Menschen- und Grundrechte stehen grundsätzlich jeder Person zu und sie sind nicht von Wohlverhalten, Fähigkeiten und Eigenschaften abhängig. Die Grund- und Menschenrechte haben allerdings einen persönlichen und sachlichen Geltungsbereich und sie gelangen nur dann zur Anwendung, wenn die entsprechende Voraussetzung erfüllt ist.
Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs berechtigen nicht alle Grundrechte jeden Menschen, sondern nur Menschen, die bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllen. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV), der Schutz vor Ausweisung (Art. 25 Abs. 1) oder das Stimmrecht (Art. 136 Abs. 1 BV) setzen das Schweizer Bürgerrecht voraus und das Letztere sogar noch das Mindestalter von vollendeten 18 Jahren. Diese persönlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Grundrecht anwendbar wird.
Hinsichtlich des sachlichen Geltungsbereichs wird verlangt, dass der Tatbestand sachlich in den Anwendungsbereich des betreffenden Grundrechts fällt. So wird das Recht auf Ehe und Familie (Art. 14) daran geknüpft, dass die beiden Personen geschlechtsverschieden sind. Die Wirtschaftsfreiheit des Art. 27 Abs. 1 BV gilt nicht für den Bereich der Staatsmonopole und sie gilt auch nicht für die Anstellungen beim Staat. In sachlicher Hinsicht müssen also ebenfalls Voraussetzungen erfüllt sein, damit das betreffende Grundrecht anwendbar ist.
Ist ein Grundrecht persönlich und sachlich anwendbar, so steht es der betreffenden Person unbedingt zur Verfügung. Das bedeutet, dass dessen Nutzung nicht von weiteren Bedingungen abhängig gemacht werden darf, die nicht in der Grundrechtsgewährleistung selbst schon enthalten sind. Selbstverständlich lassen sich die anwendbaren Grundrechte gemäss Art. 36 BV beschränken, aber das sind keine Bedingungen, sondern es ist der Vorbehalt, dass aus Gründen des öffentlichen Interesses oder des Schutzes der Grundrechte von Dritten einschränkende Gesetzesregelungen erlassen werden können. Mit andern Worten sind Voraussetzungen (Geltungsbereich), Schranken und Bedingungen der Grundrechte klar auseinanderzuhalten.
Im Zusammenhang mit der Urteilsfähigkeit, so auch im Umgang mit dementen Personen, stellt sich die Frage, wer ihre Rechte, speziell ihre Grundrechte, wahrnimmt. Es steht ausser Frage, dass ihnen die Grundrechte der Verfassung und internationalen Menschenrechtskonventionen sachlich und persönlich zustehen. Freilich beruhen diese Rechte in der Regel auf der sozialen Tatsache, dass die einen Inhaber diese Rechte so und die anderen sie anders gebrauchen und damit die Freiheit erst mit Leben erfüllen. Bei dementen Personen stellt sich die Frage besonders intensiv beim Recht auf Leben und bei der persönlichen Freiheit (Art. 10 BV). Das sind höchstpersönliche Rechte, die wegen ihres vertretungsfeindlichen Charakters nur von den Berechtigten selber wahrgenommen werden können. Liegt die Urteilsfähigkeit nicht vor, so kann das Grundrecht nicht genutzt und nicht wahrgenommen werden. Daraus entsteht in einem nichtjuristischen, umgangssprachlichen Sinn so etwas wie eine Bedingung:1 Die Inanspruchnahme höchstpersönlicher Rechte wie etwa das Recht auf Leben und persönliche Freiheit stehen unter der Bedingung der Urteilsfähigkeit. Ist diese nicht gegeben, so besteht das Recht zwar theoretisch, aber es kann in der Praxis nicht wahrgenommen werden.2
Daran schliesst die allgemeine Frage an: Gibt es nicht doch in diesen speziellen Situationen bedingte Menschenrechte, die nur dann wirksam werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind?
Bedingungslosigkeit historisch selbstverständlich
Die Menschenrechte sind Rechte, die sich jeder Bedingung widersetzen. Sie sind Ausdruck des Menschseins und können deshalb gar nicht von sozialen, gesetzlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen abhängen. Diese Antwort ist freilich nicht so klar, und es gibt in keiner Verfassung der Welt eine Bestimmung, die besagt, dass die Grund- oder Menschenrechte unbedingt gelten. Das steht deswegen in keiner Verfassung, weil die Aussage vor dem geschichtlichen Hintergrund der Menschenrechte bis vor kurzem noch als absolut selbstverständlich gegolten hat und bislang gar keiner Erwähnung bedurfte.3
Diese Selbstverständlichkeit drückt die Grundrechteerklärung von Virginia vom 12. Juni 1776 unmissverständlich aus: «Eine Erklärung der Rechte, von den Vertretern der guten Bevölkerung von Virginia, in vollständiger und freier Versammlung zusammengetreten, abgegeben über die Rechte, die ihnen und ihrer Nachkommenschaft als Grundlage und Fundament der Regierung zustehen. Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, die sie, wenn sie in ein Gemeinwesen eintreten, der Nachwelt durch keinerlei Vereinbarung rauben oder vorenthalten können, nämlich den Genuss des Lebens und der Freiheit, mit den Möglichkeiten Eigentum zu erwerben und zu besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.»4
Eine Person, die angeborene Rechte besitzt, muss unbedingt und allein über diese Rechte verfügen können; derartige
