht gewonnen.» Einst hätten grosse Teile der Professorenschaft sie eher als «notwendiges Übel» betrachtet. Anders als die Präsenz in Fachzeitschriften oder an Tagungen sei die Didaktik damals auch kaum ein Kriterium für die Berufung gewesen.
Das habe sich geändert, sagt Gächter. Didaktische Fähigkeiten würden heute zu den Bedingungen für einen Lehrstuhl gehören. Entsprechende Bescheinigungen werden zwar nicht verlangt, doch die Studenten bewerten die Kandidaten nach einer Probevorlesung. «Ich kann mich nicht erinnern, dass sich die Berufungskommission je über ein solches Votum hinweggesetzt hat», sagt Gächter.
An der studentischen Basis in Zürich fällt das Urteil über die didaktischen Fähigkeiten der Professorenschaft überwiegend positiv aus. Eine Studentin im ersten Semester sagt plädoyer, viele Professoren gäben sich Mühe: «Sie halten ihre Vorlesungen interaktiv, setzen digitale Hilfsmittel ein und nehmen auf die Aktualität Bezug.» Vereinzelt gebe es aber noch solche, die ihre Vorlesung als Monolog halten und auf Hilfsmittel wie Folien verzichten.
Leandra Columberg, Jus-Studentin im achten Semester und Mitglied der Kritischen Juristinnen Zürich, schildert die Situation ähnlich: «Es gibt solche, die sich etwas mehr Mühe geben als andere und ihre Vorlesungen zugänglicher und interaktiver gestalten», sagt sie. Professoren, deren didaktische Qualitäten von einem Gros der Studentenschaft als «schlecht» eingestuft werden, gebe es kaum.
Regelmässige Evaluation mit Meldung an den Dekan
Das Problem an der Universität Zürich ist gemäss Columberg weniger die Didaktik, sondern mehr die generelle Betreuungsituation. An der juristischen Fakultät kommen auf rund 4000 Studenten 53 Professoren, das Betreuungsverhältnis beträgt somit in Zürich rund 1 zu 75.
Familiärer ist es im Vergleich an der kleineren Rechtsfakultät der Universität Freiburg. Dort liegt das Betreuungsverhältnis bei 1 zu 57. Die Didaktik ist gemäss Vizedekanin Isabelle Chabloz «ein Herzstück der Universität und unserer Fakultät». In Freiburg gibt es wie in Zürich Probevorlesungen für Anwärter auf eine Professur. «Ein schlechtes Feedback der Studenten hat erheblichen Einfluss auf die Kandidatur», sagt Chabloz.
Alle drei Jahre folgt überdies eine Evaluation, bei der die Studenten elektronische Fragebögen ausfüllen. Ist das Verdikt ungenügend, gibt es eine automatische Meldung an den Dekan. «Er führt dann ein Gespräch mit dem Betroffenen», erklärt Chabloz. Die Professoren hätten die Möglichkeit, im Zentrum für Hochschuldidaktik an ihren Schwächen zu arbeiten.
Didaktik mit den Füssen bewerten
Elias Scheidegger, Präsident der Freiburger Fachschaft Jus, der Vertretung der Jus-Studenten, bezeichnet die Qualität der Lehre als «sehr gut». Zwar würden die Professoren eigene Vorlesungsstile pflegen. «Manche sind eher klassisch unterwegs und setzen auf Skript und Lehrbücher. Andere bieten zusätzliche Möglichkeiten zur Vertiefung des Stoffs an, etwa Tutorate.» Insgesamt gebe es keinen Anlass zur Klage. Scheidegger hebt positiv hervor, dass Freiburg den Bachelorstudiengang und einige Mastervorlesungen auf Deutsch und Französisch anbietet.
Diese Möglichkeit gibt es in Zürich nicht. Hier kann man aber in manchen Fächern zwischen zwei gleichsprachigen Vorlesungen wählen. Dabei werden die didaktischen Fähigkeiten auch «mit den Füssen» bewertet, so Dekan Gächter. Auch in Zürich gibt es «massgeschneiderte Didaktikkurse». Die Angebote würden genutzt. «Halte ich eine Vorlesung, bin ich nicht wegen Lampenfieber nervös», sagt Gächter, «sondern weil ich mich frage: Sind sie noch da?»