Das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) ist seit 2006 in Kraft – und wird seither immer wieder unterlaufen oder missachtet. Ein Beispiel: Das Bundesverwaltungsgericht hat am 22. April 2013 klipp und klar festgehalten, dass Sitzungsprotokolle von beratenden Kommissionen des Bundes öffentlich sind (Urteil A-4962/2012). Gestützt auf diesen Entscheid verlangte die Konsumentenzeitschrift «Saldo» Einsicht in ein Sitzungsprotokoll der Eidgenössischen Kommission für die berufliche Vorsorge – und publizierte gestützt auf dieses Protokoll die Namen jener Kommissionsmitglieder, die 2013 gegen einen höheren Mindestzins auf den Pensionskassenguthaben votiert hatten.
Diese Öffentlichmachung passte der Kommission nicht. Damit man ihr nicht mehr in die Karten blicken kann, enthält das Protokoll der Sitzung zum Mindestzins seither einfach keine Namen mehr. Kommissionspräsident Claude Frey begründete das gegenüber «Saldo» so: «Es ist unerheblich, wer was gesagt hat.» Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil noch betont, dass die Kommissionsmitglieder nicht durch Schwärzung anonymisiert werden dürfen, weil sie eine behördliche Funktion ausüben.
“Paradigmenwechel nicht vollzogen”
Das ist kein Einzelfall. Im April veröffentlichte das Bundesamt für Justiz einen Evaluationsbericht. Es wollte wissen, wie die Umsetzung des Gesetzes funktioniert und welche Wirkungen davon ausgehen. Den Auftrag erhielt das Berner Politikforschungsbüro Vatter.
Fazit: Die Autoren stellten Mängel bei der Umsetzung des Gesetzes fest. So konstatieren sie, dass der Paradigmenwechsel vom Geheimhaltungs- zum Öffentlichkeitsprinzip noch immer nicht in der gesamten Bundesverwaltung vollzogen worden ist. Der Kulturwandel habe «möglicherweise noch nicht alle Fachbereiche, Sektionen oder Abteilungen der Bundesverwaltung» erreicht.
Zum Thema der Sitzungsprotokolle von ausserparlamentarischen Kommissionen heisst es konkret: «Diejenigen Behörden, die sich in den vertiefenden Gesprächen dazu geäussert haben, nehmen mehrheitlich eine eher oder deutlich ablehnende Haltung ein.» Und weiter: «Aus Sicht der Forschenden ist fraglich, inwiefern eine Unterstellung der ausserparlamentarischen Kommissionen unter den Geltungsbereich des BGÖ gerechtfertigt ist.»
Gestützt auf die Ergebnisse des Berichts hat der Bundesrat das Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, einen Vorentwurf für eine Teilrevision des Öffentlichkeitsgesetzes zu erarbeiten. Ein Problem, das dabei angegangen werden soll, ist das Geschäfts- und Produktionsgeheimnis von Firmen. Es wird häufig angeführt, um Einsichtsgesuche in amtliche Dokumente abzulehnen – oft auch zu Unrecht. Unternehmen seien heute rechtlich nicht ausreichend in das Akteneinsichtsverfahren miteinbezogen, heisst es dazu in der Medienmitteilung des Bundesrates.
Martin Stoll, Journalist und Präsident des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, befürchtet, dass eine Revision zu einer Verwässerung des Öffentlichkeitsprinzips führt: «Werden die Regeln jetzt neu definiert, besteht das Risiko, dass das Geschäftsgeheimnis mehr noch als heute zum Transparenzkiller mutiert.» Zudem gibt Stoll zu bedenken, dass die ausserparlamentarischen Kommissionen etwa einen Drittel aller Institutionen des Bundes ausmachen: «Die Offenlegung dieser Protokolle zu verbieten, wäre eine massive Einschränkung.»
Ähnlich skeptisch äussert sich der Eidgenössische Datenschutzund Öffentlichkeitsbeauftragte Hanspeter Thür: «Seit längerem versuchen Aufsichts- und Kontrollbehörden, vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen zu werden. Auch ist zu befürchten, dass bestimmte Dokumenttypen wie Protokolle oder einzelne Geheimnistatbestände ausgeklammert werden.»
“Im Zweifelsfall zulasten des Öffentlichkeitsprinzips”
In ihrem Bericht bemängeln die Evaluatoren die grossen Unterschiede bezüglich der Bearbeitung der Einsichtsgesuche sowie bei der Erhebung von Gebühren. Auch stellen sie fest, dass die gegenwärtigen Ressourcen des Öffentlichkeitsbeauftragten nicht genügen, um eine fristgerechte Durchführung der Schlichtungsverfahren zu gewährleisten. Thür teilt diese Einschätzung.