Rechte sind naturrechtlich vorbestehend. Sie hängen nicht von einem menschlichen Willen, von menschlichen Bedingungen oder gar einem fixierten Verfassungs- oder Gesetzestext ab. Das hat Friedrich Schiller in seinem Drama «Wilhelm Tell» unnachahmlich ausgedrückt. Das überpositive Naturrecht steht über menschlichem Recht, ansonsten greift der misshandelte Mensch «hinauf getrosten Mutes in den Himmel», um das «ewge» Naturrecht herunterzuholen.5 Es lassen sich zahlreiche weitere Dokumente des 18. Jahrhunderts anführen, die den Grundrechten einen vorstaatlichen Charakter zuweisen. Sie hängen nicht von menschlichem Willen ab. Sie werden nicht von Bedingungen abhängig gemacht, sie unterliegen keinen Einschränkungen, und sie sind so wichtig und im menschlichen Wesen eingeprägt, dass man sie nicht einmal aufzuschreiben braucht.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Sie brauchen nicht einmal aufgeschrieben zu werden. Der Mensch hat also nach Werner Stauffacher in Schillers «Wilhelm Tell» seine «ewgen Rechte», «die droben hangen unveräusserlich und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst», heruntergeholt. In der Hand des Menschen, wenn sie in die Staatsverfassung eingefügt werden, verändern die «ewgen Rechte» ihren Charakter, sie verwandeln sich zu ausgesprochen zeitgebundenen Positionen. Schillers Bild lässt sich als metaphorische Beschreibung einer evolutiven Entwicklung der Grundrechte lesen. Diese läuft vom ungeschriebenen Naturrecht über Menschenrechtserklärungen, verfassungsmässige Rechte zu schliesslich gesetzlich beschränk- und gestaltbaren Rechten.6
Die Erinnerung an den einstigen Despotismus ist die stärkste Kraft liberaler Freiheit.7 Der Politiker und Jurist Simon Kaiser (1828–1898) befand deshalb die schriftliche Fixierung der Rechte für unnötig. Wo die Garantie der Rechte tatsächlich bestehe, bräuchten die Rechte nicht in die Verfassung aufgenommen zu werden. Denn das Leben zeige sie kräftiger als die Schrift.8 Sobald die Erinnerung an das Ancien Régime verblasse, so Kaiser, werde diese Entwicklungsstufe der Grundrechte überwunden. Die vom Vergessen bedrohten Rechte mussten nach Schillers Metapher vom Himmel heruntergeholt und ausdrücklich in der Verfassung niedergelegt werden. Kaiser sah die Entwicklung richtig voraus: Die Rechte kamen immer vollständiger in die Verfassungen, weil der vorausgesetzte Staatszweck der Garantie allgemeiner Freiheit in Vergessenheit geriet oder sogar bestritten wurde. Auf diese Weise sind ausführliche Grundrechtskataloge entstanden.9 Der Verfassungsgeber nahm sich der Grundrechte an und brachte sie in seine Abhängigkeit. Ihre Positivierung in der Verfassung könnte man treffend als «Erniedrigung» bezeichnen; ursprünglich standen sie in jedem Fall über der Verfassung.10
Die Verfassungsgeber wie auch die obersten Gerichte in Europa haben in den letzten Jahrzehnten den Geltungsbereich der Grundrechte ausgedehnt. In der Schweiz trifft dies mit der neuen Verfassung von 2000 ganz speziell zu. Diese Ausdehnung der Grundrechte müsste nun richtigerweise, wenn die Grundrechte effektiv sind, die Tätigkeit des Staats einschränken. Das ist freilich nicht eingetreten, denn der ausgeweitete Grundrechtskatalog bietet für den Staat kein Risiko. Er kann dank einer gewandelten Rechtsauffassung die in der Verfassung verankerten Grundrechte problemlos durch Gesetze zurücknehmen, indem er nach Art. 36 BV gesetzliche Schranken errichtet.
Der Gesetzgeber kann die versprochenen Grundrechte gestützt auf spezielle Vorbehalte zu einzelnen Grundrechten (EMRK, z.B. deutsches Grundgesetz) oder gestützt auf einen generellen Vorbehalt entkräften. Auf diese Weise wird die öffentliche populäre Massnahme (Ausweitung der Grundrechte) punktuell und dadurch versteckt wieder zurückgenommen. Am Ende gelten zwar die Grundrechte in einem bestimmten Lebensbereich, aber das Gesetz schränkt sie wieder ein. Im Ergebnis ist nichts gewonnen, vielmehr verschleiert dieses Vorgehen den wirklichen Vorgang. Die Bürger wähnen sich durch Grundrechte geschützt, aber diese sind nur noch Attrappen und haben ihre Schutzfunktion verloren.11
Ein derartiges Mahnmal eines generellen Vorbehalts stellt der Art. 36 BV dar, der für Einschränkungen die Kriterien der gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit sowie der Wahrung des Kerngehalts aufstellt. Das Bundesgericht hielt bislang den Letzteren stets für gewahrt, d.h. das Kriterium hat de facto keine Funktion. Es besteht die Gefahr, dass die Freiheitsrechte, wie einst in der Weimarer Republik, leer laufen und zu «leeren Proklamationen»12 werden. Die Grundrechte der Bundesverfassung in Verbindung mit Art. 36 BV (Einschränkung der Grundrechte) wiederholen nämlich den geltenden rechtsstaatlichen Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung. Denn auch ohne geltende Grundrechte darf der Rechtsstaat nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage handeln, und er muss dabei die Prinzipien der Verhältnismässigkeit und des öffentlichen Interesses wahren – wie das Art. 5 Abs. 1 und 2 BV vorschreibt. Die Weimarer Staatsrechtslehre vertrat ein solches Verständnis von Grundrechten, und sie sagte anschaulich, dass die Grundrechte «leerlaufend»13 seien.
Probleme durch bedingte Grundrechte
In den Kantonen sind mit Ausnahme von Glarus14 verschiedene Versuche gescheitert, die Altersgrenze für das Stimmrecht auf das erfüllte 16. Altersjahr herabzusetzen. Die Bewegung für eine Herabsetzung des Stimmrechtsalters liess sich indessen nicht entmutigen und schlug ein milderes Stimmrecht vor, indem es die Stimmrechtsgrenze auf das 16. Altersjahr festlegt, aber dabei eine Voraussetzung oder Bedingung vorsieht. Diese besteht in einem Antrag, der von den 16- bis 18-Jährigen zu stellen ist. Nur wenn der Antrag gestellt wird, wird das Stimmrecht erteilt. Dieses besteht also nur unter dieser Voraussetzung.
Am 14. November 2016 hat ein überparteiliches Komitee die kantonale Volksinitiative «Pour le droit de vote à 16 ans sur demande» bei der Staatskanzlei des Kantons Neuenburg eingereicht. Die Neuenburger Verfassung (Art. 37 Abs. 1bis) soll wie folgt ergänzt werden: «Les personnes mentionnées à l’alinéa 1er peuvent devenir électrices ou électeurs en matière cantonale dès qu’elles sont âgées de seize ans révolus pour autant qu’elles demandent expressément leur inscription au registre électoral de leur commune de domicile.»15
Hierbei handelt es sich um ein bedingtes Grundrecht. Stimmbürger sollen nach Auffassung des Initiativkomitees die politischen Rechte nur dann ausüben dürfen, wenn sie sich mittels Antrag im Stimmrechtsregister eingetragen haben. Die Antragspflicht wird wie folgt begründet: «Pour que l’octroi du droit de vote à 16 ans constitue un véritable acte citoyen, les jeunes motivés devront demander personnellement leur inscription au registre électoral de leur commune de domicile. Résultat d’une décision individuelle réfléchie, cette démarche constituera la preuve d’une motivation forte pour l’exercice de droits civiques et d’un engagement à assumer les responsabilités qui en découlent: la voix exprimée comptera vraiment!»16
Das Kantonsparlament hat die Initiative am 28. Juni 2017 auf Antrag der Kantonsregierung für gültig erklärt.17 Die Volksabstimmung darüber steht noch aus. Inhaltlich gesehen handelt es sich um einen Vorschlag, der die Gegner des Stimmrechtsalters 16 möglichst überzeugen möchte, indem das Argument, die 16- bis 18-Jährigen würden ohnehin nicht stimmen, ausser Kraft setzt. Das mag ein politisch geschickter Schachzug sein, der die Stimmbürger insgesamt überzeugen könnte.
In der Sache ist der Vorschlag fragwürdig. Beim politischen Stimmrecht handelt es sich um das grundlegende demokratische Recht. Dieses Recht steht bei den erfüllten Voraussetzungen – z.B. ggf. Staatsangehörigkeit, Altersgrenze, kein Stimmrechtsausschluss mangels Urteilsfähigkeit18 – jeder Person unbedingt zu. Der Vorschlag macht nun den Bestand dieses grundlegenden Rechts von einem bürokratischen Akt abhängig. 16- bis 18-jährige Personen müssen sich bei der Gemeinde anmelden und sich in ein Register eintragen, damit sie das Stimmrecht erhalten. Diese nebensächliche Hürde verträgt sich nicht mit dem grundlegenden Charakter des politischen Stimmrechts. Die Tatsache, dass man das Stimmrecht mit so kleinteiligen Hindernissen versieht, schädigt den grundlegenden Charakter dieses Rechts. Es ist ein Grundrecht und darf gerade deswegen nicht mit bürokratischen Detailregeln durchlöchert werden.19 Dabei handelt es sich mehr als bloss um einen (sprach-) ästhetischen Aspekt. Vielmehr zeigen derartige «bedingte» Grundrechte, dass sie von ihrer natur- oder vernunftrechtlichen Basis völlig gelöst sind und sich nunmehr in der Hand der Politik befinden. Es widerspricht der Begründung und der Funktion der Grundrechte, dass die Tagespolitik diese Rechte ausgestaltet und mit ihnen so verfährt, wie es politisch akzeptabel und durchsetzbar erscheint. Grundrechte bestehen unabhängig von der aktuellen Politik, und diese darf ihnen auch nicht ihren zeitgeistigen Stempel aufdrücken.
Selbstbestimmung in der Gesundheitsversorgung
Die Grundrechte sind in gewisser Weise inhaltsleer. Sie geben zwar ein Thema an, z.B. wie die persönliche Freiheit und das Recht auf Leben, aber sie sind in diesem Themenbereich offen und unbestimmt. Es sind nämlich die durch die Grundrechte Berechtigten, die das Grundrecht individuell mit Inhalt füllen, wenn sie es gebrauchen. Carl Schmitt schrieb 1931: Der Inhalt der Freiheit «ist nicht von Staats wegen normiert; sie besteht nicht nach Massgabe der Gesetze; sie kann auch nicht, wenn sie nicht eine betrügerische Redensart werden soll, unter einem Vorbehalt stehen, dessen Ausfüllung im Ermessen eines andern liegt, sei er nun Gesetzgeber, Regierung, Polizei, Richter, Priester, Arzt, Lehrer, Erzieher, Fürsorgebeamter oder was immer. Eine Freiheit, deren Mass und Inhalt ein anderer bestimmt, ist vielleicht eine höhere, edlere, wahrere, wohlverstandene Art von Freiheit, aber nicht das, was man […] darunter verstehen muss. […] Was Freiheit ist, kann nämlich in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein soll.» 20
Das individuelle Selbstbestimmungsrecht ist zentral; es ist bei gesunden und körperlich kranken Personen uneingeschränkt gegeben, hingegen können demente oder urteilsunfähige Personen es in ihrer Situation naturgemäss nicht mehr gebrauchen. Eine urteilsfähige Person kann daher aus selbstbestimmten Überlegungen entscheiden, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen will. Das bedeutet, dass sie von ihrem Recht auf Leben gemäss Art. 10 Abs. 1 BV einen grundrechtlich geschützten negativen Gebrauch21 macht und ihr biologisches Leben beendet. Das ist eine Form des Freiheitsgebrauchs.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat im bedeutenden Urteil vom 6. Juli 201722 das Selbstbestimmungsrecht für gesunde und urteilsfähige Personen gemäss der aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechung prägnant herausgestellt. Zunächst hat es richtigerweise festgestellt, dass die medizinisch-ethischen Richtlinien «Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) vom 25. November 2004, 6. Aufl., Basel, April 2014 (nachfolgend SAMW-Richtlinien23) nicht anwendbar sind (passim, E. 5.4.1.). Sie beziehen sich ausschliesslich auf schwer kranke und nahe am Lebensende stehende Personen, nicht aber auf gesunde und trotzdem sterbewillige Personen.24 Das Gericht fährt fort: «Gemäss Art. 26 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) müssen bei der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimitteln die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden (vgl. BGE 133 I 58, E. 4.1.2, S. 61). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann im Rahmen der anerkannten medizinischen Berufsregeln ein ärztliches Rezept für die Abgabe von Natrium-Pentobarbital zum Zweck des Suizids ausgestellt werden, falls im Einzelfall die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 133 I 58, E. 6.3.4, S. 74). Diesbezüglich hat das Bundesgericht also bereits im Jahre 2006 festgestellt, dass nach neueren ethischen, rechtlichen und medizinischen Stellungnahmen eine allfällige Verschreibung von Natrium-Pentobarbital auch dann nicht mehr notwendigerweise kontraindiziert und generell als Verletzung der medizinischen Sorgfaltspflichten ausgeschlossen ist, wenn eine unheilbare, dauerhafte, schwere psychische Beeinträchtigung ein Leiden begründet, das dem Patienten sein Leben auf Dauer hin als nicht mehr lebenswert erscheinen lässt. Es hat erwogen, auch wenn dabei äusserste Zurückhaltung geboten sei, gelte es, einen Sterbewunsch, der auf einem selbst bestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person beruhe (sogenannter «Bilanzsuizid»), gegebenenfalls zu respektieren. Basiere der Sterbewunsch auf einem autonomen, die Gesamtsituation erfassenden Entscheid, dürfe unter Umständen auch psychisch Kranken Natrium-Pentobarbital verschrieben und dadurch Suizidbeihilfe geleistet werden (BGE 133 I 58, E. 6.3.5.1, S. 74 f.).25
Damit ist klargestellt, dass gesunde und urteilsfähige Personen das Recht zum Sterben haben, falls sie dies unzweifelhaft und klar ausdrücken. Die Umsetzung dieses grundrechtlichen Anspruchs stösst in der Praxis auf grosse Schwierigkeiten.26 Häufig wird auf die (gemäss dem Urteil Basel II unanwendbaren) SAMW-Richtlinien verwiesen, um dann festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Abgabe der entsprechenden Medikamente nicht gegeben seien.
Bedingte Grundrechte sind ausnahmslos abzulehnen, denn diese widersprechen dem grundsätzlichen und grundlegenden Inhalt der Grundrechte. Beim Problem der Inanspruchnahme des Rechts auf Leben durch demente Personen liegt keine bedingte persönliche Freiheit vor. Denn auch den dementen Personen stehen die Grundrechte vollumfänglich zu. Sie sind aber in der Ausübung dieser Rechte gehindert, was bei entsprechenden Umständen in der Gesundheitsversorgung auf eine Situation hinführt, die mit einer grundrechtswidrigen Bedingung vergleichbar ist. Es lohnt sich, die faktische Lage dementer Personen zu reflektieren.
Demenzstrategie: Ökonomie besiegt Humanität
Die Lage für die urteilsunfähigen Personen, die medizinisch gesehen nicht zwingend am Lebensende stehen, ist unklar. Das Bundesamt für Gesundheit und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren haben in ihrer Demenzstrategie 2014–2019 ausgeführt:27 «Das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene neue Erwachsenenschutzrecht stärkt das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten. Es hat Auswirkungen auf medizinische Entscheidungsprozesse für nicht mehr urteilsfähige Patientinnen und Patienten. Aus ethischer Sicht haben Menschen das Recht auf autonome Entscheide und somit auch das Recht, medizinische Eingriffe und Massnahmen abzulehnen. Die Patientenverfügung ist das Mittel, dieses Recht einzufordern. Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin kommt in ihren Ausführungen zum neuen Erwachsenenschutzrecht mit besonderer Berücksichtigung der Demenzerkrankung zu dem Schluss, dass die Patientenverfügung den Respekt vor der Autonomie auch im Falle einer Demenzerkrankung abzusichern hilft. Menschen mit einer Demenzerkrankung erlaubt das neue Erwachsenenschutzrecht einen selbstbestimmten Umgang mit zukünftigen Krankheitssituationen (NEK−CNE, 2011).
Die Wahrnehmung dieser Rechte und deren Umsetzung in der Praxis erfordert bei einer Demenzerkrankung einerseits eine frühzeitige Diagnose, damit die Erkrankten ihre Wünsche klar zum Ausdruck bringen können. Andererseits ist im Rahmen der Behandlung, Betreuung und Pflege auf eine bestmögliche Betreuungsqualität hinzuarbeiten. Hierzu kann eine konsequente Anwendung bestehender ethischer Leitlinien einen wesentlichen Beitrag leisten, wie Erfahrungen aus der professionellen Praxis zeigen. Beispielsweise ist die demenzkranke Person in besonders herausfordernden Betreuungs- und Pflegesituationen – wie bei Aggressivität oder Widerstand gegen pflegerische Massnahmen – einem höheren Risiko von Misshandlung (wie freiheitsbeschränkende Massnahmen [etwa Fesselung ans Bett; Anm. d. V.], die ohne Zustimmung der betroffenen Person ergriffen werden) ausgesetzt. Die gemeinsam geteilte ethische Grundhaltung kann solche Risiken vermindern, wenn sie als Unterstützungsinstrument (z.B. in Fallbesprechungen) zur Anwendung kommt.
Im gesamten Verlauf einer Demenzerkrankung, aber insbesondere im Fall einer Betreuungs- und Pflegeabhängigkeit im Alltag – wie sie in der Langzeitpflege und -betreuung gegeben ist – ist deshalb eine ethische Grundhaltung in Betreuung und Pflege die unabdingbare Voraussetzung zur Wahrung von Würde und Integrität der erkrankten Person. Insbesondere bei fehlender Patientenverfügung und einer fortgeschrittenen Demenz ist die kontinuierliche Partizipation der Angehörigen von entscheidender Bedeutung.»