Der Bericht zeigt auch, dass bei vielen Behörden noch Rechtsunsicherheiten bestehen. «Die Frage, welche Informationen unter das Gesetz fallen, ist für sie nicht immer klar zu beantworten», schreiben die Autoren. In bestimmten Fällen bestehe ein Ermessensspielraum, beispielsweise in Fällen, in denen Daten etwa aus Datenbanken aufbereitet werden müssten. Die Rechtsunsicherheit könne nun dazu führen, «dass im Zweifelsfall eher zulasten des Öffentlichkeitsprinzips entschieden wird».
Für viele Behörden scheint Klärungsbedarf hinsichtlich der Definition des amtlichen Dokuments, des Umgangs mit Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnissen, der Abwägung zwischen Transparenz und dem Schutz der Privatsphäre sowie der Koordination zwischen BGÖ und anderen Gesetzen zu bestehen.
Gesuchsteller und Behörden im Clinch
Von Seiten der Gesuchsteller sei ein «grundsätzliches Misstrauen» den Behörden gegenüber festzustellen, heisst es im Bericht. Denn ein wichtiges Motiv für die Gesuchstellung bestehe in der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit. «Daraus entsteht ein Konfliktpotenzial, weil die Behörden über den Zugang zu Informationen entscheiden, die möglicherweise zu einer negativen Berichterstattung führen könnten.» Das alles seien ungünstige Voraussetzungen für eine konfliktfreie Gesuchstellung und -bearbeitung.
Der Bericht zeigt zudem auf, wie sich Verwaltungsangestellte aus Angst vor Akteneinsichtsgesuchen fragwürdige Arbeitsweisen angeeignet haben: «In drei Gesprächen wurde explizit erwähnt, dass aufgrund des BGÖ vermehrt auf Telefongespräche ausgewichen wird und dies teilweise auch den Mitarbeitenden der Behörde so empfohlen wird.»
An einer anderen Stelle schreiben die Evaluatoren, wie Dossiers regelwidrig geschönt werden: Falls E-Mails in einem angeforderten Dossier liegen, werde geprüft, «ob sie tatsächlich substanzielle Informationen zur Sache beinhalten; falls dies nicht der Fall ist, werden sie vor Herausgabe des Dossiers aus diesem entfernt». Auch lasse sich die Haltung beobachten, «dass die Behörden beurteilen möchten, welche Informationen einem öffentlichen Interesse entsprechen und daher herausgegeben werden können».
Uneinheitliche Praxis bei den Gebühren
In einer interdepartementalen Arbeitsgruppe unter Führung des Bundesamts für Justiz sollen sich die Bundesangestellten deshalb künftig intensiver austauschen und «Good Practices» entwickeln. Dazu gehört auch ein souveräner Umgang mit Gebühren: Nach wie vor tue sich die Verwaltung damit schwer. Die Praxis bei der Gebührenerhebung sei uneinheitlich. Diese Praxis der Behörden werde von den Gesuchstellern «zu Recht» mit wenig Verständnis aufgenommen.
Lob erhält die Schlichtungsstelle des Öffentlichkeitsbeauftragten. Laut einer juristischen Analyse der Politforscher sind seine Empfehlungen gerichtsfest. Durchs Band seien sie von Richtern gestützt worden. Auch loben die befragten Gesuchsteller die Abklärungstiefe und die ausführlichen Begründungen der Empfehlungen.
Andererseits stellten die Prüfer fest, dass die Verfahren des Öffentlichkeitsbeauftragten zu lange dauern. Sie fordern für die Stelle mehr Personal. Der Bundesrat hat in den letzten Jahren allerdings jeden entsprechenden Antrag abgelehnt. Laut Thür «führt dies letztlich zu einer Schwächung des Öffentlichkeitsprinzips». Er plädiert für die Abschaffung der 30-tägigen Frist des Schlichtungsverfahrens. Ein seriöses Verfahren innerhalb so kurzer Zeit sei auch mit mehr Personal kaum durchzuführen.
Das Öffentlichkeitsprinzip
Öffentlichkeitsprinzip auf Bundesebene heisst: Grundsätzlich sind alle Dokumente der Verwaltung zugänglich – die Ausnahmen bestimmt das Gesetz.
Konkret: Zum Schutz überwiegender öffentlicher oder privater Interessen kann der Zugang zu Dokumenten verweigert, aufgeschoben oder nur teilweise gewährt werden.
Gesuchsteller müssen kein besonderes Interesse an der Information nachweisen. Die Verwaltung ist verpflichtet, bei Bedarf auf das Vorhandensein amtlicher Dokumente hinzuweisen und anzugeben, wie die verlangten Dokumente beschafft werden können.
Wenn die Gewährung des Zugangs mehr als einen geringfügigen Aufwand verursacht, können Gebühren erhoben werden.
Eine Beratungs- und Schlichtungsstelle für den Streitfall wurde dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten angegliedert, der als Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (EDÖB) Kompetenz- und Schlichtungsstelle im Bereich der Öffentlichkeit der Bundesverwaltung ist.