Diese Strategie ist in dieser abstrakten Umschreibung vordergründig überzeugend. Denn das Problem, dass urteilsunfähige Personen ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen können, wenn sie keine Patientenverfügung erlassen haben, bleibt und kann nicht gelöst werden. Es verschärft sich, wenn gar keine Angehörigen da sind. Die von der Strategie vorgeschlagene Lösung besteht in einer «ethischen Grundhaltung in Betreuung und Pflege». Es ist völlig offen, welchen Inhalt diese «ethische Grundhaltung» hat. Welcher Ethik soll diese «ethische Grundhaltung» entsprechen und wie wird sie begründet? Die Demenzstrategie verwendet den Singular und gibt damit vor, es gebe die einzige «ethische Grundhaltung» bereits. Das trifft aber keineswegs zu.
Es bestehen in der Gesellschaft die gegensätzlichsten Vorstellungen über das richtige ethische Handeln in solchen Situationen. Die sogenannten Todespfleger oder Todesengel in den Alters- und Pflegeheimen wollen nach ihrem Selbstverständnis häufig nicht Morde begehen, sondern aus Barmherzigkeit Leiden beenden. Auf der andern Seite fordern einzelne religiöse Richtungen, dass alles Erdenkliche unternommen wird, um das Leben um jeden Preis zu verlängern. Sie rufen dafür gewichtige ethische Gründe an. In allen diesen Fällen darf die Behandlung dementer Menschen niemals primär von einer «ethischen Grundhaltung» der Ärzte oder des Pflegepersonals abhängen. Entscheidend ist vielmehr der Wille der betreffenden Person, der sich in einer Patientenverfügung äussert oder der durch nahe Angehörige vermittelt ist. Liegt kein solcher Wille vor, so müssen allgemeinverbindliche Weisungen vorliegen, welcher Kurs im Feld der extrem gegensätzlichen «ethischen Grundhaltungen» genommen wird. Das ethische Dilemma, das in solchen Situationen entsteht, zeigt offenkundig, dass die Betreuung dementer Personen allein unter der Aufsicht von qualifiziert ausgebildetem Pflegefachpersonal in Zusammenarbeit mit Ärzten erfolgen darf. Die Demenzstrategie will mit der «ethischen Grundhaltung» von der entscheidenden Hintergrundfrage ablenken, die sich aufdrängt: Wären Pflege- und Betreuungseinrichtungen nicht mit hinreichend und qualifiziert ausgebildetem Personal auszustatten,28 um in diesen schwierigen Situationen adäquate Antworten zu geben? Für die in der Strategie angemahnten «Fallbesprechungen», die zur adäquaten Bewältigung dieser Fragen nötig sind, braucht es Arbeitszeit und erhöhte Ressourcen für qualifiziertes Personal. Ohne Geld, oder genauer ohne qualifiziertes Personal, kann diese wichtige Aufgabe nicht angegangen werden. Die adäquate Behandlung dementer Menschen, die somit deren Grundrechte zu respektieren vermag, setzt genügend Finanzmittel voraus.
Diese Personen werden nämlich von der Einrichtung und ihrer Umgebung abhängig und sind der Gefahr der Misshandlung ausgesetzt.29 Richtigerweise wollen das Bundesamt und die Gesundheitsdirektoren «im Rahmen der Behandlung, Betreuung und Pflege auf eine bestmögliche Betreuungsqualität»30 hinarbeiten. Tatsächlich haben Bund und Kantone «für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität» (Art. 117a Abs. 1 BV) zu sorgen, was auch die objektivrechtliche Dimension der persönlichen Freiheit des Art. 10 BV gebietet. Sie müssen genug medizinisches Personal, wozu auch diplomierte Pflegefachpersonen gehören, zur Verfügung stellen und von den Leistungserbringern verlangen, dass die in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden. Dabei will die Demenzstrategie grösstes Gewicht auf Ethik legen. Dagegen macht die Demenzstrategie die Ausbildung qualifizierter Pflegefachpersonen und damit verbunden die Finanzierung überhaupt nicht zum Thema.31 Im Zusammenhang mit der Betreuung dementer Personen hebt die Strategie speziell die Angehörigen der Patienten und Personen ohne Ausbildung hervor,32 die diese Betreuung leisten sollten.
Das widerspricht der Strategie diametral, denn damit verwirklicht man nicht die «bestmögliche Betreuungsqualität». Die Betreuung dementer Personen stellt höchste persönliche und fachliche Ansprüche, die nur entsprechend gebildete Fachpersonen, aber niemals un- oder angelernte Hilfskräfte allein erfüllen können. Tatsächlich nimmt die Qualität der Pflege entgegen der Demenzstrategie ab, die Nurse-Patient-Ratio verschlechtert sich laufend, und die Kantone bilden, kurzsichtiger Sparziele wegen, zu wenige Pflegefachpersonen aus. Es sind ökonomische Gründe, die dazu führen, dass die Kantone auf Kosten der Pflegeversorgung die Informatik, die Apparatemedizin und die Pharmaversorgung in den Einrichtungen hochfahren. Das hat zur Folge, dass die diplomierten Pflegefachpersonen wie auch die Ärzte weniger am Bett mit Patienten arbeiten, sondern vermehrt vor den Bildschirmen sitzen und Daten eingeben. Die Dokumentierung und Leistungserfassung nimmt viel Arbeitszeit in Anspruch und ist quasi Reflex des institutionellen Misstrauens gegenüber Ärzten und Pflegenden. Die Krankenversicherungen verlangen detaillierte Belege für die verrechneten Leistungen. Das ist wichtiger als die Gesundheitsversorgung am Bett, womit das eigentliche Hauptanliegen von Pflege und Ärzteschaft, der kranke, leidende Mensch, in den Hintergrund rückt. Aus blossen Kostengründen werden deshalb Patienten zunehmend von ungeschultem oder nicht diplomiertem Personal versorgt33 und notfalls sediert, was den Zeitdruck lindert. Die Vermittlung einer inhaltlich völlig unbestimmten «ethischen Grundhaltung» an ungeschultes Personal kann die fehlende Ausbildung nicht ersetzen, sie dient vielmehr der Verschleierung der Tatsache, dass die schweizerische Gesellschaft und Politik nicht für die adäquate Betreuung dementer und alter Personen aufkommen wollen. Die Patienten liegen in einer Einrichtung, weil das die objektive Rechtfertigung für die Leistungsabrechnung gegenüber den Krankenversicherern darstellt. Wie die Patienten liegen und behandelt werden, spielt hingegen eine geringere Rolle. Auf diese Weise konzentriert sich das Gesundheitswesen schwergewichtig auf Ökonomie, Abrechnungssysteme und teure Technik.
Skandale um die gravierende Misshandlung von Patienten in Spitälern, Pflege- und Altersheimen34 zeigen, dass mangelhafte Pflege und medizinische Versorgung keine theoretischen Probleme sind. Die schweizerische Gesundheitsversorgung befindet sich, wie zum Teil auch im benachbarten Ausland,35 auf einer schiefen Bahn. Bund und Kantone verletzen nicht nur die objektivrechtliche Dimension des Art. 8 EMRK und Art. 10 BV, indem sie die Gesundheitsversorgung in erster Linie ökonomisch betrachten, sondern in den Fällen der Misshandlungen auch die subjektive Seite dieses zentralen Grundrechts.36
Angesichts der strikt ökonomischen Orientierung der Politik in Fragen des Gesundheitswesens ist keine Abhilfe in Sicht.37 Die mit «ethischer Grundhaltung» gewürzte Demenzstrategie will trotz anderslautender Beteuerungen des Bundes38 das Problem auch gar nicht anpacken. Die inhaltlich unbestimmte Ethik will die dringend notwendige Abhilfe vortäuschen, die in Form finanzieller Ressourcen nötig wäre. Sie dient vor allem der Neutralisierung allfälliger Kritik. Denn wer etwas gegen «Ethik» sagt, offenbart sich damit ja quasi als «unethischer Mensch», ein Prädikat, vor dem viele zurückschrecken.
Die systemisch schlechte Behandlung dementer, abhängiger und hilfsbedürftiger Menschen führt den Sterbehilfeorganisationen Mitglieder zu. Betagte urteilsfähige Menschen müssen ihrem Leben noch in einem Zustand mit möglicherweise guter Lebensqualität ein Ende setzen, wenn sie die sonst zu erwartenden Leiden verhindern wollen. Eine verbleibende Lebenszeit muss geopfert werden; Ökomonie besiegt Humanität.
Im Privatrecht wie auch im Verwaltungsrecht bedeutet eine Bedingung «ein ungewisses, künftiges Ereignis». Bezogen auf die Grundrechtsträgerschaft liegt keine Bedingung vor, weil die Grundrechte allen Menschen, auch den Urteilsunfähigen, zustehen. In Bezug auf die Ausübung höchstpersönlicher Rechte jedoch, wie etwa des Rechts auf Leben und die persönliche Freiheit (Art. 10 BV), liegt tatsächlich eine Bedingung vor: Das Eintreten von Urteilsunfähigkeit durch den Alterungsprozess ist eine Bedingung im Rechtssinn.
Das Recht auf Rechtsfähigkeit gemäss Art. 16 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966, SR 0.103.2 («Jedermann hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden»). Dazu: Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, 5. Aufl., München/Zürich 1996, S. 612 und S. 614.; Andreas Kley, «Der Grundrechtskatalog der nachgeführten Bundesverfassung – ausgewählte Neuerungen», in: Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins, Band 135 (1999), Heft 6, S. 301–347, S. 334 f. zu Paragraf 1 BGB und dessen Auslegung durch die nationalsozialistischen Juristen, die wortreich begründeten, dass sich die Rechtsfähigkeit für jedermann nicht auf die Juden beziehe. Das Problem des Anspruchs auf Rechte stellt sich bei dementen Personen nicht, denn diese sind ohne jeden Zweifel Teil der Rechtsgemeinschaft und damit Träger aller Rechte. Sie können diese aber, wenn Entscheidungen zwingend verlangt sind, freilich mangels Urteilsfähigkeit nicht mehr wahrnehmen. Insofern ist ihre rechtliche Lage prekär.
Diese Aussage gilt in der Staatsrechtslehre als selbstverständlich. Aus diesem Grund wird sie in der einschlägigen Literatur auch gar nicht erörtert, siehe z.B. Regina Kiener / Walter Kälin, Grundrechte, 2. Aufl., Bern 2013; Ulrich Häfeli / Walter Haller / Helen Keller / Daniela Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich/ Basel/Genf 2016; Thomas Gächter, «Paragraf 30», in: Giovanni Biaggini / Thomas Gächter / Regina Kiener (Hrsg.), Staatsrecht, 2. Aufl., Zürich/ St. Gallen 2015. Es gibt nur ausserordentlich seltene Ausführungen über bedingte Grundrechte. In einer Debatte des deutschen Bundestags über das passive Wahlrecht entspann sich eine Diskussion über bedingte Grundrechte, wozu die passive Wahlfreiheit gehöre (Deutscher Bundestag. 58. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. April 1950, S. 2131). Das trifft zu, denn allfällige Unvereinbarkeitsgründe machen den Antritt eines Amtes nach erfolgter Wahl von weiteren Voraussetzungen oder Bedingungen abhängig.
Franz Günther, Staatsverfassungen, 3. Aufl., Darmstadt 1975, S. 7.
Wilhelm Tell, Schauspiel, 2. Aufzug, 2. Szene, z.B. in der Ausgabe: Schillers Werke in 10 Bänden, Band 6, Basel 1946, S. 1 ff., S. 54.
Dazu die bemerkenswerte Analyse von Hans Nawiasky, «Der Kreislauf der Entwicklung der Grundrechte», in: Individuum und Gemeinschaft. Festschrift zur Fünfzigjahrfeier der Handels-Hochschule St. Gallen 1949, St. Gallen 1949, S. 433 ff.; Andreas Kley, Geschichte des öffentlichen Rechts, 2. Aufl., Zürich/ St. Gallen 2015, S. 306 ff.
So soll von Che Guevara das Bonmot stammen: «Es gibt nur eine Sache, die grösser ist als die Liebe zur Freiheit: Der Hass auf die Person, die sie dir wegnimmt.»,
www.zitatezumnachdenken.com/che-guevara/8761, zuletzt besucht am 26.2.2018.
Simon Kaiser, Französische Verfassungsgeschichte von
1789–1852 in ihrer historischen Aufeinanderfolge und systematischen Entwickelung, Leipzig 1852, S. 427.
Zaccaria Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 241 f., zur Bundesverfassung 1874: «Aus dem Sinn des Freiheitsrechtskatalogs der Bundesverfassung als eines liberalen Wertsystems lässt sich nämlich folgern, dass die Bundesverfassung jede individuelle Freiheit, die praktisch wird, das heisst durch die Staatsgewalt gefährdet ist, garantiert, und nicht allein die in der Verfassung ausdrücklich aufgezählten Freiheitsrechte». Der Grundrechtskatalog der aktuellen Bundesverfassung widerspricht mit der Aufzählung aller möglichen Grundrechte dieser Vorstellung.
Kley, a.a.O., S. 459 und § 26 II.
Dies war eine eklatante Schwäche der Weimarer Reichsverfassung, vgl. Kley, a.a.O., S. 308.
Beatrice Weber-Dürler, «Ablösung der Freiheitsrechte durch rechtsstaatliche Verfassungsprinzipien?», in: Etudes en l’honneur de Jean-François Aubert, Basel 1996, S. 437 ff.
Vgl. Kley, a.a.O., S. 308, Anm. 1951.
Art. 56 Abs. 1 KV GL.
Initiative constitutionnelle populaire cantonale «Pour le droit de vote à 16 ans sur demande», S. 1.
Initiative, a.a.O., S. 2.
Décret concernant la recevabilité matérielle de l’initiative constitutionnelle populaire cantonale «Pour le droit de vote à 16 ans sur demande».
Art. 136 Abs. 1 BV.
Art. 3 Zusatzprotokoll zur EMRK gibt einen Anspruch auf Teilnahme an allgemeinen, freien Wahlen. Da die Schweiz dieses Protokoll unterzeichnet, aber nie ratifiziert hat, ist es hierzulande nicht verbindlich.
Carl Schmitt, «Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931)», in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 3. Aufl., Berlin 1958.
Yvo Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, 2. Band: Grundrechte, Zürich 1982, S. 71.
VD.2017.21 (AG.2017.455), E. 5.4.6.; das Urteil wird wegen seiner Bedeutung auch als «Basel II» bezeichnet.
Die Richtlinien sind in Revision, vgl. Umgang mit Sterben und Tod, Medizin-ethische Richtlinien der SAMW, Version für die öffentliche Vernehmlassung vom 23.11.2017– 24.2.2018, siehe Brigitte Walser, «Was ist unerträgliches Leiden?», in: «Tages-Anzeiger» vom 3.3.2018, S. 5.
Dass sich die SAMW-Richtlinien nur auf Personen am Lebensende beziehen, stellte das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil ES.2011.210 vom 5.7.2012,
bekannt als «Basel I», fest.
Es kann nicht genügend darauf hingewiesen werden, dass BGE 133 I 58 äusserst widersprüchlich ist: Einerseits sagt das Bundesgericht, Urteilsfähige dürften
selbst entscheiden, wann und wie sie sterben wollen. Anderseits scheint es Personen, die nicht im beschriebenen Sinne krank, gebrechlich oder leidend sind, von der Möglichkeit, von einem Arzt das dafür am besten geeignete Mittel durch Zurverfügungstellung
eines Rezepts erhalten zu können, ausschliessen zu wollen.
Das hier genannte Grundrecht wurde vom Bundesgericht mit BGE 133 I 58 festgestellt und blieb in der Lehre faktisch unwidersprochen. Bis anhin kam es aber noch in keinem einzigen Fall zum Tragen, obwohl einige Verfahren liefen. Der Grund dafür mag auch in der langen Verfahrensdauer liegen, welche bereits innerstaatlich mehrere Jahre dauert. Kommt noch das Verfahren in Strassburg dazu, so liegt die durchschnittliche Dauer für ein solches Verfahren bei über neun (sic!) Jahren. Man mag sich fragen, ob diese lange Verfahrensdauer nicht schon für sich allein betrachtet Art. 6 und 13 EMRK verletzt. Denn wenn ein Beschwerdeverfahren in einem höchstpersönlichen Bereich im Schnitt neun Jahre dauert, kann es kaum mehr als «wirksame Beschwerdemöglichkeit» angesehen werden.
Nationale Demenzstrategie
2014–2019. Erreichte Resultate 2014−2016 und Prioritäten 2017−2019, Bern, November 2016, S. 34 f.
Die Nationale Demenzstrategie, a.a.O., Fn. 15, will in Ziel 4 immerhin abklären, ob «die bestehenden Finanzierungssysteme […], die für eine demenzgerechte Versorgung notwendigen Leistungen angemessen abbilden und abgelten».
Früher nannte man solche Verhältnisse in der Rechtssprache «besondere Gewaltverhältnisse». Giacometti Zaccaria meinte 1960, im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat gebe es keine Gewalt-, sondern nur Rechtsverhältnisse. Vgl. Giacometti Zaccaria, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts. Zürich 1960, S. 321 f. Das Bundesgericht hat 1972 den Begriff des Gewaltverhältnisses aufgegeben: Im Urteil BGE 98 Ia 129 vom 10.5.1972 verwendete es noch «Gewaltverhältnis», aber im Urteil BGE 98 Ia 362 vom 12.7.1972 wechselte es zu «besonderem Rechtsverhältnis».
Die Nationale Demenzstrategie, a.a.O., S. 34 f.
Die Nationale Demenzstrategie, S. 34 f.: Das Ziel 4 erwähnt zwar die angemessene Entschädigung von bedarfsgerechten Leistungen, aber es ändert an der Tatsache nichts, dass nur pauschalisierte Einzelleistungen verrechnet werden können. Der erhöhte Zeitbedarf für alte, gebrechliche, demente Menschen und dadurch viel zeitaufwendigere Betreuung findet in den Tarifen keinerlei Niederschlag. Gibt es beim Ziel 4 keine entsprechenden Tarifanpassungen, so handelt es sich um ein leeres Versprechen, das der politischen Beruhigung dient.
Die Nationale Demenzstrategie, a.a.O., S. 35.
In Schweizer Akutspitälern sank allein zwischen 2010 und 2015 die Nurse-Patient-Ratio von 6.28 auf 5.58 und der Skill-Mix verminderte sich von 0.63 auf 0.59: Vgl. Stefanie Bachnick / Dietmar Ausserhofer / Jean-Marie Januel / Maria Schubert / René Schwendimann / Sabina De Geest / Michael Simon, «Matching Registered Nurse Services with Changing Care Demands (MatchRN), Study Protocol of a Natural Experiment Multi-Centre Study», in: «Journal of Advanced Nursing» 2017, S. 1735–1746; Catherine Boss / Alexandre Haederli, «In jedem fünften Heim herrscht Pflegestress», in: «Sonntags-Zeitung» vom 1.4.2018, S. 2 f., und vom 8.4.2018, S. 7 und S. 20. Am 28.11.2017 hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) des Kantons Bern gemeinsam mit dem Verband Berner Pflege- und Betreuungszentren (VBB) die Stellenplanvorgaben für die Langzeitpflege festgelegt: Ab 1.1.2018 wird der Anteil des diplomierten Pflegefachpersonals (Stufe HF) von 20 Prozent auf 16 Prozent reduziert. Vgl. Sandra Rutschi, «Weniger Diplomierte», in: «Der Bund» vom 23.12.2017, S. 25. Vgl. Michael Soukup, «Als Pflegehelfer raus aus der Sozialhilfe. Das Schweizerische Rote Kreuz bildet im Auftrag des Bundes Flüchtlinge zu Pflegehelfern aus», in: «Der Bund» vom 9.5.2017, S. 19. Diese Ausbildung reicht bei den Flüchtlingen wie auch bei allen andern Personen qualitativ nicht für die Bewältigung der schwierigen Situationen in den Institutionen der Langzeitpflege aus. Es fragt sich ferner, wie den Flüchtlingen, die aus allen Weltregionen stammen, die gemäss Demenzstrategie nötige «ethische Grundhaltung» vermittelt werden kann.
Simon Hehli, «Einen Monat Sterben für 86 000 Franken. Ein 75-jähriger Krebskranker wird kurz vor seinem Tod teuer behandelt – gegen seinen Willen», in: «Neue Zürcher Zeitung» vom 29.12.2017, S. 13; Anja Burri / Gordana Mijuk, «Elend in den Altersheimen», in: «NZZ am Sonntag» vom 7.5.2017; Patrick Gut, «Pflegeheim-Skandal in Adliswil weitet sich aus», in: «Tages-Anzeiger» vom 27.9.2010, S. 19; Misshandlungen in mehreren Glarner Pflege- und Altersheimen, vgl. Anian Heierli, «Chalet des Schreckens», in: «Blick» vom 20.1.2017. Zur Lage in Deutschland vgl. Ulrich Fichtner, «Am Ende aller Kräfte», in: «Der Spiegel» vom 27.1.2018,
S. 42 ff.; Tina Drescher, Häusliche und institutionelle Pflege älterer Menschen als kriminologisches Problem, Frankfurt a.M. 2015.
Christian Helmrich, Die Verfassungsbeschwerden gegen den Pflegenotstand. Dokumentation und interdisziplinäre Analysen, Baden-Baden 2017; Susanne Moritz, Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen, Baden-Baden 2013. Vgl. dazu «Der Spiegel» vom 27.1.2018, a.a.O.
Bei diesen groben, systemischen Menschenrechtsverletzungen üben die schweizerischen Behörden landesintern grösste Nachsicht. Das steht im diametralen Gegensatz zur Aussenpolitik. Im Aussenverhältnis masst sich die Schweizer Regierung regelmässig und häufig eine generelle Lehrmeisterei an und belehrt Staaten, Regierungen oder politische Gruppen über das richtige Verhalten, eines von vielen Beispielen betreffend Israel anlässlich eines Attentats in Tel Aviv vom 8.6.2016, vgl. Medienmitteilung des EDA, «Das EDA verurteilt das Attentat in Tel Aviv», vom 10.6.2016. Dort heisst es: «Das EDA appelliert zudem an alle palästinensischen politischen Akteure, insbesondere die Hamas, sich jeder Anstachelung zur Gewalt entgegenzustellen. Die israelischen Behörden werden aufgerufen, die Auswirkungen ihrer Massnahmen auf die Rechte der palästinensischen Bevölkerung zu berücksichtigen.»
Das für die Schweiz per 24.10.2009 wirksame Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 18.12.2002,
SR 0.105.1, sieht regelmässige Besuche einer Kommission in allen Einrichtungen vor, welche Personen gegen ihren Willen festhalten. Bislang hat sich die Kommission nicht mit Pflegeeinrichtungen beschäftigt, womit das Kontrollverfahren in dieser Sache unwirksam bleibt.
Vierter Bericht der Schweiz zur Umsetzung des Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Uno-Pakt I) vom 14.2.2018,
Ziff. 281.